DIE BEDEUTUNG DES VATERS FÜR DIE FRÜHKINDLICHE ENTWICKLUNG

Foto: Jürgen Hast

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Wenn ich unsere Freundschaften an uns vorüberziehen lasse, dann stelle ich fest, dass sie ihren Ursprung in der Kindergartenzeit unserer Söhne, die heute 28 und 22 Jahre alt sind, haben. Unsere Kinder besuchten einen Kindergarten, der aus einer Elterninitiative entstanden war. Es gehörte nicht nur zu den Aufgaben der Eltern, sich mit dem pädagogischen Konzept vertraut zu machen, sondern es waren im Verlauf eines Jahres viele konkrete Aufgaben zu erfüllen wie Kochen, Putzen, Reparaturen am Gebäude, Gestaltung des Außenbereichs, Verwaltungstätigkeiten und anderes mehr. Wir haben auch viele schöne Feste gefeiert. Aus den vielfältigen Begegnungen sind in einigen Fällen Freundschaften entstanden.

Assoziationen über Väter und KITAS

In der Einladung zur Tagung „Väter gefragt – Neue Wege in der Arbeit mit Eltern“ wird festgestellt, dass Elternarbeit faktisch Mütterarbeit sei und dass die Väter meist nur eine Nebenrolle spielten. Es sollen neue Wege beschritten werden, die Interessen der Väter sollen geweckt und ihre Beziehung zu ihren Kindern gestärkt werden. In meinem Beitrag geht es um die Bedeutung des Vaters für die frühkindliche Entwicklung. Mit den folgenden Anregungen an die Leiterinnen von Kindertagesstätten möchte ich die Väter gleich in den Blick rücken.

Von welchem Vater haben sie ein äußeres Bild, eine Vorstellung?

Können sie den Vater seinem Kind zuordnen?

Wenn sie diesen Vater sehen, wie er sein Kind bringt oder abholt, welche Gefühle löst er in mir aus?

Welcher Vater interessiert sich für sein Kind?

Welcher Vater interessiert sich für die Arbeit in der Kita?

Welcher Vater unterstützt die Kita bei konkreten Anlässen?

Welcher Vater löst durch seine Art bei den Erzieherinnen Ärger aus?

Über welchen Vater freuen sie sich richtig?

(Es folgt eine Reflexionsphase mit kurzer Aussprache.)

Vaterschaftskonzepte der Gegenwart

Statistische Erhebungen zeigen, dass sich das Vaterschaftskonzept geändert hat. In einer für Deutschland repräsentativen Studie wird das Vaterschaftskonzept der Gegenwart auf zwei Typen zugespitzt. Danach rechnen sich 66% der Befragten dem Typ „Vater als Erzieher“ und 34 % dem Typ „Vater als Ernährer“ zu. Mit der letzten Bezeichnung ist gemeint, dass sich der Vater eher um die äußern Belange kümmert, während sich der Vater als „Erzieher“ um die gesamte Entwicklung seines Kindes und die Beziehungen innerhalb der familiären Konstellation sorgt. „Es handelt sich also um eine neue soziale Norm, die Vaterschaft neu definieren lässt.“ (Fthenakis/Minsel 2002, S.23)

Eine Studie der evangelischen und katholischen Kirche aus dem Jahr 2009 kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen:

Dem Typ „traditioneller Mann“ werden in der Studie 27 Prozent der Befragten zugeordnet. Beim modernen Männertyp sind es 19 Prozent. Zwischen traditionell und modern siedelt die Studie den „balancierenden Typ“ mit 24 Prozent und als größte Gruppe den nach seiner Rolle „suchenden Mann“ (30 Prozent) an. Sie sind auf dem Weg zu einem inneren Bild, das den Anforderungen der Gegenwart gewachsen ist.

http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2009_03_18_3_maennerstudie.html

19 Prozent der Männer setzen sich mit den Anforderungen in der Familie und in ihrem gesellschaftlichen Umfeld auseinander. Sie werden als modern angesehen.

Wie entsteht eine zugewandte väterliche Haltung?

Foto: Jürgen Hast

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Seit einigen Jahren beschäftigt mich die Frage, wie es kommt, dass sich manche Väter emotional ihren Kindern zuwenden und sie in ihrer Entwicklung unterstützen, während sich andere eher desinteressiert zeigen und auf Distanz gehen. Ich wollte erfahren, ob, wie und wodurch es Vätern gelungen ist, ein inneres Vaterbild zu erwerben und zu einem inneren Arbeitsmodell weiter zu entwickeln, das ihnen eine zugewandte väterliche Haltung ermöglichte. Dabei interessierte ich mich besonders für die Ressourcen, die für eine zugewandte Haltung erforderlich sind, und wie diese Ressourcen trotz oft problematisch verlaufender Biographien erworben werden konnten. In Gesprächen mit Vätern im Alter zwischen 37 und 64 Jahren habe ich versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden. Ich stellte jedem Gesprächspartner zwei Grundfragen:

„Wenn sie an ihren Vater denken, welche Situationen, Ereignisse oder Bilder springen dann unmittelbar in ihr Bewusstsein?“ Diese Frage weckte in allen Fällen deutliche Erinnerungen.

„Wenn sie nun an sich selbst als Vater ihres Kindes / ihrer Kinder denken“, so fragte ich meine Interviewpartner, „was fällt ihnen dann spontan ein?“

Auf diese Weise habe ich viele Geschichten von Vätern mit ihren Vätern und mit ihren Kindern gehört, aufgeschrieben und analysiert. Der Blick in die Vergangenheit gibt Aufschluss über das internalisierte Bild vom Vater, der Blick auf die eigenen Kinder lässt das innere Arbeitsmodell sichtbar werden, das das Verhalten eines Vaters im Umgang mit seinen Kindern beeinflusst. (Gebauer 2003)

Die Bedeutung innerer Vaterbilder

Ob und wie sich ein Vater um seine Kinder kümmert, hängt u.a. davon ab, welches innere Bild er selbst von sich als Mann und Vater entwickelt hat. Für eine gelingende Vaterschaft sind Erlebnisse mit einem emotional zugewandten und anregenden Vater wichtig. Beim Fehlen dieser positiven Erfahrungen, kann eine Kompensation über vaterähnliche Personen erfolgen. Diese Aufgabe kann z. B. ein Großvater, ein älterer Bruder oder ein Freund erfüllen (Gebauer 2003, S.100 ff. und S. 178 ff). Das besondere Ereignis der Geburt eines Kindes kann ein entscheidender Schritt zu einer reflektierenden Vaterschaft sein. (Schorn 2003) Damit ein Vater seine vielfältigen Aufgaben erfüllen kann, ist aber auch eine Akzeptanz seiner Rolle durch seine Frau von Bedeutung. Er wird seine Aufgaben als Vater dann besonders gut ausfüllen können, wenn er von seiner Frau nicht nur als Partner sondern auch als Vater des gemeinsamen Kindes gewünscht und akzeptiert wird. In der Umkehrung wird die Mutter ihr Kind eher freigeben können, wenn sie von ihrem Mann als Partnerin akzeptiert und als Mutter des Kindes geschätzt wird.

Wenn Vater, Mutter und Kind positiv aufeinander bezogen sind, kann man von einem gelungenen Triangulierungsprozess sprechen. Auch wenn dieser Prozess in der heutigen Zeit in vielen Familien nicht oder nur begrenzt gelingt, ist dies kein Grund, ihn als unbedeutend anzusehen. Es ist das Prinzip des bedeutsamen Dritten, das unabhängig von der tatsächlichen väterlichen Präsenz von Anfang an seinen Platz in der Mutter-Kind-Beziehung bekommen muss. (Grieser 2002, S.21ff.)

Hilfreich ist es, wenn die Mutter diesen „psychischen Raum“ schon während der Schwangerschaft bereithält, so dass er für das neugeborene Kind innerpsychisch schon vorhanden ist (von Klitzing, 2002, S.13). Der reale Vater muss natürlich bereit und in der Lage sein, diesen von der Mutter eingeräumten Platz auf seine ganz eigene Weise einzunehmen und zu gestalten. Das gelingt nicht immer und nicht zu jeder Zeit.

Einige prägnante Aussagen aus Interviews mit Vätern machen deutlich, wie sehr sie sich, lange bevor sie selbst Vater wurden, nach einem Vater gesehnt haben, der ihnen Anerkennung zuteil werden ließ und Zeit für sie hatte.

„Ich konnte mich anstrengen wie ich wollte, ich habe die Zuneigung meines Vaters nicht erhalten.“ „Ich habe ihn bewundert und mich nach ihm gesehnt.“ „Eigentlich habe ich nie einen Vater gehabt.“ „Was Männer in Beziehungen erleben, das hat als Erfahrung gefehlt.“ „Er hat mich wie verrückt geliebt, konnte es aber nicht zeigen.“ „Mein Vater war da, aber er war nicht erreichbar.“ (Gebauer 2003, S.69ff.)

Im inneren Bild dieser Väter wird eine starke Erwartungshaltung nach Zuwendung und Anerkennung sichtbar. Die Enttäuschung, die in den Aussagen mitschwingt, ist unübersehbar.

Ein Vater von drei Kindern erzählt, er habe immer wieder vergeblich versucht, die Lebendigkeit in seinem Vater zu entdecken. „Das Erste was mir einfällt, wenn ich an meinen Vater denke, das ist der Pfarrer auf der Kanzel. Das ist ein prägendes Bild. Mein Vater war mir mit Badehose am Meer suspekt. In der Kirche war er sehr beeindruckend, sehr klar. In der Familie war er nicht anwesend. Er war auch für Ängste und Sorgen bei mir nicht zuständig. Er war eher so einer, der die familiären Dinge der Frau überließ. Ich habe Orgel gelernt. Das war mein Versuch, an seiner Lebendigkeit teilzuhaben. Ich habe immer wieder versucht, die Lebendigkeit in meinem Vater zu suchen. Was ich auch immer sagte, es gab nur stereotype Anweisungen, es fehlte die emotionale Nähe. Als ich älter wurde und versuchte, mit ihm zu diskutieren, standen sich zwei Menschen mit ihren Meinungen gegenüber. Später habe ich mich von ihm losgesagt. In der Phase der Trennung ist mein Vater gestorben. Ich bin nicht bei der Beerdigung gewesen. Zu dem Zeitpunkt habe ich mir ein einsames Kirchlein gesucht und dort meinem Vater alles entgegengebrüllt, was mir einfiel. Ich habe gebrüllt, gesungen und geweint. Jetzt sind wir quitt, das war anschließend mein Gefühl. Du hast mich allein gelassen, jetzt habe ich dich allein gelassen. Ich habe sehr viel Trauer, aber auch sehr viel Wut gespürt. In mir wuchs der Wunsch, nicht den Weg meines Vaters zu gehen, sondern für mich einen neuen Weg zu suchen.“ (Gebauer 2003, S. 71ff.)

Entwicklung eines Vaterschaftskonzeptes

Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Interviews die Erkenntnis, dass eine unzureichende oder schädliche Vatererfahrung auf unterschiedliche Weise kompensiert werden kann. Dabei scheint für das Gelingen einer zugewandten Väterlichkeit die Orientierung an anderen Männern eine unabdingbare Voraussetzung zu sein. Auf dem Holzweg befinden sich Väter, die sich beim Aufbau und bei der Stabilisierung eines inneren Vaterkonzeptes an Müttern orientieren wollen. Männliche Identität und ein inneres Vaterkonzept brauchen männliche und väterliche Vorbilder.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Bedeutung der Mutter/Ehefrau für eine gelingende Vaterschaft unterschätzt werden darf. Eine der neueren Untersuchungen hebt hervor, dass die Ehe-Zufriedenheit der Frau eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. (Herlt 2002, S.602)

Das Konzept einer zugewandten Väterlichkeit hat vor allem dann Chancen, wenn es von der Ehefrau oder Lebenspartnerin unterstützt wird. Die Frau stellt gleichsam für den Vater ihres Kindes einen „psychischen Raum“ (Grieser 2002, S. 21 ff.) bereit. Wenn in ihrer inneren Einstellung eine Wertschätzung des Vaters mitschwingt, dann wirkt sich diese positiv auf die Vater-Kind-Beziehung aus. Natürlich muss der Vater auch bereit sein, diesen Platz einzunehmen und aktiv zu gestalten. Nicht unwesentlich für ein Gelingen der Vaterschaft ist die Qualität der Paarbeziehung. Ein Vater sagt: „Es gibt Mütter und Väter, die sehr auf ihre Kinder achten und auf deren Bedürfnisse eingehen, dabei aber die Paarbeziehungen aufs Spiel setzen. Wenn man auf der Beziehungsebene verunsichert ist, wirkt sich das auf die Beziehungen zu den Kindern aus.“ (Gebauer 2003, S. 75)

Der Vater im familiären und gesellschaftlichen Kontext

In neueren Studien wird der Vater in seinen vielfältigen Beziehungen innerhalb der Familie und im gesellschaftlichen Kontext beschrieben. (Walter 2002)

Als Merkmale für das erfolgreiche Agieren im familiären Kontext werden hervorgehoben:

Kommunikationsfähigkeit in den Situationen des Alltags; Haushaltsbeteiligung; Sensitivität gegenüber den Bedürfnissen der Familienmitglieder; Aktive Freizeitgestaltung mit der Familie; Zufriedenheit der Partnerin; Sorge für den Lebensunterhalt; Achtsamkeit gegenüber der eigenen Persönlichkeit; Interesse an der Entwicklung der Kinder und Aufrechterhaltung von Freundschaften.

Das Vaterbild wird selbstverständlich auch beeinflusst von gesellschaftlichen Erwartungen und familienpolitischen Vorgaben. Es ist z.B. ein großer Unterschied, ob ein Vater die Chance hat, Erziehungszeiten zu nehmen oder nicht. Hier gibt es im Ländervergleich große Unterschiede. Die Situation im Jahr 2003 sah so aus: In Schweden machen 40 % der Väter von der Erziehungszeit Gebrauch, in Österreich 2%, in Deutschland 1,6 %. Während eines Zeitraums von 420 Tagen kann in Schweden einer der Elternteile die Betreuung der Kinder übernehmen und erhält dafür 80 % seines Monatslohnes (Quelle: Der Standard, 20.9.03).

Heute sieht die Situation in Deutschland ganz anders aus: Seit Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 ist die Väterbeteiligung an der Kindererziehung gestärkt worden. 97 Prozent der Familien nutzen das Elterngeld. 25.7 Prozent der Väter beziehen Elterngeld; in Bayern, Sachsen, Berlin und Thüringen liegt die Väterbeteiligung bereits über 30 Prozent. (Studie DIW Berlin 2012)

Konkret geht es bei der Frage nach dem gesellschaftlichen Kontext auch um die Kontakte des Vaters zu Freunden, zur Nachbarschaft, zu Erziehrinnen in den KITAS und zu Lehrkräften in den Schulen. Der Vater muss es ebenso wie die Mutter leisten, die individuellen, familiären und die gesellschaftlichen und beruflichen Ansprüche und Anforderungen unter einen Hut zu bringen.

Zum Stand der Vaterforschung

Foto: Jürgen Hast

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Erst seit den 70ern Jahren kann man von einer kontinuierlichen und differenzierten Vaterforschung sprechen. Seiffge-Krenke(2002) unterscheidet drei Phasen: In der ersten Phase habe man versucht nachzuweisen, dass die Väter „distante, periphere Figuren in der Kindererziehung“seien. In der zweiten Phase der Vaterforschung habe die Ähnlichkeit zwischen Vater und Mutter im Vordergrund gestanden. Ihre Aktivitäten in Bezug auf das Kind wurden miteinander verglichen. Kennzeichnend für beide Phasen sei, dass der Vater „quantitativ und qualitativ als defizitär im Vergleich zur Mutter eingestuft“ wurde. Allerdings entdeckte man während dieser Phase einige Besonderheiten und Unterschiede im Kontakt zu den Kindern. Väter verhielten sich demnach im Körperkontakt aufregender und risikoreicher mit ihren Kindern. Im Hinblick auf fünfjährige Kinder etwa beobachtete man nach diesen Studien bei den Vätern stärkere körperliche Aktivitäten und ein umfangreicheres Spielverhalten, während bei den Müttern wiederum das umsorgende Element vorherrschte.

Die Frage, worin sich Vater und Mutter in ihren Handlungsweisen und in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes unterscheiden, wurde erst in jüngerer Zeit gestellt. Bei Vätern war man bisher eher daran interessiert, ob in Bezug auf ihre Töchter eine sexuelle Problematik vorliegen könnte. Das Interesse richtete sich vor allem auf das Thema Missbrauch gegenüber Mädchen und auf aggressive Handlungsweisen von Vätern gegenüber ihren Söhnen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse, wie sie die Säuglings und Bindungsforschung vorlegen, wird die Frage interessant, ob der Vater nicht ebenso wie die Mutter schon in der frühen Kindheit eine herausragende Bedeutung hat, wenn es zum Beispiel um den Aufbau sicherer Bindungen geht. (Steinhardt, K. / Datler, W. / Gstach 2002)

Viele Väter beteiligen sich an Geburtsvorbereitenden Kursen, sind während der Geburt ihres Kindes anwesend und nehmen unmittelbar körperlichen Kontakt zu ihm auf. In der Folge wickeln und pflegen diese Väter ihre Kinder, nehmen sie auf den Arm und sind auf diese Weise wie die Mutter eine nahe Bezugsperson. In einer vertrauensvollen Beziehung erlebt das Kind, dass es neben der Mutter noch eine weitere Person gibt, die sich anders anfühlt, deren Stimme anders klingt, die aber dennoch Geborgenheit vermittelt. Eine so beginnende emotionale Bindung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit positive Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. (Scheer/Wilken 2002, S.182 ff) Aus der Säuglingsforschung ist bekannt, dass ein Kind schon in den ersten Wochen eine Beziehung zu mehren Personen aufbauen kann. Eine große Bedeutung des Vaters für die Identitätsentwicklung und die Bindungssicherheit seines Kindes wird daher bereits für diese Phase angenommen.

Der Spannungsbogen der Vaterforschung reicht von einer weitgehenden Ignoranz des Vaters bis hin zu einem positiven, unterstützenden Vater. Auch seine wesentliche Rolle als Dritter im Beziehungsgefüge (Mutter – Kind – Vater) wird zunehmend gewürdigt (von Klitzing 2002 b, S.94 ff.). Die Aufgabe des Vaters liegt über weite Strecken vor allem darin, der Verschmelzung zwischen Mutter und Kind etwas entgegen zusetzen. So kann er am ehesten zur Autonomieentwicklung seines Kindes in den ersten Lebensjahren beitragen (Petri 2002, S.5 ff.). Der Psychoanalytiker Peter Blos (1990) hat die Vater-Sohn-Beziehung bis ins Erwachsenenalter beschrieben und spezifische Verhaltensweisen des Vaters hervorgehoben: zum einen geht es darum, zu seinen Kindern eine angemessene Beziehung herzustellen, und zum anderen gilt es auch eine entsprechende Paarbeziehung zu leben. So kann ein Kind erfahren, dass es in einem Beziehungssystem aufwächst, dem mindestens drei Personen angehören. Es erkennt im Verlauf seiner Entwicklung, dass es zu Vater und Mutter eine Beziehung hat und dass es darüber hinaus eine Dreierbeziehung gibt. Im ersten Fall spricht man von einer dyadischen und im zweiten Fall von einer triadischen Beziehung. Bei aller Fürsorglichkeit vor allem des frühen Vaters für den Sohn und der Wahrnehmung von Ähnlichkeit ist es dennoch wichtig, sich um Differenz zu kümmern und die Bedeutung des Dritten, in diesem Fall die Mutter, zu beachten.

Zusammenfassend hebt Inge Seiffge-Krenke hervor, dass der Vater in der Erziehung einen besonderen Beitrag hinsichtlich der Individuation leiste, der den Beitrag der Mutter ergänze und komplettiere. „Er muss seine Rolle als Vater übernehmen und nicht zur zweiten Mutter werden. Für alle diejenigen Kinder und Jugendlichen jedoch, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mit ihren Vätern zusammenleben, ist, auch wenn diese nur einen kleinen Teil ihrer Zeit zur Verfügung stellen können, die Regelmäßigkeit dieses Arrangements und die Einbeziehung in den Alltag notwendig, um die gefährliche Idealisierung von Vätern zu vermeiden.“ (Seiffge-Krenke 2002, S.31) Für eine gute Entwicklung sind unterschiedliche Akzentsetzung durch Mutter und Vater wichtig. Die Ablösung in der Adoleszenz kann dann gut gelingen, wenn eine Beziehung zu beiden Eltern besteht. Je mehr ein Kind mit der Realität auch außerhalb der Familie konfrontiert wird, desto stärker gewinnt der Vater als Sicherheit bietende Instanz an Bedeutung.

Der Spannungsbogen der Vaterforschung reicht also von einer weitgehenden Ignoranz des Vaters bis hin zu einem positiven, unterstützenden Vater.

Was Kinder und Jugendliche so über ihre Väter sagen

Lange erschienen die Väter als Randfiguren in der Kindererziehung. Das drückt sich immer noch in Äußerungen von Kindern und Jugendlichen aus:

Mein Vater? Ich weiß nicht. Er ist eigentlich gar nicht. Er ist nichts. Er möchte es immer allen recht machen. Hat keine Autorität.“

Ich bin 16, lebe mit meiner Mutter, vermisse meinen Vater nicht.“

Mein Vater ist mein Erzeuger. Wir kennen uns nicht besonders gut. In der Erziehung spielt er keine Rolle. Wir verbringen die Wochenenden miteinander.“

Mein Vater hat uns verlassen. Vielleicht lag es daran, dass sein Vater auch gegangen ist, als er ein Jahr alt war.“

(Ausschnitte aus einer Fernsehsendung vom, in der Jugendliche über ihr Verhältnis zu ihren Eltern befragt wurden.10.2.03, ARTE)

In diesen Äußerungen erscheint der Vater als merkwürdiger – vielleicht sogar als ein verantwortungsloser Geselle. Aber bei den Vätern ist etwas in Bewegung geraten. Neuere Forschungsergebnisse zum Selbstverständnis von Vätern (Fthenakis/Minsel 2002, Walter 2002) geben Anlass zu einer optimistischen Sichtweise.

 

Vor diesem Hintergrund hören sich Äußerungen von Schülerinnen und Schülen zum Beispiel so an:
Insa, eine 16-jährige Schülerin erzählt: „Wenn es regnete, dann saß ich oft mit meinem Papa und meinem Onkel am Tisch und wir bauten gemeinsam mit Legostseinen. Ich sehe die Situation heute noch vor mir. Die beiden haben sich gefreut. Ich glaube, sie haben sich noch einmal als Kinder erlebt. Mit Barbis habe ich auch gespielt.“

Mit meinen Geschwistern und meinem Vater haben wir nach Weihnachten mit Lego gespielt. Das Eigenartige dabei ist, dass wir gebaut und gebaut haben. Manchmal hatten wir das ganze Zimmer zugebaut. Da gab es einen Bereich für Eskimos und dann war da eine große Eisenbahnanlage. Und wenn wir damit fertig waren, dann war das Projekt auch zu Ende. Gespielt haben wir dann nicht mehr damit. Das Entscheidende bestand in der Konstruktion.“ (Jakob 16 Jahre)

Leo (15 Jahre) erzählt: „Ich habe viel von meinem Vater gelernt. Eigentlich hat er mir alles beigebracht. Die ersten sechs Schuljahre haben mich eher negativ geprägt. Ich hatte merkwürdige Lehrerinnen und Lehrer. Es galt nur ihre Meinung. Sie haben mit vermittelt, dass nur sie es sind, die über Wissen verfügen. Vor allem aber haben sie sehr deutlich gemacht, wer das Sagen hatte. Ich habe sie nicht gemocht. (…)

Meine Eltern haben mich sehr unterstützt. Auch dann, wenn ich keine Lust hatte, zum Beispiel Klavier zu spielen, hat mich mein Vater angehalten, dennoch zu üben. Meine Mutter spielte eher eine Rolle, wenn es Probleme gab. Und dann war da noch mein Großvater. Mit ihm war ich oft im Wald unterwegs. Er hat mir viel über Pflanzen und Tiere erzählt. Mit ihm zusammen habe ich auch Gedichte gelernt. Auch aus seiner Kindheit hat er viel erzählt. Auch mein Vater hat mir viel aus seiner Kindheit erzählt.“ (Gebauer 2004)

Das väterliche Beziehungsangebot ist wichtig

Aus wissenschaftlicher Sicht wird der Beziehungsgestaltung eine herausragende Bedeutung zugeschrieben. Hirnforscher sehen in der Qualität der Beziehung die Grundlage für eine gelingende Entwicklung. Die sich herausbildenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen.

Kinder brauchen daher Eltern, Erzieherinnen und Lehrpersonen, die Geborgenheit vermitteln, Interesse zeigen, Anregungen geben, Regeln erklären, bei Konflikten helfen, Eigenaktivitäten zulassen und sich an der individuellen Entwicklung eines Kindes freuen. Gelingendes Lernen findet in erster Linie in einer anregenden, wertschätzenden Atmosphäre statt – sei es in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule.

Zuwendung, Anerkennung, emotionale Achtsamkeit, Anregungen, Geborgenheit, Beziehungsvorbild sind grundlegende Merkmale eines zugewandten Vaters im gesamten Entwicklungsprozess. In den ersten Lebensjahren besteht seine Aufgabe vor allem darin, körperliche Nähe und ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Er ergänzt und erweitert die wichtige Muter-Kind-Beziehung und ist für sein Kind der „bedeutsame Dritte.“ Seine Aufgabe in der frühen Kindheit liegt über weite Strecken vor allem darin, der Verschmelzung zwischen Mutter und Kind etwas entgegen zu setzen. Neben der dyadischen Beziehung zur Mutter kann das Kind auch eine Zweierbeziehung zum Vater erleben. So kann er zur Autonomieentwicklung seines Kindes beitragen. In den folgenden Lebensjahren kommt es vor allem auf gemeinsame Aktivitäten und Unternehmungen an. Wenn ein Vater mit seinem Kind in der Natur auf Entdeckungsreise geht, es bei seinen vielfältigen Lernschritten wie Dreirad-, Roller-, Fahrradfahren und beim Schwimmen unterstützt, dann wird er als Vorbild erlebt Auf diese Weise wird eine tragfähige Beziehung aufgebaut, die eine wichtige Voraussetzung für den später einsetzenden Ablösungsprozess bildet.

Spiel und Gehirnentwicklung

Das Haupterfahrungsfeld für Babys und Kinder ist das Spiel. Im Spiel setzt sich ein Kind durch permanente Gestaltung mit sich und der Welt auseinander. Seine Selbstentwicklung basiert auf unendlich vielen Interaktionserfahrungen mit anderen Menschen in der jeweiligen Umwelt. Ein spieleinfühlfähiger Vater trägt nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, er gibt seinem Kind über vielfältige Anregungen die Möglichkeit, die damit verbunden Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen, zu speichern. Somit trägt er entscheidend zur kognitiven Entwicklung bei, denn unser Gehirn enthält nicht Erinnerungen an einzelne Objekte, sondern an die emotionale Einbettung dieser Objekte in eine als bedeutsam erlebte Situation. Es sind die Szenen, die Erzählungen, die persönlichen Erlebnisse, die als erste Repräsentanten so etwa wie eine Grund-Matrix ausbilden, auf der sich später abstrakte Gedanken und Erinnerungen abbilden. Hier werden die Grundlagen für die später so wichtige intrinsische Motivation gelegt. (Gebauer/Hüther 2002, S. 14 ff. ).

Idealisierung und Entidealisierung des Vaters

Foto: Jürgen Hast

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Der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter, die Phase der Adoleszenz, ist eine Zeitspanne, in der das innere Bild vom Vater besonders intensiv überprüft und gegebenenfalls verändert wird. Gelingt der Prozess der Revision des inneren Vaterbildes während und auch nach dieser Phase, man spricht auch von einer Entidealisierung, dann führt dies zu größerer Selbständigkeit, verbunden mit mehr Verantwortungsbereitschaft für die eigene Identitätsentwicklung.

Eine Idealisierung des Vaters entwickelt sich aus konkreten Erfahrungen mit dem Vater und den Wunschfantasien, wie der Vater sein sollte. Die so idealisierten Seiten des Vaters werden im Verlauf der Adoleszenz zunehmend durch die Erfahrung mit dem realen Vater infrage gestellt. Es sind jene positiven Erfahrungen, die dem Heranwachsenden bisher eine innere Orientierung boten. Auch das eigene Selbst wird zunehmend realistisch wahrgenommen. Es werden sowohl beim Vater als auch beim Jugendlichen die Stärken und Schwächen sichtbar und wahrnehmbar. Der zuvor als stark und mächtig erlebte Vater „schrumpft“ immer mehr zusammen.

Innerhalb dieser oft sehr heftig verlaufenden Veränderungsprozesse kommt der Mutter eine vermittelnde Funktion zu. Das gilt nicht weniger für die Auseinandersetzung der Mutter mit den Kindern. Kommt es hier zu unlösbar scheinenden Verstrickungen, dann ist die vermittelnde Funktion des Vaters gefragt. Die Konflikte, die gerade währen der Phase der Pubertät sehr heftig sein können, sollten immer wieder Gegenstand gemeinsamer Reflexionen sein. Gelingen solche Gespräche, dann müssen weder Vater noch Mutter in der Folge von ihren Kinder erniedrigt oder erhöht werden, sie können realistisch wahrgenommen werden. Diese Reflexionsprozesse stellen für die Heranwachsenden einen wichtigen Orientierungsrahmen dar.

Sensitivität des Vaters

Neuere Studien zeigen, dass es vor allem die emotionalen Fähigkeiten eines Vaters sind, die eine gelingende Vaterschaft ermöglichen. Eine zugewandte väterliche Haltung zeigt sich vor allem darin, dass sich ein Vater in die Wünsche und Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder einfühlen und diese auch in seinem Handeln berücksichtigen kann. In diesem Zusammenhang ist seine Kommunikationsfähigkeit hinsichtlich der vielen Entscheidungen, die das alltägliche Leben verlangt, gefragt.

Die Zufriedenheit der Partnerin lässt Väterlichkeit besonders wirksam werden

Das Konzept einer zugewandten Väterlichkeit hat vor allem dann Chancen, wenn es von der Ehefrau oder Lebenspartnerin unterstützt wird. Für die unterschiedlichen Arrangements einer gelingenden Lebensführung, bei der die Kinder in ihrer Entwicklung gestärkt werden, ist also ein hohes Maß an Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit erforderlich. Viele Väter sind nach neueren Untersuchungen dazu bereit und fähig. (Herlt 2002, Kudera 2002)

Ein Vater sagt: „Es gibt Mütter und Väter, die sehr auf ihre Kinder achten und auf deren Bedürfnisse eingehen, dabei aber die Paarbeziehungen aufs Spiel setzen. … Wenn man auf der Beziehungsebene verunsichert ist, wirkt sich das auf die Beziehungen zu den Kindern aus. Und umgekehrt darf man sich nicht von den Aufgaben, die man den Kindern gegenüber hat, auffressen lassen. Das ist natürlich nicht einfach. Manchmal reicht die Kraft nicht, oder man hat den Eindruck, dass man total überfordert ist. Wenn man zum Beispiel die ganze Nacht nicht schlafen konnte, weil ein Kind krank ist. Später bekommt man die Energie von den Kindern zurück. So erlebe ich das jedenfalls.“ Gebauer 2003, S. 75)

Desinteresse und Gewalt

Über weite Strecken der Entwicklung geht es bei den Kindern um Entdeckungen, um das Wahrnehmen und Genießen der eigenen Stärke, des eigenen Könnens. Kinder lernen gern von ihrem Vater und schätzen ihn als Vorbild, wenn er ihnen Interesse entgegenbringt und auch Zeit für sie hat. Steht der Vater nicht zur Verfügung, so kommt es bei manchen Kindern zu Enttäuschungsaggression. Es besteht die Gefahr, dass er selbst durch sein Desinteresse zum Auslöser von Aggressionen wird. Der Vater fehlt als Anreger und als Identifikationsmodell. Er fehlt vor allem als naher und zugewandter Vater, der durch sein Verhalten in Konflikten ein Vorbild dafür sein könnte, wie man in Konflikten mit aggressiven Gefühlen umgehen kann. In der Triade von Mutter, Vater und Kind kann am ehesten erlebt und gelernt werden, dass es für viele Alltagsprobleme nicht nur Lösungen gibt, sondern dass auch Alternativen zu den jeweiligen Ergebnissen denkbar wären. Das setzt Umgangsformen voraus, die sich durch Sensitivität, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit auszeichnen. Hier liegt für ein Kind die große Chance innerhalb seines Entwicklungsprozesses nicht nur oberflächlich erwünschte Verhaltensweisen auszubilden, sondern einen inneren Lebens- und Erlebensraum zu entwickeln.

Der Ablösungsprozess gelingt, wenn es eine tragfähige Bindung gab

Der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter, die Phase der Adoleszenz, ist eine Zeitspanne, in der das innere Bild vom Vater besonders intensiv überprüft und gegebenenfalls verändert wird. Es ist eine Zeitphase, in der heftige Auseinandersetzungen stattfinden. Gelingt der Prozess der Revision des inneren Bildes vom Vater während und auch nach dieser Phase, dann führt dies zu größerer Selbständigkeit, verbunden mit mehr Verantwortungsbereitschaft für die eigene Identitätsentwicklung. Innerhalb dieses Prozesses wird der Vater „entidealisiert“ und das heranwachsende Kind lernt es innerhalb dieses Prozesses mehr und mehr den Vater und schließlich sich selbst realistisch wahrzunehmen.

Für Väter und Mütter ist diese Phase nicht einfach. Einerseits sollen sie ihren Kindern Sicherheit geben, ihnen beim Übergang zum Beruf helfen und mit ihnen Perspektiven eröffnen, andererseits ist die eigene Situation oft durch große Unsicherheiten geprägt.

Sexuelle Identitätsentwicklung

In dieser Phase werden auch die bisherigen Erfahrungen mit der sexuellen Identitätsbildung aktuell. Die neuen Herausforderungen, die nun an Jungen und Mädchen gestellt werden, können u.a. dann besser angenommen und bewältigt werden, wenn es positive verinnerlichte Erfahrungen über das Mann- und Frausein gibt.

Bereits in der frühen Beziehungen zu Vater und Mutter liegen die Anfänge der sexuellen Identitätsbildung. Vater und Mutter können von dem Kind in ihrem Anderssein, in ihrer Männlichkeit und Weiblichkeit erfahren werden. Die Erfahrung beider Modi scheint unabdingbar für die psychische Entwicklung zu sein. So wichtig eine sichere Bindung zwischen Mutter und Sohn ist, so muss dieser sich im Verlauf seiner Entwicklung vom realen Geschlecht der Mutter ent-identifizieren. Der kleine Junge hat bei einem zugewandten Vater, schon früh ein leibhaftiges männliches Vorbild hinsichtlich seiner Geschlechtsidentität. Der Erkenntnisprozess, nicht so zu sein wie die Mutter und der damit verbundene Schmerz kann gemildert werden, wenn der Junge von Anfang an körperliche und emotionale Erlebnisse mit seinem Vater hat.

Es ist nicht Aufgabe des Vaters, zweite Mutter zu sein.

Im Kindergarten und in der Grundschule wären Männer als Erzieher und Lehrer für die Identitätsentwickelung gerade der Jungen besonders wichtig. Über eine emotional tragende Beziehungserfahrung ist eine positive Identifizierung mit dem Vater möglich. In der Phase der Adoleszenz ist es wichtig, dass z.B. ein Vater seinem Sohn und auch seiner Tochter signalisiert: „Es ist schön zu sehen, wie ihr euch entwickelt.“ Viele anerkennende Komplimente sind denkbar. Dabei sollte jetzt klar sein, dass die Gleichaltrigen-Gruppe in dieser Phase eine große Bedeutung einnimmt. Aber Vater und Mutter haben nach wie vor wichtige Funktionen in den anstehenden Klärungsprozessen.

Während der gesamten Entwicklung geht es um das Ausloten der Freiräume und Grenzen. Die Bedeutung des Vaters, liegt u.a. darin Nähe und Sicherheit zu ermöglichen, aber auch Grenzen zu setzen. Gelingen solche Prozesse, dann entstehen im inneren Erlebnisraum des Kindes Bilder eines zugewandten Vaters.

Ambivalenz und Kohärenzerfahrungen

Im Verlauf seiner Entwicklung wird ein Kind bei seinen Strebungen nach Wohlbefinden und Unabhängigkeit Vater und Mutter als „böse“ und „gut“ erleben. Für die Eltern ist damit die Aufgabe verbunden, die Gefühle ihres Kindes nicht abzuwehren, sondern sie als elementare Erlebnisweisen in ihre Kommunikation einzubeziehen. Dabei ist die Erfahrung von „sprachlicher Kohärenz“ entscheidend. Das Gesagte muss mit dem Erlebten übereinstimmen. Wird so über Gefühle kommuniziert dann kommt es zu einer Integration von „guten“ und „bösen“ Beziehungsanteilen. Es entsteht ein Netz von inneren Repräsentanten bzw. inneren Bildern. Hier wird die wichtige Erfahrung gemacht, dass kein Mensch „nur gut“ oder „nur böse“ ist. Erleben Kinder, dass im Verlauf von Konflikten Gefühle ausgedrückt und benannt werden, dann haben sie die Chance, eine eigene Gefühlssicherheit zu erwerben. Sie erleben auch, dass sich Gefühle verändern. Es entstehen Modelle davon, wie Konflikte unter Einbeziehung der Emotionen geklärt werden und so auch anders als nur mit Gewalt gelöst werden können. Diese Modelle stehen dann im Kindergarten und später in der Schule als innere Orientierungen zur Verfügung.

