IM SPIEL DIE WELT ENTDECKEN – WARUM ERLEBNISRÄUME FÜR DIEPERÖNLICHKEITSENTWICKLUNG SO WICHIG SIND

Erlebnisraum Familie

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt. In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können, denn sie müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Für ihre Entwicklung brauchen sie daher Spiel- und Erlebnisräume, die ihnen Entdeckungen ermöglichen. Der Wert dieser Erlebnisräume liegt im Wesentlichen darin, dass Kinder ein relativ hohes Maß an Freizügigkeit haben und sich doch aufgehoben fühlen. Gleichzeitig können sie ihrem Bedürfnis nach Wildheit und Abenteuer nachgehen.

Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit. […] in unseren Spielen waren wir herrlich frei und nicht überwacht.“

(Astrid Lindgren 2002)

Auf die Beziehung kommt es an

Eine entscheidende Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und zu verstehen suchen, wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Hirnforscher gehen davon aus, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Lehrkräfte). Hier werden die Grundlagen für Empathiefähigkeit gelegt.

Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender

Kinder verfolgen schon als Säuglinge mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen:

Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“

Auch sehr kleine Kinder würden solche Wahrnehmungen auf ihre Weise bereits auswerten:

Wie ist es gelaufen? Komme ich mit meinen Erlebnissen zurecht? Habe ich so etwas erwartet?“

Ihre frühen Erfahrungen werden von ihnen emotional erfasst und gespeichert. Je nach Erlebnis könne man sich das so vorstellen:

Das war eine gute Erfahrung.“ „Das hat mich neugierig gemacht.“ „Das war eine schlechte Erfahrung. Die will ich meiden.“

Über die auf diese Weise angelegten limbofrontalen Bahnungen laufen unser Leben lang alle emotional-kognitiven Prozesse.

Spielräume der Kindheit

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Hier wirkt die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen als Vorbild für die sich langsam entwickelnde Fähigkeit, sich in die Absichten und das Verhalten anderer Personen einzufühlen. Langzeituntersuchungen von Bindungsforschern haben ergeben, dass sich die „Spiel-Einfühlfähigkeit“ gerade von Vätern positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen auswirkt.

Über die Bedeutung von Fantasieräumen

Ein fünfeinhalbjähriger Junge malte gerne Bilder von Burgen und Rittern. Eines Tages müssen seine Ritter in den Kampf ziehen und gegen böse Drachen kämpfen. Wenn der Vater nachmittags nach Hause kam, fragte er seinen Sohn, ob er wieder etwas gemalt habe. Der Sohn holte seine Bilder hervor, erzählte und bat eines Tages seinen Vater, doch einmal aufzuschreiben, was da so alles passiert sei. Der Vater schrieb auf, was ihm sein Sohn erzählte. Das liest sich dann so:

Hier sieht man eine Ritterburg. Und das hier sind die Ritter. Sie sind auf Drachenfahrt. Hier begegnen sie dem ersten Drachen, es ist ein gruseliger Langzahndrache. Er erschreckt den Ritter so sehr, dass dieser abhaut…..“

In einem kreativen Akt gibt der Junge seinen Fantasiefiguren eine Gestalt. Er zeichnet die Burg und die Landschaft, in der sich das Abenteuer abspielt. Es tauchen Furchterregende Drachen auf, die bis auf den letzten Ritter, mit dem sich der Junge identifiziert, in die Flucht treiben. Er besteht das Abenteuer und geht als Sieger aus dem Kampf hervor. Diese Geschichte spielt sich über den Zeitraum mehrerer Wochen ab.

Fantasieräume und Persönlichkeitsentwicklung

Vater und Sohn schaffen sich einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Der Vater fühlt sich in das Fantasiespiel seines Sohnes ein. Gemeinsam richten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Inhalt dieser Geschichte. Es kommt zu vielfältigen Interaktionen und Gesprächen. Durch das Interesse des Vaters erfährt der Sohn Wertschätzung. So entwickelt sich zwischen den beiden eine exklusive Beziehung.