Identitätsentwicklung „ohne Vater“

Für alle Kinder und Jugendlichen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit ihren Vätern zusammenleben, ist die Regelmäßigkeit des Kontaktes mit ihm und die Einbeziehung in den Alltag wichtig.

Steht kein Vater als nahe Person zur Verfügung, mit dem sich ein Kind identifizieren kann, dann kann dies den unbedingt erforderlichen Ablösungsprozess von der Mutter erschweren, eng verbunden damit ist die sexuelle Identitätsentwicklung. Grundlage für das spätere Vatersein ist die Entwicklung einer männlichen Identität. Diese ist nur möglich über Erfahrungen mit männlichen Vorbildern. Scheitert dieser Versuch, dann kann der Sohn ein Leben lang auf die enge Beziehung zur Mutter fixiert bleiben und sich auf eine unendliche Reise der Sehnsucht nach dem Vater begeben. Bleibt es bei einer Orientierung an der Weiblichkeit, dann ist eine Abgrenzung nur schwer möglich. Die Ausbildung einer männlichen und später auch einer väterlichen Identität wird erschwert oder verhindert. Es besteht auch die Gefahr, dass ein Sohn von der Mutter als Ersatzpartner missbraucht wird. Lässt sich die Mutter von ihrem Sohn verführen, dann wird das Inzestverbot verletzt. Damit gehen entscheidende Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung verloren. Lehnt die Mutter ihren Partner/Ehemann als Vater für ihr Kind ab, dann erschwert sie ebenfalls den Aufbau der männlichen Identität ihres Sohnes. Der Vater erscheint seinem Kind als blasser Repräsentant des Männlichen und wird oft auch so verinnerlicht. Eine Identifikation mit einem Vater, der über bestimmte Zeiträume abwesend ist, ist dann möglich, wenn sein Bild in der Vorstellung der Mutter positiv besetzt ist.

Nicht selten kommt es vor, dass der Vater anwesend, aber emotional abwesend ist. Ein solcher Vater kann den Entwicklungsprozess seiner Kinder enorm dadurch erschweren, dass er die Entwicklung eines inneren Raumes, in dem ein lebendiger Vater als inneres Bild aufgebaut werden muss, blockiert (vgl. Gebauer 2003, S.150 ff. und S. 238 ff.). Damit sind alle Prozesse beeinträchtigt, die zur Entfaltung der Identität erforderlich sind:

  • Es mangelt an der Erfahrung von Nähe und Geborgenheit; sichere emotionale Bindungen können nur schwer entwickelt werden.
  • Eine Identifizierung mit dem Vater erscheint nicht erstrebenswert, somit entfällt die Chance einer Idealisierung des Vaters.
  • Eine innere Orientierung in schwierigen Situationen an einem verlässlichen Vaterbild ist nicht möglich.
  • In einer solchen Situation können auch keine Erfahrungen für eine positive sexuelle Identitätsentwicklung gemacht werden.
  • Eine Modulation der Gefühle, vor allem der Umgang mit aggressiven Impulsen, wird erschwert. Der Vater entfällt als Helfer beim Umgang mit Gefühlen.
  • Oft richten sich die Aggressionen über Projektion und Inszenierung nach außen, weil der Aufbau eines inneren psychischen Raumes, in dem die unterschiedlichen Gefühle bearbeitet werden können, wegen Unfähigkeit oder Desinteresse auf Seiten des Vaters nicht ausgebildet werden konnte.

Zusammenfassung und Ausblick:

Foto: Jürgen Hast

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Die Aufgabe des Vaters besteht in den ersten Lebensjahren vor allem darin, körperliche Nähe und ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Er ergänzt die wichtige Muter-Kind-Beziehung nicht nur in der Pflege, sondern vor allem auch im Spiel mit seinem Kind. In einer vertrauensvollen Beziehung erlebt das Kind, dass es neben der Mutter noch eine weitere Person gibt, die sich anders anfühlt, deren Stimme anders klingt, die aber dennoch Geborgenheit vermittelt. Der Vater ist für sein Kind der „bedeutsame Dritte.“ Er trägt so zur Autonomieentwicklung bei.

In den folgenden Lebensjahren kommt es vor allem auf gemeinsame Aktivitäten und Unternehmungen an. Wenn ein Vater mit seinem Kind in der Natur auf Entdeckungsreise geht, es bei seinen vielfältigen Lernschritten wie Dreirad-, Roller-, Fahrradfahren und beim Schwimmen unterstützt, dann wird er als Vorbild erlebt. So wird eine tragfähige Beziehung aufgebaut, die für den später einsetzenden Ablösungsprozess benötigt wird.

Der „moderne Vater“ zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass er sich in die Wünsche und Bedürfnisse der anderen familiären Mitglieder einfühlen kann. Viele Väter sind nach neueren Untersuchungen dazu bereit und fähig. Zuwendung, Anerkennung, emotionale Achtsamkeit, Anregungen, Geborgenheit, Beziehungsvorbild sind grundlegende Merkmale eines zugewandten Vaters im gesamten Entwicklungsprozess. Am ehesten werden sie bei ihrem Bemühen von den Gegebenheiten der Arbeitsverhältnisse eingeschränkt. Hier sind allerdings positive Veränderungen zu erkennen.

Das Konzept einer zugewandten Väterlichkeit hat vor allem dann Chancen, wenn es von der Ehefrau oder Lebenspartnerin unterstützt wird. Für alle Kinder und Jugendlichen, die nicht mit ihrem Vater zusammenleben, ist die Regelmäßigkeit des Kontaktes notwendig.

Hinsichtlich der Frage, wie Erzieherinnen bei Vätern Interesse für die Arbeit in der Kita wecken können, seien folgende Anregungen gegeben:

  • Väter ansprechen, die bereits Interesse zeigen und zur Mitarbeit bereit sind,
  • Väter hinsichtlich ihrer Wünsche und Möglichkeiten befragen,
  • Einen Elternabend gestalten, bei dem die Facetten des Freien Spiels konkret erfahren werden,
  • Im Rahmen von Elternabenden die Bedeutung der Beziehung thematisieren,
  • Mit Müttern und Vätern über ihre Erziehungskonzepte sprechen,
  • Gespräche über die individuelle Entwicklung eines Kindes führen.

Literatur:

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Dr. phil. Karl Gebauer ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Mitbegründer und Leiter der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung. Wichtige Bücher: Kinder brauchen Wurzeln; Kinder brauchen Spielräume; Kinder brauchen Vertrauen; Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Patmos Verlag; Gefühle erkennen- sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch.

 

Frühe Bildung / Montessori – Von Kindern und Wissenschaftlern erklärt

Frühe Bildung / Montessori - Von Kindern und Wissenschaftlern erklärt Ich glaube an Dinosaurier, aber es gibt sie nicht mehr. Ich glaube, der lange Hals war bis zur Decke hoch, Ich glaube, der war tausenddreihundert Meter hoch, vielleicht auch sechzehntausend Meter – könnte stimmen.“

Ein Dialog zwischen Kindern, der einen Hinweis gibt auf die Faszination die Großes und Mächtiges auf sie ausübt. Gleichzeitig zeigt sich, dass Kinder schon in einem sehr jungen Alter Hypothesen darüber bilden, wie die Welt und das Leben auf der Welt einmal gewesen sein könnte.

Zahlreiche Forschungsergebnisse und Publikationen der letzen Jahrzehnte heben die große Bedeutung der Frühen Bildung hervor. Der Film „Frühe Bildung / Montessori“ erinnert auf eindrucksvolle Weise an eine Forscherin, die bereits um 1900 die große Bedeutung der eignen Potenziale der Kinder für ihren Bildungsweg entdeckt und beschrieben hat. Ihr Engagement hat entscheidend zu einer veränderten Sichtweise auf die Fähigkeiten der Kinder beigetragen. Maria Montessori hat eine Pädagogik entwickelt, die dem Kind seine Subjektivität zurückgibt.

In 13 Kapiteln wird in einer gelungenen Komposition von kindlichen Aktivitäten, theoretischen Darstellungen und klanglichen Untermalungen deutlich, wie Kinder sich und ihre Welt entdecken und wie sie es schaffen, sich darin zu orientieren und zu handeln.

Thematisch geht es um: Angebote für Neugeborene, Übungen des täglichen Lebens, Aktivitäten in der Krippe und im Kinderhaus, Polarisation der Aufmerksamkeit, Soziale Interaktionen, Sensible Phasen, die Bedeutung einer vorbereitete Umgebung und die große Bedeutung der Erfahrung von Selbstwirksamkeit.

Die Überleitungen zu den einzelnen Kapiteln sind filmische und klangliche Kleinode. Es tauchen plötzlich Buntstifte und dicke Malkreiden wie von Zauberhand auf. Der Betrachter sieht, wie Kinder sich recken und strecken, gähnen, zufrieden und zart lächeln. Kindergesichter werden auf freundliche Art gezeigt und verändert. Sie zaubern unwillkürlich ein Lächeln in das Gesicht der Betrachter.

Eine Walze dreht sich und die Klänge einer Drehorgel entführen den Zuschauer in die Welt Maria Montessoris. Es folgen eindrucksstarke Bilder und Filmausschnitte über Leben und Werk dieser Forscherin.

1897 tritt sie eine Assistentenstelle in der Psychiatrischen Klinik in Rom an. Ihre Aufgabe: Kinder in so genannten Irrenanstalten zu beobachten. Diese Erlebnisse bringen sie von der Medizin zur Pädagogik. Portrais von Maria Montessori, Bidler aus der Anstalt und die Klänge der Drehorgel wechseln einander ab. Zu sehen sind Kinder, die ohne Zukunftsperspektive und ohne geistige Anregung ihr Dasein fristen.

Unvermittelt sieht der Betrachter, wie Kinder sich eine eigene Anregungswelt schaffen: Kinderhände formen aus Brotkrumen Figuren. Diese Bilder bleiben hängen.

1907 eröffnet Maria Montessori das erste Kinderhaus „Casa dei Bambini“ und

entwickelt eine Methode des Arbeitens, bei dem sich die Kinder das Lesen und Schreiben selbst beibringen und das schon weit vor dem Schulalter. Ihre Schrift: „Die Methode der wissenschaftlichen Pädagogik“ findet weltweite Beachtung. Maria Montessori unternimmt Weltreisen, ihre Pädagogik wirkt international und interkulturell. Die Eigenaktivität des Kindes von Geburt an ist und bleibt ihr zentrales Thema.

Tanja Pütz, die zusammen mit Sönke Held die Idee zum Film entwickelt und schließlich auch realisiert hat, stellt fest: „Es ist ein Ansatz, der in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen funktioniert.“ Es sei ein offener Ansatz, man dürfe ihn nicht dogmatisch lesen. Die Pädagogik Maria Montessoris sei anschlussfähig an unsere Zeit. Im nächsten Augenblick sehen wir Kinder aus der heutigen Zeit. Vor allem aber kommen Wissenschafterinnen und Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen zu Wort. Sie alle bestätigen und würdigen die große Entdeckerleistung Maria Montessoris und zeigen auf, dass ihre Erkenntnis auch heute noch ihre Gültigkeit haben. Auf ruhige Art erklären Leiterinnen von Montessorieinrichtungen das zentrale Anliegen der Pädagogik, die den Namen ihrer Entdeckerin trägt.

Wir sehen Kinder bei unterschiedlichen Aktivitäten, wie sie Wasser von einem Gefäß in einen Becher gießen, sehen wie sie Papierstreifen flechten und sich an Fingerspielen erfreuen. Wir sehen, wie ein Kind mit äußerster Konzentration versucht, einen Faden durch ein Nadelöhr zu stecken. Der Neurobiologe Professor Spitzer erläutert, es brauche diese konkreten Erfahrungen mit der Außenwelt. damit sich das Gehirn ausdifferenzieren könne. Das Training der Motorik, die Fingerspiele seien wichtig für dass Training der komplexeren inneren Verarbeitung.

Montessoris Maxime: „Hilf mir es selbst zu tun“, wird in allen filmischen Einstellungen sichtbar. Wie schön, wenn möglichst viele Eltern diesen Grundsatz verstehen und beachten würden.

Allen, die Kinder bei ihrer Entwicklung begleiten, kann der Film Wesentliches deutlich machen. Sie könnten erfahren, wie grundlegende Lernprozesse verlaufen. Lehrerinnen würden auf diese Weise früh darauf aufmerksam, dass es sich lohnt, bei den Frühpädagoginnen einmal zu hospitieren, um zu erfahren, wie Lernprozesse tatsächlich verlaufen. Die Frage, was Kinder alles können müssen, wenn sie erfolgreich den Übergang in die Schule schaffen wollen, würde sich so nicht mehr stellen. Grundschulpädagoginnen müssten vielmehr fragen, wie sie der großen Entdeckerfreude und dem Lernbedürfnis der Kinder gerecht werden können. Differenzierte Unterrichtsangebote wären die logische Folge.

Ich wünsche mir, dass viele Eltern den Film sehen. Er könnte sie aufmerksam machen auf die Potenziale ihrer Kinder und ihnen die Angst nehmen, sie könnten etwas versäumen, wenn die Kita ihrer Wahl auf spezielle Förderprogramme verzichtet.

Die Faszination des Films ergibt sich aus seiner Gesamtkomposition. Es ist die gelungene Mischung von Informationen über die Forscherin Maria Montessori, über ihr konkretes Wirken als junge Assistenzärztin bis hin zu ihrem internationalen Engagement und der weltweiten Bedeutung ihrer Pädagogik. In einer lockeren Kombination von Bildern, Musik und den Aussagen von Wissenschaftlern, Tagesstättenleiterinnen, einem Fotografen und vielen Kindern ist ein Panorama entstanden, dessen Spannungsbogen das Interesse des Zuschauers vom ersten Wort des Films bis zum letzten Satz wach hält.

Sönke HeldSönke Held ist Filmproduzent und -regisseur mit Schwerpunkt Wissenschaft, Musikfilm und Künstlerporträt.

 

 

Dr. Tanja PützDr. Tanja Pütz, Professorin, lehrt „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ an der Fachhochschule Kiel, Schwerpunkt Reformpädagogik; Theoriedozentin in Montessori-Ausbildungskursen.

Äußere Daten:

Format: DVD
Idee und Realisation: Sönke Held und Tanja Pütz
Dauer: 75 Min.
Preis: 29.95 €
Regie, Kamera & Schnitt: Sönke Held
Texte und Interviews: Tanja Pütz
Verlag: Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

IM SPIEL DIE WELT ENTDECKEN – WARUM ERLEBNISRÄUME FÜR DIEPERÖNLICHKEITSENTWICKLUNG SO WICHIG SIND

Erlebnisraum Familie

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt. In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können, denn sie müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Für ihre Entwicklung brauchen sie daher Spiel- und Erlebnisräume, die ihnen Entdeckungen ermöglichen. Der Wert dieser Erlebnisräume liegt im Wesentlichen darin, dass Kinder ein relativ hohes Maß an Freizügigkeit haben und sich doch aufgehoben fühlen. Gleichzeitig können sie ihrem Bedürfnis nach Wildheit und Abenteuer nachgehen.

Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit. […] in unseren Spielen waren wir herrlich frei und nicht überwacht.“

(Astrid Lindgren 2002)

Auf die Beziehung kommt es an

Eine entscheidende Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und zu verstehen suchen, wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Hirnforscher gehen davon aus, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Lehrkräfte). Hier werden die Grundlagen für Empathiefähigkeit gelegt.

Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender

Kinder verfolgen schon als Säuglinge mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen:

Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“

Auch sehr kleine Kinder würden solche Wahrnehmungen auf ihre Weise bereits auswerten:

Wie ist es gelaufen? Komme ich mit meinen Erlebnissen zurecht? Habe ich so etwas erwartet?“

Ihre frühen Erfahrungen werden von ihnen emotional erfasst und gespeichert. Je nach Erlebnis könne man sich das so vorstellen:

Das war eine gute Erfahrung.“ „Das hat mich neugierig gemacht.“ „Das war eine schlechte Erfahrung. Die will ich meiden.“

Über die auf diese Weise angelegten limbofrontalen Bahnungen laufen unser Leben lang alle emotional-kognitiven Prozesse.

Spielräume der Kindheit

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Hier wirkt die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen als Vorbild für die sich langsam entwickelnde Fähigkeit, sich in die Absichten und das Verhalten anderer Personen einzufühlen. Langzeituntersuchungen von Bindungsforschern haben ergeben, dass sich die „Spiel-Einfühlfähigkeit“ gerade von Vätern positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen auswirkt.

Über die Bedeutung von Fantasieräumen

Ein fünfeinhalbjähriger Junge malte gerne Bilder von Burgen und Rittern. Eines Tages müssen seine Ritter in den Kampf ziehen und gegen böse Drachen kämpfen. Wenn der Vater nachmittags nach Hause kam, fragte er seinen Sohn, ob er wieder etwas gemalt habe. Der Sohn holte seine Bilder hervor, erzählte und bat eines Tages seinen Vater, doch einmal aufzuschreiben, was da so alles passiert sei. Der Vater schrieb auf, was ihm sein Sohn erzählte. Das liest sich dann so:

Hier sieht man eine Ritterburg. Und das hier sind die Ritter. Sie sind auf Drachenfahrt. Hier begegnen sie dem ersten Drachen, es ist ein gruseliger Langzahndrache. Er erschreckt den Ritter so sehr, dass dieser abhaut…..“

In einem kreativen Akt gibt der Junge seinen Fantasiefiguren eine Gestalt. Er zeichnet die Burg und die Landschaft, in der sich das Abenteuer abspielt. Es tauchen Furchterregende Drachen auf, die bis auf den letzten Ritter, mit dem sich der Junge identifiziert, in die Flucht treiben. Er besteht das Abenteuer und geht als Sieger aus dem Kampf hervor. Diese Geschichte spielt sich über den Zeitraum mehrerer Wochen ab.

Fantasieräume und Persönlichkeitsentwicklung

Vater und Sohn schaffen sich einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Der Vater fühlt sich in das Fantasiespiel seines Sohnes ein. Gemeinsam richten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Inhalt dieser Geschichte. Es kommt zu vielfältigen Interaktionen und Gesprächen. Durch das Interesse des Vaters erfährt der Sohn Wertschätzung. So entwickelt sich zwischen den beiden eine exklusive Beziehung.

Auf diese Weise, so lehren uns Neurobiologen, bilden sich im Gehirn Spiegelneurone aus. Es handelt sich um die neuronale Vernetzung von gemeinsamen Erfahrungen. In jüngster Zeit wurde dies von dem Freiburger Psychoneuroimmunologen Joachim Bauer sehr anschaulich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ (2005) beschrieben. Im Verlauf der frühen Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen oder Interaktionen des Alltags. Dieser Vernetzungsprozess ereignet sich nicht im luftleeren Raum, er ist auf konkrete Aktivitäten angewiesen und zu ihrer Realisierung benötigen Kinder und Jugendliche Erlebnisräume.

Erlebnisräume und das dopaminerge Systeme

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen hoch komplizierten Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Und wir spielten und spielten und spielten, sodass es das reine Wunder ist, dass wir uns nicht tot gespielt haben,“

hält Astrid Lindgren in ihren Erinnerungen fest.

Zu den wichtigen Erkenntnissen der Hirnforschung, gehört die Entdeckung eines gehirneigenen Belohnungssystems. Kindliche Neugier, Entdeckerfreude und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des dopaminergen Systems. Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen ist zunächst die emotionale Erfahrung von Geborgenheit. Im Gehirn führt dies zur Ausschüttung des Botenstoffes Oxytozin. Auf dieser Grundlage sammeln Kinder bei entsprechender Anregung die unterschiedlichsten Erfahrungen. Sie wollen die Welt erleben und ihre Handlungsmöglichkeiten ausprobieren. Dazu braucht es den Botenstoff Dopamin. Er wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn das Experimentieren mit Freude verbunden ist. Auf diese Weise werden körpereigene Opioide ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl machen. Dieses System verleiht den Dingen und Ereignissen um uns herum eine Bedeutung. Bedeutsam ist, was auch von den Eltern und Erzieherinnen als wichtig angesehen wird. Wird dem Spiel eine hohe Bedeutung beigemessen, dann bahnen sich nicht nur die oben genannten Fähigkeiten, sondern es wird mit diesen neuronalen Vernetzungen gleichzeitig die im Spiel erfahrene Freude und Begeisterung mit eingespurt. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse im kindlichen Gehirn angelegt, die auch später mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendet und risikofreudig in die Welt blickt. Das Spiel schafft einen Rahmen, in dem Erwachsene und Kinder ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf einen Gegenstand ausrichten. Sie erleben Anspannung, Aufregung und Freude am Gelingen einer Spielhandlung gemeinsam und tauschen sich darüber aus. Im Spiel erschaffen sie sich eine gemeinsame Erfahrungswelt, die oft intensive Erlebnisse bereithält. Auf diese Weise – das muss ihnen beim Spiel nicht bewusst sein – regen sie die Strukturbildenden Elemente im kindlichen Gehirn an und schaffen die Voraussetzungen für spätere Lernfreude und Konzentrationsfähigkeit. Für eine gelingende Entwicklung kommt es auf der Ebene der Neurotransmitter auf eine gute Mischung von Oxytozin, Dopamin und Opioiden (Glückshormone) an. Spielsituationen ermöglichen grundlegende emotionale Erfahrungen. So sorgt z.B. Oxytozin für Vertrauen, Dopamin schafft eine grundlegende Lernmotivation und die körpereigenen Opioide tragen zu einem guten Gefühl bei. Diese Mischung entsteht besonders dann, wenn Kinder zugewandte Eltern haben; wenn sie einen anregungsreichen Kindergarten besuchen und wenn sie in der Schule ihre Eigenaktivitäten voll entfalten können. Auf diese Weise servieren wir ihnen einen „Cocktail,“ der als Quelle für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung angesehen werden kann.

Spiel-Unlust mancher Eltern

Die Münchner Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek beobachtet allerdings seit einigen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ schon sehr kleiner Kinder.

Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht,“ das seien typische Äußerungen von Müttern.

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

In den Erlebnissen liegt die Quelle einer gelingenden Entwicklung

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. So kann man den Zusammenhang sehen: Unser Gehirn enthält nicht Erinnerungen an einzelne Objekte, sondern an die emotionale Einbettung dieser Objekte in eine als bedeutsam erlebte Situation. Es sind die Szenen, die Erzählungen, die persönlichen Erlebnisse, die als erste Repräsentanten so etwa wie eine Grund-Matrix ausbilden, auf der sich später abstrakte Gedanken und Erinnerungen abbilden. Hier werden die Grundlagen für die im Leben so wichtige Lernmotivation gelegt.

Was 16-järige Schülerinnen und Schüler aus der Rückschau sagen

Schülerinnen und Schülern eines Gymnasiums antworteten auf die Frage, welche Situation in ihrem Leben ihrer Lernmotivation und Lernfreude entscheidend beeinflusst hätten, mit der Schilderung von Spielsituationen aus ihrer Kindheit.

Insa: Wenn es regnete, dann saß ich oft mit meinem Papa und meinem Onkel am Tisch und wir bauten gemeinsam mit Legostseinen. Ich sehe die Situation heute noch vor mir. Die beiden haben sich gefreut. Ich glaube, sie haben sich noch einmal als Kinder erlebt. Mit Barbis habe ich auch gespielt.

Katharina: Ein Ponyhof, ein Zirkus, ein Zoo – mit Playmobil war alles möglich. Mit meinen fünf Freundinnen haben wir uns stundenlang über Tage hinweg in unseren Fantasieräumen bewegt. Das war alles sehr kreativ. Wir haben nicht nur diese Dinge konstruiert, wir haben uns auch Geschichten dazu ausgedacht.

Jacob: Mit meinen Geschwistern und meinem Vater haben wir nach Weihnachten mit Lego gespielt. Das Eigenartige dabei ist, dass wir gebaut und gebaut haben. Manchmal hatten wir das ganze Zimmer zugebaut. Da gab es einen Bereich für Eskimos und dann war da eine große Eisenbahnanlage. Und wenn wir damit fertig waren, dann war das Projekt auch zu Ende. Gespielt haben wir dann nicht mehr damit. Das Entscheidende bestand in der Konstruktion.
Anne: Ich sehe eine Verkleidungskiste. Es gab nichts, was wir nicht gespielt haben.

(Gebauer 2007)

Wenn wir diese Aussagen von Jugendlichen mit Ergebnissen und Interpretationen der Säuglingsforschung in Beziehung setzen, dann findet sich in ihnen eine Bestätigung der dort geäußerten Annahmen. Das ausgiebige Spiel in der Kindheit bildet die Grundlage für Motivation, Konzentration und Lernlust.

Über den Zusammenhang von Spielen und Lernen

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit und Muße der Erwachsenen. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Motivationssysteme ankurbeln

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten.

Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das dopaminerge System in Gang.

Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des Motivations-Systems. Die Freude, die ein Kind dabei erlebt, stärkt seine Aufmerksamkeit und sein Selbstwertgefühl. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. In diesen eigenständigen Aktivitäten liegen die Grundlagen für verantwortliches Handeln. Für die gesamte Schulzeit gilt: Freude am Lernen und eine hohe Lernmotivation stellen sich dann ein, wenn Kinder ihre Lernprozesse vorwiegend selbst gestalten können. Davon ist in vielen Schulen nichts zu spüren.

Kinder wollen lernen

Kinder wollen lernen und ihre Welt erkunden. Treibende Kräfte sind ihre Neugier und Eigenaktivität. Spielzeit ist daher Bildungszeit, das gilt besonders für die Arbeit in Kindergärten. Kinder bleiben nur dann Entdecker, wenn man ihnen die Möglichkeit zu einem selbst bestimmten Lernen eröffnet. Lernerfolge stellen sich dann ein, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung von Urheberschaft machen und wenn Erwachsene ihre Leistungen wohlwollend würdigen. Der Erfolg ergibt sich aus der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Fehlt diese emotionale Komponente in Lernprozessen, dann kann sich die für spätere Lern-, Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse so wichtige neuronale Struktur nicht angemessen ausbilden. In der Schule sind es vor allem Lernformen, die den Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Lerngegenstand ermöglichen. Auf diese Weise wird das dopaminerge System angekurbelt. Damit ist die entscheidende Grundlage für erfolgreiches Lernen beschrieben. Leider finden diese Zusammenhänge in der Schul- und Bildungspolitik zu wenig Beachtung.

Erlebnisraum Kindergarten

Im Rahmen einer Untersuchung habe ich Erzieherinnen gebeten, die Kinder einmal zu fragen, wie sie über das Klugsein und das Klugwerden denken. Die Einleitungsfrage lautet:

Manchmal sagen die Leute, ein Kind sei klug, was meinen die wohl damit?“

Die spontanen Antworten von Kindergartenkindern klingen so:

Klug ist ein Kind, das den Tisch abputzt, aufräumt, fleißig, lieb und tapfer ist.“ „Klug ist man auch, wenn man anderen hilft.“ „Ein Kind, das ganz viel weiß und gute Sachen macht, ist klug.“ „Wenn man sich immer wäscht und auch seine Brille aufsetzt, ist man klug.“ „Wenn man spielt und Sachen baut, ist man auch klug.“

In der Zusammenschau wird deutlich, dass Kinder im Alter von fünf Jahren eine pragmatische Vorstellung vom Klugsein haben. Da geht es um praktische Tätigkeiten wie Aufräumen und Putzen. Es gibt bereits eine Vorstellung davon, dass Klugsein etwas mit Wissen zu tun hat. Ganz deutlich wird in den Ausführungen, dass Spielen und Bauen wichtige Aktivitäten sind. In den Begriffen „lieb“ und „tapfer“ werden emotional-soziale Aspekte von Klugheit sichtbar. Mit dem Hinweis, dass man auch anderen helfen müsse, kommt soziales Verhalten in den Blick. Die Gesamtheit aller Aussagen macht deutlich, dass bereits bei fünfjährigen Kindergartenkindern eine umfassende Vorstellung einer gelingenden Entwicklung vorhanden ist und dass zum Klugwerden konkrete Aktivitäten wie Spielen und Bauen wichtig sind. Jede der Äußerungen verweist auf die zentrale Quelle des Klugwerdens, nämlich auf das eigenständige Tun.

Muster des Verstehens

Die differenzierten Wachstumsprozesse im kindlichen Gehirn, vor allem die Verbindungen vom limbischen System zum frontalen Kortex sind auf konkrete Erfahrungen angewiesen. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, Gefühle wahrzunehmen, Wörter für Gefühle zu finden, sich zu vergewissern. In der Pubertät und Adoleszenz kommt es darauf an, die bisherigen Erfahrungen als Wertesystem zu konstituieren. Voraussetzungen dafür sind emotionale Erfahrungen und das Kommunizieren über diese. Hier liegt die wesentliche Begründung für eine intensive Arbeit an Konflikten, wie sie z.B. in Familien, Kindergärten, Schulen oder bei der Gestaltung von Ferienlagern auftreten. Zwischen Emotion und Kognition finden dabei unaufhörlich Wechselwirkungen statt. Grundlage ist die neuronale Plastizität, also der bevorzugten Bahnung von häufig aktivierten Assoziationswegen, über die im Gehirn Muster des Fühlens, Verstehens und Handelns ausgebildet werden.

Unser Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen (Neuronen) und den sie verbindenden Nervenfasern. Jedes Neuron besitzt weite baumartige Verzweigungen (Dendriten). Sowohl an den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die Nervenfasern anderer Neurone. Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen vielfältig miteinander verbunden. Hier findet die Übertragung von Nervenimpulsen statt. Sie bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken, Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt. Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig (Selbstwirksamkeitskonzept und Motivation, Impulskontrolle und Handlungsplanung, soziale und emotionale Kompetenz).Um die hierfür erforderlichen, hoch komplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende Angebote, die ihre emotionalen Zentren aktivieren. Sie brauchen Herausforderungen, die sie erfolgreich bewältigen können. Gerade hierbei können die unterschiedlichsten Aktivitäten, die zur Realisierung erlebnispädagogischer Projekte erforderlich sind, sehr hilfreich sein.

Erlebnis: Konfliktlösung

Wir wissen heute aus den für die Erziehung und Bildung relevanten Forschungsbereichen sehr genau, welche Verhaltensweisen für die Entwicklung von Kindern hilfreich sind. Eltern sollten ihren Kindern emotionale Sicherheit und Anregungen geben, ihr Selbstbewusstsein stärken, die Gefühle ihrer Kinder wahrnehmen und über Gefühle mit ihnen reden. Sie sollten Interesse an der Entwicklung haben. Auftretende Konflikte sollten sie für Klärungsgespräche nutzen. Selbst bei besten Absichten kann es aber in Erziehungs- und Bildungsprozessen aus unterschiedlichsten Gründen zu Irritationenkommen. Diese können hervorgerufen werden durch Beziehungsprobleme in den Familien. Trennungen, Neuanfänge, Abwesenheit der Väter, eine zu große Selbstlosigkeit der Mütter oder eine übermäßige Autorität der Väter können Anlass zu Verunsicherungen sein und den Entwicklungsprozess beeinträchtigen. Aber auch Erfahrungen von Gewalt, eine vernachlässigende oder verwöhnende Erziehung, können zu Verunsicherungen und Traumatisierungen führen. Wie auch immer die individuelle Familiensituation aussehen mag, es kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass bei den ganzen Umwälzungen und den unterschiedlichen familiären Modellen die gemeinsame Zeit in der Familie ein unverzichtbares Gut darstellt. Neben einer ausreichenden materiellen Sicherheit der Familien erweisen sich insbesondere ein gutes Familienklima und regelmäßige gemeinsame familiäre Aktivitäten als bedeutsam für das Wohlergehen und für die Zukunftschancen eines Kindes. Die ungünstigste Konstellation liegt dann vor, wenn materielle Defizite mit geringer Zuwendung einhergehen. Wenn Kinder allerdings konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann kann dieses Erlebnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es schafft die Voraussetzungen für Handlungsmuster, die als innere Bilder gespeichert werden und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen. Leider speichern Kinder bei familiären Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster.

Auf die Erlebnisqualität kommt es an

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Für viele Kinder stellt der Besuch des Kindergartens eine Bereicherung ihres Lebens dar. Dabei kommt es auf die Qualifikation der Erzieherinnen ebenso an wie auf die personalen und räumlichen Bedingungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erlebnisqualität nicht durch den Einsatz von Förderprogrammen der unterschiedlichsten Art gestört oder gar verdrängt wird. Hier lauert eine große Gefahr.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)

Im Grunde beschreibt Astrid Lindgren diesen roten Faden. Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

  • Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
  • Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
  • Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.
  • Eigene Spielideen entwickeln.
  • Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
  • Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Spielräume in der Schule

Die Resilienzforschung sagt uns, wie wichtig im späteren Leben zugewandte Menschen sind, wenn die Erfahrung von Sicherheit und Zuwendung nicht in genügendem Maß erfolgt ist. Erzieherinnen und Lehrkräfte, die über emotionale Kompetenz verfügen schaffen daher immer wieder Situationen, in denen die Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können. Am ehesten gelingt das in Projekten der unterschiedlichsten Art.

Erfolgreiche Reformschulen wie die Helene Lange-Schule in Wiesbaden, die beim Pisa-Test die besten Ergebnisse erzielte, stellen das Theaterspiel in die Mitte ihrer pädagogischen Konzeption (Riegel 2005).

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge am Deutschen Theater in Göttingen, schwärmt

„Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt.Er zählt gleich mehrere Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert: 

„Da geht es um gegenseitige Rücksichtnahme, Zunahme von Kooperationsbereitschaft Abbau von Vorurteilen,Verlegung der Toleranzgrenze,Verantwortung für sich und andere Stärkung des Selbstbewusstseins. Und: Denken, Sprechen, Planen, Handeln, Verwerfen, Krisen meistern – das findet natürlich auch statt.“

Zukunftsforscher (Göll 2001) betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft.

Negative Erlebnisse

Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es in der Hirnforschung keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. W. Hirn (2006) berichtet, dass im Zusammenhang mit den Aufnahmeprüfungen für die Hochschulen und Universitäten in China über 50 % der Abiturienten während der Prüfungsvorbereitungen mit Selbstmordgedanken gespielt hätten. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Dies hängt u.a. damit zusammen, dass Lehrerinnen und Erzieherinnen eine immer größer werdende Fülle von Aufgaben zu bewältigen haben. Viele von Ihnen werden vom Stress gelähmt. In der Folge können sie das, was für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes von Bedeutung ist, nicht mehr leisten.

Gerade hier können außerschulische Angebote wie Ferienlager und Abenteuerunternehmungen wichtige kompensatorische Hilfe leisten.

Chancen der Erlebnispädagogik

Erlebnispädagogik wird in theoretischen Überlegungen gerne als integrativer Bestandteil ganzheitlicher Erziehungs- und Bildungskonzepte gepriesen. Sie enthält Schlüsselqualifikationen wie emotional-soziale Kompetenz und Wagnisbereitschaft. In der Praxis nutzt sie Erfahrungen in der Natur (Wald, Gebirge, See), um soziale Kompetenzen zu entwickeln. Natursportarten (Segeln, Reiten, Radfahren, Outdoortraining, Sportklettern, Höhlenforschen, Kajakfahren, Floßfahren) bieten dabei ein breites Spektrum an Erlebnismöglichkeiten. Neben den Schulen gibt es Anbieter auf dem freien Markt. Hier können Kinder und Jugendliche wichtige Erfahrungen für ihre Persönlichkeitsentwicklung machen. Die dort geforderten Aktivitäten sind in der Regel mit Anforderungen an die gesamte Persönlichkeit verbunden. Hier setzen die meisten der zahlreichen erlebnispädagogischen Konzepte an.

Bedingungen für Erlebnisse schaffen

Planbar sind lediglich die Gelegenheiten und damit gewisse förderliche Bedingungen für das persönliche Erlebnis. Da Erlebnisse subjektiv und unwillkürlich entstehen, lassen sie sich nicht zielgenau herbeiführen und sind damit nicht pädagogisch vorausplanbar. Allerdings kann man Bedingungen schaffen, die immer wieder Erlebnisse ermöglichen. Die Wirkung von erlebnispädagogischen Lernangeboten ergibt sich daher nicht direkt aus den abenteuerlichen Erlebnisfeldern, sondern durch die spezifische Weise in der sie genutzt, präsentiert und kombiniert werden.

Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten. (Erlebnispädagogik / Wikipedia)

Quellen der Persönlichkeitsentwicklung

Es kommt darauf an, den Kindern Geborgenheit und damit emotionale Sicherheit zu geben. Über vielfältige Anregungen erhalten sie die Chance, grundlegende Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit zu machen. Zunächst verbindet sich diese Erfahrung mit allen Aktivitäten, die beim kindlichen Spiel vorkommen. Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben, rechnen. Wenn Eltern oder nahe Bezugspersonen diese Lernerlebnisse der Kinder wohlwollend begleiten und durch zustimmende Äußerungen unterstützen, bilden sich im Gehirn der Kinder neuronale Netzwerke aus, in denen nicht nur das motorische Können gespeichert wird, sondern auch die Freude am Können. Sie erfahren auf diese Weise eine Bestätigung und Stärkung ihrer Selbstwirksamkeitserfahrung. Daraus entwickelt sich die für lebenslanges Lernen so notwendige innere Motivation. Hier liegt die Quelle des Lernens. In allen nachfolgenden Prozessen müssen wir darauf achten, dass diese Quelle nicht versiegt. Sie kann durch kein noch so ausgeklügeltes Förderprogramm ersetzt werden. Die Freude am Lernen steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Erlebnis, dass das eigene Tun auch in den Augen und Ohren anderer Menschen als etwas Wichtiges wahrgenommen wird. Die positive Resonanz, die Kinder erfahren gibt ihnen Sicherheit und bestärkt sie in ihrem Tun. So können sich Kinder zu stabilen Persönlichkeiten mit einem guten Selbstwertgefühl entwickeln.