Auf diese Weise, so lehren uns Neurobiologen, bilden sich im Gehirn Spiegelneurone aus. Es handelt sich um die neuronale Vernetzung von gemeinsamen Erfahrungen. In jüngster Zeit wurde dies von dem Freiburger Psychoneuroimmunologen Joachim Bauer sehr anschaulich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ (2005) beschrieben. Im Verlauf der frühen Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen oder Interaktionen des Alltags. Dieser Vernetzungsprozess ereignet sich nicht im luftleeren Raum, er ist auf konkrete Aktivitäten angewiesen und zu ihrer Realisierung benötigen Kinder und Jugendliche Erlebnisräume.

Erlebnisräume und das dopaminerge Systeme

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen hoch komplizierten Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Und wir spielten und spielten und spielten, sodass es das reine Wunder ist, dass wir uns nicht tot gespielt haben,“

hält Astrid Lindgren in ihren Erinnerungen fest.

Zu den wichtigen Erkenntnissen der Hirnforschung, gehört die Entdeckung eines gehirneigenen Belohnungssystems. Kindliche Neugier, Entdeckerfreude und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des dopaminergen Systems. Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen ist zunächst die emotionale Erfahrung von Geborgenheit. Im Gehirn führt dies zur Ausschüttung des Botenstoffes Oxytozin. Auf dieser Grundlage sammeln Kinder bei entsprechender Anregung die unterschiedlichsten Erfahrungen. Sie wollen die Welt erleben und ihre Handlungsmöglichkeiten ausprobieren. Dazu braucht es den Botenstoff Dopamin. Er wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn das Experimentieren mit Freude verbunden ist. Auf diese Weise werden körpereigene Opioide ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl machen. Dieses System verleiht den Dingen und Ereignissen um uns herum eine Bedeutung. Bedeutsam ist, was auch von den Eltern und Erzieherinnen als wichtig angesehen wird. Wird dem Spiel eine hohe Bedeutung beigemessen, dann bahnen sich nicht nur die oben genannten Fähigkeiten, sondern es wird mit diesen neuronalen Vernetzungen gleichzeitig die im Spiel erfahrene Freude und Begeisterung mit eingespurt. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse im kindlichen Gehirn angelegt, die auch später mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendet und risikofreudig in die Welt blickt. Das Spiel schafft einen Rahmen, in dem Erwachsene und Kinder ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf einen Gegenstand ausrichten. Sie erleben Anspannung, Aufregung und Freude am Gelingen einer Spielhandlung gemeinsam und tauschen sich darüber aus. Im Spiel erschaffen sie sich eine gemeinsame Erfahrungswelt, die oft intensive Erlebnisse bereithält. Auf diese Weise – das muss ihnen beim Spiel nicht bewusst sein – regen sie die Strukturbildenden Elemente im kindlichen Gehirn an und schaffen die Voraussetzungen für spätere Lernfreude und Konzentrationsfähigkeit. Für eine gelingende Entwicklung kommt es auf der Ebene der Neurotransmitter auf eine gute Mischung von Oxytozin, Dopamin und Opioiden (Glückshormone) an. Spielsituationen ermöglichen grundlegende emotionale Erfahrungen. So sorgt z.B. Oxytozin für Vertrauen, Dopamin schafft eine grundlegende Lernmotivation und die körpereigenen Opioide tragen zu einem guten Gefühl bei. Diese Mischung entsteht besonders dann, wenn Kinder zugewandte Eltern haben; wenn sie einen anregungsreichen Kindergarten besuchen und wenn sie in der Schule ihre Eigenaktivitäten voll entfalten können. Auf diese Weise servieren wir ihnen einen „Cocktail,“ der als Quelle für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung angesehen werden kann.

Spiel-Unlust mancher Eltern

Die Münchner Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek beobachtet allerdings seit einigen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ schon sehr kleiner Kinder.

Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht,“ das seien typische Äußerungen von Müttern.

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

In den Erlebnissen liegt die Quelle einer gelingenden Entwicklung

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. So kann man den Zusammenhang sehen: Unser Gehirn enthält nicht Erinnerungen an einzelne Objekte, sondern an die emotionale Einbettung dieser Objekte in eine als bedeutsam erlebte Situation. Es sind die Szenen, die Erzählungen, die persönlichen Erlebnisse, die als erste Repräsentanten so etwa wie eine Grund-Matrix ausbilden, auf der sich später abstrakte Gedanken und Erinnerungen abbilden. Hier werden die Grundlagen für die im Leben so wichtige Lernmotivation gelegt.

Was 16-järige Schülerinnen und Schüler aus der Rückschau sagen

Schülerinnen und Schülern eines Gymnasiums antworteten auf die Frage, welche Situation in ihrem Leben ihrer Lernmotivation und Lernfreude entscheidend beeinflusst hätten, mit der Schilderung von Spielsituationen aus ihrer Kindheit.

Insa: Wenn es regnete, dann saß ich oft mit meinem Papa und meinem Onkel am Tisch und wir bauten gemeinsam mit Legostseinen. Ich sehe die Situation heute noch vor mir. Die beiden haben sich gefreut. Ich glaube, sie haben sich noch einmal als Kinder erlebt. Mit Barbis habe ich auch gespielt.

Katharina: Ein Ponyhof, ein Zirkus, ein Zoo – mit Playmobil war alles möglich. Mit meinen fünf Freundinnen haben wir uns stundenlang über Tage hinweg in unseren Fantasieräumen bewegt. Das war alles sehr kreativ. Wir haben nicht nur diese Dinge konstruiert, wir haben uns auch Geschichten dazu ausgedacht.

Jacob: Mit meinen Geschwistern und meinem Vater haben wir nach Weihnachten mit Lego gespielt. Das Eigenartige dabei ist, dass wir gebaut und gebaut haben. Manchmal hatten wir das ganze Zimmer zugebaut. Da gab es einen Bereich für Eskimos und dann war da eine große Eisenbahnanlage. Und wenn wir damit fertig waren, dann war das Projekt auch zu Ende. Gespielt haben wir dann nicht mehr damit. Das Entscheidende bestand in der Konstruktion.
Anne: Ich sehe eine Verkleidungskiste. Es gab nichts, was wir nicht gespielt haben.

(Gebauer 2007)

Wenn wir diese Aussagen von Jugendlichen mit Ergebnissen und Interpretationen der Säuglingsforschung in Beziehung setzen, dann findet sich in ihnen eine Bestätigung der dort geäußerten Annahmen. Das ausgiebige Spiel in der Kindheit bildet die Grundlage für Motivation, Konzentration und Lernlust.

Über den Zusammenhang von Spielen und Lernen

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit und Muße der Erwachsenen. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Motivationssysteme ankurbeln

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten.

Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das dopaminerge System in Gang.

Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des Motivations-Systems. Die Freude, die ein Kind dabei erlebt, stärkt seine Aufmerksamkeit und sein Selbstwertgefühl. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. In diesen eigenständigen Aktivitäten liegen die Grundlagen für verantwortliches Handeln. Für die gesamte Schulzeit gilt: Freude am Lernen und eine hohe Lernmotivation stellen sich dann ein, wenn Kinder ihre Lernprozesse vorwiegend selbst gestalten können. Davon ist in vielen Schulen nichts zu spüren.

Kinder wollen lernen

Kinder wollen lernen und ihre Welt erkunden. Treibende Kräfte sind ihre Neugier und Eigenaktivität. Spielzeit ist daher Bildungszeit, das gilt besonders für die Arbeit in Kindergärten. Kinder bleiben nur dann Entdecker, wenn man ihnen die Möglichkeit zu einem selbst bestimmten Lernen eröffnet. Lernerfolge stellen sich dann ein, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung von Urheberschaft machen und wenn Erwachsene ihre Leistungen wohlwollend würdigen. Der Erfolg ergibt sich aus der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Fehlt diese emotionale Komponente in Lernprozessen, dann kann sich die für spätere Lern-, Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse so wichtige neuronale Struktur nicht angemessen ausbilden. In der Schule sind es vor allem Lernformen, die den Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Lerngegenstand ermöglichen. Auf diese Weise wird das dopaminerge System angekurbelt. Damit ist die entscheidende Grundlage für erfolgreiches Lernen beschrieben. Leider finden diese Zusammenhänge in der Schul- und Bildungspolitik zu wenig Beachtung.