Lernen findet in einem Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Aktivitäten statt. Leider wird das Lernen heute weitgehend mit den schulischen Fächern gleichgesetzt und nur selten in seinen emotionalen und sozialen Dimensionen gesehen. Für erfolgreiches Lernen ist die Erfahrung von vielen komplexen Situationen erforderlich. Klassenfahrten, Feriencamps, Reisen von längerer Dauer können hier ihre kompensatorische Wirkung entfalten.

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon frühe voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Applaus belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung dar.

Erzieherinnen und Lehrer müssen diese Prozesse pflegen und entsprechende Entwicklungs- und Gestaltungsanreize geben. Im Spiel sammeln Kinder z.B. vielfältige emotionale und kognitive Erfahrungen, die sich auf eine differenzierte Ausbildung ihres Gehirns auswirken.

Lernen ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem guten Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Prozessen beruht. Erfahrene Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen gehen deshalb emotional achtsam mit sich selbst um. Das ist eine Voraussetzung für Empathie gegenüber Kindern. Kreativ und zielstrebig arbeiten emotional kompetente Erzieherinnen und Lehrkräfte mit ihren Kolleginnen und Kollegen an einer pädagogischen Konzeption, in deren Kern es um die Beachtung und Förderung der gesamten Persönlichkeit geht. Ohne sich im Gestrüpp der vielfältigen Alltagsbelastungen zu verfangen, schaffen sie für die ihnen anvertrauten Kinder und Schüler Lernräume, die Entdeckungen ermöglichen. Sie werden vor allem dafür sorgen, dass störende Einflüsse wie Demütigungen von Mitschülern nicht zugelassen und Konflikte geklärt werden. Unsicherheitssituationen, die durch Gewaltandrohung, Gewalt oder Mobbing geschaffen werden, beeinträchtigen das Lernvermögen der betroffenen Kinder nachhaltig. Sie müssen daher, wenn Lernen gelingen soll, bearbeitet werden und dürfen auf keinen Fall unbeachtet bleiben oder abgetan werden.

Wenn Kinder die Chance erhalten, Probleme selbstständig zu lösen, entwickeln sie über die Zunahme ihrer Handlungskompetenz eine Motivation, die sich wiederum auf ihr Selbstwertgefühl stabilisierend auswirkt. Kinder brauchen, um hinreichend offen für neue Wahrnehmungen, kreativ und neugierig zu bleiben, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Das individuelle Lernen ist immer eingebettet in strukturelle Rahmenbedingungen, die Lernforschritte eher begünstigen oder behindern können.

Ausblick

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Wissen umfasst vielfältige Inhalte aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Denken bezeichnet Strategien des Erkenntnisgewinns und der Reflexion, z.B. Sachverhalte beschreiben, Probleme erkennen und nach Lösungen suchen, Situationen interpretieren und Handlungen planen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sie sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Gesundheitsbewusstsein ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert.

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Wikipedia: Erlebnispädagogik

Dr. phil. Karl Gebauer ist Verfasser und Herausgeber zahlreiche Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Er war 25 Jahre Rektor der Leineberg-Grundschule in Göttingen. Zuletzt sind von ihm erschienen: Klug wird niemand von allein. Kindern fördern durch Liebe. Patmos / Düsseldorf. Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz / Weinheim. Zusammen mit Prof. Dr. Gerald Hüther hat er die Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung ins Leben gerufen. Weitere Informationen unter:

www.gebauer-karl.de

Individuelle Gesundheitskompetenz und solidarisches Miteinander – Wie sich Lehrerinnen und Lehrer gegenseitig stärken können

Wenn ein Kollegium erstarrt

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in der Vorweihnachtszeit. Es ist kalt und regnerisch. Aber es gibt die eine oder andere besinnliche Veranstaltung mit Freunden oder Arbeitskolleg_innen.

„Wie geht’s denn so?“ fragte ich bei einem solchen Anlass eine Kollegin. Mich traf ein erschrockener Blick. Dann erzählte sie, noch bevor der Wein auf dem Tisch stand: Die Arbeit mit den Kindern mache ihr Freude. Sie habe viele Flüchtlingskinder in ihrer Klasse, aber das sei nicht das Problem.

Sie hielt inne, fuhr nach einer Pause fort: „Gerade heute hatten wir wieder eine Konferenz. Sie atmete tief durch. Ein verzweifelter Blick streifte mich. „Öde“, sagte sie und wiederholte „öde! Wir haben viele Probleme, aber es wird bei der Konferenz nie darüber gesprochen. Wir haben eine Schulleiterin, deren Qualifikation vor allem darin besteht, Gesetzestexte und andere Verlautbarungen vorzutragen. Sie ist so etwas wie eine Mitteilungsbeauftragte des Schulamtes. Sie übersieht, dass vor ihr Menschen sitzen, die sich täglich um Bildung und Erziehung bemühen. Sie nimmt uns als Personen mit unserem Können und Engagement nicht ernst. Ich fühle mich nicht wahrgenommen – das ist es!“ Pause.

Andere sähen das auch so. Aber kein Mitglied habe den Mut, die unbefriedigende Situation offen anzusprechen, alle sehnten den Abgang dieser Schreibtisch-Managerin herbei. „Ich hoffe, dann wird alles besser“.

Im Blick auf den heutigen Vortrag fragte ich: „Wie geht es dir gesundheitlich?“ Sie sei oft erkältet, auch jetzt wieder, das sei chronisch. Sie könne nicht mehr gut schlafen. Von den Kindern erfahre sie Dankbarkeit, von einigen Eltern auch Anerkennung. Pause. „Ich mache eine Therapie und treibe Sport. Das ist meine Rettung.“

Die größte Belastung sei für sie, dass keine Ihrer Kolleginnen, sie selbst auch nicht, die Kraft und den Mut hätten, das individuelle – das kollegiale – Leiden zu thematisieren. „Was ist bloß mit uns los?“

Ich raffe mich noch zu der Frage auf: „Dann gibt es an euerer Schule wahrscheinlich auch kein Gesundheitskonzept?“

Auf welchem Planeten ich denn leben würde, ereiferte sie sich und wandte sich der Kellnerin zu, die in diesem Augenblick den Wein servierte.

Einmal sprach ich sie noch an und sagte: ich hielte demnächst einen Vortrag mit dem Thema: „Individuelle Gesundheitskompetenz und solidarisches Miteinander.“ Es folgte wieder ein Pause, nun blickt sie mich mit offenen Augen an und bemerkte: „Das mit dem Miteinander – das interessiert mich“, danach folgte die übliche Plauderei. Mich befiel eine gewisse Lähmung. Keine Hoffnung – nirgends.

Zwei Wochen später gab es für mich eine Überraschung. Die Kollegin rief mich an. Sie sagte: „Ich habe die Kraft gefunden und einige Kolleginnen angesprochen. Wir werden uns treffen und einen Weg aus unserer Lethargie finden. Ich freue mich schon darauf.“

Das Beispiel macht sichtbar, dass und wie es einen Weg aus einer lähmenden Situation geben kann. Eine Person fasst den Entschluss, diese belastende Situation zu beenden. Das Stichwort „Miteinander“ liefert einen Hoffnungsschimmer, dem sie unmittelbar folgt. Sie spricht Kolleginnen ihres Vertrauens an, gemeinsam werden sie einen Weg aus dem Dilemma suchen. Die Mitarbeit einer Supervisorin würde den Erfolg begünstigen.

Interpretation:

In der Kommunikation dieses Kollegiums fehlt es an Offenheit und gegenseitiger Wertschätzung. Ein lebendiger Gedankenaustausch findet nicht statt. Die Interaktionen sind eingefroren. Zur Lösung des komplexen Problems wäre eine Fähigkeit erforderlich, die wir emotional-soziale Kompetenz nennen.

Unsere Gesellschaft braucht eine neue Erzählung von Schule

Ich werde im weiteren Verlauf meines Vortrags ausführen, wie solche Kompetenzen zu erreichen sind und wie Lehrerinnen und Lehrer konstruktiv mit Belastungen umgehen können.

Was jeder einzelne für die Aufrechterhaltung seiner Gesundheit tun kann, das wissen die meisten von uns: Ich trage also Eulen nach Athen, wenn ich sage, es geht um gesundes Essen, um Bewegung, um Entspannung. Dabei können Kurse in Tai-chi, Chigong oder Meditationen hilfreich sein. Freundschaften und Begegnungen stärken unsere Grundkonstitution. Das ist alles bekannt.

Hervorheben möchte ich die Chancen, die in der Stärkung eines solidarischen Handelns liegen. Es gibt gute Gründe in der heutigen Zeit verstärkt darüber nachzudenken, wie Menschen in Gruppen konstruktive Dialoge führen können, Dialoge, die sich durch gegenseitige Wertschätzung auszeichnen.

Gesundheit in der Schule ist vor alle dann zu erreichen, wenn wir eine neue Erzählung von Schule beginnen. Es braucht ein Narrativ von Schule, das den engen Zusammenhang von Bildung und Gesundheit beschreibt. Es besteht nämlich zwischen Bildung und Gesundheit ein enger Zusammenhang. Um es noch deutlicher zu sagen: Qualität in der Bildung setzt Lehrergesundheit voraus.

„Gute Gesundheit unterstützt erfolgreiches Lernen. Erfolgreiches Lernen unterstützt die Gesundheit. Erziehung und Gesundheit sind untrennbar.“ (Desmond O`Byrne, Leiter der Abteilung für Gesundheitsförderung, WHO/Genf))

Wenn das Ziel der internationalen Bildungsvergleiche aber primär auf eine Effizienzsteigerung des Bildungssystems gerichtet ist, dann spielen die Initiatoren mit dem hohen Gut der Schulgesundheit. Es kommt zur Erschöpfungssituationen bei Lehrkräften und Schüler_innen.

Zum Verständnis von Gesundheit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und andere Institutionen haben eine sehr breitgefächertes Verständnis von Gesundheit.

Im allgemeinen wird darunter verstanden: ein stabiles Selbstwertgefühl, ein positives Verhältnis zum eigenen Körper, die Fähigkeit soziale Beziehungen aufzubauen und Freundschaften zu pflegen; Wissen über Gesundheit, Zugang zu Gesundheitsversorgung; eine intakte Umwelt; sinnvolle Arbeit und gesunde Arbeitsbedingungen: eine lebenswerte Gegenwart und Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft; Energie, körperliche Stärke, Fitness; psychisch geistiges Wohlbefinden; die Anforderungen des Lebens ausbalancieren können. Das ist im pädagogischen Arbeitsfeld nicht einfach. (Hirschmann o.J.)

Bezogen auf die Gesundheit von Lehrkräften gilt die allgemeine Erkenntnis: Lehrerinnen und Lehrer üben einen sehr anstrengenden Beruf aus. Ihr Arbeitsalltag bringt enorme psychischen Belastungen mit sich. Es kommt also darauf an, kompetent mit der eigenen Gesundheit – vor allem unter dem Aspekt der psychischen Belastung – umzugehen.

Individuelle Gesundheitskompetenz

Kompetenz beginnt mit dem Wissen über Gesundheit. Dieses kann zum Wohlbefinden einer Person und / oder einer Gemeinschaft genutzt werden. Aber Wissen allein genügt nicht. Ein Mensch muss auch fähig sein, sein Wissen für die eigene Gesundheit zu nutzen.

Er muss emotional empfinden können, was für ihn gut ist. Er muss wahrnehmen können, was das Verhalten anderer Menschen in ihm auslöst. Er muss interpretieren können, ob das seiner Gesundheit schadet oder nützt. Es sind also emotionale und kognitive Aspekte im Spiel. Damit nicht genug: Wenn eine Person merkt, dass ihr Schaden zugefügt wird, sollte sie sich schützen und verteidigen können. Wenn sie in ihrem emotionalen Kern angegriffen wird, wenn sie in einer Gemeinschaft nicht wahrgenommen, wenn ihre Meinung nicht gehört wird, wenn sie gemobbt wird, wenn Eltern sie beleidigen, dann muss sie sich, um gesund zu bleiben, zur Wehr setzen können.

Viele werden solche Erfahrungen kennen und so mancher wird auch erfahren haben, dass nicht immer die eigenen Kräfte ausreichen, um eine solche Situation zu meistern. Und damit deute ich an, dass wir auf gegenseitiges Verständnis und auf Unterstützung angewiesen sind. Emotionale Beschädigungen, wie sie z.B. bei Mobbing stattfinden, kann ich nicht alleine abwehren, ich brauch andere Menschen, die mich unterstützen, die mir helfen. Gefragt ist kompetentes solidarisches Handeln. Gesundheitskompetenz ist eine komplexe Fähigkeit, die Fühlen, Denken, Handeln und Kooperieren einschließt. Erworben wird diese Fähigkeit aufgrund vielfältiger Erfahrungen im Verlauf der Entwicklung eines Menschen. Für Lehrkräfte kommen die besonderen Erfahrungen während des Studiums, des Referendariats und schließlich der Arbeitssituation in einer Schule hinzu.

In den meisten Untersuchungen zur Lehrergesundheit wird der individuelle Aspekt hervorgehoben. Allerdings üben Pädagogen einen Beruf aus, in dem sie in unterschiedlichen Gruppen aktiv sind. Das bedeutet, dass Gesundheit im Lehrerberuf immer auch spezielle gruppendynamischen Aspekte beachten muss. Es geht täglich um die Gestaltung von Beziehungen. Diese kann sich auf den Umgang mit einzelnen Schüler_innen oder Kolleg_innen beziehen. In jeder Gruppe gibt es Personen, denen an einer guten Beziehung gelegen ist und andere, die Lust auf Aggression und Zerstörung verspüren.

Wenn das Verhältnis in einer Gruppe nicht ausbalanciert werden kann, dann ergeben sich daraus spezielle Belastungen, die wir in der Regel als psychische Belastungen definieren.

Dieses Phänomen ist allgemein anerkannt. So findet sich in den meisten Untersuchungen über Lehrergesundheit der Hinweis, dass es in besonderer Weise die psychischen Belastungen sind, die Lehrkräften dass Leben schwer machen. Die logische Folgerung müsste sein, Linderung dort zu suchen, wo die beschädigte Psyche am ehesten geheilt werden kann. Ein Weg , den viele scheuen, müsste zum Psychotherapeuten führen. Aber selbst dann sind es nur einzelne Personen, die über eine Psychotherapie Hilfe suchen und finden. Da die Belastungen in der Regel aus gestörten Beziehungen resultieren, die sich während der Arbeit in Gruppen (Klasse, Kollegium) ereignen, wäre es sinnvoll, Lösungen in gruppentherapeutischen Prozessen zu suchen.

Lehrkräfte sollten sich gelegentlich folgende Fragen stellen:

Wie geht es mir? Wie geht es dir? Wie geht es unseren Schüler_innen? Was belastet uns? Was können / müssen wir ändern? – Wir? – Wie sind wir geworden, was wir sind? Was verbindet uns? Was trennt uns? Wie steht es mit unserem Mut, mit unserem Engagement? Beachten wir die Quelle für eine gesunde Schule. Haben wir die Kraft für eine neue Erzählung von Schule.

Diese Erzählung würde sich um die Fähigkeit zu empathischem Handeln ranken. Empathie ist das, was unser Menschsein ausmacht. Sie ist ein Bekenntnis zur Humanität und ermöglicht eine verantwortungsbewusste Auseinandersetzung mit den Problemen unseres Alltags. Also auch mit unserer Gesundheit und der Gesundheit unserer Kolleginnen und Kollegen. Unser Empathiefähigkeit ist ein Schatz, den wir hüten und verteidigen müssen.

Nur gesunde und gesundheitsbewusste Pädagogen können dauerhaft diesen speziellen Anforderungen gerecht werden, so die Meinung vieler Fachleute. Hilfe annehmen und anderen Hilfe gewähren, darauf kommt es an. Gruppenbezogene Gesundheitskompetenz ist eine wichtige Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit Belastungssituationen.

Empathie schließt ein, dass wir in der Lage und auch bereit sind, ethische Grundsätze, wie sie in den Menschenrechten und im Grundgesetz verankert sind, zu beachten. Verzichten wir auf den ethischen Grund, dann kann es schnell zur Störung und zum Verlust dieser Fähigkeit führen. Ute Frevert, Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, weist in einem kürzlich erschienen Aufsatz darauf hin, wie gefährdet diese Fähigkeit ist. (Frevert 2017) Sie verweist darauf, dass während der Nazi-Herrschaft die Norm galt, dass man nur mit denen, die zur „Volksgemeinschaft“ zählten miterleben und mitfühlen könne und nur ihnen dürfe „tätige, leidlindernde oder leidbehebende Hilfe“ zuteil werden. Die Folgen sind bekannt.

Diese Erfahrung aus unserer Geschichte, kann uns lehren, dass wir unsere Fähigkeit zur Empathie wie einen Schatz hüten und verteidigen müssen.

Es gilt neben den eigenen Belastungen auch die der Kolleginnen und Kollegen zu sehen und gemeinsam nach Entlastungen zu suchen. Bei diesem Bemühen werden sich auch Konflikte ergeben und gelegentlich kann der Eindruck entstehen, die Belastungen würden immer größer. Hier ist das Wissen gruppendynamischer Fachleute gefragt. Es ist anzustreben, dass es in jedem Schulkollegium Personen gibt, die sich diese Fähigkeit angeeignet haben und sie auch anwenden können. An einem Beispiel werde ich später diese Arbeitsweise erläutern.

Belastungsfaktoren können sein:

– große Klassen / hohe Stundenzahl

– Verhalten schwieriger Schüler

– Konflikte im Kollegium / mit der Schulleitung

– ungeeignete Räume / baulicher Zustand der Schule

– Unterricht in vielen Klassen / überstürzte Abordnungen

– Pendeln zwischen verschiedenen Einsatzorten

– Berufliches Image

– Neuerungen im Schulsystem ohne Anpassung der Rahmenbedingungen

– Stoffumfang / viele Korrekturen

– Administrative Pflichten

– Koordination Beruf / Privatleben

– Mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eltern

– Eigene Gesundheit

– Mangelnde Unterstützung durch die Schulleitung

– Fehlende Möglichkeiten der Entspannung

(Vogt o.J.)

Umgang mit Belastungen

Es herrscht , so scheint es, in den Kollegien kein Mangel an individuellem Wissen. Es fehlt im Alltag oft der Mut und die Bereitschaft zu solidarischem Handeln. Das hat mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu tun, dass die Förderung der erforderlichen Fähigkeiten im Verlauf des Studiums und der Weiterbildung nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Die Chancen, die in gruppenbezogene Arbeits- und Erlebensweisen liegen und sich günstig auf die individuelle und die Gesundheit einer Gruppe auswirken, werden oft nicht gesehen.

Lehrer_innen, die sich diese Fähigkeiten angeeignet haben, bilden angesichts von Widrigkeiten im schulischen Alltag Widerstandskraft (Resilienz) aus. Trotz vieler Belastungen können sie ihr Verhalten der Situation anpassen, sich erholen und wieder auf die Beine kommen. Sie versinken nicht in Lethargie, sondern werden aktiv. Entscheidend ist die Fähigkeit, sich selbst und anderen gegenüber achtsam zu sein. Dabei sollte das Wissen, dass das Schulsystem krank machen kann, immer auch im Blick sein. Es stellt sich für die in der Schule tätigen Personen die Aufgabe, selbst am Aufbau eines solidarischen Gesundheitskonzeptes mitzuwirken. Das lohnt sich, denn die Beschwerden, die Lehrkräfte empfinden und äußern, sind sehr vielfältig.

(Scheuch, K. / Haufe, E. / Seibt. R., 2015)

Häufige Beschwerden

Wenn Lehrkräfte nicht angemessen mit diesen Belastungen umgehen, so können diese zu folgenden Beschwerden führen:

– Erschöpfung

– Kopfschmerzen

– Konzentrationsprobleme

– muskuläre Verspannungen

– Stimmstörungen

– Schlafstörungen

– Herz-Kreislauf-Probleme

– Magen-Darm- Beschwerden

– Ohr-Geräusche (Tinnitus)

– Ängste

– depressive Verstimmungen

(Vogt, o.J.)

Seit der Jahrtausendwende gibt es umfangreich Untersuchungen zur Lehrergesundheit. Hervorheben möchte ich die weitgehend bekannte Studie von Schaarschmidt. Um herauszufinden, wie Lehrkräfte gut mit Belastungen und Beschwerden umgehen können, hat er nach typischen Verhaltens- und Erlebensmustern gesucht.

Vier Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (Schaarschmidt)

Schaarschmidt (2013) ginge der Frage nach, mit welchem Engagement, welcher Widerstandsfähigkeit, und welchen Emotionen Lehrkräfte Anforderungen gegenübertreten. Folgende Aspekten waren die Grundlagen der Untersuchung.

1. Bedeutsamkeit der Arbeit

2. Beruflicher Ehrgeiz

3. Verausgabungsbereitschaft

4. Perfektionsstreben

5. Distanzierungsfähigkeit

6. Resignationstendenz (bei Misserfolg)

7. Offensive Problembewältigung

8. Innere Ruhe/ Ausgeglichenheit

9. Erfolgserleben im Beruf

10. Lebenszufriedenheit

11. Erleben sozialer Unterstützung

Vor dem Hintergrund dieser Items wurden die vier Verhaltens- und Erlebensformen konstatiert.

  1. Muster G: L. sind leistungsbereit, zeigen hohes, jedoch nicht überhöhtes Engagement,verbunden mit Widerstandsfähigkeit und Wohlbefinden. Ihre Lebensweise ist gesundheitsförderlich.
  2. Muster S: L. zeigen eingeschränktes Engagement bei erhaltener Widerstandsfähigkeit und Wohlbefinden. Sie schonen sich und haben die Chance, gesund zu bleiben.
  3. Muster A: L. überfordern sich selbst, zeigen ein exzessives Engagement mit hoher Verausgabung, neigen zu Perfektion, sind in ihrer Widerstandsfähigkeit und ihrem Wohlbefinden eingeschränkt. Sie wirken immer angestrengt und angespannt.
  4. Muster B: L. zeigen emotionale Erschöpfung, haben Aversion gegen die Berufspraxis; sind in ihrer Widerstandsfähigkeit, in ihrem Lebensgefühl und Wohlbefinden eingeschränkt. Sie wirken bedrückt und leidend. Motivation und Engagement sind verringert.

Betroffene (besonders die der Gruppen A und B) suchen oft Ärzte und Therapeuten zur Linderung ihres Leidens auf. Viele begeben sich in ein Rehabilitationszentrum. Eine Linderung ihres Leidens ist im individuellen Fall oft zu erreichen. Wenn die Erkrankung aber in einem Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen und den besonderen Anforderungen des Arbeitsplatzes steht, dann besteht die Gefahr, dass das Wohlgefühl nur kurze Zeit anhält.
Solidarisches Miteinander als Konzept

Eine andere Form des Umgangs mit Belastungssituationen ist das „Teambezogene Arbeits- und Erlebensmuster“. Viele Probleme, die Lehrerinnen und Lehrern heute zu schaffen machen, können von ihnen gelöst werden, wenn sie bereit sind, in kleinen Gruppen gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Im Kern geht es um Wechselwirkungen zwischen Erleben und Verarbeiten von Belastungen. Dabei spielen emotionale und kognitive Wahrnehmungen und Verarbeitungsprozesse eine entscheidende Rolle.

Zum Verständnis dieses Ansatzes ist es hilfreich, einige Funktionsweisen unseres Gehirns zu kennen.

Emotionales Erleben – Spuren im Gehirn

In belastenden Situationen spüren die Betroffenen Unsicherheit, Hilflosigkeit, Wut, Ärger, Enttäuschung, Angst und Scham. Oft werden diese Gefühle so stark erlebt, dass sie mehr und mehr das Gesamtempfinden beeinflussen und die Handlungsfähigkeit einschränken oder unmöglich machen. Es kommt zur Ausschüttung von Stresshormonen.

Stresssituationen können kontrolliert oder unkontrolliert ablaufen

Da gibt es die belastende Situation, die nur kurze Zeit dauert, die man noch anhalten, kontrollieren kann und für die man eine Lösung findet. Sie ist gekennzeichnet, durch eine kurzfristige Unsicherheit. Oft ist sie auch verbunden mit Angst, weil man vor einem Problem steht, dessen Lösung zunächst nicht in Sicht ist. Kann man das Problem als Herausforderung annehmen und daran arbeiten und reichen die bisherigen Erfahrungen für eine konstruktive Bearbeitung aus, dann stellt sich ein Gefühl von Selbstvertrauen, Zuversicht und vielleicht auch Freude ein. Es findet eine Umwandlung der Gefühle statt. Aus Angst wird Zuversicht, aus Unsicherheit wird Mut, aus Hilflosigkeit wird Motivation. Das Gefühl hilflos zu sein, wandelt sich in das Verlangen, tatkräftig nach einer Lösung zu suchen. Wir spüren neue Energie, die uns befähigt unsere Lösungsperspektiven aktiv umzusetzen. Im Gehirn wird dieser Vorgang vor allem durch die Ausschüttung von Noraderenalin bewirkt. Die erfolgreiche Lösung eines Problems wird über die Ausschüttung dieses Botenstoffes im neuronalen Netzwerk eingespurt und steht künftig als Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen können, zur Verfügung.

Wenn wir Vertrauen zu den Mitgliedern einer Gruppe entwickeln, wird der Botenstoff Oxytocin ausgeschüttet. Er verstärkt diese Fähigkeit. Daraus kann sich ein Funke von Hoffnung ergeben. Wir fühlen uns motiviert, weiterzumachen. Dafür sorgt die Ausschüttung von Dopamin. Wenn wir merken, dass wir dass Problem lösen können, kommt der Botenstoff Serotonin hinzu. Er sorgt für Beruhigung. Wir werden ruhig, spüren so etwas wie eine emotionale Sicherheit. Wenn wir das Problem erfolgreich lösen, werden körpereigene Opioide (Glückshormone) ausgeschüttet. Wir erleben Freude. Wir sind während diese Prozesses auf der Handlungsebene aktiv. Unsere Aktivitäten führen zur Ausschüttung eines Cocktails verschiedener Botenstoffe, die uns Sicherheit und Wohlbefinden bescheren. Nicht Erschöpfung ist das Resultat sondern neue Energie.

Anders sieht es mit unkontrollierbar ablaufenden Stresssituationen aus. Plötzlich spüren wir immer deutlicher, dass wir mit den Belastungen des Alltags nicht mehr zurechtkommen. Oft ist es zunächst nur ein diffuses Gefühl, es nicht mehr zu schaffen. Manche Lehrkräfte neigen dazu, diese Gefühle zur Seite zu schieben. Man möchte sie nicht wahrhaben, wird dann aber schnell wieder von ihnen eingeholt. Die Ereignisse eins Vormittags lassen uns auch am Nachmittag nicht los, sie begleiten uns auch bei Kino- oder Theaterbesuchen und verfolgen uns oft noch in unseren Träumen. Am nächsten Morgen fühlen wird uns zerschlagen, müde und oft wie gelähmt. Wir ahnen, dass etwas passieren muss, wenn wir nicht in Resignation oder Aggression verfallen wollen. Gelingt es nicht, diese unkontrollierbare Stresssituation zu bearbeiten, dann wird aus Angst Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Unser Selbstvertrauen schwindet, uns verlässt der Mut, wir fühlen uns elend und unglücklich. Neurobiologisch findet ein Abbau von gebahnten Spuren statt. Es kommt zu einer verstärkten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Dieser Vorgang führt dazu, dass bereits gebahnte Netze im Gehirn wieder aufgelöst werden. Damit verbunden ist ein Schwinden von Erfahrungen, die im Beruf dringend benötigt werden.

In solchen Situationen ist es wichtig, einen Menschen oder ein Team zu haben, mit dem man als Betroffener an einer Lösung arbeiten kann. Benötigt wird eine emotional-soziale Kompetenz. Lassen sich Betroffene auf Hilfsangebote ein, können sie der Stressfalle entfliehen. Sie verlassen den Cortisol-Modus und finden im solidarischen Miteinander zum Adrenalin-Modus. Diese führt zur Ausschüttung einer Fülle von Botenstoffen, die dafür sorgen, dass wieder Ruhe und Gelassenheit eintreten können. Aber dieser Vorgang setzt die Bereitschaft zu einen ausdauernden Arbeitsprozess voraus. Wenn wir erfolgreich Probleme unseres Alltags lösen wollen, wenn wir gesund bleiben wollen, dann müssen wir Fähigkeiten ausbilden, die zu einer gesundheitliche Kompetenz führen. Nicht anders ist es für einen Menschen, der das Klavierspiel oder eine Fremdsprache erlernen will – er muss üben. Viele Lehrkräfte kennen diese Zusammenhänge nicht. Das ist nicht als Vorwurf zu verstehen. In der Regel haben sie diese Wunderwerk während ihres Studiums und ihres Referendariats nicht kennengelernt.

Kompetenter Umgang mit belastenden Situationen

Was zeichnet die Menschen aus, die mit belastenden Situationen konstruktiv umgehen können? Sie sind in der Lage, komplexe Belastungen zu entwirren, zu interpretieren. Sie verfügen über Methoden und Arbeitsformen der Stressbearbeitung. Innerhalb ihrer Arbeitsprozesses suchen sie nach der Bedeutung der Belastung. Dabei bewegen sie sich auch auf der emotionalen Ebene. Ihr Interpretationsverfahren läuft nicht nur kognitiv ab, es bezieht die Gefühle der beteiligten Personen mit ein. Sie schaffen sich über ihr kognitiv- emotionales Interesse Grundlagen auf denen sie handlungsfähig werden und bleiben.

Kann man das Problem als Herausforderung annehmen und daran arbeiten und reichen die bisherigen Erfahrungen für eine konstruktive Bearbeitung aus, dann wird im Gehirn eine Fülle von Botenstoffen ausgeschüttet, so dass wir von einem „Cocktail“ sprechen können. Im weiteren Verlauf stellt sich auf der emotionalen Ebene ein Gefühl von Selbstvertrauen, Zuversicht und vielleicht auch Freude ein. Im Verlauf einer konstruktiven Bearbeitung einer Stresssituationen werden Botenstoffe aktiviert, die zu Lösungsorientiertes Handeln unterstützen.

Es findet eine Umwandlung der Gefühle statt. Aus Angst wird Zuversicht, aus Unsicherheit wird Mut, aus Hilflosigkeit wird Motivation. Das Gefühl hilflos zu sein, wandelt sich in das Verlangen, tatkräftig nach einer Lösung zu suchen. Wir spüren neue Energie, die uns befähigt unsere Lösungsperspektiven aktiv umzusetzen. Das Gehirn produziert den Botenstoff Noradrenalin. Dieser führt dazu, dass die neuen Erfahrungen als Handlungsmuster im Gehirn etabliert und gefestigt werden. Das heißt, es kommt zu einer Myelinisierung der Nervenzellverbindungen.

Unkontrollierbarer Stresssituationen müssen nicht zu Alpträumen führen, sondern können den Anfang für neues Handeln darstellen. Erst wenn eine Person sich mit all ihren bisher erworbenen Strategien außerstande sieht, eine psychische Belastung zu meistern, stellt sich ein Gefühl völliger Ohnmacht und Hilflosigkeit ein. Folge: Verstärkte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Es kommt zur Destabilisierung der im Gehirn bereits etablierten Verschaltungen. Bisher erfolgreich eingeschlagene und gebahnte Bewältigungsstrategien werden allmählich aufgelöst.

Lehrkräfte, die sich den Herausforderungen stellen, die noch die Kraft und Bereitschaft haben, ihre Situation zu reflektieren, indem sie ihre Belastungen analysieren und gemeinsam mit anderen neue Wege suchen, (z.B. Supervision) eröffnen sich Perspektiven. Sie müssen Stress dann nicht als Alptraum erleben. (Hüther, 1999)

Ein Beispiel aus langjähriger Praxis

Welche Möglichkeiten gibt es innerhalb eines Kollegiums oder einer Gruppe dem gegenwärtigen Dilemma zu begegnen? Was bringt Lehrerinnen gelegentlich ins Schleudern? Was ist, wenn sie plötzlich aus der Routine herausfallen, weil da einige Kinder immer wieder den Unterricht stören, wenn ihre Schülerinnen und Schüler trotz größter Anstrengung die Lerninhalte nicht verstehen und behalten können? Was ist, wenn die Situation unüberschaubar wird, obwohl sie alles tun, um den Durchblick zu behalten?

Es gibt nicht den Weg, der aus den skizzierten Dilemmata herausführen würde. Ich will skizzieren, welche Vorgehensweisen meine Kolleginnen und ich gewählt haben, als wir Ende der 70iger Jahre begannen, uns um ein schulisches Gesundheitskonzept zu bemühen. Wir trafen uns wöchentlich zu sogenannten Dialogrunden. Am Beginn eines Schulhalbjahres fand jeweils eine Planungssitzung statt, bei der wir die Themen für unsere Dialoge verabredeten. Es wurde auch festgelegt, wer die Moderation eines Themas übernehmen würde. Dann arbeiteten wir nach den oben angedeuteten Methoden. Es ging dabei um die Minimierung von Stress, um das Analysieren von Problemen und Belastungen. Wir verabredeten uns zu Offenheit im Umgang miteinander. So erlebten wir eine Zunahme von individueller Kompetenz und der Arbeitskompetenz der Gruppenmitglieder. Wir verabredeten gegenseitige Hospitationen und öffneten die Schule für interessierte Besucher_innen. Einmal im Monat boten wir eine Hospitation für Kolleginnen anderer Schulen an. Es kamen oft bis zu 50 Personen.

Für die konkreten Arbeitsprozesse galt, dass wir vielfältige Interpretationen zuließen. Welche Schlussfolgerungen eine Kollegin, ein Kollege aus der Problembearbeitung zog, war seine Sache. So schufen wir ein Schulkonzept, das sich als Gesundheitskonzept herauskristallisierte. Erst im Verlauf entdeckten wir, welches Geschenk wir uns gemacht hatten. Wir hatten für uns eine Arbeitsform gefunden, die sich überwiegend positiv auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden auswirkte. Als wir uns näher mit den Vorgängen, die dabei in unserem Gehirn abliefen, beschäftigten, entdeckten wir, dass wir uns täglich einen Cocktail für unser solidarisches Handeln mixten. Neurobiologischen Vorgänge und Abläufe lassen sich so skizzieren:

Eine Gruppe (Kollegium) fasst den Entschluss, gemeinsam belastende Probleme zu bearbeiten. Das lässt auf Mut und Vertrauen bei denjenigen Personen schließen, die ein solches Vorhaben anregen. Dieser Schritt führt in ihrem Gehirn zur Ausschüttung des Botenstoffes Oxytozin. Umgangssprachlich wird dieser Botenstoff auch als Bindungs- und Vertrauensstoff bezeichnet. Erste positive Erfahrung führen in der Gruppe zu Beruhigung und einer leichte Hoffnung. Verantwortlich im neurologischen Prozess ist der Botenstoff Serotonin. Im Zusammenhang mit ersten positiven Erfahrungen wird auch Dompin ausgeschüttet. In der folge steigt die Motivation bei den Beteiligten. Es kommt bei einem positiven Ausgang zur Ausschüttung körpereigener Opioide (Umgangssprachlich: Glückshormone). Es stellt sich Freue über das Erreichte ein. Der Botenstoff Noradrenalin sorgt dafür, dass diese positiven Erfahrungen im neuronalen Netzwerk eingespurt werden und bei künftigen Anforderungen zur Verfügung stehen. Sie befinden sich im „Noradrenalin-Modus“. Entscheiden beteiligt an diesem Prozess sind die von Rizzolatti entdeckten Spiegelnervenzellen.

(Rizzolatti, 2008)

Erfolgreiches Handeln

Es kommt nicht nur auf verständnisvolle Menschen an, sonder auch darauf, dass man geeignete Methoden kennt, die als wesentliche Unterstützung für die Bearbeitung von Stresssituationen dienen können. Es ist hilfreich dieses Verfahren als Teil des Schulkonzeptes zu verankern. Im Einzelnen geht es um ein Klima der Offenheit, gegenseitigen Unterstützung, kompetente Konfliktklärung, Überprüfung des Schulkonzeptes, die Rolle der Schulleitung, Supervision, Beratung, Raumgestaltung und vieles mehr.

Methoden-Vielfalt

Die folgenden Methoden, die ich hier nur andeuten kann, können hilfreich sein:

Arbeit mit inneren Bildern; unterschiedliche Formen der Dramatisierung von Stresssituationen (Rollenspiel, Stressdrama); das Quantifizieren der Belastung; einen hilfreichen Namen finden: Klärungsdialoge; Zirkuläres Fragen und das assoziativ-reflexive Erinnern. In der Praxis kommt es oft auf eine Kombination der unterschiedlichen Methoden an. (Gebauer 2000)

Es folgt nun ein Beispiel, an dem das solidarische Vorgehen des Kollegiums der Göttinger Leinebergschule deutlich wird. Es geht um die Anwendung des Cocktailkonzeptes in einer existenziellen Situation.

Kann ich noch Lehrerin sein?“ – Ein Hilferuf

Es handelt sich um einen solidarischen Lösungsprozess. Voraussetzung für dies Art der Bearbeitung einer existenziellen Situation ist gegenseitiges Vertrauen und das Wissen um die eigene Kompetenz.