Erlebnisraum Kindergarten

Im Rahmen einer Untersuchung habe ich Erzieherinnen gebeten, die Kinder einmal zu fragen, wie sie über das Klugsein und das Klugwerden denken. Die Einleitungsfrage lautet:

Manchmal sagen die Leute, ein Kind sei klug, was meinen die wohl damit?“

Die spontanen Antworten von Kindergartenkindern klingen so:

Klug ist ein Kind, das den Tisch abputzt, aufräumt, fleißig, lieb und tapfer ist.“ „Klug ist man auch, wenn man anderen hilft.“ „Ein Kind, das ganz viel weiß und gute Sachen macht, ist klug.“ „Wenn man sich immer wäscht und auch seine Brille aufsetzt, ist man klug.“ „Wenn man spielt und Sachen baut, ist man auch klug.“

In der Zusammenschau wird deutlich, dass Kinder im Alter von fünf Jahren eine pragmatische Vorstellung vom Klugsein haben. Da geht es um praktische Tätigkeiten wie Aufräumen und Putzen. Es gibt bereits eine Vorstellung davon, dass Klugsein etwas mit Wissen zu tun hat. Ganz deutlich wird in den Ausführungen, dass Spielen und Bauen wichtige Aktivitäten sind. In den Begriffen „lieb“ und „tapfer“ werden emotional-soziale Aspekte von Klugheit sichtbar. Mit dem Hinweis, dass man auch anderen helfen müsse, kommt soziales Verhalten in den Blick. Die Gesamtheit aller Aussagen macht deutlich, dass bereits bei fünfjährigen Kindergartenkindern eine umfassende Vorstellung einer gelingenden Entwicklung vorhanden ist und dass zum Klugwerden konkrete Aktivitäten wie Spielen und Bauen wichtig sind. Jede der Äußerungen verweist auf die zentrale Quelle des Klugwerdens, nämlich auf das eigenständige Tun.

Muster des Verstehens

Die differenzierten Wachstumsprozesse im kindlichen Gehirn, vor allem die Verbindungen vom limbischen System zum frontalen Kortex sind auf konkrete Erfahrungen angewiesen. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, Gefühle wahrzunehmen, Wörter für Gefühle zu finden, sich zu vergewissern. In der Pubertät und Adoleszenz kommt es darauf an, die bisherigen Erfahrungen als Wertesystem zu konstituieren. Voraussetzungen dafür sind emotionale Erfahrungen und das Kommunizieren über diese. Hier liegt die wesentliche Begründung für eine intensive Arbeit an Konflikten, wie sie z.B. in Familien, Kindergärten, Schulen oder bei der Gestaltung von Ferienlagern auftreten. Zwischen Emotion und Kognition finden dabei unaufhörlich Wechselwirkungen statt. Grundlage ist die neuronale Plastizität, also der bevorzugten Bahnung von häufig aktivierten Assoziationswegen, über die im Gehirn Muster des Fühlens, Verstehens und Handelns ausgebildet werden.

Unser Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen (Neuronen) und den sie verbindenden Nervenfasern. Jedes Neuron besitzt weite baumartige Verzweigungen (Dendriten). Sowohl an den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die Nervenfasern anderer Neurone. Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen vielfältig miteinander verbunden. Hier findet die Übertragung von Nervenimpulsen statt. Sie bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken, Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt. Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig (Selbstwirksamkeitskonzept und Motivation, Impulskontrolle und Handlungsplanung, soziale und emotionale Kompetenz).Um die hierfür erforderlichen, hoch komplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende Angebote, die ihre emotionalen Zentren aktivieren. Sie brauchen Herausforderungen, die sie erfolgreich bewältigen können. Gerade hierbei können die unterschiedlichsten Aktivitäten, die zur Realisierung erlebnispädagogischer Projekte erforderlich sind, sehr hilfreich sein.