Einstieg

m Rahmen unserer wöchentlichen Dialogrunde geht es um die Frage, wie sich die einzelnen Mitglieder des Kollegiums in ihrer Klasse fühlen.

Die Kollegin Berger berichtet sachlich über Lernprobleme einzelner Kinder. Sie wirkt sehr ernst. Sie fühle sich emotional oft sehr belastet. Es seien vor allem vier Jungen, die ihr zu schaffen machten. Sie schweigt einen Moment und sagt dann: „Es wird immer schlimmer. Mein Grundgefühl sagt mir, ich sollte aufhören, Lehrerin zu sein.“

Wünsche an die Gruppe

Die Moderatorin fragt: Was wünscht du dir von der Gruppe?

Ich wünsche mir Sicherheit auf der Sachebene und der emotionalen Ebene. Ich wünsche mir auch Sicherheit im Auftreten gegenüber den Eltern. Bitte keine Ratschläge. Ich möchte mit euch erarbeiten, wie ich wieder Sicherheit gewinnen kann.“

Frau Berger erzählt noch, wie sie von einzelnen Schülern regelrecht fertiggemacht würde. Es herrsche teilweise ein großes Chaos in der Klasse. Am meisten aber belaste sie, dass sie als Person nicht ernst genommen würde. „Ich möchte ernst genommen werden, das ist mein Ziel, und ich muss mich selbst ernst nehmen. Beides gehört zusammen. Aber ich kann mich nicht mehr ernst nehmen, wenn zum Beispiel Eltern bei mir anrufen und sich über meine Unfähigkeit beschweren. Sie haben ja Recht, nur ihre Form ist sehr beleidigend.“

Nächster Schritt: Assoziationsrunde

Die Teilnehmer_innen der Gruppe lassen schweigend die Aussagen an sich vorüber ziehen, reflektieren die geschilderte Situation und berichten kurz über ihre Assoziationen:

1. „Ich kenne solche Situationen, habe es bisher geschafft, da herauszukommen.“

2. „Ich sehe dich durchs Moor gehen. Du kannst jeden Augenblick einbrechen. Dieses Bild hat sich bei mir eingestellt.“

3. „Ich empfinde eine ungeheure Schwere.“

4. „Ich fühle mich leer und bewegungslos. Dein Bericht hat mich runtergezogen. Ich habe keine Idee für eine Lösung.“

Frau Berger: „Ich will selbst noch etwas sagen. Mich haben meine Reflexionen und mein Sprechen darüber tiefer reingezogen als ich gedacht habe. Das hat mich überrascht. Ich wollte die Schwere überspringen, aber dann habe ich mich doch dafür entschieden, bei der Schwere zu bleiben.

Es ist ungeheuerlich, wenn mir ein Schüler einfach das Heft aus der Hand nimmt. Wenn ich mit dem Unterricht beginne, ruft er etwas in die Klasse. Dann lachen einige Schüler und Schülerinnen. Wenn das passiert, verliere ich meine Spur. Es kommt zum Machtkampf zwischen ihm und mir. Und ich ziehe den kürzeren.

Warum kann sich ein Schüler bei mir erlauben, während meines Unterrichts zu essen? Was gebe ich für ein Signal, dass er sich das erlaubt und auch nicht aufhört, wenn ich ihn dazu auffordere und dann auch noch einige Mitschüler auf seiner Seite hat? – Ich fühle mich hilflos. Das ist schwer auszuhalten.“

Interpretation:

Im erzählenden Reflektieren bei einer zugewandten Gruppe mit einer erfahrenen und verantwortungsbewussten Moderatorin ereignen sich wichtige Erlebnis- und Erkenntnisprozesse. Gefühle sind im Spiel und bestimmen den Ablauf. Erleben, Reflektieren und die Suche nach Perspektiven sind im Erfahrungsprozess miteinander verknüpft. Die Moderatorin lenkt das weitere Verfahren auf eine emotionale Vertiefung durch ein Rollenspiel.
Rollenspiel als Methode der Vertiefung:

Einige Kolleginnen übernehmen Rollen von Kindern, die der Kollegin Berger besonders zu schaffen machen. Eine Kollegin spielt Frau Berger.

Im Rollenspiel entwickelt sich eine muntere Atmosphäre. Die Darstellerinnen der Schüler haben offensichtlich großen Spaß. Die Rollenspiel-Lehrerin weist während des Spiels auf die Regeln in der Klasse hin und betont, sie erwarte, dass sich alle an die Regeln hielten.

Die entscheidenden Sätze, die in einem umfangreichen Spielgeschehen fallen, lauten:

1. Schüler: „Ich will, dass es auch mal lustig zugeht. Frau Berger ist immer so ernst. Das macht doch keinen Spaß.“

2. Schüler: „Wenn ich einen Witz mache, dann weiß ich, dass die anderen lachen. Das ist ein gutes Gefühl und in der Klasse ist eine tolle Stimmung.“

Lehrerin: „Ich finde das auch witzig, was ihr macht, aber nun müsst ihr auch wieder die Regeln beachten, damit alle gut lernen können.“

Mitteilung von Gefühlen:

Nach dem Spiel werden die Spieler, die Zuschauer und auch die Problemstellerin nach ihrem Erleben im Spiel gefragt:

Die Kolleginnen, die in die Rolle der Schüler geschlüpft waren, berichten, dass es ihnen großen Spaß gemacht habe. Mitleid mit ihrer Lehrerin hätten sie nicht gehabt. Warum soll man denn nicht einmal Spaß haben, das sei ihr überwiegendes Gefühl gewesen. Ein schlechtes Gewissen hätten sie auch nicht gehabt.
Die Kollegin, die Frau Berger gespielt hat, sagt, ihr habe das Schülerverhalten zwar nicht gepasst, eine Verunsicherung habe sie aber nicht gespürt. Sie sei sich ganz sicher, dass ihr Hinweis auf die Regeln in Zukunft beachtet würde.

Die Problemstellerin kommt zu Wort:

Die Moderatorin fragt die Problemstellerin, ob sich eine Tür zu einer neuen Erkenntnis geöffnet habe?

Herzklopfen, Angst und ein Gedanke an Flucht habe sie gehabt, sagt Frau Berger. Tiefe Traurigkeit mache ihre Grundstimmung aus, und die sei ihr im Spiel noch einmal sehr nahe gerückt. Aber stärker noch als dies, und darüber sei sie sehr erstaunt, habe sie die Leichtigkeit, in der die Kolleginnen in ihren Rollen agierten, beeindruckt. Die Identifizierung der Kolleginnen mit den Kindern, das habe ihr die Schwere genommen. „Vielleicht liegt hier eine Lösung für mich: Was können mir die Kinder an Leichtigkeit geben? Was kann ich an Leichtigkeit einbringen?“ Eine erste Orientierung?

Wie ging es weiter?

Es mussten noch viele Erfahrungen des Scheiterns gemacht werden, bis es schließlich Frau Berger gelang, ihr Verhalten von innen heraus neu zu gestalten.

Erst wenn eine Person Alternativen zu ihrem bisherigen Verhalten entdeckt, können sich neue Vernetzungen im Gehirn bilden. Vernetzungen, die in der Zukunft das Verhalten stärker bestimmen als die bisherigen Erfahrungen.

Für das Finden einer Lösung ist es wichtig, die individuelle Stelle der Verwundbarkeit zu finden.

Wie geht es weiter, wenn es nicht mehr weiter zu gehen scheint, wenn alle bisher bewährten Strategien des Denkens, Fühlens und Handelns eine einzelne Person in die Stressfalle geführt haben?

Hier liegt der Ansatz für gegenseitige Unterstützung, für ein solidarisches Miteinander.

In der folgenden Zeit haben wir in einem Team von drei Personen an verschiedenen belastenden Situationen mit Frau Berger gearbeitet.

Ergebnis:

Etwa ein halbes Jahr nachdem sie für sich und uns alle unüberhörbar formuliert hatte: „Kann ich noch Lehrerin sein?“, teilte sie uns zu Beginn einer Teamsitzung mit: „Ich möchte euch allen sagen, das es mir gut geht. Ich habe wieder Kraft. Meine Kreativität ist zurückgekehrt. Ich habe wieder Freude an meiner Arbeit. Ich sehe und erlebe viele Situationen anders als vorher. Ich kann den Kindern den Spaß lassen und gleichzeitig solche Strukturen vorgeben, dass Lernen in einer angemessenen Atmosphäre möglich ist. Ich habe in mir durch die intensive Arbeit ein sehr tief sitzendes Muster entdeckt: ‚Spaß darf es nicht machen, wenn man arbeitet.‘

Ich habe eine Leichtigkeit gewonnen, die ich so noch nicht kannte. Dafür danke ich euch. Ich hoffe, dass ich mir diese Fähigkeit erhalte. Ich weiß, was ich alles kann. Heute kann ich meine Gefühle und ihre Bedeutung schneller erkennen und einordnen. Ich muss nicht mehr so oft sauer sein und kann mich mit den Kindern freuen. Die Atmosphäre in der Klasse hat sich auch wesentlich verändert. Ich kann die Schüler besser akzeptieren, so wie sie sind. Ich kann mich besser akzeptieren. Natürlich schwingt immer noch Angst mit, dass es wieder umkippen könnte. Aber ich weiß, dass ich von euch Hilfe und Unterstützung bekäme. Das gibt mir eine gewisse Sicherheit und Hoffnung.“

Eine Gruppe, die über Methoden der Stressbearbeitung verfügt, kann belastende Situationen interpretieren und lösen. Es findet auf der Basis von Methodenkompetenz ein kognitiv-emotionales Zusammenspiel statt. Die positive Erfahrung stärkt das Selbstwertgefühl und macht den Einzelnen und die Gruppe widerstandsfähig (Resilienz). Hier zeigt sich individuelle und solidarische Gesundheitskompetenz. Es entwickelt sich ein „Teambezogenes Verhaltens und Erlebensmuster“.

Ein solidarischer Bearbeitungsprozess stärkt das Selbstvertrauen und weckt Hoffnung. Aus Angst wird Zuversicht, aus Unsicherheit wird Mut, aus Hilflosigkeit wird Motivation.

Im Gehirn werden gesundheitsförderliche Botenstoffe aktiviert. Es bilden sich neue Vernetzungen und die ermöglichen neues Handeln.

Eine Verminderung von Stress oder ein Neuansatz können sich überall dort ereignen, wo es gelingt, auf der Grundlage von emotional sicheren Beziehungen neue Wege zu beschreiten. Eine Chance für kompetentes Verhalten sehe ich in einer Qualifikationserweiterung, bei der die individuelle und die gruppenbezogenen Emotionen eine angemessene Beachtung finden.

Start-up-Perspektive

Hinweise für Kolleginnen, die sich speziell mit der Frage der Lehrergesundheit beschäftigen wollen, sollten eine Gruppe gründen und für den Start eine Supervisorin engagieren. Bei kleineren Schulkollegien könnten sich bei Interesse alle Kolleginnen beteiligen. Bei großen Systemen ist es denkbar, dass sich eine Gruppe mit dieser Problematik befasst und bei Gelegenheit von ihren Arbeitsmethoden und Erfahrungen berichtet. Es ist auch möglich, dass sich interessierte Lehrkräfte aus verschiedenen Schulen zusammenschließen.

Folgende Aspekte sollten beachtet werden:

Wahrnehmen und Benennen von Problemen: Probleme analysieren und Interpretieren: Individuelle Kompetenz entwickeln & stärken: Kompetenzen der Gruppe entwickeln & stärken: gegenseitige Offenheit pflegen; Methodenorientierte Teamarbeit anstreben; Hospitationen ermöglichen; Emotionen wahrnehmen und beachten; Zulassen vielfältiger Interpretationsmöglichkeiten; Individuelle und kollegiale Sicherheit anstreben.

Empathie: Quelle für ein solidarisches Miteinander

Die Quelle erfolgreich Lösungswege liegt in der Fähigkeit zu Empathie

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. (Rizzolatti 2008)

Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nidda-Rümelin 2012)

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. (Bauer 2006) Der einzelne Mensch sollte seine inneren Potenziale voll ausschöpfen können. Er sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Empathisch miteinander umgehen setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menschenrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Im Kern geht es darum, ein“ Teambezogenes Erlebens- und Handlungsmuster“ zu entwickeln. Eine Verminderung von Stress kann sich überall dort ereignen, wo es gelingt, auf der Grundlage von emotional sicheren Beziehungen neue Wege zu beschreiten. Es gilt den Cortisol-Modus zu meiden und den Noradrenalin-Modus anzustreben. Dass gelingt vor allem im solidarischen Miteinander.

Es gibt allerdings in manchen Kollegien Personen, die kein Verständnis für eine Konzeption aufbringen, die auf Empathie gründet und den Gedanken der Solidarität in den Vordergrund rückt. Mit deren Ansichten muss man sich auseinandersetzen.

Gründe für diese skeptische und oft durch Verweigerung gekennzeichnete Haltung können sein:

Negative Beziehungserfahrungen, Furcht vor Enttäuschungen, eine fehlende positive Teamerfahrung, Rückzug auf individuelle Ressourcen, Sozialisation der eigenen Schul- und Studienzeit, spezielle Sozialisation während des Referendariats, geringe zeitliche Ressourcen, unzureichende Rahmenbedingungen. Oft steht dahinter auch ein Vergessen, dass Bildung Körper, Geist und Gefühle umfasst.

Es gilt Verantwortung für eine auf Empathie gegründete Pädagogik zu übernehmen. Ja, es gilt darauf zu achten, dass uns diese Fähigkeit nicht verloren geht. In einer teambezogenen solidarischen Handlungsweise liegt für Schüler_innen und Lehrer_innen die Chance, gesund und arbeitsfähig zu bleiben. Es gilt im Miteinander Stärke zu entwickeln, die auch in der Lage ist, Destruktionen der unterschiedlichsten Art abzuwehren.

Ausblick

Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. (Riffkin 2010) Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen. (Nidda-Rümelin 2011)

Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Menschen, die es nicht gelernt haben, auf vielfältige Weise sich mit ihren Gefühlen und den Gefühlen anderer Menschen zu beschäftigen, sind in der Gefahr anfällig zu werden für Parolen von populistisch agierenden Parteien und Gruppen. Die Arbeit mit und an den Gefühlen, die uns in unserem Alltag begleiten und im Beruf der Lehrer_innen eine besondere Rolle spielen, gehört daher zu den vornehmsten Aufgaben. Damit ist der Boget gespannt vom individuellen und solidarischen Verhalten in Schulkollegien, bis hin zur Entwicklung demokratischer Lebensformen im globalen Maßstab.

Fazit:
Lehrer_innen üben einen sehr komplexen Beruf aus. Die Belastungsfaktoren und die häufigsten gesundheitlichen Beschwerden sind weitgehend bekannt.

Belastungen werden von den betroffenen Personen unterschiedlich erlebt und bearbeitet. In vielen Fällen suchen sie Ärzte oder Psychotherapeuten auf, um ihr gesundheitliches Problem diagnostizieren und behandeln zu lassen. Therapien oder Rehabilitationsmaßnahmen beziehen sich dann meistens auf die ratsuchende Person.

Viele Belastungen lassen sich durch solidarisches Verhalten reduzieren oder beheben. Unbearbeitete Belastungssituationen lösen in vielen Fällen das Stresssystem aus. Betroffene, die noch die Kraft und Bereitschaft haben, diese Erfahrungen in einer Gruppe zu reflektieren, eröffnen sich neue Wege.

Gelingt eine gemeinsamen Bearbeitung, so stellt sich ein Gefühl von Selbstvertrauen, Zuversicht und vielleicht auch Freude ein. Es findet eine Umwandlung der Gefühle statt. Aus Angst wird Zuversicht, aus Unsicherheit wird Mut, aus Hilflosigkeit wird Motivation. Das Gefühl der Hilflosigkeit wandelt sich durch das solidarische Miteinander in neue Energie.

Erst wenn eine Person sich mit all ihren bisher erworbenen Strategien außerstande sieht, eine psychische Belastung zu meistern, stellt sich ein Gefühl völliger Ohnmacht und Hilflosigkeit ein. Spätestens an dieser Stelle ist solidarisches Handeln gefragt.

Hilfreich sind die unterschiedlichsten Methoden des gemeinsamen Problemlösens. Es gilt, komplexe Belastungen zu analysieren und zu interpretieren. Auf dem Weg zu einer Lösung sind kognitive und emotionale Prozesse gleichwertig zu beachten. Auf diese Weise können Betroffne neue Kompetenzen entwickeln.

Literatur:

Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg

Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg

Bischof-Köhler, D. (2011): Soziale Entwicklung in Kindheit und Jugend. Bindung, Empathie, Theory of Mind. Kohlhammer, Stuttgart

Bischof-Köhler, D. (2012): Empathie, Mitgefühl und Grausamkeit und wie sie zusammenhängen. (siehe Kongressdokumentation): www.keb-goettingen.de

Brisch, K.H. (1999): Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart

Ciompi, L. (1997): Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

Dornes, M. (2000): Die emotionale Welt des Kindes, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a./M.

Dörr, M / Göppel, R. (Hg.) (2003): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen

Empathie: https://de.wikipedia.org/wiki/Empathie#Narrative_Empathie

Gebauer, K. (1996): Ich hab sie ja nur leicht gewürgt. Mit Schulkindern über Gewalt reden. Klett-Cotta, Stuttgart

Gebauer, K. (2000): Stress bei Lehrern – Probleme im Schulalltag bewältigen. Klett-Cotta, Stuttgart

Gebauer, K. (2003): Die Bedeutung des Emotionalen in Bildungsprozessen.

In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen, S. 213 -240

Gebauer, K. (2007): Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Patmos, Düsseldorf

Gebauer, K. (2011): Gefühle erkennen –sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz, Weinheim

Gebauer, K.: Kollegiale Unterstützung als Antwort auf Krisensituationen in der Schule. http://gebauer-karl.de/kollegiale-unterstuetzung-als-antwort-auf-krisensituationen-in-der-schule/

Gebauer, K. (2017): Wegweiser Herzensbildung – Empathie ist die Quelle der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung. In: TPS, Heft 9, S. 8 – 11

Gebauer K. / Hüther, G. (Hg.) (2001): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf

Haug-Schnabel, G. (2003): Erziehen – durch zugewandte und kompetente Begleitung zum selbsttätigen Erkennen und Handeln anleiten. In: Gebauer/Hüther (Hg.): Kinder brauchen Spielräume, S 40–54

Huber, Ch. (2004): Stärkung psychosozialer Kompetenz im Rahmen von Theaterprojekten in Schulen. In: Gebauer / Hüther (Hg.): Kinder brauchen Vertrauen. Erfolgreiches Lernen durch starke Beziehungen. Walter, Düsseldorf, S. 156 – 170

Hirschmann, N.: Lehrergesundheit als gemeinsames Ziel:

Möglichkeiten und Methoden der Verhältnisprävention; 18. Bundeskongress für Schulpsychologie

http://buko2008.bdpschulpsychologie.de/pdfs_nach/hirschmann_workshop_verhaeltnispraevention.pdf

Hüther.G. (1999): Der Traum vom Stressfreien Leben, in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier: Stress, S. 6 ff.

LeDoux, J. (1998): Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. Hanser, München

Nida-Rümelin, J. (2011): Die Optimierungsfalle. Philosophie einer humanen Ökonomie. Irisiana, München

Nida-Rümelin, J. (2013): Philosophie einer humanen Bildung. Edition Körber-Stiftung, Hamburg

Rifkin, J. (2010): Die Empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein. Campus Verlag, Frankfurt a/M

Rizzolatti, G. (2008): Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. edition unseld. Suhrkamp. Frankfurt a/M

Schaarschmidt, U./ Fischer A. W. (2013): Lehrergesundheit fördern – Schule stärken. Ein Unterstützungsprogramm für Kollegium und Schulleitung. Beltz, Weinheim

Scheuch K, Haufe E, Seibt R: Teachers’ health.
Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 347–56.DOI:10.3238/arztebl.2015.0347

Sen, A. (2007): Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. Verlag Beck, München

Spitzer, M. (2003): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum, Heidelberg

Vogt, P. (o.J.): Gesundbleiben im Lehrberuf / Vom Burn-out-Syndrom zur Lehrergesundheit. Gesundheitsförderung und Berufszufriedenheit in Zeiten von Veränderung und zunehmender Belastung http://www.dr-peter-vogt.de/fileadmin/user_upload/Downloads/skript_lehrergesundheit_0902.pdf

Von Salisch, M. (Hrsg.) (2002): Emotionale Kompetenz entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Kohlhammer, Stuttgart.

Das Elternbuch: „Wie Kinder geborgen aufwachsen und stark werden“

Das ElternbuchEin Beitrag zum Thema: „Schulangst und Mobbing“ von Dr. Karl Gebauer ist im „Das ElternBuch“ erschienen.

50 Topexperten geben Rat: Von der Geburt bis zur Volljährigkeit auf dem neuesten Stand und wissenschaftlich fundiert.

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Das „ElternBuch“ ist in fünf große Themenbereiche gegliedert und schließt mit einem umfangreichen Schlagwortregister. Jedes Kapitel enthält Hinweise auf weiterführende Literatur und wissenschaftliche Studien.

Beltz-Verlag

KINDHEITSMUSTER EMPATHIE – WIE KINDER PRO-SOZIALES VERHALTEN LERNEN

Vorwort: Wenn das Essen schmeckt

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

„Schmeckt es dir?“ – „Möchtest du mehr davon?“ „Ich sehe, es schmeckt dir, hier kommt der nächste Löffel.“

Da füttert jemand ein Baby. Das sind die Assoziationen, die wir bei diesen Sätzen haben. Vielleicht ist es die Mutter, vielleicht der Vater, vielleicht auch eine Erzieherin. Wenn alles gut geht, ist das Baby nach einer Weile satt und zufrieden. Bis dahin passiert aber noch vielmehr als das, was die kargen Sätze aussagen. Blicke und Gesten kommen hinzu, sie bilden die nicht unwichtige Rahmenhandlung, schmücken das Geschehen des Fütterns und Essens aus. In den unterschiedlichsten Situationen des Alltags mischen sich in Familien und Kindertagesstätten emotionale und soziale Erlebnisse miteinander.

So konnte ich beobachten, wie ein Vater sein Kind mit Brei füttert. Zu sehen war die freudige Erwartungshaltung des Babys, sein Blick signalisierte: „Mehr davon bitte.“ In der Mimik und Gestik des Vaters wurde Freude sichtbar. Gleichzeitig stellte er die Frage, wohl wissend, dass das Baby das Gemeinte höchstens erahnen konnte: „Schmeckt es dir? Möchtest du mehr davon?“ Die Blicke des Babys deutete er und fuhr fort: „Du bekommst mehr davon. Da ist schon der nächste Löffel.“ Mimik, Gestik und das melodische Sprechen des Vaters schufen für das Baby einen Raum des Wohlgefühls. Die gesamte Situation strahlte Wärme, Freude und Zufriedenheit aus. In den Interaktionen wurde für das Baby, davon dürfen wir ausgehen, Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit erlebbar.

I. So entsteht Urvertrauen

Kinder nehmen von Geburt an emotional wahr. Die meisten von ihnen entwickeln in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. So entsteht – wenn auch weiterhin alles gut geht – ein Urvertrauen. Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender.Es ist der Charme eines Kindes, der in der Regel eine empathische Reaktion hervorruft und unterstützt. Ein Kind verfolgt schon als Säugling mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Es spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen: „Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“ (2003)

Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt.

Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so wird ein Kind nun auf vielfältige Weise versuchen, seine Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in der unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde und Sand, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Schutz und Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können.

Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Eine entscheidende Voraussetzung für die empathische Entwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule.

II. Empathie – Grundlage für pro-soziales Verhalten

Neuere Forschungen legen die Vermutung nahe, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Tagespflegepersonen). Hier werden die Grundlagen für einen wohlwollenden Umgang miteinander gelegt. „Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.“ (Bauer 2005) Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti entdeckten Spiegelneurone. (Rizzolatti 2008) Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Wenn zum Beispiel Mutter oder Vater ihr Baby füttern, so erlebt das kleine Kind nicht nur, dass sein Hunger gestillt wird, sondern es nimmt über Mimik, Gestik und die Laute der handelnden Person, die emotionale Gestimmtheit der Situation wahr. Diese Erfahrung führt zur Ausbildung von Spiegelnervenzellen. Der äußere Vorgang ist anschaulich in dem Buch „Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie“ dokumentiert. (Gebauer 2011)

Empathisches Verhalten anderen Menschen gegenüber ist ein Potenzial, das sich bei allen Kindern ausbildet, sobald sie ein Ich-Bewusstsein erlangt haben. Untersuchungen belegen, dass dieser Prozess im Alter von etwa 18 Monaten beginnt. Er lässt sich mit der Fähigkeit eines Kindes in Verbindung bringen, das sich in diesem Alter als eigenständige Person im Spiegel erkennt. Diese Fähigkeit zeigt, dass Kinder zur Selbstobjektivierung fähig sind. Bahnbrechende Untersuchungen, wurden von Doris Bischof-Köhler vorgenommen und dokumentiert. (Bischof-Köhler 2011 / 2012)

Empathie besteht danach aus drei Komponenten. Zunächst ist damit die emotionale Fähigkeit gemeint, sich in einen anderen Menschen einfühlen zu können. Damit verbunden ist ein kognitiver Prozess, die Erkenntnis nämlich, dass es sich bei den wahrgenommenen Gefühlen um die Gefühle einer anderen Person handelt.

Es ist aber auch denkbar, dass die Fähigkeit zur Einfühlung für Destruktion und Grausamkeiten genutzt wird. Es fehlt dann die ethische Komponente, die zu einer selbstreflexiven Wahrnehmung und Einordnung des eigenen Verhaltens führt. Es fehlt die „innere Instanz“ der Handlungskontrolle.

Empathie im Sinne eines wohlwollenden Umgangs miteinander braucht moralische Qualitäten. Diese muss in den vielen Situationen des Alltags erlebt werden. So brauchen Kinder in Konfliktsituationen einen Helfer, der sich in ihre Situation einfühlen kann und ihnen einen Weg zeigt, der zu einem guten Ergebnis führt. In Streitsituationen werden Gefühle wie Wut, Ärger, Ohnmacht erlebbar. Diese gilt es zu benennen. Geben Eltern und Erzieherinnen Hilfestellungen, dann findet eine emotionale und kognitive Bearbeitung der Situation statt. Betroffene Kinder erleben, dass sie nicht nur Urheber von Streit sind, sondern dass sie auch zur Lösung beigetragen haben. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und so bilden sich Grundsstrukturen für pro-soziales Verhalten heraus. Es handelt sich um Lernprozesse, die immer wieder beachtet werden müssen. Eine wichtige Rolle spielt die Vorbildfunktion von Eltern und Erzieherinnen. Die Art und Weise wie sie in den unterschiedlichsten Situationen mit Kindern umgehen, wird von diesen nicht nur wahrgenommen sondern auch übernommen.

Einige Beispiele sollen diese Prozesse, die im Äußeren zu beobachten sind, deutliche machen.

Beispiele:

1. „Auto haben!“

Ein typischer Konflikt bei unter zweijährigen Kindern lässt sich thematisch mit „Etwas haben wollen“ umschreiben. Das kann ein Spielzeugauto, ein Bilderbuch, ein Dreirad oder eine Puppe sein.

Situation: Bogdan spielte ruhig auf dem Teppich mit einem Auto. Luka näherte sich und griff nach dem Spielzeug. Bogdan verteidigte seinen Besitz. Es folgte ein Kräftemessen verbunden mit Lauten und Wörtern wie „haben, haben, nein, ich.“

Bogdan wendet seinen Hilfe suchenden Blick zur Erzieherin.

Kinder in diesem Alter müssen noch vielfältige Erfahrungen machen, vor allem müssen sie lernen, dass es andere Kinder gibt, die ebenfalls einen Anspruch auf die Benutzung der Spielsachen haben. Da sie erst um den 18. Lebensmonat herum zu der Erkenntnisleistung fähig sind, dass ein anderes Kind ein eigenständiges Wesen mit eigenen Interessen und Gefühlen ist, brauchen sie einfühlsame Erzieherinnen, die in solchen Situationen helfend eingreifen.

Die Situation entwickelte sich so: Die Erzieherin nimmt den Konflikt wahr, löst sich aus einer Gruppe, mit der sie gerade den Tisch deckte, ging zu den beiden Jungen und sprach sie mit ruhiger Stimme an: „Bogdan, du hast mit dem Auto gespielt. – Luka, dann bist du gekommen und wolltest auch mit dem Auto spielen.“ Während sie die Situation ruhig beschreibt, ziehen die beiden Jungen kräftig an dem Auto. Es ist an ihrem Gesichtsausdruck zu sehen, dass sie beide emotional stark tangiert sind.

E.: „Luka, lass das Auto bitte einmal los. Bogdan hatte sich das Auto geholt und hat damit gespielt.“

Während sie das sagt, lässt Luka das Auto los, beide Jungen beruhigen sich, blicken zu ihrer Erzieherin.

E.: „Ich helfe euch mal. Bogdan, du darfst weiter mit dem Auto spielen. Und wenn du damit fertig bist, sagst du es Luka. Luka, dann kannst du das Auto haben. – Zuerst spielt Bogdan noch mit dem Auto, danach darfst du damit spielen. Seid ihr beide damit einverstanden?“

Reflexion:

In der beobachteten Situation konnte die Situation gelöst werden. Wir können davon ausgehen, dass die Quelle für die Lösung in dem zwischen Erzieherin und Kindern bestehenden Vertrauen liegt. Begriffe wie „zuerst“ und „danach“ können in ihrer zeitlichen Dimension noch nicht erfasst werden. Aber sie werden sich bei der Klärung weiterer Konflikte als Orientierungsperspektive einprägen. Mimik, Gestik, Sprachmelodie und Zuwendung der Erzieherin führten dazu, dass Bogdan noch eine Weile mit dem Auto spielte und es dann zur Seite stellte. Luka hatte seinen Spielwunsch, so schien es, längst vergessen. Aber nun erinnert ihn die Erzieherin und sagt: „Luka, jetzt kannst du mit dem Auto spielen.“ Langsam nahm nun Luka das Auto und spielte.

Vergegenwärtigen wir uns den Prozess noch einmal. Zwei Kinder richten ihr Augenmerk auf dasselbe Spielzeug. Jedes Kind hat, das ist die Hypothese, für sich den selbstverständlichen Anspruch, mit dem Gegenstand spielen zu dürfen und zwar sofort. Die Erfahrung, dass dies nicht so ohne weiteres möglich ist, dürfte für beide neu sein. Sie erleben möglicherweise einen ersten Konflikt und suchen diesen mittels ihrer Körperkräfte und lautstarker Ausrufe zu lösen. Sie kommen an ihre Grenzen. Bogdan blickt in der Situation zur Erzieherin.

In der Art ihres Klärungsversuchs erkennen sich Kinder als eigenständige Personen mit eigenen Wünschen und Gefühlen. Die Erzieherin spricht beide Jungen mit ihrem Namen an. Sie schlägt eine Lösung vor. Für die Kinder eröffnet sich ein Weg aus der Sackgasse. Damit – so dürfen wir annehmen – wird in ihrem Gehirn ein Arbeitsmodell angelegt, das zwar durch ähnliche Erfahrungen noch verstärkt werden muss, das aber schon die emotional-kognitive Erkenntnis in sich trägt, dass es Alternativen im Verhalten gibt. Das heißt: Kindheitsmuster für pro-soziales Verhalten entwickeln sich auch in Konfliktsituationen. Entscheidend ist, dass die erwachsene Person eine Haltung verkörpert, durch die Kinder nicht beschämt werden, sondern Zuwendung, Verständnis und Hilfe erfahren. Die Erleichterung, die Kinder nach einer solchen Situation verspüren, trägt mit dazu bei, dass sich diese Erfahrungen als Muster für das Lösen zukünftiger Situationen etablieren.

2. „Mein Teller!“

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Das gemeinsame Essen und Trinken gehört zum Kindergartenalltag. Während die sehr jungen Kinder noch gefüttert werden müssen, lernen sie es mit zunehmendem Älterwerden, für sich selbst zu sorgen. Sie können den Tisch decken, sich beim Essen die Schüsseln reichen, sich selbst das Essen auf den Teller tun und schließlich können sie beim Abräumen helfen. Sie machen „Ich kann das – Erfahrungen.“

Gleichzeitig sammeln sie Erfahrungen darüber, was geht und was nicht geht. Folgende Situation konnte ich beobachten.

Situation: Simon und Laura sitzen nebeneinander. Beide Kinder haben einen Teller mit Brot und Obststücken vor sich. Plötzlich ist Lauras Hand auf Simons Teller. Der glaubt seinen Augen nicht trauen zu können. Laura zieht ihre Hand zurück, ist aber bald schon wieder auf dem Teller von Simon. Simon revanchiert sich, sucht Lauras Teller auf seinen Platz zu ziehen. Lauras kleine Faust fährt daraufhin unvermittelt vor Simons Nase. Der ist verdutzt, hatte offensichtlich damit nicht gerechnet. Zwei Erzieherinnen schauen zu, nehmen den Vorgang wahr, interpretieren ihn offensichtlich als eine Chance für emotional-soziale Erfahrungen. Dass beide Kinder hier ihre Grenze überschreiten ist für den Betrachter sichtbar. Welche Erfahrungen werden sie daraus ziehen. Natürlich könnten die Erzieherinnen hier schon eingreifen, was sie aber nicht tun. Und so geht es zwischen beiden Kindern noch eine Weile hin und her. Simon versucht, Laura in die Wange zu kneifen, diese versucht Simons Ohr zu erwischen. Simon hält beide Hände vor sein Gesicht, aber das hilft nicht, Laura ist schon wieder am Ohr.

Plötzlich lassen beide voneinander ab, wenden sich ihrem Essen zu, trinken einen Schluck aus der Tasse und lächeln sich an.

Was war das nun?

Interpretation: Die Erzieherinnen kennen die beiden Kinder, sehen in der Situation offenbar keine besondere Gefährdung. Beide Kinder testen aus, was sie dem anderen zumuten können, scheuen auch nicht vor leichten körperlichen Attacken zurück. Sie gehen bis an die Grenze und leicht darüber hinaus und machen dabei die Erfahrung, dass der jeweils andere sich nicht „die Butter vom Brot“ nehmen lässt. Es gibt keinen Verlierer – aber eine Erfahrung. Vertragen und ein weiteres Nebeneinander war möglich. Eine wertvolle Selbsterfahrung.

3. Vertauschte Zahnbürsten

Situation: Die Erzieherin stellt fest, dass die Zahnbürsten in den Bechern vertauscht worden sind. Sie überlegt, welche Kinder kurz vorher im Toilettenbereich waren. Der Verdacht fällt auf Luka und Aleksander (5 J.) Als kurze Zeit später Aleksander erneut den Nassbereich aufsuchen möchte, geht die Erzieherin mit. Es entspinnt sich der folgende Dialog:

Aleksander: „Warum gehst du mit?“

E.: „Ich will mal in deiner Nähe sein.“

A.: „Weil ich die Zahnbürsten vertauscht habe?“

E.: „Ja, genau. Zahnbürsten vertauschen ist nicht gut. Viele Kinder sind erkältet. Ihr könnt euch gegenseitig anstecken, wenn ihr die Zahnbürste von einem anderen Kind benutzt.“

Die Erzieherin ordnet Becher und Bürsten einander zu. Aleksander bleibt so lange dabei.

E.: „Hast du verstanden, warum das nicht gut ist, wenn du die Zahnbürsten vertauscht?“

A.: „Hab ich.“

Reflexion: Die Erzieherin wundert sich über diesen Streich. Bisher hatte sie das in ihrer Gruppe nicht beobachtet. Das Verhalten ist auch nicht typisch für diese Altersgruppe. Allerdings war ihr aufgefallen, dass einige Jungen in der letzen Zeit damit prahlten, was ihre Väter als Kinder so alles gemacht hätten. Ein Junge (5 J.) erzählt: „Ich durfte schon einmal Alkohol trinken.“ Ein anderer Junge ergänzt: „Und ich durfte schon einmal Kaffee aus der Tasse von Mama trinken.“

Kinder lernen von Vorbildern, übernehmen oft ungeprüft deren Verhalten, geben damit an, weil sie glauben, dass das ganz toll sei. So könnte man möglicherweise auch den Streich mit dem Vertauschen der Zahnbürsten einordnen.

Am Verhalten der Erzieherin könnte Aleksander erkennen, dass sie das Geschehen in der Gruppe und auch außerhalb des Gruppenraumes im Blick hat. Dass ihr am Wohlergehen der Kinder gelegen ist und dass sie möglichen Schaden abwenden möchte. Es war nur eine Vermutung der Erzieherin, dass Aleksander die Bürsten vertauscht haben könnte. Sie hatte die Situation richtig eingeschätzt und hat einen Weg gewählt, bei dem Alexander intuitiv erfassen konnte, dass sein Verhalten nicht verborgen geblieben war. Die Erzieherin erklärt, warum sie das Verhalten nicht gut heißen kann. Wir können davon ausgehen, dass diese und ähnliche Erfahrungen bei den Kindern zu Wahrnehmungen führen, die ihr Verhalten in Zukunft mitbestimmen werden. Bei Aleksander war ja schon ein kognitives Bewusstsein vorhanden, dass sein Handeln nicht Regelkonform sein würde. Nun hat er eine zugewandte Erzieherin erlebt, die ihn nicht beschämt ihm aber mit einer klaren Feststellung erklärt hat, warum dieses Verhalten nicht akzeptiert werden kann.
III. Die Haltung der Erzieherin zeigt sich in der Beziehungsgestaltung

Leider speichern Kinder bei Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Deswegen ist es so wichtig, dass im Kindergarten das Klären von Konflikten einen hohen Stellenwert erhält. Konflikte wühlen die Gefühle der beteiligten Personen auf und lösen das Stresssystem aus. Erwachsene verfügen über eine größere Erfahrung als Kinder beim Lösen von Konflikten. Deswegen ist es so wichtig, dass sie sich möglichst professionell verhalten. Eine Erzieherin sollte ihre Gefühle kontrollieren können. Auf diese Weise aktiviert sie in ihrem Gehirn das System für Impulskontrolle. Allein dadurch wird sie zum Vorbild für die betroffenen Kinder. Sie nehmen emotional wahr, ob ihre Erzieherin gelassen die Klärung des Konflikts angeht oder in den Aufwallungen eigener Gefühle wie Wut, Ärger oder Enttäuschung untergeht. Natürlich darf sie diese Gefühle haben, sie muss sie allerdings unter Kontrolle bringen, denn sonst kann sie zur Klärung des Konflikts weder auf der äußeren Ebene etwas beitragen noch dazu anregen, dass die Kinder in ihrem neuronalen Netz nun ein Muster für gelingende Konfliktklärung ausbilden können. Denn darauf kommt es an. Geht eine Erzieherin mit Widerwillen an die Klärungsarbeit, dann wäre es vielleicht besser, sie würde eine Kollegin bitten, diese Aufgabe zu übernehmen. Man muss sich klar machen, dass die Gefühle einer Erzieherin in einer Konfliktsituation über die Spiegelneuronen bei den Kindern ankommen. Desinteresse, Ärger oder gar Wut signalisieren in einer Klärungssituation keine empathischen Verhaltensweisen. Auf die käme es aber an. Denn nur dann, wenn sich die betroffenen Kinder, deren Stresssystem voll aktiv ist, verstanden fühlen, können sie Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Erzieherin legen. Gleichzeitig damit schaltet sich ihr Beruhigungssystem ein und die Grundlage für eine Konfliktklärung ist gegeben.

Von einer empathischen Haltung sprechen wir, wenn eine Erzieherin versucht, die Kinder und deren Handlungsweisen zu verstehen. So ist es wichtig, dass sie die Wünsche und Sorgen der Kinder wahrnimmt und verständliche Antworten gibt. Im Einzelfall kann das bedeuten, dass sie Kinder ermuntert oder tröstet, dass sie Regeln des Zusammenlebens mit ihnen bespricht und beim Lösen von Konflikten hilft. Ermutigungen führen zu Motivation. Ein gleichgültiges oder beschämendes Verhalten blockiert Kinder in ihrer Entwicklung.

Wenn Kinder konkret erleben können, dass Eltern und Erzieherinnen konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen helfen, dann sammeln sie Erfahrungen, die sie als innere Muster speichern und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen abrufen können. Außerdem befreit es die Kinder von Stress und stärkt ihr Motivationssystem. Es gibt immer wieder Situationen, in denen Kinder kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Bewältigung einer gestellten Aufgabe haben. Dann ist es wichtig sie zu ermutigen, wie das am nachfolgenden Beispiel sehr schön zu erkennen ist.

Beispiel: Wenn ein Selbstportrait nicht gelingen will

Nicht immer geht es im Alltag um Konflikte unter Kindern. Manchmal bahnt sich ein Konflikt oder eine Unstimmigkeit auch zwischen einem Kind und seiner Erzieherin an.

Situation: Kurz vor dem Übergang in die Schule hatte die Erzieherin die Kinder angeregt, noch einmal ein Selbstportrait anzufertigen. Damit wollte sie für alle gut sichtbar eine Ausstellung machen, bei der alle Kinder, die demnächst den Kindergarten verlassen würden, noch einmal im Rahmen einer Ausstellung im Foyer zu sehen sein würden. Die meisten Kinder beteiligten sich sofort und waren auch mit Freude und Eifer dabei. Lorenzo zeigte sich unwillig, nahm dann aber doch Papier, Pinsel und Farbe und fertigte minutenschnell ein Selbstportrait an. Ob er zu den anderen Kinder raus gehen dürfe, er möchte Fußball spielen, fragte er seine Erzieherin. Diese schaute sein Bild an und war enttäuscht. Denn das, was sie sah, hatte mit den kreativen und differenzierten Fähigkeiten von Lorenzo nichts zu tun. Sie erfüllte den Wunsch des Jungen, er durfte Fußball spielen. Sie nahm sich vor, ihre Enttäuschung demnächst in eine positive Anregung zu verwandeln. Eine Woche später, die meisten Portraits hingen an der Wand, wandte sie sich Lorenzo zu und sagte: „Lorenzo, das ist dein Bild, das du von dir gemalt hast. Ich habe es noch nicht zu den anderen Bildern gehängt, denn ich weiß, dass du, wenn du dir Mühe gibst, sehr schön malen kannst. Als du dieses Bild gemalt hast, wolltest du lieber Fußball spielen. Du warst mit deinen Gedanken ganz wo anders. Ich fände es schön, wenn du noch einmal ein Bild von dir malen würdest.“ Lorenzo schaute seine Erzieherin freundlich an, griff zu Papier, Pinsel und Farbe und malte ein wundeschönes und sehr differenziertes Bild von sich selber. Mit leuchtenden Augen zeigte er es seiner Erzieherin und beide hängten Lorenzos Selbstportrait zu den anderen Bildern.

Im Verhalten der Erzieherin wird eine zugewandte emotionale Haltung sichtbar. Wir dürfen sicher sein, dass sich Lorenze von seiner Erzieherin verstanden und gewürdigt fühlte. Diese von Wohlwollen getragene emotionale Haltung hat er erlebt. Sie hat Eingang in seine inneren Arbeitsmodelle gefunden.

IV. Emotional-soziale Erfahrungen im Spiel

Lernprozesse sind dann besonders erfolgreich und anhaltend, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung machen, dass sie es sind, die etwas bewirken. So bilden sie grundlegende Kompetenzen für die Bewältigung der unterschiedlichsten Lebenssituationen aus. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen ist dabei von zentraler Bedeutung. (Gebauer 2011)

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Vor allem fördert das lang anhaltende Spiel, das sich aus den Interessen eines Kindes speist, dessen Konzentrationsfähigkeit. Konzentriert sich ein Kind, weil es von seinem Spiel fasziniert ist, dann wird im Gehirn der Botenstoff Noradrenalin ausgeschüttet, der als Grundlage für diese Fähigkeit angesehen wird.

Leider ist das Spiel heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit, Muße und dem Einfühlungsvermögen mancher Eltern. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Erwachsene oft kein Interesse am Spiel der Kinder haben. Es fehlt das Einfühlungsvermögen und damit die geteilte Aufmerksamkeit, die einem Kind signalisiert, dass das, was gerade geschieht, bedeutsam ist.

Die Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek stellte schon vor vielen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ sehr kleiner Kinder fest. Typische Äußerungen von Müttern:

„Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht.“

(Papoušek 2003)

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. (Gebauer 2007)

„Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird.“

(Astrid Lindgren 2002)

Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen, das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2011)

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge, schwärmt: „Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt.“ Er zählt gleich mehrere Spiel-Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert:

„Da geht es um

gegenseitige Rücksichtnahme,

Zunahme von Kooperationsbereitschaft,

Abbau von Vorurteilen,

Verlegung der Toleranzgrenze,

Verantwortung für sich und andere,

Stärkung des Selbstbewusstseins.

Und:

Denken, Sprechen, Planen, Handeln,

Verwerfen, Krisen meistern –

das findet natürlich auch statt.“

Zukunftsforscher betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft. (Göll 2001)

Timm Albers (2012) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen:

„Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.“

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen.

Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Eltern und Erzieherinnen sollten sich über die Fülle von emotionalen, sozialen und kognitiven Erfahrungen freuen, die in den Spielen der Kinder liegen. Dabei geht es darum, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden; wie sie Konflikte klären und Lösungen finden; wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten; wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren; wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

  • Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
  • Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
  • Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.
  • Eigene Spielideen entwickeln.
  • Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
  • Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

V. Kindheitsmuster Empathie sichtbar machen

Im Zusammenhang mit den neuen Bildungs- und Orientierungsplänen wir immer wieder darauf hingewiesen, dass Erzieherinnen die Kinder beobachten und ihre Erkenntnisse notieren sollten. Oft reicht dafür die Zeit nicht und in vielen Fällen werden lediglich besondere Fähigkeiten eines Kindes auf der Handlungsebene beschrieben. Viel schwieriger ist es, Aussagen über das emotional-soziale Verhalten eines Kindes zu machen. Aber es gibt Ausnahmen und darüber soll berichtet werden. Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung wurden Aufzeichnungen über das pro-soziales Verhalten einzelner Kinder gesammelt. Es handelt sich um Lerngeschichten, die von den Erzieherinnen angefertigt worden wsaren.

Beispiele:

1. Verzeihen

Liebe Valentina, gestern habe ich für Selina einen Webrahmen bespannt. Du bist dazu gekommen und hast mir gesagt, dass du auch gern weben würdest. Ich habe dir gesagt, dass ich gern bereit bin, auch für dich einen Webrahmen zu bespannen, wenn ich mit Selinas Bespannung fertig bin. Du hast geduldig gewartet und mir bei der Arbeit zugeschaut. Nachdem Selinas Webrahmen fertig war, sagte sie zu dir: „Meiner ist schon fertig und deiner nicht!“ An deinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass dich Selinas Aussage gestört hat. Du hast dann auch gleich zu Selina gesagt: „Selina, warum sagst du das jetzt? Das macht mich ganz traurig.“ Selina hat gleich reagiert und sich bei dir entschuldigt. Du konntest Selina verzeihen.

Ich habe gestaunt, wie gut du in diesem Moment sagen konntest, wie es dir geht und was dich gestört hat. Auch Selina hat in diesem Moment verstanden, dass ihr Verhalten dir gegenüber nicht in Ordnung war.

Ich kann mir vorstellen, dass es dir im Umgang mit anderen Menschen sehr hilft, wenn du ihnen so wie hier bei Selina, sagen kannst wie du dich fühlst.

2. Einen Fehler korrigieren

Lieber Simon,

obwohl du erst seit März in unserer Gruppe bist, hast du schon viele Freunde gefunden. Du spielst gerne mit Paolo, mit Elias, mit Fynn, mit Jolina und Sophie. Es ist schön zu erleben, wie wohl du dich bei uns fühlst.

Gestern war ich dabei, als du mit Elias gewebt hast. Du entdecktest in deinem Webstück einen Fehler und fragtest Elias, ob er dir helfen könne. Elias konnte dir erklären, wie dein Fehler entstanden war. Du hattest in einigen Reihen nicht bis zum Ende gewebt, sondern mit dem Webschiffchen zu früh gewendet. Sofort hast du verstanden, was Elias dir erklärt hat. In aller Ruhe hast du die letzten Webreihen wieder zurück gewebt. So konntest du mit viel Geduld dein Problem selbst lösen.

Es freut mich für dich, dass du den Mut hattest, ein anderes Kind um Hilfe zu bitten, als du nicht weiter wusstest und dass du nicht die Mühe gescheut hast, den Fehler selbst zu beheben.

Deine S.

3. Geduld und Hilfsbereitschaft

Lieber Julius,

vor einigen Tagen habe ich mit am Tisch gesessen als du die Idee hattest, mit Noah an euerem Webrahmen weiter zu arbeiten. Als Noah bemerkte, dass ein Fehler in seinem Webstück war, sagtest du ihm, dies sei nicht schlimm, da du diesen Fehler auch schon gemacht hättest. Du erklärtest Noah das Problem, so dass er alleine weiter weben konnte.

Als dein Faden zu kurz für das Webschiffchen wurde, hattest du den Einfall, es mit den Fingern zu versuchen, was dir sehr gut gelang. Später zeigtest du Noah noch, wie man eine neue Farbe beginnen muss. Dabei hast du dir Zeit genommen, Noah alles ganz genau zu erklären und zu zeigen. Auch als Noah langsam ungeduldig wurde, ließest du dich von deinem Vorhaben nicht abbringen. Du hast so lange gearbeitet, bist du mit deinem goldenen Faden fertig warst. Dann hast du mir einen Fehler gezeigt, der dir passiert ist, als du vier Jahre alt warst. Damals hast du mit deiner Webarbeit begonnen.

Als du geschafft hast, was du dir zum Ziel gesetzt hattest, bist du mit Noah in die Bauecke gegangen.

Mir hat es gut gefallen, dich beim Weben zu beobachten. Es war schön zu erleben, wie viel Mühe du dir gegeben hast, Noah immer wieder zu helfen. Ich freue mich jetzt schon auf deinen fertigen Teppich und wünsche mir, dass du weiterhin so hilfsbereit und so geduldig bist.

Deine K.

4. Das Beste aus einer Situation machen

Liebe Emilia,

an einem sonnigen Tag im Mai hast du mit Sophie im Sandkasten gespielt. Du hast dabei Sandeimer als Töpfe benutzt, Stöckchen als Rührlöffel und Blumen als Zutaten. Mit der Kelle hast du die Holzbank, die der „Tisch“ war, gesäubert. Mit einem Korb bist du dann zum Einkaufen gegangen und hast in einem Eimer noch mehr Sand zum Spielen geholt.

Es kamen ein paar Kinder vorbeigelaufen und nahmen blitzschnell die Kelle weg, die du vorher noch im Gebrauch gehabt hattest. Du hast dann nur „eh…“ gerufen und zu Sophie gesagt: „Warte mal, ich hol ne neue.“

Ich fand das prima von dir, dass du sofort gewusst hast, wie du das Beste aus dieser Situation machen kannst ohne dich groß zu ärgern. Du hättest keine Chance gehabt, von den Kindern die Kelle zurück zu holen, weil diese ganz schnell damit weggelaufen sind. Weil du keine neue Kelle gefunden hast, hast du einfach ohne Kelle weiter gespielt und in Ruhe weiter gekocht.

Simon und André hatten plötzlich Lust mit euch zu spielen und fragten nach, ob sie mitspielen dürften. Du hast spontan mit einem „Ja“ geantwortet.

Es ist schön zu erleben, wie phantasievoll du spielen kannst. Auch dass du dir nicht so leicht den Spaß verderben lässt, gefällt mir gut.

Deine K.

5. „Mal passieren!“

Dies ist eine Geschichte, wie sie immer einmal wieder im Kindergarten passieren kann. Ein Mädchen erreichte nicht rechtzeitig die Toilette und nässte ein. Es wurde ganz still, dann rutschte es unruhig auf dem Stuhl hin und her. Philip, der neben dem Mädchen saß, merkte was passiert war. Er legte seinen Arm um dessen Schulter und sagte mitfühlend: „Mal passieren!“ Die Erzieherin, die auch aufmerksam geworden war, begleitete nun das Mädchen zur Toilette.

Die Fähigkeit zu empathischen Verhalten beginnt nach den Untersuchungen von Doris Bischof-Köhler (2011) etwa ab dem 18. Lebensmonat und ist an die Fähigkeit zur Selbstobjektivierung gebunden. Allerdings werden unter Empathie die unterschiedlichsten emotionalen Verhaltensweisen verstanden. Eine Person kann sich in eine andere Person einfühlen, mit dieser mitfühlen und dazu beitragen, dass sich ein positives Miteinander ergibt. Sie kann sie aber auch lächerlich machen. Philip zeigt in der Situation ein zugewandte emotionales Verhalten, das von Mitgefühl geprägt ist

6. Der Engel mit den grünen Augen

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

In der Adventszeit hatten die Kinder aus unterschiedlichsten Materialien Engel gestaltet. Ein Mädchen zeigt auf seinen Engel und sagt zu seiner Erzieherin:

„Den Engel kriegt Papa.“ (Einen Tag später): „Den Engel kriegen Mama und Papa. Die teilen sich nämlich ein Schlafzimmer. Da kann er dann über dem Bett stehen.

Er soll ein türkises Kleid bekommen, das vorne Streifen hat, weil Mama Streifen mag und hinten Punkte, weil Papa Punkte mag. Er soll grüne Augen haben, weil ich grüne Augen habe.“ Das Mädchen zeigt empathisches Verhalten gegenüber seinen Eltern und sich selbst gegenüber. Mehr Empathie geht nicht!
VI. Abwesenheit von Empathie

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Gewalt
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.
Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Wenn Kinder aber konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann wird diese Erfahrung als Handlungsmuster gespeichert und kann in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen genutzt werden.

Von einem Fehlen an Empathie im gesellschaftlichen Maßstab kann man auch sprechen, wenn man die aktuelle Studie: „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ liest. Die Kernaussage lautet: Bei allem Bemühen könnten die Teams in den Kindertagesstätten eine vollständige Umsetzung der in Orientierungs- und Bildungsplänen formulierten Erwartungen nicht leisten. Es bestehe ein massives Umsetzungsdilemma. Die Forscherinnen geben den warnenden Hinweis: Wenn die Fachkräfte permanent mit der Kluft zwischen Anforderungen und begrenzten Umsetzungsmöglichkeiten konfrontiert würden, könne dies zu hohen körperlichen und psychischen Belastungen führen, eine Ablehnung der Bildungsprogramme könne die Folge sein. (Der Paritätische Gesamtverband 2013) gegenüber erschwert. Ein qualifiziertes Erzieherinnenverhalten, wie es sich in den aufgezeichneten Lerngeschichten zeigt, ist kaum möglich, wenn sich Erzieherinnen aufgrund der äußeren Bedingungen permanent in Stresssituationen befinden.

VII. Werte und Gesellschaft

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene, die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümelin 2012)

Leitgedanken für die Gestaltung unseres Lebens sollten Tugenden sein, die bereits in der griechischen Philosophie mit den Begriffen Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit beschrieben wurden. Es ist die Aufgabe jeder Generation, diese Vorstellungen für ihre Zeit neu zu interpretieren. Dabei sollte Achtsamkeit – eine zentrale Haltung aus der Welt des Buddhismus – mehr und mehr Beachtung finden.

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. (Bauer 2006) Der einzelne Mensch sollte seine inneren Potenziale voll ausschöpfen können. Er sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Empathisch miteinander umgehen setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Nicht anders kann man den amerikanischen Sozialwissenschaftler Jeremy Riffkin verstehen, wenn er sagt: „Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem.“ (Riffkin 2010) Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen. (Nida-Rümelin 2011)

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Der Bogen ist gespannt von der individuellen Entwicklung, die sich in dialogischen Situationen mit nahen und zugewandten Personen vollzieht, über das vertrauensvolle, empathische und oft interkulturelle Kommunizieren bis hin zu der Entwicklung demokratischer Lebensformen im globalen Maßstab.

Zusammenfassung:

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon früh voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Im Verlauf der Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für eine kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen und Interaktionen des Alltags. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Anerkennung belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für die Ausbildung eines moralischen Verhaltens dar.

Kinder brauchen Menschen, die sich in ihre Situation einfühlen können und ihnen Orientierungen bieten. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, die Gefühle der Kinder wahrzunehmen und ihnen Wörter für diese Gefühle anzubieten. Wenn Kinder konkret erleben können, dass Eltern, Erzieherinnen und Lehrpersonen konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen helfen, dann führt diese Erfahrung zu inneren Mustern, die in künftigen Situationen für den Umgang miteinander und für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen.

Bei der Bearbeitung von Konflikten finden permanent Wechselwirkungen zwischen Fühlen, Verstehen und Handeln statt. Diese Erfahrungen werden als innere Muster etabliert und bilden die Grundlage für verantwortliches Handeln. Kinder müssen zum Bespiel erleben, dass sie nicht nur Verursacher von Konflikten sind, sondern dass Sie auch an der Lösung beteiligt sind. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und so bilden sich Grundsstrukturen für pro-soziales Verhalten heraus.

Manchmal ist es wichtig zuzuhören. Ein andermal ist Trost die richtige Reaktion. Dann gibt es Situationen, in denen Grenzen gesetzt oder Konflikte gelöst werden müssen. In der Beziehungsgestaltung wird die innere Haltung von Eltern und Erzieherinnen sichtbar. Entscheidend ist, ob sie von Empathie getragen wird. In den Sozialwissenschaften wird Empathie als eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung angesehen. Eine empathisch handelnde Person bezieht die emotionale Befindlichkeit der Anderen mit ein.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und pro-sozialem Verhalten beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren.

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene, die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt es Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

In der Pubertät und Adoleszenz kommt es darauf an, die in der Kindheit gesammelten emotionalen, sozialen und kognitiven Erfahrungen als Wertesystem (Gewissen) zu konsolidieren. Sozialwissenschaftler gehen davon aus, dass eine humane Gesellschaft auf der menschlichen Fähigkeit beruht, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren.

Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen und sich auch an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme zu beteiligen.

Literatur:

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Dörr, M / Göppel, R. (Hg.) (2003): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen

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KOLLEGIALE UNTERSTÜTZUNG ALS ANTWORT AUF KRISENSITUATIONEN IN DER SCHULE

Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

„Ich weiß wirklich nicht, was ich da noch machen kann,“ diesen Satz sagt ein Lehrer, im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Belastungen im Lehrerberuf. Drei Tage arbeitete ich mit ihnen nach unterschiedlichen Methoden am Problemfeld Belastungen. „Eigentlich habe ich alles versucht, den Durchblick zu behalten, habe mit einer Kollegin über die Situation in der Klasse gesprochen. 30 Kinder sind einfach zu viel. Es geht nichts mehr. Ich weiß nicht mehr weiter.“ Das sind die einleitenden Worte von Bernd Henze, so nenne ich ihn, der seit vielen Jahren mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I arbeitet. Beim gemeinsamen Frühstück waren wir miteinander ins Gespräch gekommen. Seine beiden Söhne seien 12 und 17 Jahre alt, hatte ich erfahren, da gab es schnell persönliche Anknüpfungspunkte. Er hatte einen offenen Gesichtsausdruck, seine Augen funkelten, wenn er von seinen Kindern erzählte. In der Arbeitsgruppe sah er bleich aus, wirkte sehr ernst und nachdenklich. Er formulierte langsam: „Da gibt es die Störer, die keine Regeln beachten, einige kloppen sich, passen nicht auf. Es sind eben Schüler mit Verhaltensproblemen, natürlich kenne ich die familiären Hintergründe. Dann gibt es die arbeitswilligen Schüler, aber die kriegen kein Bein auf den Boden. Mir geht es nicht anders. Ich bin – war -sagt er einschränkend, „gerne Lehrer. Aber ich schaffe meine Arbeit nicht mehr.“

So oder so ähnlich klagen viele Lehrer in unserem Land. Sie stoßen damit auf wenig Verständnis.

Aus der großen Studie von Schaarschmidt über Stress wissen wir, dass sich hinter der Bezeichnung Lehrerstress sehr Unterschiedliches verbergen kann. Die erlebte Belastung ist nicht nur von Rahmenbedingungen wie große Klassen, viele Unterrichtsstunden, auffällige Schüler abhängig, sondern auch von der Art der Bearbeitung der erlebten Belastungssituation. Zu Klärung dieser Problematik hat er vier Muster an Bewältigungsstrategien herausgefunden. Verkürzt und nur auf die Situation in Niedersachsen bezogen bedeutet dies: 13 Prozent der befragten niedersächsischen Lehrerinnen und Lehrer balancieren ihre Situation aus. 25 Prozent verdrängen sie. 27 Prozent versuchen durch übersteigertes Engagement die Alltagsprobleme zu lösen und 35 Prozent erleben sich als hilflos und ohnmächtig und werden früher oder später genau wie die 27 Prozent der hoch engagierten Lehrer in der Gefahr sein, dem Burnout-Syndrom zu erliegen (Schaarschmidt, 2001). Es sind vor allem verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler, die den Lehrern zu schaffen machen

Es gibt mehrere Dilemmata:

  • Lehrer und Lehrerinnen sind nicht angemessen auf die Anforderungen ihres Berufes vorbereitet worden. Die Erziehungswissenschaft, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat die Erziehungs- und Bildungsprobleme der Gegenwart nicht im Blick, hat sie daher nicht angemessen analysiert und für die Praxis zugänglich gemacht. Sie hat es versäumt, den interdisziplinären Diskurs zu pflegen.
  • Die Phase während des Referendariats ist überwiegend auf didaktisch-methodische Überlegungen zum Unterricht ausgerichtet und wird nicht für eine breite Problemanalyse des Arbeitsfeldes genutzt. Zum Aufbau von Ressourcen für den erfolgreichen Umgang mit potentiellen Belastungen gibt es in der Regel keine Anregungen.
  • Es gibt nur wenige Kollegien, die eine eigene Initiative zur Bearbeitung von Stress entwickeln, zum Beispiel eine entsprechende Arbeitsgruppe gründen und nach Erfolg versprechenden Methoden verfahren ( TZI, Supervision).
  • Die Erfahrung des potentiellen oder vollständigen Versagens wird von den Betroffenen oft nur auf die eigene Person bezogen. Es sind keine Energien vorhanden für eine erfolgreiche aktive Auseinandersetzung unter Einbeziehung gesellschaftlicher Hintergründe.
  • Die fehlende Grundlage zur Ausübung dieses sehr komplexen Berufes führt sehr schnell zu diffusen Erlebniszuständen. Die Diskrepanz zwischen eigenen Erwartungen und den zunehmenden Anforderungen wird immer größer. Die Probleme erscheinen unlösbar, es besteht die große Gefahr, dass nach einer Phase der Resignation Verzweiflung eintritt. Oft folgt die Aufgabe des Berufes.
  • Lehrer und Lehrerinnen artikulieren sich nicht angemessen, d. h. sie müssten deutlich und kompetent auf die veränderten Lern- und Verhaltensweisen von Schülern und Schülerinnen hinweisen.
  • Lehrer und Lehrerinnen haben keine Fürsprecher. Ihre Verbände scheinen die Grundproblematik ihres Arbeitsfeldes nicht angemessen zum Ausdruck zu bringen.
  • Dass Lehrer zu Prügelknaben werden konnten, hat u. a. auch damit zu tun, dass viele Erwachsene sehr negative Erinnerungen an die eigene Schulzeit haben. Unverarbeitete negative individuelle Erlebnisse mit Lehrern werden oft auf die nachfolgende Generation übertragen (Gebauer/Hüther, 2002).

Vertrauensbildung / Glaubwürdigkeit

Wir leben in einer Zeit und in einer gesellschaftliche Situation, in der die dringend erforderliche Kommunikation zwischen allen, die für Erziehung und Bildung Verantwortung tragen, brüchig geworden ist.

Für eine erfolgreiche Änderung dieser Situation wäre ein umfassender Diskurs über das Menschenbild, das im Mittelpunkt aller Erziehungs- und Bildungsbemühungen stehen sollte, erforderlich. Es müsste mindestens der in den Schulgesetzen formulierte Bildungsauftrag der Schule ernst genommen werden: Persönlichkeitsentwicklung, Entwicklung sozialer Fähigkeiten und Vermittlung von Sachinhalten. Vor diesem Hintergrund müssen wir über die Ursachen und die Zunahme von Konzentrations-, Lern- und Verhaltensproblemen unter Kindern und Jugendlichen nachdenken. Dabei sind interdisziplinäre Anstrengungen nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik erforderlich. Aktuelle Studien haben deutlich gemacht, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der familiären Situation und dem Bildungsniveau eines Menschen gibt (Pisa-Studie,2002; Shell-Jugendstudie,2002; Dornes, 2000). Daraus folgt, dass Familien-, Bildungs- Wirtschafts-, Innen-, Gesundheits-, Außen- und Zukunftspolitiker über Bildung einen interpolitischen Diskurs führen müssten.

Konstruktive Formen des Umgangs mit Belastungssituationen

Viele Probleme, die Lehrerinnen und Lehrern heute zu schaffen machen, könnten besser von ihnen gelöst werden, wenn sie bereit und in der Lage wären, im Team konstruktive Formen der Lösung zu suchen. Was macht die Arbeit in Lehrerteams so schwer? Woran scheitern so viele Lehrerinnen und Lehrer, die einmal mit einem guten Vorsatz Teamarbeit begonnen haben?

Es ist, deswegen so schwer, weil viele Lehrer und Lehrerinnen ihre eigene Emotionalität nicht oder nur sehr verhalten zum Gegenstand der gemeinsamen Reflexion machen. Dafür haben sie Gründe, die ich nachvollziehen kann. In zahlreichen Einzelgesprächen mit Lehrern und Lehrerinnen ist mir oft gesagt worden, dass eine emotionale Öffnung immer wieder mit Enttäuschungen endete. Eine Folge dieser Erfahrung war in aller Regel ein Abbruch von Gesprächen und damit ein Verzicht auf gemeinsame Problemlösungen. Damit ist die einzelne Lehrkraft wieder auf sich selbst gestellt. Das ist, wie neuere Untersuchungen zeigen, in hohem Maße gefährlich. Einige Jahre ist die hohe Belastung des Lehrerberufes auszuhalten, aber dann stellen sich, wenn man nicht über Entlastungsstrategien verfügt, körperliche Symptome ein.

Stress und Emotionen

In belastenden Situationen spüren die Betroffenen Unsicherheit, Hilflosigkeit, Wut, Ärger, Enttäuschung, Angst und Scham. Oft werden diese Gefühle so stark erlebt, dass sie mehr und mehr das Gesamtempfinden beeinflussen und die Handlungsfähigkeit in einschränken oder unmöglich machen.

Über modifizierten Formen der systemischen Psychotherapie können Lehrerinnen und Lehrer belastende Situationen bearbeiten. Sie ermöglichen es, die äußeren und inneren Abläufe über Interpretationsversuche zu verstehen und die hinter den Aktionen liegende Bedeutsamkeit zu erkennen. Dabei wächst das Interesse an der Klärung der Situation. Verstehbarkeit schließt auch das emotionale Aushalten einer Situation ein. Mit der Zunahme von Erkenntnis wächst die Handlungsfähigkeit. Daraus entstehen Sicherheit und Gelassenheit. Über die so gewonnene Handlungsfähigkeit entwickelt sich neue Energie. Es kann dann auch das Gefühl von Freude am Beruf aufkommen.

Stress als Alptraum oder Auslöser für neues Handeln

Gestützt wird diese Hypothese durch neuere Erkenntnisse der Hirnforschung. Es ist bekannt, welche biochemischen Prozesse in Stresssituationen ablaufen (Hüther, 1997). Sie haben primär eine „Schadensbegrenzende Funktion im Sinne einer Notfallreaktion“. Hinter dieser vordergründigen Funktion verbirgt sich jedoch eine zweite Funktion, die durch die vermehrte Ausschüttung von Noradrenalin dazu führt, dass es in unserem plastischen und lernfähigen Gehirn zu einem Aus- und Umbau von neuronalen und synaptischen Verschaltungen kommt. Unser Gehirn ist bereits aktiv und sucht nach neuen Wegen, wo wir noch in einer Sackgasse stecken. (Hüther, 1999, S.1O/11) Gleichzeitig stiften die Untersuchungen von Hüther Hoffnung, denn er zeigt, welche Chancen in der Bewältigung unkontrollierbarer Stresssituationen liegen. Sie müssen nicht zu Alpträumen führen, sondern können den Anfang für neues Handeln darstellen. „Erst wenn eine Person sich mit all ihren bisher erworbenen Strategien außerstande sieht, eine psychische Belastung zu meistern, stellt sich ein Gefühl völliger Ohnmacht und Hilflosigkeit ein, das mit einer tief greifenden und lang anhaltenden, unkontrollierbaren neuroendokrinen Stressreaktion einhergeht. Vor allem durch die Wirkung des dabei vermehrt ausgeschütteten Stresshormons Cortisol auf Nerven und Gliazellen im Zentralnervensystem kommt es zur Destabilisierung der im Gehirn bereits etablierten Verschaltungen. Bisher erfolgreich eingeschlagene und gebahnte Bewältigungsstrategien werden allmählich aufgelöst.

Sowohl kontrollierbare als auch unkontrollierbare psychische Belastungen sind somit entscheidend an der Herausbildung der unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmenden neuronalen Verschaltungen beteiligt.

Ohne kontrollierbaren Stress könnten wir keine Erfahrungen in unserem Gedächtnis verankern, und ohne unkontrollierbaren Stress hätten wir keinerlei Chance, die alten, eingefahrenen Bahnen unseres Denkens zu verlassen und nach neuen Wegen und Lösungsmöglichkeiten zu suchen, um Angst und Stress zu bewältigen. Nur wenn wir die nicht finden, oder wenn wir nicht bereit oder unfähig sind, danach zu suchen, wird der Stress zu einem Alptraum werden und auch uns früher oder später krank machen.“ (Hüther, 1999, S.11)

Stresslandschaft

Wenn man sich mit Stresssituationen beschäftigt, ist es sinnvoll hinter den unzähligen Einzelerscheinungen von Stress nach einer Struktur Ausschau zu halten. Dabei kann ein Vorgehen nach der Methode des Mind Mapping (Hertlein) hilfreich sein. Ich werde einige dieser Wege und Verzweigungen kurz erläutern.

Verlaufsformen

Stresssituationen können kontrolliert oder unkontrolliert ablaufen. Da gibt es die belastende Situation, die nur kurze Zeit dauert, die man noch anhalten, kontrollieren kann und für die man eine Lösung findet. Sie ist gekennzeichnet, durch eine kurzfristige Unsicherheit. Oft ist sie auch verbunden mit Angst, weil man vor einem Problem steht, dessen Lösung zunächst nicht in Sicht ist. Kann man das Problem als Herausforderung annehmen und daran arbeiten und reichen die bisherigen Erfahrungen für eine konstruktive Bearbeitung aus, dann stellt sich nach der Bewältigung dieser Situation ein Gefühl von Selbstvertrauen, Zuversicht und vielleicht auch Freude ein. Es findet eine Umwandlung der Gefühle statt. Aus Angst wird Zuversicht, aus Unsicherheit wird Mut, aus Hilflosigkeit wird Motivation. Das Gefühl hilflos zu sein, wandelt sich in das Verlangen, tatkräftig nach einer Lösung zu suchen. Wir spüren neue Energie, die uns befähigt unsere Lösungsperspektiven aktiv umzusetzen.

Anders sieht es mit unkontrollierbar ablaufenden Stresssituationen aus. Plötzlich spüren wir immer deutlicher, dass wir mit den Belastungen des Alltags nicht mehr zurechtkommen. Oft ist es zunächst nur ein diffuses Gefühl, es nicht mehr zu schaffen. Manche Lehrkräfte neigen dazu, diese Gefühle zur Seite zu schieben. Man möchte sie nicht wahrhaben, wird dann aber schnell wieder von ihnen eingeholt. Die Ereignisse eins Vormittags lassen uns auch am Nachmittag nicht los, sie begleiten uns auch bei Kino- oder Theaterbesuchen und verfolgen uns oft noch in unseren Träumen. Am nächsten Morgen fühlen wird uns zerschlagen, müde und oft wie gelähmt. Wir ahnen, dass etwas passieren muss, wenn wir nicht in Resignation oder Aggression verfallen wollen. Gelingt es nicht, diese unkontrollierbare Stresssituation zu bearbeiten, dann wird aus Angst Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Unser Selbstvertrauen schwindet, uns verlässt der Mut, wir fühlen uns elend unglücklich.

In solchen Situationen ist es wichtig, einen Menschen oder ein Team zu haben, mit dem man als Betroffener an einer Lösung arbeiten kann.

Stressart

Bei der Auseinandersetzung mit belastenden Situationen ist eine Vergewisserung hilfreich, die danach fragt, wie lange eine Stresssituation andauert und wie intensiv sie ist. Wichtig kann auch die Menge der Belastungen sein. In der Schule sind wir oft sehr intensiven Belastungen ausgesetzt. Das trifft besonders dann zu, wenn uns Schüler herausfordern. Wenn sie die Machtfrage stellen, sich über unsere Anweisungen lustig machen, keine Regeln beachten oder so tun, als seien wir für sie Luft. Wenn sich solche Verhaltensweisen wiederholen, dann kommt zur Intensität auch noch die Quantität. Gerade Wiederholungsprobleme, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint, können uns das Leben in der Schule zur Hölle machen. Wenn die Belastungen anwachsen und die normalen Anforderungen weit übersteigen, dann kann dies in eine Stresssituation führen. Je größer die Grundbelastung ist, desto geringer ist die Pufferkapazität mit der es uns sonst gelingt, Stress abzuwehren.

Stressbewertung

Die Intensität eines Stresserlebnisses hängt entscheidend von der Bewertung durch den Betroffenen ab. Eine Situation kann für die eine Lehrkraft eine Herausforderung bedeuten, die sie motiviert, nach neuen Wegen zu suchen. Dieselbe Situation kann aufgrund einer anderen Bewertung eine Lehrerin in die Resignation führen. Dies hängt sehr eng mit den bisherigen Erfahrungen zusammen und mit den dadurch aufgebauten neuronalen Strukturen unseres Gehirns.

Stresstypen

Scharschmidt geht in seiner Untersuchung von 4 Typen aus. In leichter Abwandlung seiner Begriffe spreche ich von den Ohnmächtigen, die in seiner Untersuchung 3O % ausmachen. 13 % gehören zu denen, die die Belastungen ignorieren oder verdrängen. Ich nenne sie die Verdränger. 4O% bemühen sich intensiv, um mit ihren Belastungen besser umgehen zu können. Sie suchen über Fortbildungsangebote eine bessere Qualifikation zu erreichen und hoffen dann auch besser auf Stresssituationen reagieren zu können. Da sie den emotionalen Bereich weitgehend aussparen, nenne ich sie die Macher. 15% der Teilnehmer sind in der Lage, auch mit belastenden Situationen angemessen umzugehen. Ich nenne sie die Balancierer.