Erlebnis: Konfliktlösung

Wir wissen heute aus den für die Erziehung und Bildung relevanten Forschungsbereichen sehr genau, welche Verhaltensweisen für die Entwicklung von Kindern hilfreich sind. Eltern sollten ihren Kindern emotionale Sicherheit und Anregungen geben, ihr Selbstbewusstsein stärken, die Gefühle ihrer Kinder wahrnehmen und über Gefühle mit ihnen reden. Sie sollten Interesse an der Entwicklung haben. Auftretende Konflikte sollten sie für Klärungsgespräche nutzen. Selbst bei besten Absichten kann es aber in Erziehungs- und Bildungsprozessen aus unterschiedlichsten Gründen zu Irritationenkommen. Diese können hervorgerufen werden durch Beziehungsprobleme in den Familien. Trennungen, Neuanfänge, Abwesenheit der Väter, eine zu große Selbstlosigkeit der Mütter oder eine übermäßige Autorität der Väter können Anlass zu Verunsicherungen sein und den Entwicklungsprozess beeinträchtigen. Aber auch Erfahrungen von Gewalt, eine vernachlässigende oder verwöhnende Erziehung, können zu Verunsicherungen und Traumatisierungen führen. Wie auch immer die individuelle Familiensituation aussehen mag, es kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass bei den ganzen Umwälzungen und den unterschiedlichen familiären Modellen die gemeinsame Zeit in der Familie ein unverzichtbares Gut darstellt. Neben einer ausreichenden materiellen Sicherheit der Familien erweisen sich insbesondere ein gutes Familienklima und regelmäßige gemeinsame familiäre Aktivitäten als bedeutsam für das Wohlergehen und für die Zukunftschancen eines Kindes. Die ungünstigste Konstellation liegt dann vor, wenn materielle Defizite mit geringer Zuwendung einhergehen. Wenn Kinder allerdings konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann kann dieses Erlebnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es schafft die Voraussetzungen für Handlungsmuster, die als innere Bilder gespeichert werden und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen. Leider speichern Kinder bei familiären Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster.

Auf die Erlebnisqualität kommt es an

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Für viele Kinder stellt der Besuch des Kindergartens eine Bereicherung ihres Lebens dar. Dabei kommt es auf die Qualifikation der Erzieherinnen ebenso an wie auf die personalen und räumlichen Bedingungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erlebnisqualität nicht durch den Einsatz von Förderprogrammen der unterschiedlichsten Art gestört oder gar verdrängt wird. Hier lauert eine große Gefahr.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)

Im Grunde beschreibt Astrid Lindgren diesen roten Faden. Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

  • Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
  • Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
  • Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.
  • Eigene Spielideen entwickeln.
  • Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
  • Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Spielräume in der Schule

Die Resilienzforschung sagt uns, wie wichtig im späteren Leben zugewandte Menschen sind, wenn die Erfahrung von Sicherheit und Zuwendung nicht in genügendem Maß erfolgt ist. Erzieherinnen und Lehrkräfte, die über emotionale Kompetenz verfügen schaffen daher immer wieder Situationen, in denen die Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können. Am ehesten gelingt das in Projekten der unterschiedlichsten Art.

Erfolgreiche Reformschulen wie die Helene Lange-Schule in Wiesbaden, die beim Pisa-Test die besten Ergebnisse erzielte, stellen das Theaterspiel in die Mitte ihrer pädagogischen Konzeption (Riegel 2005).

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge am Deutschen Theater in Göttingen, schwärmt

„Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt.Er zählt gleich mehrere Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert: 

„Da geht es um gegenseitige Rücksichtnahme, Zunahme von Kooperationsbereitschaft Abbau von Vorurteilen,Verlegung der Toleranzgrenze,Verantwortung für sich und andere Stärkung des Selbstbewusstseins. Und: Denken, Sprechen, Planen, Handeln, Verwerfen, Krisen meistern – das findet natürlich auch statt.“

Zukunftsforscher (Göll 2001) betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft.