Diese Ergebnisse Untersuchung machen deutlich, dass die Einbeziehung der Emotionen eklatant von den Betroffenen vernachlässigt worden ist.

Stresskompetenz

Was zeichnet die Menschen aus, die mit belastenden Situationen konstruktiv umgehen können? Sie sind in der Lage, komplexe Belastungen zu entwirren, zu interpretieren. Sie verfügen über Methoden und Arbeitsformen der Stressbearbeitung. Innerhalb ihrer Arbeitsprozesses suchen sie nach der Bedeutung der Belastung für die Selbst- und Sozialentwicklung. Dabei bewegen sie sich auch auf der emotionalen Ebene. Ihr Interpretationsverfahren läuft nicht nur kognitiv ab, es bezieht die Gefühle der beteiligten Personen mit ein. Sie schaffen sich über ihr kognitiv- emotionales Interesse Grundlagen auf denen sie handlungsfähig werden und bleiben.

Stressbearbeitung

Da Stresserlebnisse eng zusammenhängen mit der Stressbewertung durch die Betroffenen, ist auch eine Bewältigung von Stresssituationen an individuellen Möglichkeiten gebunden. Es bleibt also prinzipiell offen, welche Lösungswege eine Person sucht und welche Lösungswege sie einschlägt. Dabei können Partner, Freunde und Kollegen hilfreich sein. Aktive Entspannungsmethoden können helfen, wenn es darum geht, Grundalgen dafür zu schaffen, dass konstruktive Stressbearbeitung überhaupt stattfinden kann

Dann kommt es aber darauf an, mit geeigneten Methoden an den Stressphänomen zu arbeiten, z.B.: Arbeit mit inneren Bildern, unterschiedliche Dramatisierungsformen von Stresssituationen (Rollenspiel, Stressdrama), das Quantifizieren der Belastung, einen hilfreichen Namen finden, Klärungsdialoge, Zirkuläres Fragen und das assoziativ-reflexive Erinnern. In der Praxis kommt es oft auf eine Kombination der unterschiedlichen Methoden an.

Modell eines Verarbeitungssystems

Sofern wir uns gegenüber eine emotionale Achtsamkeit an den Tag legen, zeigen uns unsre Gefühle sehr deutlich, wann wir an unsere Grenzen stoßen. Es ist dann wichtig, diese Gefühle, wie sie sich auch immer anfühlen mögen, nicht zu verdrängen, sondern an ihnen zu arbeiten. Dabei sind Methoden hilfreich, die unsere Emotionen in diesen Prozess einbeziehen. Eine nur kognitive Bearbeitung führt nicht weiter. Bei längerer Nichtbeachtung kann dies zu psychosomatischen Beschwerden führen. Bei Lehrern und Lehrerinnen führt ein solches Verhalten oft in die Resignation. Werden nun aber Formen der konstruktiven Bearbeitung gewählt, so kann dies zu einer neuen Handlungsfähigkeit führen.

Interne Orientierungen

Welche Möglichkeiten gibt es innerhalb eines Kollegiums oder einer Gruppe dem gegenwärtigen Dilemma zu begegnen? Was bringt Lehrerinnen und Erzieherinnen gelegentlich ins Schleudern? Wie und durch wen finden sie ihre Orientierung bei der täglichen Arbeit. Was ist, wenn sie plötzlich aus der Routine herausfallen, weil da einige Kinder immer wieder den Unterricht stören, wenn ihre Schülerinnen und Schüler trotz größter Anstrengung die Lerninhalte nicht verstehen und behalten können? Was ist, wenn die Situation unüberschaubar wird, obwohl sie alles tun, um den Durchblick zu behalten?

Es gibt nicht den Weg, der aus den skizzierten Dilemmata herausführen würde. Trampelpfade wären von verschiedensten Stellen, Institutionen und Personen anzulegen.

Ich will skizzieren, welche Vorgehensweisen meine Kolleginnen und ich gewählt haben:

Verhinderung oder Minimierung von Stress

  • Methodenorientierte, kontinuierliche Teamarbeit
  • Wahrnehmen und Benennen von Problemen, Analysieren und Interpretieren (Hirnforschung, Psychoanalyse, Säuglings- und Bindungsforschung, Entwicklungs- und Systemische Psychologie)
  • Stärkung der individuellen Kompetenz und der Arbeitskompetenz der Gruppenmitglieder
  • Gegenseitige Offenheit, Hospitationen
  • Einbeziehung der emotionalen Komponente in den Arbeits- und Reflexionsprozess
  • Zulassen vielfältiger Interpretationsmöglichkeiten
  • Überlegungen zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts
  • Vergewisserungen (interne Evaluation)
  • Emotionale Sicherheit als Schulkonzept für alle in der Schule tätigen Personen
  • Auseinandersetzung mit bildungspolitischen Entwicklungen

(Gebauer: Stress bei Lehrern, Verlag Klett Cotta, 2000):

Beispiel: „Ich weiß wirklich nicht, was ich da noch machen kann.“

Zu Beginn meiner Ausführungen hatte ich von dem Lehrer Bernd Henze gesprochen, der seine Situation des Scheiterns in einer Gruppe thematisierte. Er sagte, er sei gern Lehrer gewesen. Dieser Beruf muss einmal Sinn gemacht haben für ihn. Heute ist er sich nicht mehr so sicher.

Hier ist es zunächst erforderlich, gemeinsam die geschilderte Situation in einer größeren Zusammenhang zu stellen und die Kompetenz einer Gruppe bei der Suche nach neuer Orientierung zu nutzen, gemeinsam mit ihm die Problematik genauer zu erfassen und eine Grundlage für künftiges Handeln zu entwickeln.

Eine Möglichkeit sahen wir im zirkulären Erfassen seines Problemfeldes. Wir wollten möglichst alle Variablen, die bei der Klärung des Problems eine Rolle spielen könnten, erfassen und im Anschluss nach Lösungen, nach einer neuen Orientierung und Handlungsfähigkeit suchen.

Zusammen mit der Gruppe entwarf ich eine Problemlandschaft. Gesichtspunkte für Suchbewegungen waren:

  • Pädagogisches Konzept des Klassenteams,
  • Lernstände der Schüler
  • Konfliktklärung
  • Gespräche mit Eltern
  • Lehrer-Schüler-Beziehung
  • Dynamik in der Klasse (vgl. Skizze 1).
Skizze 1

Skizze 1

So sieht die Problemeröffnung aus. Im Bild gesprochen legen wir Wege in einer Problemlandschaft an. Sie bieten erste Orientierungen.

Vier Arbeitsgruppen bilden sich, d. h. sie begehen die Wege, suchen Seitenwege, begeben sich auf Entdeckungsgänge. Ihre Themen lauten:

  1. Verhältnis der Lehrkräfte dieser Klasse zueinander, ihr Beziehungsgefüge; ihr pädagogisches Konzept
  2. Dynamik in der Schulklasse; Bearbeitung über die Methode der Aufstellung von Schüler-Lehrerbeziehungen.
  3. Raumgestaltung, Sitzordnung, Feste, Rituale
  4. Perspektiven; Klärung der Atmosphäre und Entwicklung neuer methodischer Arbeitsformen, z. B. Arbeit mit inneren Bildern (vgl. Skizze 2).
Skizze 2

Skizze 2

Irgendwo in diesem Fragehorizont könnte ein Ansatzpunkt für eine neue Orientierung liegen. Die Teilnehmer gehen gleichsam mit ihrem Kollegen Henze in die einzelnen Wege und ihre Verzweigungen hinein, machen etwas sichtbar, das er ohne ihre Hilfe nicht sehen konnte.

Ergebnis der Arbeit:

Es fand ein lebendiger Gedankenaustausch statt. Keiner hatte den Anspruch, zu Beginn schon die Lösung zu kennen.

Für die Gruppenarbeit benötigten wir zwei Arbeitsstunden. In einer weiteren Stunde wurde im Plenum über die Ergebnisse gesprochen.

Bernd Henze hörte gespannt zu, macht sich Notizen, nickte mit dem Kopf. Er sei zufrieden mit dem Ergebnis. Er habe viele Anregungen erhalten, Perspektiven hätten sich für ihn ergeben, er sehe etwas optimistischer in die Zukunft. Er habe jedenfalls Anhaltspunkte dafür, wie es weitergehen könne. Erste Orientierungen für neue Wege im pädagogischen Handeln.

Beispiel: „Kann ich noch Lehrerin sein?“

Diesen Satz sagt eine Lehrerin bei einer anderen Veranstaltung, an der ein Kollegium geschlossen teilnahm. Im Rahmen eines Vergewisserungsprozesses geht es um die Frage, wie sich die einzelnen Mitglieder des Kollegiums in ihrer Klasse fühlen. Als Bearbeitungsform wurde die Methode der reflexiven Assoziationen gewählt. Das Wort „reflexiv“ bezeichnet die gelenkte Hinwendung zu einem eingegrenzten Thema. In diesem Fall geht es um das Grundgefühl in der eigenen Klasse. Mit dem Wort Assoziationen sind in diesem Zusammenhang alle Wahrnehmungen und Empfindungen gemeint, die sich einstellen, wenn die einzelnen Teilnehmer den Anregungen der Moderatorin folgen. Am Ende soll jede Teilnehmerin für sich den inneren Satz formulieren:

„Ich fühle mich….“ Oder: „Mir geht es….“ Danach haben alle Mitglieder der Runde die Möglichkeit, ihr Gefühl den anderen mitzuteilen.

Die Kollegin Bergner berichtet zunächst sachlich über die Zusammensetzung ihrer Klasse und über grundsätzliche Lernprobleme einzelner Kinder. Sie verfällt ins Reflektieren, meint, sie habe eventuell nicht alle Inhalte in der gebotenen Genauigkeit mit den Kindern bearbeitet, so dass darin möglicherweise auch Ursachen für die Probleme einzelner Kinder liegen könnten. Auch emotional sei es nicht leicht in der Klasse. Es seien vor allem vier Jungen, die ihr zu schaffen machten. Sie unterbricht ihren Bericht, schweigt, wirkt sehr nachdenklich und formuliert dann: „Mein Grundgefühl sagt mir, ich sollte aufhören, Lehrerin zu sein. Die Probleme tauchen immer wieder auf. Und es wird immer schlimmer.“

Die Moderatorin fragt, was sie sich von der Gruppe wünsche.

„Ich wünsche mir Sicherheit auf der Sachebene und auf der emotionalen Ebene. Ich wünsche mir auch Sicherheit im Auftreten gegenüber den Eltern. Ich wünsche mir keine Ratschläge von euch. Ich möchte lieber mit euch gemeinsam darüber reden, wie ich wieder Sicherheit gewinnen kann.“

Frau Bergner erzählt noch, wie sie von einzelnen Schülern regelrecht fertiggemacht würde. Es herrsche teilweise ein großes Chaos in der Klasse. Die Kinder machten kaum Lernfortschritte. Am meisten aber belaste sie, dass sie als Person nicht ernst genommen würde. „Ich möchte ernst genommen werden, das ist mein Ziel, und ich muss mich selbst ernst nehmen. Beides gehört zusammen. Aber ich kann mich nicht mehr ernst nehmen, wenn zum Beispiel Eltern bei mir anrufen und sich über meine Unfähigkeit beschweren. Sie haben ja Recht, nur ihre Form ist sehr beleidigend.“

Assoziationsrunde:

Die Teilnehmer reflektieren die geschilderte Situation und berichten kurz über ihre Assoziationen:

  • „Ich kenne solche Situationen, habe es bisher geschafft, da herauszukommen. Es ist ein andauernder Prozess.“
  • „Ich habe ein Bild vor Augen. Ich sehe dich durchs Moor gehen. Du kannst jeden Augenblick einbrechen.
  • Ich will nichts schön reden. Ich empfinde eine ungeheure Schwere.“
  • „Ich fühle mich leer und bewegungslos. Dein Bericht hat mich runtergezogen. Ich habe keine Idee für eine Lösung.“
  • „Ich will selbst noch etwas sagen. Mich haben meine Reflexionen und mein Sprechen darüber tiefer reingezogen als ich gedacht habe. Das hat mich überrascht. Ich wollte die Schwere überspringen, das war ganz deutlich, aber dann habe ich mich doch dafür entschieden, bei der Schwere zu bleiben. Es ist einfach ungeheuerlich, wenn mir ein Schüler einfach das Heft aus der Hand nimmt.“

„Wenn ich mit dem Unterricht beginne, ruft er etwas in die Klasse. Dann lachen einige Schüler und Schülerinnen. Wenn das passiert, verliere ich meine Spur. Es kommt zum Machtkampf zwischen ihm und mir. Und ich ziehe den kürzeren. Warum kann sich ein Schüler bei mir erlauben, während meines Unterrichts zu essen? Was gebe ich für ein Signal, dass er sich das erlaubt und auch nicht aufhört, wenn ich ihn dazu auffordere und dann auch noch einige Mitschüler auf seiner Seite hat? – Ich fühle mich hilflos. Das ist schwer auszuhalten.“

Interpretation: Im erzählenden Reflektieren bei einer zugewandten Gruppe mit einer erfahrenen und verantwortungsbewussten Moderatorin ereignen sich wichtige Erlebnis und Erkenntnisprozesse. Es bleibt nicht bei der reinen Mitteilung eines Geschehens und es bleibt auch nicht bei einer rein sachlichen Rezeption durch die Teilnehmer. Gefühle sind im Spiel und bestimmen den Ablauf. Erleben, Reflektieren und die Suche nach Perspektiven sind im Erfahrungsprozess miteinander verknüpft. Die Moderatorin lenkt das weitere Verfahren auf eine emotionale Vertiefung durch ein Rollenspiel.

Rollenspiel als Methode der Vertiefung:

Einige Kolleginnen übernehmen Rollen von Kindern, die der Kollegin Bergner besonders zu schaffen machen. Eine Kollegin übernimmt die Rolle von Frau Bergner. Im Rollenspiel entwickelt sich eine muntere Atmosphäre. Die Darstellerinnen der Schüler haben offensichtlich großen Spaß. Sie werden von der Lehrerin ruhig und sachlich auf die geltenden „Spielregeln“ hingewiesen.

Die entscheidenden Sätze, die in einem umfangreichen Spielgeschehen fallen lauten:

1. Schüler: „Ich will, dass es auch mal lustig zugeht. Frau Bergner ist immer so ernst. Das macht doch keinen Spaß.“

2. Schüler: „Wenn ich einen Witz mache, dann weiß ich, dass die anderen lachen. Das ist ein gutes Gefühl und in der Klasse ist eine tolle Stimmung.“

Lehrerin: „Ich finde das auch witzig, was ihr macht, aber nun müsst ihr auch wieder die Regeln beachten, damit alle gut lernen können.

Mitteilung von Gefühlen: Nach dem Spiel werden die Spieler, die Zuschauer und auch die Problemstellerin nach ihrem Gefühl gefragt:

Die Kolleginnen, die in die Rolle der Schüler geschlüpft waren, berichten, dass es ihnen großen Spaß gemacht habe. Mitleid mit ihrer Lehrerin hätten sie nicht gehabt. Warum soll man denn nicht einmal Spaß haben, das sei ihr überwiegendes Gefühl gewesen. Ein schlechtes Gewissen hätten sie auch nicht gehabt.

Die Kollegin, die Frau Bergners Rolle gespielt hat, teilt mit, dass ihr das Schülerverhalten zwar nicht gepasst habe, aber eine Verunsicherung habe sie nicht gespürt. Sie sei sich ganz sicher, dass ihr Hinweis auf die Regeln in Zukunft beachtet würde.

Die Moderatorin fragt die Problemstellerin, ob sich eine Tür zu einer neuen Erkenntnis geöffnet habe?

Herzklopfen, Angst und ein Gedanke an Flucht habe sie gehabt, sagt Frau Bergner. Tiefe Traurigkeit mache ihre Grundstimmung aus, und die sei ihr im Spiel noch einmal sehr nahe gerückt. Aber stärker noch als dies, und darüber sei sie sehr erstaunt, habe sie die Leichtigkeit, in der die Kolleginnen in ihren Rollen agierten, beeindruckt. Die Identifizierung der Kolleginnen mit den Kindern, das habe ihr die Schwere genommen. „Vielleicht liegt hier eine Lösung für mich: Was können mir die Kinder an Leichtigkeit geben? Was kann ich an Leichtigkeit einbringen?“ Eine erste Orientierung?

Wie ging es weiter?

Es mussten noch viele Erfahrungen des Scheiterns gemacht werden, bis es schließlich Frau Bergner gelang, ihr Verhalten von innen heraus neu zu gestalten. Verhaltensänderungen, die dann auch zu einem erfolgreichen pädagogischen Handeln führen, sind erst dann möglich, wenn unser Gehirn neben den bisher mit festen Verschaltungen angelegten Netzen neue Netzverbindungen so weit etabliert hat, dass sie zunächst als kleine Alternative zu bisherigen Verhaltensweisen zur Verfügung stehen und schließlich zu einer echten und sicheren veränderten Verhaltensweise führen, dass man von einer neuen Vernetzung sprechen kann, die künftig stärker das Verhalten bestimmt als die bisherigen Erfahrungen.

Dieses Wissen und seine Beachtung bei möglichen Verstrickungen mit Schülerverhaltensweisen, ist außerordentlich wichtig für den Gesamterfolg bei der Bearbeitung von Situationen, in denen eine Lehrerin die Orientierung verliert.

Oft denken und fühlen die beteiligten Personen, alle Bemühungen hätten keinen Sinn, weil sich die bekannten Verhaltensweisen nicht änderten. Oft lassen die Veränderungsbemühungen nach, und es tritt Resignation ein, die in Desinteresse oder Aggression umschlagen kann. Die Folgen sind bekannt. Es lohnt sich, solche Prozesse über einen längeren Zeitraum zu verfolgen und auch dann nicht wegzusehen, wenn es scheinbar keine Fortschritte gibt.

Der Weg in die Orientierungslosigkeit kann sehr unterschiedliche Ursachen haben. Für das Finden einer Lösung ist es wichtig, die individuelle Stelle der Verwundbarkeit zu finden. Oft wollen oder dürfen Lehrerinnen/Erzieherinnen nicht wahrhaben, dass die in ihren Augen noch so kleinen Kinder ihnen das antun können. Sie fühlen sich in einer ausweglosen Situation, vor allem, weil sie sich die Zusammenhänge nicht erklären können. In ihrem Gehirn ist dann der Teufel los. Alles geht durcheinander. Oft sind es banale Ereignisse, die einen Lehrer oder eine Erzieherin in eine unkontrollierbare Situation bringen. Es ist dann so, als ob alle Erfahrungen nicht mehr helfen könnten, aus der Situation herauszukommen.

Wie geht es weiter, wenn es nicht mehr weiter zu gehen scheint, wenn alle bisher bewährten Strategien des Denkens, Fühlens und Handelns sich als ungeeignet oder undurchführbar erweisen?

Hier können die vielen in der Kommunikationstheorie und der Psychotherapie und Systemtherapie ausgebildeten Methoden hilfreich sein. Haben wir in unserem bisherigen Erfahrungsschatz Methoden gespeichert, mit denen wir schon andere Stresssituationen erfolgreich bestanden haben, so stehen diese Erfahrungen jetzt zur Verfügung. Sie können nun abgerufen und darauf überprüft werden, ob sie für die Lösung des Problems nutzbar gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sich unterschiedliche Methoden anzueignen, die dann als Netzwerk für die Lösung neuer Belastungen genutzt werden können.

Abschließend möchte ich noch mitteilen, welche Entwicklung Frau Bergner genommen hat. In der folgenden Zeit haben wir in einem Team von drei Personen an verschiedenen belastenden Situationen mit Frau Bergner gearbeitet. Dabei kamen unterschiedlichen Methoden (Gebauer: Stress bei Lehrern) zur Anwendung. Etwa ein halbes Jahr nachdem Frau Bergner für sich und uns alle unüberhörbar formuliert hatte: „Kann ich noch Lehrerin sein?“, teilte sie uns zu Beginn einer Teamsitzung mit: „Ich möchte euch allen sagen, das es mir gut geht. Ich habe wieder Kraft, die Situationen verschwimmen nicht. Meine Kreativität ist zurückgekehrt. Ich habe wieder Freude an meiner Arbeit. Dass ich wieder so Schule machen kann, das hätte ich nicht gedacht. Ich sehe und erlebe viele Situationen anders als vorher. Ich kann den Kindern den Spaß lassen und gleichzeitig solche Strukturen vorgeben, dass Lernen in einer angemessenen Atmosphäre möglich ist. Ich habe in mir durch die intensive Arbeit ein sehr tief sitzendes Muster entdeckt: ‚Spaß darf es nicht machen, wenn man arbeitet.‘ Ich habe eine Leichtigkeit gewonnen, die ich so noch nicht kannte. Dafür danke ich euch. Ich hoffe, dass ich mir diese Fähigkeit erhalte. Ich muss aufpassen, dass ich nicht wieder abrutsche. Ich weiß, was ich alles kann. Ich habe es mir in den schwierigen Situationen oft aufgezählt. Mein Versagen in bestimmten Situationen hat mich an den Rand meiner Tätigkeit als Lehrerin gebracht. Heute kann ich meine Gefühle und ihre Bedeutung schneller erkennen und einordnen. Ich muss nicht mehr so oft sauer sein und kann mich mit den Kindern freuen. Die Atmosphäre in der Klasse hat sich auch wesentlich verändert. Ich kann die Schüler besser akzeptieren, so wie sie sind. Ich kann mich besser akzeptieren. Natürlich schwingt immer noch Angst mit, dass es wieder umkippen könnte. Aber ich weiß, dass ich von euch Hilfe und Unterstützung bekäme. Das gibt mir eine gewisse Sicherheit und Hoffnung.“

Perspektiven:

Perspektiven in belastenden Situationen ergeben sich nicht von selbst, sie müssen erarbeitet werden. Grundlagen dafür können sein:

  • Vertrauensvolle Teamarbeit
  • Unterschiedliche Entspannungsformen, z.B. Meditation
  • Gespräche mit Lebenspartnern und Freunden
  • Professionelle Hilfe.

Eine Verminderung von Stress tritt überall dort ein, wo es uns gelingt,

emotional tragende Beziehung zu unseren Schülern aufzubauen und ihnen untereinander neue Beziehungserfahrungen zu ermöglichen.

Dabei geht es immer auch um die Beachtung von Emotionalität. Eine wirkliche Chance für kompetentes Verhalten sehe ich in einer Qualifikationserweiterung, bei der die individuelle und die gruppenbezogenen Emotionen eine angemessene Beachtung finden.

Abschließend möchte ich Aspekte eines kompetenten Lehrerverhaltens skizzieren.

  • Kompetentes Verhalten zeigen Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Schülerinnen und Schülern eine emotional tragende Beziehung anbieten. Sie ziehen den Beziehungsfaden in ihre Überlegungen mit ein und reflektieren ihre Arbeit nicht nur unter didaktisch-methodischen Gesichtspunkten. Beziehungen sind konstruktiv, wenn sie eine zugewandte emotionale Komponente haben. Voraussetzung dafür ist das Wahrnehmen eigener Gefühle im Wechselspiel mit denen anderer Menschen.
  • Kompetente Lehrerinnen und Lehrer verfügen über Deutungswissen und Interpretationsverfahren. So können sie individuelle und gruppendynamische Verhaltensweisen ihrer Schülerinnen und Schüler verstehen und angemessen handeln.
  • Sie können ihre eigenen Kräfte richtig einschätzen und sich somit auch vor Überforderung schützen. Sie verfügen mindestens über Strategien eines erfolgreichen Umgangs mit Stresssituationen.
  • Ihre Kompetenz zeigen Lehrerinnen und Lehrer nicht nur in der Umsetzung des Bildungsauftrages der Schule. Sie können sich auch gegenüber anderen Arbeitsfeldern (Familiäre Erziehung, Beratungsstellen, Sozialdienst usw.) abgrenzen. Souverän verhalten sie sich, wenn Sie Aufgabenzuschreibungen nicht kritiklos übernehmen, sondern auch zurückweisen und die Institutionen benennen, die für diesen Aufgabenbereich zuständig sind. So sind Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel nicht zuständig für die Fortbildung von Eltern in Erziehungsfragen.
  • Kompetenz von Lehrern und Lehrerinnen zeigt sich auch darin, dass sie sich erfolgreich zur Wehr setzen gegenüber ungerechtfertigten Angriffen von Eltern, Journalisten und Politikern. Versagen in Erziehungs- und Bildungsaufgaben muss dort bearbeitet werden, wo es entsteht und darf nicht auf jeweils andere projiziert werden.
  • Kompetentes Lehrerverhalten zeigt sich vor allem in der Wahrnehmung und Analyse von Verhaltensweisen, die aus frühkindlichem Bindungsmuster resultieren. So ist es möglich, dass sich Lehrkräfte nicht in die Inszenierungen ihrer Schüler und Schülerinnen verstricken lassen. Sie gehen konstruktiv mit Verhaltensweisen um, die aus unsicheren Bindungsmustern entstehen. So eröffnen sie ihren Schülerinnen und Schülern eine Chance, emotionale Sicherheit zu erwerben.
  • Sie regen das Lern- und Sozialverhalten ihrer Schülerinnen und Schüler nicht nur an, sie sind auch Unterstützer und Berater. Die Ergebnisse ihrer Arbeit halten sie fest. Sie stehen einer internen und externen Evaluation ihrer Arbeit positiv gegenüber.
  • Kompetente Lehrkräfte wissen, dass sie nicht nur Vermittler von Lerninhalten sind, sondern dass ihr Verhalten in den unterschiedlichsten Situationen Vorbildcharakter hat. Damit werden sie selbst in ihrem emotionalen, sozialen und kognitiven Habitus zum Inhalt von Lernprozessen.
  • Kompetente Lehrkräfte befinden sich in einem lebenslangen Lernprozess. Sie praktizieren Teamarbeit. Sie wissen und beherzigen, dass ein Gelingen ihrer komplexen Arbeit nur möglich ist, wenn sie sich den Zugang zu ihren Gefühlen offen halten. Sie wissen und beachten, dass emotionale Kompetenz das Fundament erfolgreicher Lernprozesse ist.

Karl Gebauer

Literatur:

Baumert, J. u.a.: Pisa 2000, Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, Leske + Budrich, Opladen 2001

Brisch, K.H.: Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1999

Deutsche Shell (Hrsg.): Jugend 2002, Fischer Taschenbuchverlag

Dornes, M.: Die emotionale Welt des Kindes, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a./M. 2000

Du Bois, Reimar: Jugendkrisen; erkennen, verstehen, helfen, becksche Reihe, C.H. Beck, 2000

Gebauer, K. u.a.: Was ist bloß mit den Kindern los? In: Grundschulzeitschrift, Heft 11, 1991

Gebauer, K.: „Ich hab sie ja nur leicht gewürgt.“ Mit Schulkindern über Gewalt reden, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1996

Gebauer, K.: Turbulenzen im Klassenzimmer. Emotionales Lernen in der Schule, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1997

Gebauer, K.: Wenn Kinder auffällig werden – Perspektiven für ratlose Eltern, Verlag Walter, Düsseldorf 2OOO a

Gebauer, K.: Stress bei Lehrern. Probleme im Schulalltag bewältigen. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2OOO b

Gebauer K. / Hüther, G. (Hrsg.): Kinder brauchen Wurzeln, Verlag Walter, Düsseldorf 2001

Gebauer, K.: Die Morde von Erfurt – Pädagogische Überlegungen, in: Religion heute, September 2002

Hüther, G.: Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997

Hüther, G.: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001

Hüther, G. / Bonney, H.: Neues vom Zappelphilipp. Walter Verlag Düsseldorf, 2002

Krause/Fittkau/Fuhr/Thiel (Hrsg.): Pädagogische Beratung, Schöningh, UZB, Paderborn, 2003

Omer Haim/von Schlippe Arist: Autorität ohne Gewalt, Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen, Vandenhoeck &Ruprecht, 2002

Redl, F., Wineman, D. (199O): Kinder die hassen. München. 4. Auflage

Rogge, Jan Uwe: Pubertät, Rowohlt, 1998

Schaarschmidt, Uwe / Fischer, Andreas W.: Bewältigungsmuster im Beruf,  Vandenhoeck & Ruprecht (2001)

MOBBING BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN

Foto: Anne Garti / pixelio.de

Foto: Anne Garti / pixelio.de

Steffi wollte nicht mehr zur Schule gehen“

Als ich hörte, was sie meiner Tochter angetan hatten, da hat sich in mir ein solcher Hass entwickelt, ich hätte sie alle verprügeln können,“ sagt eine Mutter über die ehemaligen Mitschülerinnen ihrer Tochter. Steffi sei während ihrer Grundschulzeit ein freundliches, zurückhaltendes, manchmal aber auch sehr wildes Mädchen gewesen. Sie sei gerne zur Schule gegangen, habe ihre Hausaufgaben gemacht und in ihrer freien Zeit mit ihren Freundinnen gespielt.

Im Verlauf der fünften und sechsten Klasse habe sich ihr Verhalten aber nach und nach verändert. Steffi habe immer öfters über Kopf- und Bauchschmerzen geklagt. Oft musste sie aus der Schule abgeholt werden. Sie habe auch nicht mehr zur Schule gehen wollen. Die ärztliche Untersuchung habe keine Anhaltspunkte für eine körperliche Erkrankung ergeben. Steffi fiel in den einzelnen Fächern um mehre Notenstufen ab. Sie besuchte eine Gesamtschule, strebte den Realschulabschluss an und schaffte nun nicht einmal den Abschluss an der Hauptschule. „Wir konnten uns das alles nicht erklären,“ sagt die Mutter. Erst als sich Steffis Situation dramatisch zuspitze, wurde das ganze Ausmaß ihres Leidens sichtbar. Sie war über lange Zeiträume gemobbt und in diesem Zusammenhang erpresst, geschlagen und mit einem Messer bedroht worden. Über Monate hatte sie die Schule nur noch sporadisch besucht, hielt sich im Bahnhof oder in der Innenstadt auf, ohne dass dies jemand aufgefallen wäre.

Als das Leben für Steffi unerträglich wurde, griff sie zum Telefonhörer, rief ihre Mutter an deren Arbeitsplatz an und sagte mit leiser Stimme, sie wolle sich das Leben nehmen.

Nun ging alles ganz schnell. Die Eltern hörten den Erzählungen ihrer Tochter zu und konnten kaum fassen, was alles passiert war. In der Rückschau sagt die Mutter: „Es war so schlimm, ich konnte nicht ertragen, was sie ihr alles angetan hatten. Ich kann mich nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Es ist so, als hätte ich alles in mir verschlossen. Ich spüre nur noch diesen unendlichen Hass auf Martina, ihre einstmals beste Freundin, von der alles ausging. Meine Tochter musste tun, was Martina von ihr verlangte. „Wenn du nicht machst, was ich sage, bist du nicht mehr meine Freundin – dann bist du meine Feindin,“ habe Martina gesagt. Steffi habe dann alles gemacht bzw. auch alles mit sich machen lassen. Schließlich habe sie keinen Ausweg mehr gewusst. Deswegen habe sie sich umbringen wollen. Die Erzählung der Mutter verläuft stockend. Sie muss immer wieder weinen. Schließlich erzählt sie mit leiser Stimme, Jahre später sei Steffi selbst zur Mobberin geworden, habe sogar zusammen mit einer Mitschülerin einem Schüler gedroht, ihn zu ermorden.

Wie kann man all das verstehen und wie können Lehrerinnen und Lehrer in solchen Situationen angemessen handeln?

Ein hilfloses Opfer – desinteressierte Lehrkräfte

In diesem Bericht werden wichtige Strukturmerkmale von Mobbing sichtbar. Eine Täterin schart mehrere Mädchen um sich. Gemeinsam führen sie die unterschiedlichsten Demütigungsaktionen durch. Das Opfer fühlt sich hilflos, findet aber noch die Kraft, seine Eltern einzuweihen. Die zeigen Empathie, werden aktiv, finden allerdings bei den Lehrerinnen kein Verständnis.

Hier wird ein sehr kritischer Aspekt sichtbar: Wenn Lehrerinnen und Lehrer eine solche Situation nicht richtig einordnen, wenn ihnen das Problembewusstsein dafür fehlt, dann gerät das Opfer in eine hoffnungslose Situation. Die Macht der Mobber wird umso stärker, je mehr sie spüren, dass ihnen von den Lehrerinnen und Lehrern nicht Einhalt geboten wird. Ganz anders entwickelt sich eine Situation, wenn sich die verantwortlichen Lehrer um eine konstruktive Bearbeitung kümmern.

Was ist Mobbing?

Mobbing ist ein aggressiver Akt und bedeutet, dass ein Schüler oder

eine Schülerin über einen längeren Zeitraum von Mitschülern belästigt, schikaniert oder ausgegrenzt wird. Mobbingprozesse laufen in der Regel verdeckt ab. Mobber wollen treffen aber selber nichts abbekommen. Die Opfer fühlen sich hilflos und können sich nicht alleine aus ihrer Isolation befreien. In Einzelfällen geraten auch die Eltern von Mobbingopfern in die Isolation.

Erscheinungsformen von Mobbing

Die äußeren Merkmale von Mobbing, die Ereignisse auf der Handlungsebene, lassen sich relativ einfach beschreiben und beinhalten doch gleichzeitig ein Geheimnis. Ein Kind erzählt zum Beispiel zu Hause, sein Mathematik-Buch sei verschwunden. Wer würde in einem solchen Fall gleich an Mobbing denken? Oft regieren Eltern so, dass sie zusammen mit ihrem Kind überlegen, auf welche Weise das Buch gesucht werden könne. Ein andermal berichtet das Kind vielleicht, Mitschüler würden hinter seinem Rücken tuscheln. Eltern und auch Lehrerinnen und Lehrer betrachten solche Verhaltensweisen oft als alterstypisch und messen ihnen keine besondere Bedeutung zu. Ein Mobbingopfer kann in der Regel nicht mitteilen, dass dies nicht nur alterstypische Einzelfälle sind, sondern dass es sich um gezielte und anhaltende Demütigungen handelt. Ein Opfer versteht nicht, was die anderen mit ihm machen. Für die Erfahrung, dass es plötzlich alle – oft auch die besten Freundin / den besten Freund- gegen sich hat, gibt es in seinem neuronalen Netz kein Muster des Verstehens. Vielleicht wird es noch das eine oder andere Mal zu Hause von merkwürdigen Vorfällen berichten, ohne dass jemand erkennt, dass es sich um einen Mobbingprozess handelt. Das Opfer selbst glaubt nach und nach, dass seine Wahrnehmungen falsch sind.

Wenn in einem solchen Fall der Initiator von Mobbing merkt, dass ihm kein Widerstand entgegengebracht, sein Handeln sogar von Mitschülern toleriert und von einigen sogar unterstützt wird, dann kann seine Machtentfaltung grenzenlos werden.

Wenn in der Folge die Bedrohungen und tatsächlichen Angriffe an Intensität zunehmen, wenn ein Kind erpresst, auf dem Heimweg verfolgt und vielleicht sogar angepinkelt wird, bedeutet das immer noch nicht, dass das betroffene Kind darüber reden könnte. Dass man all das mit ihm machen kann, führt zu einer tiefen Scham, die es schweigen lässt. Oft ist der Selbstwertverlust eines Opfers zu diesem Zeitpunkt bereits so groß, dass es zu keinem Menschen mehr Vertrauen hat. Es ist dem Mobber / der Mobberin völlig ausgeliefert.

Damit die einzelnen Vorgänge in einen Zusammenhang gesehen und als permanente Demütigung gedeutet werden können, bedarf es der Interpretation. Die einzelnen Ereignisse für sich genommen können in jedem Kindergarten und in jeder Schule vorkommen. Erst wenn sie sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, alle Mitschüler mitmachen oder mindestens zu den Vorgängen schweigen, kann man von Mobbing sprechen.

Eltern, Lehrerinnen und Lehrer können etwas tun

Damit ein Mobbingprozess möglichst früh erkannt wird, sollten Eltern, Erzieherinnen und Lehrer auf ganz alltägliche Dinge achten. Mobbing kann sich andeuten, wenn z.B. Kleidungsstücke versteckt oder zerstört werden, Hefte und andere Materialien verschwinden, Schulsachen oder das Fahrrad beschädigt werden, wenn über ein Kind hinter seinem Rücken schlecht geredet wird oder Gerüchte verbreitet werden. Manchmal wird ein Kind vor andern lächerlich gemacht, z.B. beim Lösen einer Aufgabe an der Tafel. Mitschüler machen Andeutungen, flüstern. Es kommt vor, dass ein Schüler oder eine Schülerin nicht bei Gruppenarbeiten mitmachen darf oder man verbietet dem Opfer, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Kinder, die sich mit dem Mobbingopfer solidarisieren, werden unter Druck gesetzt, es kommt auch zu körperlichen Übergriffen; unter Jugendlichen kommt es zu sexuellen Diffamierungen, Verleumdungen; Demütigungen erfolgen mit Worten und Zeichnungen auf Zetteln, in Schülerzeitungen und in Briefen. Die Merkmale von Mobbing haben sich in der heutigen Zeit ausgeweitet. Oft werden Opfer in demütigende Situationen gebracht und dabei mit dem Handy fotografiert. Anschließend werden die Szenen gemeinsam angeschaut, als e-Mail verschickt oder gar ins Internet gestellt. Die Liste der Demütigungen, die einen Mobbingprozess ausmachen, könnte weiter fortgesetzt werden.