Negative Erlebnisse

Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es in der Hirnforschung keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. W. Hirn (2006) berichtet, dass im Zusammenhang mit den Aufnahmeprüfungen für die Hochschulen und Universitäten in China über 50 % der Abiturienten während der Prüfungsvorbereitungen mit Selbstmordgedanken gespielt hätten. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Dies hängt u.a. damit zusammen, dass Lehrerinnen und Erzieherinnen eine immer größer werdende Fülle von Aufgaben zu bewältigen haben. Viele von Ihnen werden vom Stress gelähmt. In der Folge können sie das, was für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes von Bedeutung ist, nicht mehr leisten.

Gerade hier können außerschulische Angebote wie Ferienlager und Abenteuerunternehmungen wichtige kompensatorische Hilfe leisten.

Chancen der Erlebnispädagogik

Erlebnispädagogik wird in theoretischen Überlegungen gerne als integrativer Bestandteil ganzheitlicher Erziehungs- und Bildungskonzepte gepriesen. Sie enthält Schlüsselqualifikationen wie emotional-soziale Kompetenz und Wagnisbereitschaft. In der Praxis nutzt sie Erfahrungen in der Natur (Wald, Gebirge, See), um soziale Kompetenzen zu entwickeln. Natursportarten (Segeln, Reiten, Radfahren, Outdoortraining, Sportklettern, Höhlenforschen, Kajakfahren, Floßfahren) bieten dabei ein breites Spektrum an Erlebnismöglichkeiten. Neben den Schulen gibt es Anbieter auf dem freien Markt. Hier können Kinder und Jugendliche wichtige Erfahrungen für ihre Persönlichkeitsentwicklung machen. Die dort geforderten Aktivitäten sind in der Regel mit Anforderungen an die gesamte Persönlichkeit verbunden. Hier setzen die meisten der zahlreichen erlebnispädagogischen Konzepte an.

Bedingungen für Erlebnisse schaffen

Planbar sind lediglich die Gelegenheiten und damit gewisse förderliche Bedingungen für das persönliche Erlebnis. Da Erlebnisse subjektiv und unwillkürlich entstehen, lassen sie sich nicht zielgenau herbeiführen und sind damit nicht pädagogisch vorausplanbar. Allerdings kann man Bedingungen schaffen, die immer wieder Erlebnisse ermöglichen. Die Wirkung von erlebnispädagogischen Lernangeboten ergibt sich daher nicht direkt aus den abenteuerlichen Erlebnisfeldern, sondern durch die spezifische Weise in der sie genutzt, präsentiert und kombiniert werden.

Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten. (Erlebnispädagogik / Wikipedia)

Quellen der Persönlichkeitsentwicklung

Es kommt darauf an, den Kindern Geborgenheit und damit emotionale Sicherheit zu geben. Über vielfältige Anregungen erhalten sie die Chance, grundlegende Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit zu machen. Zunächst verbindet sich diese Erfahrung mit allen Aktivitäten, die beim kindlichen Spiel vorkommen. Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben, rechnen. Wenn Eltern oder nahe Bezugspersonen diese Lernerlebnisse der Kinder wohlwollend begleiten und durch zustimmende Äußerungen unterstützen, bilden sich im Gehirn der Kinder neuronale Netzwerke aus, in denen nicht nur das motorische Können gespeichert wird, sondern auch die Freude am Können. Sie erfahren auf diese Weise eine Bestätigung und Stärkung ihrer Selbstwirksamkeitserfahrung. Daraus entwickelt sich die für lebenslanges Lernen so notwendige innere Motivation. Hier liegt die Quelle des Lernens. In allen nachfolgenden Prozessen müssen wir darauf achten, dass diese Quelle nicht versiegt. Sie kann durch kein noch so ausgeklügeltes Förderprogramm ersetzt werden. Die Freude am Lernen steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Erlebnis, dass das eigene Tun auch in den Augen und Ohren anderer Menschen als etwas Wichtiges wahrgenommen wird. Die positive Resonanz, die Kinder erfahren gibt ihnen Sicherheit und bestärkt sie in ihrem Tun. So können sich Kinder zu stabilen Persönlichkeiten mit einem guten Selbstwertgefühl entwickeln.