Will man Mobbingopfern helfen, dann ist es wichtig, die innere Struktur von Mobbingabläufen zu erfassen.

Strukturen von offener Gewalt und Mobbing

Mobbing unterscheidet sich in seiner Struktur von anderen Arten der Gewaltausübung. Es ist daher hilfreich, sich die Struktur von offenen Gewaltsituationen und von Mobbing bewusst zu machen

In Gewaltsituationen werden Kinder und Jugendliche oft von einem Täter angegriffen. Manchmal bilden sich Gruppen oder Banden, die gegeneinander kämpfen. Meistens ist diese Art der Gewaltausübung offen erkennbar. Sie wird angedroht, findet aber oft auch ohne Vorwarnung statt. Potenzielle Opfer können versuchen, die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, einzuschätzen, Alternativen zu erwägen oder auch Hilfe zu holen. Gelegentlich haben sie verständnisvolle Helfer, die sich schützend vor sie stellen und sich um eine Deeskalation bemühen. Streitschlichter oder Schüler-Mediatoren können durch ihr professionelles Handeln die Atmosphäre in einer Klasse oder der Schule positiv beeinflussen.

Mobbing zeichnet sich durch eine andere Grundstruktur aus, auch wenn es dabei um eine Gewalthandlung geht. In Mobbingporzessen gruppieren sich um einen Täter aktive Mitläufer. Der Täter bindet sie oft über Gewaltandrohung oder die Drohung, die Freundschaftsbeziehung aufzulösen, an sich. Diese Mitläufer unterstützen den Täter. Die Aktionen laufen so ab, dass sie meistens von allen Schülern einer Klasse – nicht aber von den Lehrerinnen und Lehrern – wahrgenommen werden. Gegenüber dem Lehrpersonal verhalten sich die Täter oft äußerst höflich. Wenn die Lehrkräfte die Vorgänge nicht durchschauen und nicht eingreifen, kann sich ein Täter im Extremfall alles erlauben. Seine Macht wächst in den Augen seiner Mitschüler, während die Autorität der Lehrkräfte schwindet. Sie erscheinen als schwach und werden deswegen von Mitläufern oder Opfern nicht um Hilfe gebeten. Ein nicht beachteter Mobbingprozess kann die gesamte Atmosphäre einer Klasse vergiften. Mitläufer beteiligen sich oft, weil sie hoffen, dadurch nie in die ausweglose Situation eines Opfers zu geraten. (Gebauer, 2005)

Was verbirgt sich hinter der Quälerei und Ausgrenzung in Klassenzimmern?

Jeder Mensch kann Opfer von Mobbing werden. Diese Feststellung basiert auf der Analyse vieler Mobbingsituationen. Von der Vorstellung, es gäbe das typische Opfer sollten wir daher möglichst umgehend Abschied nehmen. Ebenso sollten wir die Annahme hinter uns lassen, das Opfer trage eine Mitschuld an dem, was ihm zugeführt wird.

Hinsichtlich der Faktoren, die zu einer Täterschaft führen, herrscht noch weitgehend Unsicherheit. Man geht davon aus, dass viele Faktoren eine Rolle spielen können. Zum Glück haben viele Menschen innere Muster ausgebildet, die sie vor einer potenziellen Täterschaft schützen. Sie verfügen über Resilienzsfaktoren, die im Rahmen einer gelingenden Persönlichkeitsentwicklung aufgebaut werden konnten. Vor diesem Hintergrund soll nun in aller Vorsicht angedeutet werden, welche Faktoren bei einer Täterschaft eine Rolle spielen können.

Die Lebenssituation von Mobbern zeichnet sich oft durch große Unsicherheit aus. Spätere Täter haben während ihrer Kindheit nicht die Zuwendung und Beachtung erfahren, die zu einem gesunden Selbstwertgefühl führt. Manchmal sind sie selbst Opfer von Demütigungen und Gewalt gewesen. (Cierpka, 2001) Die inneren Muster eines Mobbers kann man als Versuch ansehen, eigene Ohnmachtserfahrungen zu überwinden, indem er gegenüber Schwächeren Macht ausübt. (Erdheim, 2002) Es geht um den untauglichen Versuch, eigene Unsicherheit und Angst in ein Gefühl von Sicherheit zu verwandeln. Mobbing lässt sich aber nicht nur aus frühkindlichen Mangelerfahrungen (Brisch, 1999; Dornes, 2000) erklären. Die Phase des Erwachsenwerdens, die mit der Pubertät eingeleitet wird, hält beispielsweise viele Verunsicherungen bereit. (Streck-Fischer, 2002, 2004) Sicherheit verschaffen sich Jugendliche dann überwiegend über gelingende Freundschaften. Die aber sind oft brüchig. So entsteht die paradoxe Situation, dass das starke Verlangen nach einer sicheren Freundschaft dann in eine Mobbingsituation umschlagen kann, wenn der Wunsch nicht in Erfüllung geht. Unterschiedliche Entwicklungsverläufe bei Jugendlichen können dazu führen, dass sich einstmals gute Freundinnen nicht mehr verstehen. Dies kann mit dazu beitragen, dass das „Fremde“ am Verhalten der Freundin abgelehnt und im Rahmen eines Mobbingprozesses abgewehrt wird. So kann eine Freundin zur Feindin werden, ohne dass sich die Jugendlichen der Ursachen ihres Verhaltens bewusst sind.

Mobbing kann in der Schule begünstigt werden durch fehlende emotionale Achtsamkeit, Vernachlässigung des Beziehungsaspektes in Unterrichtssituationen, einseitige Betonung der Leistungskriterien und Nichtbeachtung der gruppendynamischen Prozesse in einer Klasse.

Betroffene Kinder leiden und schweigen oft über lange Zeiträume

In der Regel sind alle Schüler einer Klasse, auch wenn sie in unterschiedlichen Rollen (Mobber, Opfer, Mitläufer, Zuschauer) agieren, mit den Vorgängen vertraut. Mobbing ist daher kein individuelles, sondern ein soziales Phänomen. Beteiligte Personen – auch die Täter – senden fast immer Signale. Diese müssen von den Erwachsenen wahrgenommen, gedeutet und als Ausgangspunkt für Klärungsgespräche genutzt werden. Es sollten daher auch alle Schüler einer Klasse in geeigneter Weise an einer Klärung beteiligt werden. Gespräche können Veränderungen bewirken, wenn Lehrer und Lehrerinnen die dem Mobber überlassene Macht wieder an sich nehmen.

Lehrer müssen Ausgrenzungen wahrnehmen und als Machtdemonstrationen begreifen, die sich Schüler oder Schülerinnen vor ihren Augen erlauben. Wenn Lehrkräfte eine solche Situation nicht richtig einordnen, dann gerät das Opfer in eine hoffnungslose Lage. Merken das die Mobber, werden sie immer mächtiger und können sich noch mehr erlauben. Insofern können Lehrer, die das nicht beachten, Mobbing-Prozesse begünstigen. Ganz anders aber entwickelt sich eine Situation, wenn die Lehrer eingreifen. Wird eine Mobbing-Situation aufgedeckt, verlieren Mobber und Mitläufer ihre Macht.

Der konstruktive Umgang mit Mobbing muss gelernt werden. In den vergangenen Jahren haben sich Lehrer verstärkt um Konfliktregelung und Gewaltprävention in der Schule bemüht. Hier sind große Fortschritte erreicht worden. Mobbing kann allerdings nur erfolgreich bearbeitet werden, wenn man die innere Dynamik solcher Prozesse versteht. Im Kern geht es um die intensive Erfahrung von Ohnmacht, Scham und Angst auf der Opferseite. Ein Mobbingopfer verliert jegliche Orientierung und Sicherheit. Denn es sind schlagartig alle Beziehungen zu Mitschülern unterbrochen. Auch das Vertrauen in Freundschaften geht verloren.

Wird eine Schülerin oder ein Schüler Opfer von Mobbing, so führt das in der Regel zu einem fassungslosen Staunen. Opfer können die Ereignisse mit ihren Verstehensmustern nicht zur Deckung bringen. „Das darf doch nicht wahr sein, was die mit mir machen,“ ist ein häufiger Ausspruch. Wenn diese Schüler keine zugewandte Unterstützung erhalten, kann es in der Folge zu Entwicklungen kommen, die sich über lange Zeiträume hinziehen und nicht nur das Lernvermögen der betroffenen Schülerinnen und Schüler einschränken, sondern vor allem ihr gesundheitliches Befinden beeinträchtigen und ihr Selbstwertgefühl schwächen.

Emotionale Kompetenz der Erwachsenen ist gefragt

In Erziehungsprozessen geht es um den Aufbau eines Netzes von verlässlichen, sensiblen zwischenmenschlichen Beziehungen. In Mobbingprozessen wird genau diese Entwicklung aufs Äußerste gestört. Mobbing ist seinem Wesen nach destruktiv. Das geht soweit, dass ein Opfer zum Täter werden kann. Damit Lehrerinnen und Lehrer vor diesem Hintergrund konstruktive Erziehungsarbeit leisten können, ist es erforderlich, dass sie selbst über ein hinreichendes Maß an emotionaler Kompetenz verfügen. (von Salisch, 2002) Nur über ein emotional tragendes Beziehungsangebot sind Mobbingprozesse lösbar. Die Entwicklung emotionaler Kompetenz ist auf Sicherheit bietende Beziehungen angewiesen und emotionale Sicherheit gibt es nur über Beziehungssicherheit. In Mobbingprozessen ist diese Sicherheit bis aufs äußerste bedroht. Sie hängt oft nur noch an einem seidenen Faden.

Der Freiburger Psycho-Neuro-Immunologe Prof. Bauer geht davon aus, dass ein systematischer sozialer Ausschluss zu chronisch biologischem Stress führt, der zu einem Krankheitsbild mit einem „Selbstzerstörungsprogramm“ führt. Ein solches Programm hat die Botschaft: „Du bist nichts wert, ich kann dich behandeln wie eine wertlose Sache, man darf und sollte dich zerstören. Bauer geht noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt: „Im Verlauf einer Überwältigungstat geht das Handlungsprogramm des Täters {…} auf das Opfer über. Dieser Vorgang läuft komplett unbewusst ab. Auch seine Folgen sind unwillkürlich und dem Bewusstsein entzogen {…}. (Bauer, 2005, S. 113 ff.)

Die Übernahme der Täterrolle ergibt sich nicht zwangsläufig. Solche Entwicklungen sind vor allem dann möglich, wenn dem Opfer keinerlei Empathie und Hilfe von Dritten entgegengebracht wird. Wird hingegen über die Ereignisse gesprochen und werden die Gefühle beachtet, dann können die Handlungsstrukturen erkannt und reflektiert werden. Auf diese Weise kann ein anderes Verhalten gelernt werden. (Gebauer, 1996, 1997, 2000a, 200b).

Im kommunikativen Prozess wird das Handeln und Erleben des Täters ebenso thematisiert wie das Erleben des Opfers. In der Bearbeitung des emotionalen Erlebens liegt die Chance, den Gesamtzusammenhang zu erkennen und neue Strukturen für erfolgreiches Handeln zu entwickeln. Das setzt voraus, dass die Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern eine vertrauensvolle Beziehung anbieten. (Gebauer / Hüther, 2004)

Erfolgreicher Umgang mit Mobbingsituationen ist im Zusammenhang der Gesamtentwicklung einer Person und der gruppendynamischen Entwicklung in Schulklassen zu sehen. Die erfolgreiche Arbeit an einem individuellen Fall setzt kompetentes Verhalten voraus,

Erfolgversprechendes Handlungsmodell

In Anlehnung an Antonovsky (1998) hebe ich drei Aspekte hervor, die emotional kompetentes Verhalten von Erwachsenen beschreiben: Bedeutsamkeit, Verstehbarkeit und Handlungsfähigkeit.

Bedeutsamkeit

Alle Verhaltensweisen eines Menschen – auch wenn sie uns nicht gefallen – haben in seiner “Selbstkonstruktion” eine Bedeutung. Auffällige Gesten und Verhaltensweisen sind Botschaften, oft lebenswichtige Signale der Kinder, hinter denen sich ernstzunehmende Probleme verbergen. Oft werden diese Kinder nicht verstanden. Sie müssen nun stärker mit sich selbst kommunizieren. Manche ziehen sich in ihre innere Welt zurück, andere werden unruhig und oft auch aggressiv. Da sie nicht verstanden werden, sich auch nicht verstanden fühlen, müssen sie zu immer stärkeren Mitteln der Darstellung ihrer emotionalen Unsicherheit greifen.

Voraussetzung für das Erkennen dieser Zusammenhänge ist ein Wissen, das sich Lehrer und Lehrerinnen zusätzlich zu ihrem bisherigen Studium aneignen sollten. Fundgruben zur Wissenserweiterung liegen vor allem in den Nachbarwissenschaften der Entwicklungspsychologie, Psychoanalyse, Psychotherapie, Säuglings-, Bindungs- und Hirnforschung. In jedem Fall bedarf es des Interesses an den Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen.

Verstehbarkeit

Lehrer und Lehrerinnen müssen sich in der Interpretation bestimmter Schülerverhaltensweisen üben. Sie sollten auch lernen, die emotionale Dynamik, die in einer Klasse herrscht, zu verstehen. Eine wichtige Grundlage für die konstruktive Bearbeitung von belastenden Situationen ist eine hinreichende Interpretationskompetenz. Das Bemühen von Lehrerinnen und Lehrern bei der Lösung von Konflikten ist oft deswegen so erfolglos, weil eine falsche oder unzureichende Interpretation des Gesamtgeschehens vorliegt. Oft kommt es vorschnell zu moralischen Verurteilungen. Kinder inszenieren in der Schule ihre inneren Probleme. (Leber, 1986) Wenn Lehrer emotionale Achtsamkeit walten und sich nicht in die Inszenierungen verstricken lassen, dann helfen sie den Kindern und Jugendlichen bei der Entwicklung ihres Selbst- und Sozialkompetenz. Die Aufgabe besteht darin, genau wahrzunehmen, was sie in Szene setzen, ihre Handlungen zu interpretieren und selbst Ideen einzubringen. Die emotionale Souveränität, die Lehrer bei der Klärung von Konflikten ausstrahlen, wirkt sich positiv auf die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse der Schüler und Schülerinnen aus. Das Wegsehen ist nicht nur mit Gleichgültigkeit zu erklären. Oft geschieht es vor dem Hintergrund eigener Ratlosigkeit. (Hilgers, 1997)

Handlungsfähigkeit

Nach der Analyse von vielen Gewaltsituationen, wie sie in der Schule auftreten, halte ich fest, das es in der Mehrzahl aller Fälle um den untauglichen Versuch geht, über Gewaltanwendung und Demütigung eine emotionale Stabilisierung zu erreichen. Das Muster sieht so aus: Wenn ich einen anderen Menschen schlage, dann kann ich mich für eine Weile groß und mächtig fühlen (Größenfantasie). Lange hält dieses Gefühl nicht an. Dann muss erneut gedemütigt und geschlagen werden.

Mit diesem Verhalten lösen Schülerinnen und Schüler bei Lehrkräften, Erzieherinnen und Eltern Gefühle wie Hilflosigkeit und Wut aus. Nun kommt es in der pädagogischen Situation auf angemessenes Handeln an. Gefühle öffnen Zugänge zur Welt dessen, der sie in uns auslöst. (Ciompi, 1997) Damit dies gelingt, braucht es das Element der Reflexion. Leider haben die meisten Lehrkräfte das Zusammenspiel von Emotion, Ratio und Handlung im Rahmen ihrer Aus- und Fortbildung nicht oder in nicht ausreichendem Maße gelernt. Viele von ihnen fürchten sich auch vor der Betrachtung der eigenen Emotionen im pädagogischen Prozess.

Erfolgreiche Formen der Konfliktklärung scheinen ohne die Komponenten der wohlwollenden Zuwendung nicht möglich zu sein. Schon in der Motivation, sich mit Konflikten zu beschäftigen oder sie abzutun, sind Lösungen oder Nicht-Lösungen vorgegeben. Aus einer durch Ablehnung des Schülers gekennzeichneten Haltung, was auch immer passiert sein mag, kann man nicht erfolgreich handeln. Wer sich scheut, sein emotional beeinflusstes Handeln mit einer kritischen Selbstreflexion zu verbinden, hat kaum Aussicht auf erfolgreiche Interaktionen mit seinen Schülerinnen und Schülern.

Kompetentes Verhalten in Mobbingsituationen kann über gruppendynamische Arbeitsformen gelernt werden. Auf der Handlungsebene bieten sich viele Formen an wie:

Gespräche in kleinen Gruppen, mit der gesamten Klasse, Elternabende.

Dabei kommt es darauf an, allen Beteiligten genügend Zeit für die Darstellung ihrer Erzählungen zu geben. Gegenseitiges Zuhören steht im Mittelpunkt und nicht das kriminalistische Aufklären von Sachverhalten.

Leider werden hier oft grundlegende Fehler gemacht, die sich ungünstig auf eine konstruktive Bearbeitung auswirken oder diese ganz verhindern können. Einstiegsmöglichkeiten in „Teufelskreise“ gibt es viele. Aus meiner Sicht gehören Vorstellungen dazu wie: „Es muss eine schnelle Lösung her.“ „Typisch – selber schuld.“ „Das machen die doch alle mal.“ „Dafür habe ich keine Zeit.“ „Dem trau ich das nicht zu (die Täterrolle).“

In all diesen Äußerungen zeigt sich nur eine geringe oder keine Bereitschaft, das Phänomen ernst zu nehmen und es als Unterrichtsinhalt für die Entwicklung der Persönlichkeit und die soziale Kompetenz anzusehen.

Ein grundlegendes Hemmnis bei einer konstruktiven Bearbeitung von Mobbing liegt darin, dass alle beteiligten Personen hoch emotionalisiert sind. Es bedarf daher einer Kompetenz, die es ermöglicht mit Gefühlen wie Angst, Ohnmacht und Scham umzugehen.

Wie können Eltern in der konkreten Situation helfen?

Eltern sollten mit Interesse die Entwicklung ihrer Kinder begleiten, ein waches Auge und ein offenes Ohr für ihre Signale haben. So können sie am ehesten wahrnehmen, ob ihr Kind in irgendeiner Weise in eine Mobbingsituation verstrickt ist. Gibt es eine solche Vermutung, dann sollte umgehend in vertrauensvollen Gesprächen mit anderen Eltern, mit den Lehrerinnen und Lehrern versucht werden, die Situation zu klären. So schmerzlich eine Mobbingsituation für die Betroffenen ist, sie bietet auch die Chance, über einen konstruktiven Dialog zu neuen Einsichten und Bewertungen und damit zu einer Erweiterung der eigenen psychosozialen Kompetenz zu kommen.

Ist Prävention möglich?

Es ist notwendig, über Schutzfaktoren nachzudenken, die die Gefahr einer Verwicklung in Mobbingsituationen möglichst gering hält. Ein gut ausgebildetes Selbstwertgefühl gehört zu den wichtigsten Schutzfaktoren. Kinder und Jugendliche mit einem guten Selbstwertgefühl sprechen die Ereignisse, die bei Mobbing stattfinden, relativ schnell mit Personen ihres Vertrauens an. Das können die Eltern, Mitschüler oder Lehrerkräfte sein. Eine fatale Verstärkung erfahren Mobbingprozesse allerdings, wenn die angesprochenen Personen den Ernst der Situation nicht erfassen oder nicht angemessen reagieren. Damit schwächen sie die Position des Opfers und stärken die Macht der Mobber.

Eine gute Möglichkeit der Prävention liegt in der Bearbeitung des Problems über ein Theaterprojekt, bei dem Schülerinnen und Schüler unter kundiger Anleitung eigene Erfahrungen einbringen und inszenieren können. Im Spiel erschaffen sie sich eine gemeinsame Erfahrungswelt. Das Spiel gibt einen Rahmen vor, in dem Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf dieses äußerst brisante Problemfeld richten können. Das Thema wird auf diese Weise sehr dicht erlebt und es bleibt wegen des Spiels immer auch eine Distanz zu realen Erlebnissen. Die gemeinsame Erarbeitung schafft die Möglichkeit, sich in die emotionale Situation der Täter, Mitläufer und Opfer zu versetzen und aus der jeweiligen Perspektive an der Gestaltung des Stückes mitzuwirken.

Die Schülerinnen und Schüler können im Rahmen eines solchen Projektes innere Muster ausbilden, durch die sie potenzielle Mobbingsituationen früh erkennen und auch in einem konstruktiven Sinne damit umgehen können. Im Spiel setzen sie sich mit dem in der Realität sehr belastenden Problem auseinander, erproben unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten und stärken so sie ihr Selbstbewusstsein. Die beteiligten Personen erleben Aufregung und Anspannung. Es stell sich schließlich Freude am Gelingen der Spielhandlung und der gefunden Lösungen ein.

Eine öffentliche Aufführung des Stückes in der Schule kann als Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen dienen.

Wie kommt man am ehesten raus aus der Mobbingfalle?

Es gibt, das ist die positive Botschaft, gute Möglichkeiten, Mobbingprozesse als Anlass für konstruktive psychosoziale Lernprozesse zu nehmen. Eine erfolgreiche Bearbeitung einer solchen Situation, die von intensiven Gefühlen geprägt ist, setzt voraus, dass in Klärungsgesprächen diese Gefühle thematisiert werden. Da Lehrkräfte solche Formen in ihrer Aus- oder Fortbildung in der Regel nicht gelernt haben, ist es wichtig, sich diese emotionale Kompetenz in kleinen Gruppen anzueignen. (Gebauer 2005, siehe Kasten)

Was kann aus der Klärung von Mobbingsituationen gelernt werden?

Wenn es Lehrerinnen und Lehrern gelingt, Mobbing in behutsamer Weise zu bearbeiten, dann können alle Beteiligten daraus einen Nutzen ziehen. Sie sind künftigen Mobbingsituationen nicht mehr hilflos ausgeliefert.Das gilt für Täter und für Opfer. Aufgedeckte und bearbeitete Mobbing-Situationen tragen zur Entwicklung psychosozialer Kompetenz bei. Sie schaffen auf diese Weise einen Schutz vor künftigen Mobbingsituationen. Der entscheidende psycho-soziale Lernerfolg für Opfer, Täter und Mitläufer liegt in der Erfahrung, dass es Menschen gibt, die sich in vorbildhafter Weise um die Klärung einer verworrenen und oft wenig durchschaubaren Situation helfend eingemischt haben. Dabei kann von den Schülerinnen erlebt werden, dass die verantwortlichen Erwachsenen nicht nur in einem kognitiven Sinne – oft vermischt mit kriminalistisch geprägten Aufdeckungsverfahren – sondern vor allem im Geist einer auf Verständnis ausgerichteten Zuwendung tätig sind, dass sie Interesse an den betroffenen Schülerinnen und Schülern und ihren Verhaltensweisen haben. Und dass es ihnen darum geht, mit ihnen gemeinsam Wege aus der Mobbingfalle zu gehen. So kann der Umgang mit Mobbing eine heilsame Wirkung entwickeln. Unbeachtete und unbearbeitete Mobbingsituationen hingegen können ihre destruktive Wirkung auf die beteiligten Kinder voll entfalten.

Lernwege zu einem konstruktiven Umgang mit Mobbing

Die Arbeit in vielen Erwachsenengruppen ist oft ineffektiv, weil Arbeitsformen gepflegt werden, die kreative und lösungsorientierte Aktivitäten nicht zulassen. Es herrscht weitgehend noch die Vorstellung, man müsse nur eine Konzeption für die Lösung erkannter Probleme erarbeiten. Das ist natürlich ein Trugschluss, denn er berücksichtigt in keiner Weise, dass es auf die psychosoziale Kompetenz der handelnden Person ankommt. Es muss daher primär um den Aufbau einer inneren Stärke gehen.

Gruppendynamische Kompetenz und wertschätzende Resonanz

Kinder und Jugendliche bleiben nur dann Entdecker, wenn sie sich als Urheber ihrer Lernprozesse erleben. Übertragen auf Lehrerinnen und Lehrer bedeutet das, dass sie vor allem dann Konflikte lösen können, wenn sie sich dabei als Urheber der Lösungen erleben können. Kinder brauchen bei ihren Lösungsversuchen eine wohlwollende Resonanz. So entsteht Vertrauen. Damit unsere Motivation erhalten bleibt, selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen nach Lösungen zu suchen, brauchen wir eine wohlwollende Resonanz. Nun ist es in Mobbingprozessen leider so, dass diese wohlwollende Resonanz bereits zerstört ist. Misstrauen und gegenseitige Vorwürfe prägen die Situation.

Schnell schaltet sich das Stresssystem ein und führt die Beteiligten oft in eine ausweglose Situation. Die Folge ist gegenwärtig an vielen Schulen zu beobachten. Viele Lehrerinnen und Lehrer werden mit den überbordenden Problemen nicht mehr fertig. Aufgeschlossene Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Lehrerinnen könnten sich durch das Praktizieren von erfolgreichen Arbeitsmethoden das Leben erleichtern. Es kommt darauf an, dass sich an einer Schule mindestens eine Gruppe für den konstruktiven Umgang mit Mobbing verantwortlich fühlt. Sie sollte sich als Team für Konfliktlösungen verstehen. Ein solches Team hat sich z.B. am Otto-Hahn-Gymnasium in Göttingen gebildet (http://www.ohg.goe.ni.schule.de/a_z/b/0604big/big.htm )Der kompetente Umgang mit Mobbing sollte in der Pädagogischen Konzeption einer Schule verankert sein.

Es hat sich bewährt, in der konkreten Arbeit die folgenden Grundsätze zu berücksichtigen:

1. Eine Gruppenarbeit sollte mit einer Reflexionsphase beginnen. So erhält jedes Mitglied die Chance, in sich hineinzuhören und das wirklich wichtige Problem zu erfassen.

2. Jedes Gruppenmitgliede soll anschließende die Möglichkeit erhalten, anzudeuten, mit welchem Arbeitsproblem es z.Zt. befasst ist.

3. Danach sollten die einzelnen Teilnehmer für sich klären, ob sie ihr Problem der Gruppe als Thema zur Verfügung stellen wollen.

4. Bei Mobbingsituationen hat sich die Methode der „Aufstellung“ (Gebauer, 2005 a, S. 128 ff.) sehr bewährt. Entscheidend für die Lösung ist die gegenseitige Wertschätzung. Das schließt z.B. aus, dass man dem anderen eine Lösung vorschreibt. Meistens gibt es mehrere Lösungswege, die entdeckt werden und dann vom jeweiligen Problemsteller eingeschlagen werden können.

5. Das Verfahren sollte von einer emotionalen Achtsamkeit begleitet werden. Das heißt, alle Teilnehmer konzentrieren sich auf das Problem. Äußerungen, die vom Kern ablenken, sollten unterbleiben. Die Beiträge stehen im Dienst der Problemklärung und sollen dem Problemsteller Anregungen geben, künftig gut mit der problematischen Situation umgehen zu können.

6. Der Problemsteller /die Problemstellerin entscheidet selbst ob in den Anregungen potenzielle Lösungen für ihn liegen, die er meint umsetzen zu können.

Bei einer solchen Arbeitsweise kommt der Urheberschaft von Lösungsprozessen eine entscheidende Bedeutung zu. Wer – außer dem Problemsteller – sollte das Problem lösen? Wenn die erforderliche Lösung allerdings seine Möglichkeiten übersteigt, muss nach Alternativen gesucht werden.

Kommt der Problemsteller / die Problemstellerin künftig besser mit der Situation klar, dann kann er / sie diesen Erfolg für sich verbuchen. Es stellt sich Zufriedenheit ein. Der Kreislauf des Motivationssystems, der sich auszeichnet durch Vertrauen, Selbstwirksamkeit und Freude ist aktiv.

Empathie in Klärungsgesprächen – Eine Frage der Haltung

(Ein Beispiel für eine konstruktive Bearbeitung einer Gewaltsituation)

Gewaltsituationen ereignen sich oft in Momenten, in denen man nicht mit ihnen rechnet. Eine solche Situation will ich kurz beschreiben und im Anschluss daran darstellen, welches methodische Vorgehen ratsam und erfolgreich sein kann. Dabei möchte ich auf die inneren Vorgänge aufmerksam machen, also auf die potenziellen Handlungsmuster im Gehirn der Kinder und des Lehrers.

Beispiel: „Die Wut ist weg“

In einer Mathematikstunde in einer vierten Klasse herrscht an diesem Tag eine sehr schöne Arbeitatmosphäre. Plötzlich schlägt Tilmann ohne Vorwarnung auf Lukas ein.

Ich schreie, dass er sofort aufhören solle. Alle Kinder blicken erschrocken auf.

Meine Gefühlslage zu Beginn des Konfliktes war sehr entspannt. Von dem Vorgang war ich total überrascht. Nun war es zunächst an mir, mich mit meiner inneren Gefühlswelt zu beschäftigen. Ich spürte Enttäuschung, Verärgerung und Wut. Gleichzeitig wurde mir klar, dass nun neben die mathematischen Inhalte ein sozial-emotionales Thema getreten war. Ich kam zu einer inneren Ruhe, bat die beiden Schüler zu mir und fragte sie nach den Ursachen. Bereitwillig erzählten sie von ihrer Wut. Tilmann begründete seine aggressive Aktion damit, dass er die Aufgaben nicht verstanden hätte, deswegen habe er bei Lukas abgeschrieben. Dieser habe das der Tischrunde mitgeteilt und darüber sei er in eine so große Wut geraten. Er habe zuschlagen müssen.

Das Ereignis berechtigt nicht zu diesem Gewaltakt. Aber – wenn man die ungünstigen Bedingungen betrachtet, unter denen Tilman aufgewachsen ist (mehrere Wechsel von seinen Pflegefamilien in ein Kinderheim und wieder zurück in eine neue Pflegefamilie), dann kann man verstehen, warum er so handelt. Dieses Verstehen bedeutet nicht, dass es geduldet wird. Empathisches Verhalten in dieser Situation bedeutet, den Ablauf der Ereignisse mit den Schülern zu besprechen, ihre Gefühlswelt zu erkunden und nach Verarbeitungsmöglichkeiten zu suchen.

Nachdem beide Schüler von ihrer übergroßen Wut berichtet hatten, zeichnete ich ihnen Messbecher für diese Wut. Sie quollen über, so stark war ihre Wut. Als ich die Bitte äußerte, ich würde gerne mehr über ihre Wut erfahren, da sagte Lukas, er komme sich vor wie ein Riese, der Tilman zermatschen würde. Dieser kontert damit, dass er sich als Dinosaurier sehe, der wiederum den Riesen auffressen würde.

Das sind typische Größenphantasien, mit denen sich die Kinder in der Situation „retten“ wollen. Es ist nun an uns, sie wieder mit der Realität zu konfrontieren. Ich zeichne für jeden Jungen noch einmal einen Messbecher für ihre Wut. Und zu meinem großen Erstaunen, ist bei Tilmann nur noch ein kleiner Klecks von der Wut zu sehen und die Wut von Lukas, so hat er es gezeichnet, läuft gerade aus dem Becher heraus. Unmittelbar danach reicht Tilmann Lukas die Hand und bittet um Entschuldigung. Auf meine Frage, wie es zur Lösung gekommen sei, antworten beide, dass diese mit unserem Gespräch zusammen hinge. (Gebauer 2000, S.73 ff.)

Hypothetisch gehen wir davon aus, dass auf diese Weise Werte-Muster entstehen.

Das Beispiel zeigt auf anschauliche Weise, wie eng der Zusammenhang von Empathie, Vertrauen, kognitiver Verarbeitung und kommunikativer Kompetenz ist. Solche Situationen stärken die Entwicklung der Persönlichkeit. Fortschritte in emotionaler und sozialer Intelligenz machen Kinder, wenn sie die Chance erhalten, ihre Konflikte darzustellen und zu bearbeiten. Sie erleben sich nicht nur als Verursacher von Konflikten, sondern auch als Urheber einer Lösung. Persönlichkeit entsteht, indem Kinder lernen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Damit dies möglich ist, brauchen Kinder empathische Lehrkräfte. Empathie in diesem Zusammenhange bedeutet, dass der Lehrer für einen Handlungsraum sorgt, in dem die beteiligten Kinder in einem geschützten Rahmen frei über ihre Gefühle sprechen können. Während der Klärung überträgt sich das empathische Verhalten des Lehrers auf die Kinder. Die neurologischen Abläufe kann man sich so vorstellen:

Empathische Lehrpersonen werden als kompetent erlebt. Schülerinnen und Schüler entwickeln Vertrauen. Es schaltet sich ihr Beruhigungssystem ein. Nun beteiligen sie sich an der Suche nach einer Lösung. Bei erfolgreicher Klärung eines Konflikts kommt es zur Ausschüttung von körpereigenen Opioiden.

Der entscheidende Schritt zur konstruktiven Klärung dieser Situation hat bereits im emotionalen Netz meines Gehirns stattgefunden. Das Ereignis rief in mir Ärger und Enttäuschung hervor. Ich bin innerlich erregt und versuche die Situation durch Brüllen zu beenden. Das ist mir auch gelungen. Aber nun kommt der alles entscheidende Augenblick: Komme ich aus meiner emotionalen Situation, die durch Ärger und Enttäuschung gekennzeichnet ist, heraus? Vom Gelingen dieses inneren Arbeitsprozesses sind erfolgreiche Lösungen abhängig. Lehrkräfte müssen in solchen Situationen ihre Emotionen beachten und kompetent mit ihnen umgehen. Verharrt eine Lehrkraft in diesen starken Gefühlen wie Ärger, Enttäuschung und Wut, kann sie kaum zu einer Klärung beitragen. Die Frage ist, ob es ihr gelingt, sich wie ein Schlittschuhläufer durch das neuronale Netz ihrer Gefühle zu bewegen, die „Wutspur“ zu verlassen und die Klärungsspur anzusteuern.

Eine Lehrkraft muss Distanz zu dem Ereignis und zu den Gefühlen, die dieses Ereignis in ihr ausgelöst hat, gewinnen. Denn es gilt nun, parallel zum mathematischen Lernen, ein Thema aus dem Bereich des emotional-sozialen Lernens zu bearbeiten. Nur wenn es der Lehrkraft gelingt, sich auf die Spur des Interesses zu begeben, hat sie eine Chance, die Situation so zu klären, dass neue Einsichten gewonnen werden können. Nur so können innere Muster erworben oder verändert werden, die es ermöglichen, künftige Konflikte zu reduzieren, sie vielleicht sogar überflüssig zu machen. Denn es kommt darauf an, dass sich im Gehirn der Kinder neue Muster für einen kompetenten Umgang in Konfliktsituationen ausbilden können. Das heißt, es müssen neue neuronale Vernetzungsprozesse geknüpft werden.

Diese innere Arbeit einer Lehrkraft schafft die Voraussetzungen dafür, dass die am Konflikt beteiligten Kinder zu einer inneren Verarbeitung des Ereignisses fähig werden. Der souveräne Umgang mit den eigenen Gefühlen und den daraus folgenden Handlungsschritten führt dazu, dass Schülerinnen und Schülern ihre Lehrerin / ihren Lehrer als Vorbild und Autorität erleben können. Es besteht so die Chance, dass sie den emotional-kognitive Verarbeitungsprozess ihres Lehrers übernehmen.

Die Schüler erleben sich nicht nur als Urheber eines Konfliktes, sondern auch als Urheber der Lösung. Das schafft Zufriedenheit. Und darauf kommt es an, wenn ein neues emotional-kognitives Arbeitsmodell im Gehirn etabliert werden soll. In der konkreten Situation reicht Tilmann Lukas die Hand und bittet um Entschuldigung. Lukas kann diese annehmen.

Das Beispiel zeigt auf anschauliche Weise, wie eng der Zusammenhang von Empathie, Vertrauen, kognitiver Verarbeitung und kommunikativer Kompetenz ist. Solche Situationen stärken die Entwicklung der Persönlichkeit. Fortschritte in emotionaler und sozialer Intelligenz machen Kinder, wenn sie die Chance erhalten, ihre Konflikte darzustellen und zu bearbeiten. Persönlichkeit entsteht, indem Kinder lernen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Damit dies möglich ist, brauchen Kinder empathische Lehrkräfte. Empathie in diesem Zusammenhange bedeutet, dass der Lehrer für einen Handlungsraum sorgt, in dem die beteiligten Kinder in einem geschützten Rahmen frei über ihre Gefühle sprechen können. Während der Klärung überträgt sich das empathische Verhalten des Lehrers auf die Kinder. Die neurologischen Abläufe kann man sich so vorstellen:

Empathische Lehrpersonen werden als kompetent erlebt. Schülerinnen und Schüler entwickeln Vertrauen. Unser Handeln ist das Ergebnis eines Selbstorganisationsprozesses, bei dem Empathie eine entscheidende Rolle spielt.

Abwesenheit von Empathie

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  1. Missachtung der individuellen Bemühungen

  2. Fehlende Wertschätzung

  3. Beschämungen

  4. Gewalt

  5. Überbetonung der Leistung

  6. Unzureichendes Beziehungsangebot.

Wenn Kinder konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann kann dieses Erlebnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es schafft die Voraussetzungen für Handlungsmuster, die als innere Muster gespeichert werden und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen.

Werte und Gesellschaft

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümelin 2011)

Leitgedanken für die Gestaltung unseres Lebens sollten Tugenden sein, die bereits in der griechischen Philosophie mit den Begriffen Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit beschrieben wurden. Es ist die Aufgabe jeder Generation, diese Vorstellungen für ihre Zeit neu zu interpretieren. Dabei sollte Achtsamkeit – eine zentrale Haltung aus der Welt des Buddhismus – mehr und mehr Beachtung finden.