Lernen findet in einem Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Aktivitäten statt. Leider wird das Lernen heute weitgehend mit den schulischen Fächern gleichgesetzt und nur selten in seinen emotionalen und sozialen Dimensionen gesehen. Für erfolgreiches Lernen ist die Erfahrung von vielen komplexen Situationen erforderlich. Klassenfahrten, Feriencamps, Reisen von längerer Dauer können hier ihre kompensatorische Wirkung entfalten.

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon frühe voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Applaus belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung dar.

Erzieherinnen und Lehrer müssen diese Prozesse pflegen und entsprechende Entwicklungs- und Gestaltungsanreize geben. Im Spiel sammeln Kinder z.B. vielfältige emotionale und kognitive Erfahrungen, die sich auf eine differenzierte Ausbildung ihres Gehirns auswirken.

Lernen ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem guten Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Prozessen beruht. Erfahrene Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen gehen deshalb emotional achtsam mit sich selbst um. Das ist eine Voraussetzung für Empathie gegenüber Kindern. Kreativ und zielstrebig arbeiten emotional kompetente Erzieherinnen und Lehrkräfte mit ihren Kolleginnen und Kollegen an einer pädagogischen Konzeption, in deren Kern es um die Beachtung und Förderung der gesamten Persönlichkeit geht. Ohne sich im Gestrüpp der vielfältigen Alltagsbelastungen zu verfangen, schaffen sie für die ihnen anvertrauten Kinder und Schüler Lernräume, die Entdeckungen ermöglichen. Sie werden vor allem dafür sorgen, dass störende Einflüsse wie Demütigungen von Mitschülern nicht zugelassen und Konflikte geklärt werden. Unsicherheitssituationen, die durch Gewaltandrohung, Gewalt oder Mobbing geschaffen werden, beeinträchtigen das Lernvermögen der betroffenen Kinder nachhaltig. Sie müssen daher, wenn Lernen gelingen soll, bearbeitet werden und dürfen auf keinen Fall unbeachtet bleiben oder abgetan werden.

Wenn Kinder die Chance erhalten, Probleme selbstständig zu lösen, entwickeln sie über die Zunahme ihrer Handlungskompetenz eine Motivation, die sich wiederum auf ihr Selbstwertgefühl stabilisierend auswirkt. Kinder brauchen, um hinreichend offen für neue Wahrnehmungen, kreativ und neugierig zu bleiben, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Das individuelle Lernen ist immer eingebettet in strukturelle Rahmenbedingungen, die Lernforschritte eher begünstigen oder behindern können.

Ausblick

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Wissen umfasst vielfältige Inhalte aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Denken bezeichnet Strategien des Erkenntnisgewinns und der Reflexion, z.B. Sachverhalte beschreiben, Probleme erkennen und nach Lösungen suchen, Situationen interpretieren und Handlungen planen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sie sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Gesundheitsbewusstsein ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert.

Literatur:

Antonovsky, A (1998): Vertrauen, das gesund erhält. Warum Menschen dem Stress trotzen. In: Psychologie heute (Heft 2), 51 ff.

Bauer, J (2004): Die Freiburger Schulstudie http://www.psychotherapie-prof-bauer.de/titelframe.htm

Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg

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Wikipedia: Erlebnispädagogik

Dr. phil. Karl Gebauer ist Verfasser und Herausgeber zahlreiche Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Er war 25 Jahre Rektor der Leineberg-Grundschule in Göttingen. Zuletzt sind von ihm erschienen: Klug wird niemand von allein. Kindern fördern durch Liebe. Patmos / Düsseldorf. Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz / Weinheim. Zusammen mit Prof. Dr. Gerald Hüther hat er die Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung ins Leben gerufen. Weitere Informationen unter:

www.gebauer-karl.de