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. (Bauer 2006) Der einzelne Mensch sollte seine inneren Potenziale voll ausschöpfen können. Er sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Empathisch miteinander umgehen setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. (Riffkin 2010) Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen. (Nidda-Rümelin 2011)

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Der Bogen ist gespannt von der individuellen Entwicklung, die sich in dialogischen Situationen mit nahen und zugewandten Personen vollzieht, über das vertrauensvolle, empathische und oft interkulturelle Kommunizieren bis hin zu der Entwicklung demokratischer Lebensformen im globalen Maßstab.

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SPIELEN – LERNEN UND DIE EMOTIONEN

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit. […] in unseren Spielen waren wir herrlich frei und nicht überwacht.“  Astrid Lindgren, 2002

Kinder wollen lernen

Kinder werden als Entdecker geboren. Sie wollen lernen und ihre Welt erkunden. Treibende Kräfte sind ihre Neugier und Eigenaktivität. Sie können erfolgreich sein, wenn sie Lernen als ihre eigene Sache begreifen.

Eine entscheidende Voraussetzung für gelingendes Lernen ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Kinder müssen fast alles, worauf es im Leben ankommt, durch Erfahrung lernen. Am besten Lernen Kinder, wenn sie sich sicher und geborgen fühlen. Sie brauchen Spiel- und Lernräume, die ihnen Entdeckungen ermöglichen. So erfahren sie, dass Lernen Freude macht. Auf diese Weise stabilisieren sie ihr Motivationssystem.

Spielen und Lernen sind in den ersten Lebensjahren identisch. (Braun 2008) Spielzeit ist Bildungszeit, das gilt besonders für die Arbeit in Kindergärten. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und emotionale Konflikte zu bewältigen. Es kann daher für jedes Kind als eine unersetzbare Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und Lernvergnügen angesehen werden.

Kinder bleiben nur dann Entdecker, wenn man ihnen die Möglichkeit zu einem selbst bestimmten Lernen eröffnet. Lernerfolge stellen sich dann ein, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung von Urheberschaft machen und wenn Erwachsene ihre Leistungen wohlwollend würdigen. Der Erfolg ergibt sich aus der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Fehlt die emotionale Komponente in Lernprozessen, dann kann sich die für spätere Lern-, Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse so wichtige neuronale Struktur nicht angemessen ausbilden. In der Schule sind es vor allem Lernformen, die den Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Lerngegenstand ermöglichen. Auf diese Weise wird das dopaminerge System angekurbelt. Damit ist die entscheidende Grundlage für erfolgreiches Lernen beschrieben. Das gilt für alle Schulformen.

So wird man klug – aus der Sicht von Fünfjährigen

Im Rahmen einer Untersuchung habe ich Erzieherinnen gebeten, die Kinder einmal zu fragen, wie sie über das Klugsein und das Klugwerden denken. Die Einleitungsfrage lautet: „Manchmal sagen die Leute, ein Kind sei klug, was meinen die wohl damit?“

Die spontanen Antworten von Kindergartenkindern klingen so:

„Klug ist ein Kind, das den Tisch abputzt, aufräumt, fleißig, lieb und tapfer ist.“ „Klug ist man auch, wenn man anderen hilft.“ „Ein Kind, das ganz viel weiß und gute Sachen macht, ist klug.“ „Wenn man sich immer wäscht und auch seine Brille aufsetzt, ist man klug.“ „Wenn man spielt und Sachen baut, ist man auch klug.“ „Wenn man das Gehirn einschaltet, ist man klug.“ Natürlich sind wir an dieser Stelle genauso neugierig wie es die Erzieherin in der Gesprächssituation war, denn, wie man das Gehirn einschaltet, möchten sicherlich die meisten von uns wissen. Und so fragte die Erzieherin spontan, wo man das Gehirn denn einschalten könne. Ein Fingerzeig des Kindes an die Schläfe und der Hinweis: „Da muss man drücken, zeigt uns allen, wie das geht.

In der Zusammenschau wird deutlich, dass Kinder im Alter von fünf Jahren eine pragmatische Vorstellung vom Klugsein haben. Da geht es um praktische Tätigkeiten wie Aufräumen und Putzen. Es gibt bereits eine Vorstellung davon, dass Klugsein etwas mit Wissen zu tun hat. Ganz deutlich wird in den Ausführungen, dass Spielen und Bauen wichtige Aktivitäten sind, die zum Klugsein gehören. In den Begriffen „lieb“ und „tapfer“ werden emotional-soziale Aspekte von Klugheit sichtbar. Mit dem Hinweis, dass man auch anderen helfen müsse, kommt soziales Verhalten in den Blick. Als ein äußeres Zeichen von Klugheit wird die Brille angesehen. Das lässt einerseits schmunzeln, ist vielleicht aber auch ein Hinweis darauf, dass man eine Behinderung oder Beeinträchtigung durch äußere Hilfsmittel ausgleichen kann und das auch tun sollte. Die Gesamtheit aller Aussagen macht deutlich, dass bereits bei fünfjährigen Kindergartenkindern eine umfassende Vorstellung vom Klugsein vorhanden ist und dass zum Klugwerden konkrete Aktivitäten wie Spielen und Bauen wichtig sind

Wenn wir bedenken, dass sich der Prozess des Klugwerdens in den vielfältigen Beziehungen des Alltags durch unzählige Interaktionen der Kinder untereinander und mit ihren Eltern und Erzieherinnen ereignet, dann kommt es vor allem darauf an, diesen unterschiedlichen Vorstellungen vom Klugwerden eine Chance zu ihrer Entfaltung zu geben. Jede der Äußerungen verweist auf die zentrale Quelle des Klugwerdens, nämlich auf das eigenständige Tun. (Gebauer 2007)

Was ist mit „klug“ gemeint?

Foto: Jürgen Hast

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Der Begriff Klugheit hat viele Facetten. Er meint nicht nur einen Zustand, sondern auch den individuellen Entwicklungsprozess eines Menschen, seine Bestrebungen zum Klugwerden. Dabei braucht ein Kind auf seinem Weg zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Wissen umfasst vielfältige Inhalte aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Denken bezeichnet Strategien des Erkenntnisgewinns und der Reflexion, z.B. Sachverhalte beschreiben, Probleme erkennen und nach Lösungen suchen, Situationen interpretieren und Handlungen planen.

Klugheit beschreibt die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Dabei sollten möglichst alle für die Situation relevanten Faktoren berücksichtigt werden. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sie sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Zur Klugheit gehört es auch, sich in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen zu können (Empathie). Gesundheitsbewusstsein ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. Klugheit meint den verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur. Ein kluger Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. „Klugheit“ ist in diesem Sinne als umfassende psychosoziale und kognitive Kompetenz anzusehen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme.

Und so fängt alles an

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Entwicklungsforschung gehört die Erkenntnis, dass ein Kind mit seiner Geburt aktiv in die Gestaltung seines Lebens eintritt. Seine Motivation zum aktiven Tun, seine Suchaktivitäten zu seinem Selbst- und Weltverständnis setzen unmittelbar ein. Damit sie sich weiter entfalten können, brauchen Kinder zunächst die Zuwendung und Anregung durch ihre Eltern. Die Erfahrung von Geborgenheit ist die entscheidende Grundlage aller späteren Lernprozesse.

Für eine gelingende Entwicklung braucht es von Anfang an die Erfahrung von Geborgenheit. (Dornes 2000; Largo 2001; Gebauer / Hüther 2001). Kinder brauchen für ihre gelingende Entwicklung ein ausreichendes Gefühl von Sicherheit. Dieses erlangen sie über die Beziehungssicherheit zu ihren Hauptbezugspersonen. Zuerst und zumeist ist das die Mutter (Haug-Schnabel 2003) und gelegentlich auch der Vater. Später können diese auch durch nahe Familienangehörige, Freunde, Erzieherinnen, Lehrer ersetzt werden. Auf diese Weise, so lehren uns Neurobiologen, bilden sich im Gehirn die Spiegelneurone aus. Es handelt sich um die neuronale Vernetzung von Resonanzerfahrungen. In jüngster Zeit wurde dies von dem Freiburger Psychoneuroimmunologen Joachim Bauer sehr anschaulich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ (2005) beschrieben. Im Verlauf der frühen Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes (Ciompi 1997). Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen oder Interaktionen des Alltags. Dieser Vernetzungsprozess ereignet sich nicht im luftleeren Raum, er ist auf konkrete Erfahrungen angewiesen (Gebauer / Hüther 2001).
Über den Zusammenhang von Emotion und Kognition

Foto: Jürgen Hast

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Unser Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen (Neuronen) und den sie verbindenden Nervenfasern. Jedes Neuron besitzt weite baumartige Verzweigungen (Dendriten). Sowohl an den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die Nervenfasern anderer Neurone. Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen vielfältig miteinander verbunden. Hier findet die Übertragung von Nervenimpulsen statt. Sie bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken, Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt (Beck 2003).

Die differenzierten Wachstumsprozesse im kindlichen Gehirn, vor allem die Verbindungen vom limbischen System zum frontalen Kortex sind auf konkrete Erfahrungen angewiesen. „Da über dieselben limbofrontalen Bahnen wesentlich affektiv-kognitive Interaktionen während des ganzen Lebens laufen, scheinen diese Befunde die schon lange vermutete zentrale Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Beziehung für die gesamte spätere Affektregulation und Persönlichkeitsstruktur, d.h. für das Selbst im psychoanalytischen Sinn, klar zu bestätigen.“ (Ciompi 1997, S. 58)

In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, Gefühle wahrzunehmen, Wörter für Gefühle zu finden, sich zu vergewissern. In der Pubertät und Adoleszenz kommt es darauf an, die bisherigen Erfahrungen als Wertesystem zu konstituieren. Voraussetzungen dafür sind emotionale Erfahrungen und das Kommunizieren über diese. Hier liegt die wesentliche Begründung für eine intensive Arbeit an Konflikten, wie sie z.B. in Familien, Kindergärten oder Schulen auftreten (Gebauer 1996, 2000 b, 2003). Zwischen Emotion und Kognition finden dabei unaufhörlich Wechselwirkungen statt. „Grundlage ist die neuronale Plastizität, also der bevorzugten Bahnung von häufig aktivierten Assoziationswegen, über welchen die besagten Programme in der neuronalen Feinstruktur enkodiert werden. Vergangene relevante Erfahrungen werden reaktiviert durch ähnliche affektive und/oder kognitive Stimuli.“ (Ciompi 1997, S. 121) Dieses Zusammenspiel bewirkt, dass Fühlen, Denken und Verhalten, obwohl sehr flexibel und umweltplastisch, sich doch mit einer bemerkenswerten Konstanz in immer wieder ähnlichen, durch Erfahrung gesicherten Bahnen bewegen.
Kindergehirne (die im kindlichen Gehirn angelegten neuronalen und synaptischen Verschaltungsmuster) seien weitaus formbarer (und verformbarer) als bisher angenommen, hält der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther (2001b) fest. Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig (Selbstwirksamkeitskonzept und Motivation, Impulskontrolle und Handlungsplanung, soziale und emotionale Kompetenz).Um die hierfür erforderlichen, hoch komplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende Angebote, die ihre emotionalen Zentren aktivieren. Sie brauchen Herausforderungen, die sie erfolgreich bewältigen können Sicherheit bietende Bindungsbeziehungen. Nur unter dem einfühlsamen Schutz und der kompetenten Anleitung durch erwachsene „Vorbilder“ können Kinder vielfältige Gestaltungsangebote auch kreativ nutzen und dabei ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten erkennen und weiterentwickeln. Nur so kann im Frontalhirn ein eigenes, inneres Bild von Selbstwirksamkeit stabilisiert und für die Selbstmotivation in allen nachfolgenden Lernprozessen genutzt werden.

Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender

Die Verhaltensbiologin Haug-Schnabel (2003) stellt fest, dass Kinder schon als Säuglinge mit „höchster Aufmerksamkeit“ die Interaktionen mit der Mutter / dem Vater verfolgen. Aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen: „Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“ Auch sehr kleine Kinder würden solche Wahrnehmungen auf ihre Weise bereits auswerten: „Wie ist es gelaufen? Komme ich mit meinen Erlebnissen zurecht? Habe ich so etwas erwartet?“ Ihre frühen Erfahrungen werden von ihnen emotional erfasst und gespeichert. Je nach Erlebnis könne man sich das so vorstellen: „Das war eine gute Erfahrung.“ „Das hat mich neugierig gemacht.“ „Das war eine schlechte Erfahrung. Die will ich meiden.“ Über die auf diese Weise angelegten limbofrontalen Bahnungen laufen unser Leben lang alle emotional-kognitiven Prozesse. Die meisten Eltern verhalten sich ihren Kindern gegenüber intuitiv richtig.

Irritationen schränken Lernmöglichkeiten ein

Selbst bei besten Absichten kann es aber in Erziehungs- und Bildungsprozessen aus unterschiedlichsten Gründen zu Irritationen kommen. Diese können hervorgerufen werden durch Beziehungsprobleme in den Familien. Trennungen, Neuanfänge, Abwesenheit der Väter, eine zu große Selbstlosigkeit der Mütter oder eine übermäßige Autorität der Väter können Anlass zu Verunsicherungen sein und den Entwicklungsprozess beeinträchtigen. Aber auch Erfahrungen von Gewalt, eine vernachlässigende oder verwöhnende Erziehung, können Teil von Unsicherheitserfahrungen sein (Grossmann & Grossmann 2001; Streeck-Fischer 2001, Cierpka 2001).

KITA und Schule können das Problem alleine nicht lösen

Neben einer ausreichenden materiellen Sicherheit der Familien erweisen sich insbesondere ein gutes Familienklima und regelmäßige gemeinsame familiäre Aktivitäten als bedeutsam für das Wohlergehen und für die Zukunftschancen eines Kindes. Die ungünstigste Konstellation liegt dann vor, wenn materielle Defizite mit geringer Zuwendung einhergehen. Entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit in Kindergarten und Schule wird sein, ob wir diese Voraussetzungen nicht nur als individuelles Schicksal interpretieren, sondern als Teil mächtiger Veränderungsprozesse ansehen können. Viele Eltern würden ihren Kindern gerne mehr Anregungen geben – sie können es aufgrund unterschiedlicher Bedingungen nicht.

Die wirklichen Anforderungen an die Gestaltung von Familienleben, sind äußerst vielfältig und komplex. Hinzu kommt, dass sich die Familienkonzepte geändert haben und sich ständig ändern: neue Partnerschaftskonzepte, neue Generationenverhältnisse. Täglich können wir in den Nachrichten verfolgen, dass sich auch die Erwerbswelt in einem rasanten Wandel befindet. Eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, Furcht vor Arbeitsplatzverlust, entgrenzte Arbeitszeiten und unstete Erwerbsbiografien sind nur einige Schlagwörter in diesem Zusammenhang.

Viele Eltern sind überfordert

Foto: Jürgen Hast

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Mit der Geburt eines Kindes findet eine grundlegende Veränderung des Zusammenlebens statt. Es gibt eine neue Verantwortung. Berufliche, individuelle und familiäre Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Erst heute zeigt sich in den politischen Diskussionen, dass langsam verstanden wird, was hier abläuft und was in der Vergangenheit nicht die Beachtung gefunden hat, die das Problemfeld verdient hätte. Wer seinem Kind eine Zukunft eröffnen will, der muss versuchen, die eigene Entwicklung und die des Kindes miteinander zu koordinieren. Was Eltern leisten müssten, gelingt nicht immer oder immer weniger. Gefragt ist die Familienpolitik, die das inzwischen ja auch begriffen hat. Aber auch Lehrerinnen und Lehrer können den einzelnen Schülern dann besser helfen, wenn sie diese mit ihren Schwächen bei ihren Lernversuchen oder in ihrem Sozialverhalten so annehmen können, wie sie sind. Natürlich ist mir bewusst, dass hier ein Spagat erforderlich ist zwischen der Realität in Kindertagestätten und Schule und den Anforderungen wie sie in Richtlinien oder Rahmenplänen formuliert sind. Wir wissen heute aus der Familienforschung sehr genau, welche Verhaltensweisen für die Entwicklung von Kindern hilfreich und notwendig sind. Eltern sollten ihren Kindern emotionale Sicherheit und Anregungen geben, ihr Selbstbewusstsein stärken, die Gefühle ihrer Kinder wahrnehmen und über Gefühle mit ihnen reden. Sie sollten Interesse an der Entwicklung haben. Auftretende Konflikte sollten sie für Klärungsgespräche nutzen. Sie sollten Grenzen setzen und ihre Kinder auch Frustrationen erleben lassen. Bei auftretenden Problemen sollten sie sich nicht scheuen, mit Freunden, anderen Eltern, Erzieherinnen und Lehrern das Gespräch suchen und bei unlösbar erscheinenden Problemen rechtzeitig professionelle Hilfe suchen.

Elternzeit für Kinder ist Bildungszeit

Wie auch immer die individuelle Familiensituation aussehen mag, es kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass bei den ganzen Umwälzungen und den unterschiedlichen familiären Modellen die gemeinsame Zeit in der Familie ein unverzichtbares Gut – man könnte auch sagen: ein schützenswertes Kleinod darstellt. Aber dieses schützenswerte Kleinod gibt es in vielen Familien nicht mehr in ausreichendem Maße. Und so kommt es u.a., dass Lehrerinnen und Lehrer mit Schülerinnen und Schülern arbeiten müssen, die keinen leichten Start ins Leben hatten und deren Chancen bezogen auf Lernerfolge begrenzt sind. Das wirkt sich dann natürlich bei der Suche nach einem Arbeitsplatz aus. Diese Zeitperspektive führt uns vor Augen: In vielen Fällen ist vieles versäumt worden und in vielen Fällen sind die Perspektiven nicht rosig. Die Situation wird noch dadurch erschwert, dass sich in Einzelfällen auch in der Familie nichts ändern wird. Das trifft vor allem für Familien zu, deren Atmosphäre durch Desinteresse oder Gewalt geprägt ist (Cierpka 2001).

Erfolg durch Urheberschaft und Resonanz

Kennzeichnend ist, dass die für Erziehung und Bildung relevanten Wissenschaftsbereiche der Erfahrung von Urheberschaft, also der Erfahrung von Selbstwirksamkeitsprozessen eine entscheidende Rolle zumessen. Das ist uns allen geläufig und unmittelbar einsichtig, wenn wir ein Kleinkind bei seinen unzähligen Versuchen beobachten, sich aufzurichten. Kurze Zeit später können wir bewundern, wie es die ersten Schritte geht. Dieses beobachtende Bewundern der Eigenaktivität eines Kindes (unsere Resonanz) scheint uns in den folgenden Jahren mehr und mehr verloren zu gehen oder aus der Balance zu geraten. In der Schule kommt sie bei manchen Lehrerinnen und Lehrern nur noch in der abstrakten Form von Noten zum Vorschein. Wir haben es dann mit einer Verarmung von Resonanzen zu tun. Für das Lernen der Schülerinnen und Schüler hat das Folgen wie auch die Starke Reduzierung von Urheberschaft durch das oft ausschließlich durch Lehrpläne vorgegebene Lernen, das eigene Aktivitäten kaum zulässt.

Motivationssysteme ankurbeln

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit u.a. im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten.

Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das dopaminerge System in Gang (Spitzer 2003). Fehlt die emotionale Komponente in Lernprozessen, dann kann sich die für spätere Lern-, Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse so wichtige neuronale Struktur nicht angemessen ausbilden. Die wichtigste Grundlage für späteres Lernen ist in der Kindheit das Spiel. Damit ist die entscheidende Grundlage für erfolgreiches Lernen beschrieben.

Erfolgreiches Lernen ist abhängig von emotional kompetenten Lehrkräften

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)

Im Grunde beschreibt Astrid Lindgren diesen roten Faden. Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben. Die Resilienzforschung sagt uns, wie wichtig im späteren Leben zugewandte Menschen sind, wenn dieser Schatz nicht entwickelt werden konnte. (Nuber 2005) Lehrkräfte, die über emotionale Kompetenz verfügen, wissen das. Sie schaffen daher immer wieder Unterrichtssituationen, in denen ihre Schülerinnen und Schüler Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können. Am ehesten gelingt das in Projekten der unterschiedlichsten Art: Theaterprojekten; Musikalischen Darbietungen; Geschichtsprojekten; Fahrradwerkstätten usw. (Gebauer 2005 b) Das gilt für alle Schulformen.
Spiel-Unlust der Eltern

Die Münchner Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek beobachtet allerdings seit einigen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ schon sehr kleiner Kinder. „Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht“, das seien typische Äußerungen von Eltern. Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin.

Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen.

Über den Zusammenhang von Spielen und Lernen

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und emotionale Konflikte zu bewältigen. Trotz Anstrengung, gelegentlicher Frustrationen und Momenten von Langeweile kann das Spiel daher für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit und Muße der Erwachsenen. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen.

Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen und Selbstwirksamkeitserfahrungen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Motivation – Konzentration

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.

Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.

Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.

Eigene Spielideen entwickeln.

Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.

Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Die Bedingungen müssen stimmen

Erfolgreiches Lernen hat neben der individuellen Komponente immer auch Rahmenbedingungen als Voraussetzung. Es hat in Deutschland lange gedauert, bis die Einsicht in die hohe Bildbarkeit während der frühen Kindheit auch bei den politischen Eliten angekommen ist. Etwas überstürzt, so ist der Eindruck, soll nun über Jahre Versäumtes schnell nachgeholt werden. Die Erwartungen sind in Bildungsplänen formuliert, aber die erforderlichen Rahmenbedingungen müssen in vielen Einrichtungen erst noch geschaffen werden. Die Belastungen, denen z.B. Erzieherinnen täglich ausgesetzt sind, werden in ihrem Ausmaß nicht genügend gewürdigt.

Bedeutung des Spiels für die Hirnentwicklung

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen hoch komplizierten Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Und wir spielten und spielten und spielten, sodass es das reine Wunder ist, dass wir uns nicht tot gespielt haben,“ hält Astrid Lindgren in ihren Erinnerungen fest.

Zu den wichtigen Erkenntnissen der Hirnforschung, gehört die Entdeckung eines gehirneigenen Belohnungssystems. Kindliche Neugier, Entdeckerfreude und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des dopaminergen Systems. Dieses System verleiht den Dingen und Ereignissen um uns herum eine Bedeutung. Bedeutsam ist, was auch von den Eltern und Erzieherinnen als wichtig angesehen wird. Wird dem Spiel eine hohe Bedeutung beigemessen, dann bahnen sich nicht nur die oben genannten Fähigkeiten, sondern es wird mit diesen neuronalen Vernetzungen gleichzeitig die im Spiel erfahrene Freude und Begeisterung mit eingespurt. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse im kindlichen Gehirn angelegt, die auch später mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendet und konzentriert lernen kann. Das Spiel schafft einen Rahmen, in dem Erwachsene und Kinder ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf einen Gegenstand ausrichten. Sie erleben Anspannung, Aufregung und Freude am Gelingen einer Spielhandlung gemeinsam und tauschen sich darüber aus. Im Spiel erschaffen sie sich eine gemeinsame Erfahrungswelt. Sie regen so – das muss ihnen beim Spiel nicht bewusst sein – die strukturbildenden Elemente im kindlichen Gehirn an und schaffen die Voraussetzungen für spätere Konzentrationsfähigkeit.

Spielsituationen ermöglichen grundlegende emotionale Erfahrungen. Diese Erfahrungen haben als Voraussetzung bestimmte Neurotransmitter und bringen diese auch hervor. So sorgt z.B. Oxytozin für Vertrauen, Dopamin schafft eine grundlegende Lernmotivation und die körpereigenen Opioide tragen zu einem guten Gefühl bei. Diese Mischung entsteht besonders dann, wenn Kinder zugewandte Eltern haben; wenn sie einen anregungsreichen Kindergarten besuchen und wenn sie in der Schule ihre Eigenaktivitäten voll entfalten können. Auf diese Weise servieren wir ihnen einen Bildungscocktail, der als Quelle des erfolgreichen Lernens angesehen werden kann.

Spiel und Schule

Erfolgreiche Reformschulen wie die Helene Lange-Schule in Wiesbaden, die beim Pisa-Test die besten Ergebnisse erzielte, stellen das Theaterspiel in die Mitte ihrer pädagogischen Konzeption (Riegel 2005).

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge am Deutschen Theater in Göttingen, schwärmt: „Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt“. Er zählt gleich mehrere Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert: „Da geht es um

Gegenseitige Rücksichtnahme,

Zunahme von Kooperationsbereitschaft,

Abbau von Vorurteilen,

Verlegung der Toleranzgrenze,

Verantwortung für sich und andere,

Stärkung des Selbstbewusstseins.

Und: Denken, Sprechen, Planen, Handeln, Verwerfen, Krisen meistern – das findet natürlich auch statt.

Zukunftsforscher (Göll 2001) betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft.

Druck macht dumm

Viele Eltern sind nach den Ergebnissen der Pisa-Studien stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt.

Übermäßiger Druck, daran gibt es in der Hirnforschung keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. W. Hirn (2006) berichtet, dass im Zusammenhang mit den Aufnahmeprüfungen für die Hochschulen und Universitäten in China über 50 % der Abiturienten während der Prüfungsvorbereitungen mit Selbstmordgedanken gespielt hätten. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Die Quelle des Lernens

Es kommt darauf an, den Kindern Geborgenheit und damit emotionale Sicherheit zu geben. Über vielfältige Anregungen erhalten sie die Chance, grundlegende Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit zu machen. Damit ist eine Erfahrung gemeint, die sich in dem schlichten Satz ausdrückt: „Ich kann das.“ Zunächst verbindet sich diese Erfahrung mit allen Aktivitäten, die beim kindlichen Spiel vorkommen. Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben, rechnen. Wenn Eltern oder nahe Bezugspersonen diese Lernerlebnisse der Kinder wohlwollend begleiten und durch zustimmende Äußerungen unterstützen, bilden sich im Gehirn der Kinder neuronale Netzwerke aus, in denen nicht nur das motorische Können gespeichert wird, sondern auch die Freude am Können. Sie erfahren auf diese Weise eine Bestätigung und Stärkung ihrer Selbstwirksamkeitserfahrung. Daraus entwickelt sich die für lebenslanges Lernen so notwendige innere Motivation. Hier liegt die Quelle des Lernens. In allen nachfolgenden Prozessen müssen wir darauf achten, dass diese Quelle nicht versiegt. Sie kann durch kein noch so ausgeklügeltes Förderprogramm ersetzt werden. Die Freude am Lernen steht in einem direkten Zusammenhang mit der Erfahrung, dass das eigene Tun auch in den Augen und Ohren anderer Menschen als etwas Wichtiges wahrgenommen wird. Die positive Resonanz, die Kinder erfahren gibt ihnen Sicherheit und bestärkt sie in ihrem Tun.

Professionelles Verhalten von Erzieherinnen und Lehrkräften zeigt sich in folgenden Verhaltensweisen: Sie können zuhören, geben vielfältige Anregungen, haben Interesse an der individuellen Lernentwicklung eines Kindes, greifen Ideen der Kinder auf, schaffen eine Atmosphäre der Geborgenheit und sorgen für eine Lernumwelt, die vielfältige Aktivitäten ermöglicht.

Lernen und Emotionen

Lernen ist eingebettet in soziale Situationen und wird von Emotionen begleitet. Was nach vielen Jahren noch präsent ist oder in der Erinnerung wieder hervorgerufen werden kann, war einst von starken Emotionen begleitet. Oft erinnern wir uns nicht mehr an die konkreten Ereignisse, sondern verbinden mit neuen Anforderungen angenehme oder unangenehme Gefühle. Als Erinnerungsspur bleibt oft nur ein inneres Muster haften, das aber in konkreten Situationen seine Wirksamkeit entfalten kann. Je intensiver wir freudige Ereignisse mit Lernen verbinden, desto selbstbewusster und zielstrebiger werden wird dann auch in der Zukunft an die Lösung von Problemen herangehen.

Lernen findet in einem Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Aktivitäten statt. Leider wird das Lernen heute weitgehend mit den schulischen Fächern gleichgesetzt und nur selten in seinen emotionalen und sozialen Dimensionen gesehen. Für erfolgreiches Lernen ist die Erfahrung von vielen komplexen Situationen erforderlich.

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon frühe voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Applaus belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse dar.

Erzieherinnen und Lehrer müssen diese Prozesse pflegen und entsprechende Entwicklungs- und Gestaltungsanreize geben. Im Spiel sammeln Kinder z.B. vielfältige emotionale und kognitive Erfahrungen, die sich auf eine differenzierte Ausbildung ihres Gehirns auswirken.

Feste als Lernereignisse

Als Schulleiter habe ich mich immer auf die schulischen Feste und Rituale gefreut. Die Schulanfänger wurden mit Musikstücken, Liedern, Gedichten, kurzen Erzählungen und kleinen Theaterstücken begrüßt. Veränderungen in den Räumen und auf dem Schulhof, die Einrichtung eines Schulgartens, die Verbesserung des Spielplatzes oder die Gestaltung einer Außenwand waren Anlässe für kleine Feste. Die kurzen aber zahlreichen Beiträge der Schülerinnen und Schüler gaben einen Einblick in ihre Schaffensfreude. Bei einer Geburtstagsfeier hatte jede Klasse ihr eigenes Ritual. Auf diese Weise wurde Gemeinschaft erlebt und gefeiert. Am Ende der vierten Klasse wurden die Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Festes verabschiedet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie unzählige Lernerfahrungen gesammelt. Die meisten davon werden sie wieder vergessen. Was bleiben sollte, ist die Erfahrung, dass das Lernen in einem emotionalen und sozialen Bezug stand und mit Erfolgen und Bestätigung zu tun hatte.
Lernen erfordert emotionale Achtsamkeit

Lernen ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem guten Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Prozessen beruht. Erfahrene Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen gehen deshalb emotional achtsam mit sich selbst um. Das ist eine Voraussetzung für Empathie gegenüber Kindern. Kreativ und zielstrebig arbeiten emotional kompetente Erzieherinnen und Lehrkräfte mit ihren Kolleginnen und Kollegen an einer pädagogischen Konzeption, in deren Kern es um die Beachtung und Förderung der gesamten Persönlichkeit geht. Ohne sich im Gestrüpp der vielfältigen Alltagsbelastungen zu verfangen, schaffen sie für die ihnen anvertrauten Kinder und Schüler Lernräume, die Entdeckungen ermöglichen. Sie werden vor allem dafür sorgen, dass störende Einflüsse wie Demütigungen von Mitschülern nicht zugelassen und Konflikte geklärt werden. Unsicherheitssituationen, die durch Gewaltandrohung, Gewalt oder Mobbing geschaffen werden, beeinträchtigen das Lernvermögen der betroffenen Kinder nachhaltig. Sie müssen daher, wenn Lernen gelingen soll, bearbeitet werden und dürfen auf keinen Fall unbeachtet bleiben oder abgetan werden (Gebauer 2005 a).

Wenn Kinder die Chance erhalten, Probleme selbstständig zu lösen, entwickeln sie über die Zunahme ihrer Handlungskompetenz eine Motivation, die sich wiederum auf ihr Selbstwirksamkeitskonzept stabilisierend auswirkt. Kinder brauchen, um hinreichend offen für neue Wahrnehmungen, kreativ und neugierig zu bleiben, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Da sie mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in die Institutionen Kindergarten und Schule kommen, müssen sich Erzieherinnen und Lehrerinnen auf die Heterogenität von Lerngruppen einstellen und diese bei ihrer Arbeit angemessen berücksichtigen, um möglichst jedem Kind seinen Lernweg zu eröffnen. Das individuelle Lernen ist immer eingebettet in strukturelle Rahmenbedingungen, die Lernforschritte eher begünstigen oder behindern können. Außerdem braucht es wirksame Ausbildungskonzepte für Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Lehrer und Lehrerinnen.

Visionen des Gelingens

Bildung ist die wichtigste Ressource zur Lösung der anstehenden Probleme. Dabei ist die Fähigkeit, miteinander zu kooperieren eine der wichtigsten Voraussetzungen. Und genau diese Fähigkeit kommt in der aktuellen Debatte über Erziehung und Bildung zu kurz.

Innovationen in KITAS und Schulen müssen vor diesem Hintergrund den Gedanken der Teamarbeit in den Mittelpunkt rücken. Lehrerinnen und Erzieherinnen müssen sich nicht nur in ihrer Urheberschaft von Veränderungsprozessen begreifen, sondern auch die Notwendigkeit zur Teamarbeit als wesentliches Mittel von Veränderungsprozessen verinnerlichen (Fittkau 2005). Gleichzeitig sollten KITA- und Schulkollegien realisieren, dass als herausragende Ziele aller Bildungspläne die Entwicklung der Persönlichkeit und der sozialen Fähigkeiten genannt werden. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, die außerhalb der Institutionen KITA und Schule liegen. Diese Erkenntnis befreit von dem Druck, alles ausgleichen zu müssen, was von anderen Institutionen versäumt wurde oder nicht geleistet werden konnte. Sie ist aber kein Freibrief für Resignation. Vielmehr sollte sie uns motivieren, alle in unserer pädagogischen Kompetenz liegenden Möglichkeiten für eine offene Zukunft der Kinder und Jugendlichen auszuschöpfen. (vgl. dazu Hüther: (2008): Neurobiologische Argumente für die Verwandlung von KITAS in Werkstätten des Entdeckens und Gestaltens. www.win-future ; Kindergarten)

Hürden bei Entwicklungsprozessen

Lehrerinnen und Erzieherinnen haben heute eine immer größer werdende Fülle von Aufgaben zu bewältigen. Viele von Ihnen kommen nicht nur in die Nähe von Stress, sie werden vom Stress gelähmt (Schaarschmidt / Fischer2001). Wenn dieses Faktum keine Beachtung findet, sind Innovationsvorhaben innerhalb einer Schule / KITA von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Erzieherinnen und Lehrkräfte mit starken Stresssymptomen können kaum zum Gelingen von Lernprozessen beitragen. Sie sind – das liegt in der Natur der Erkrankung – fast nur damit beschäftigt, die eigene Haut zu retten. Sie können weder in ausreichendem Maß für ihre Kinder / Schüler Anreger geschweige denn Resonanzgeber sein. Damit entfallen die entscheidenden Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse. Es braucht Visionen des Gelingens. Viele Erziehrinnen und Lehrerinnen, die heute als „ausgebrannt“ bezeichnet werden, hatten einmal solche Visionen. Sie sind ihnen abhanden gekommen und damit haben sie weitgehend ihre Handlungsfähigkeit verloren. Diese Zusammenhänge werden nicht gesehen, wenn von den Kultusbehörden hohe Forderungen formuliert werden. Nichts gegen hohe Forderungen, aber man muss sich vergewissern, wer sie unter welchen Bedingungen realisieren kann.

Wahrscheinlich kann es nur so gehen, dass sich kleine Gruppen in den Kollegien bilden. Es wird zunächst darum gehen müssen, vertrauensvolle Kommunikationsformen zu praktizieren. Wichtig ist, dass sich Teammitglieder auf einen innovativen Weg machen. Dabei könnten sie sich von außen beraten lassen. So könnten sie nicht nur für sich Arbeits- und Lebensfreude sichern oder neu gewinnen, sie könnten auf diesem Weg auch Kolleginnen gewinnen, die mit innovativen Gedanken bereits abgeschlossen hatten. Erfolgreiche Arbeit ist dann möglich, wenn wir die beiden wichtigsten Erkenntnisse über das Gelingen von Innovationen zur Kenntnis nehmen würden.

  • die Erfahrung von Urheberschaft
  • und eine fördernde Resonanz.

Beides kommt in der Schule der Gegenwart zu kurz. Die Folge ist oft ein Lähmungsdilemma, das besonders in Lehrerkollegien zu beobachten ist.

Gangbare Wege

Viele Lehrerinnen und Lehrer haben das erkannt und wollen nicht auf der Stress-Strecke bleiben. Sie setzen sich bewusst mit ihren Belastungen auseinander und entwickeln Entlastungsstrategien. Sie wollen Urheber einer gelingenden Arbeit sein, sich in ihrer Urheberschaft spüren (Gebauer 2005 b). Die wichtigste Erkenntnis der Freiburger Schulstudie lautet: „Der entscheidende Ansatz zur Verbesserung der Situation an den Schulen liegt nicht in neuen Leistungsstandards, sondern in Hilfestellungen, die zu einer Verbesserung der innerschulischen Beziehungsgestaltung führen. Angesichts einer verheerenden Situation bei der Schülergesundheit und eines wachsenden Anteils verhaltensgestörter Schülerinnen und Schüler muss die Qualifikation von Lehrerinnen und Lehrern verbessert werden, mit schwierigen psychologischen Situationen umzugehen. Das Problem der Schule liegt nicht im Fehlen von Standards, sondern in der Unmöglichkeit, im Unterricht eine Situation herzustellen, die Lernen möglich macht und begünstigt (Bauer 2004).
Die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Befindlichkeit und das Lebensgefühl der in Bildungseinrichtungen tätigen Menschen wahrzunehmen und zu beachten, ist heute noch längst nicht als grundlegendes Lernziel in Bildungseinrichtungen realisiert.

Psychosoziale Kompetenz als Perspektive

Ein Schutzfaktor für Erzieherinnen, Lehrer / Lehrerinnen und Schüler liegt in ihrer emotionalen Kompetenz, also in ihrem Bemühen, für sich selbst und den jeweils anderen eine Situation herzustellen, die emotionale Sicherheit schafft. Die wahrgenommenen Belastungen können individuell sehr verschieden sein. Am ehesten lassen sie sich in kleinen Gruppen bearbeiten.

Wir wissen, wie professionelles Verhalten von Erzieherinnen und Lehrerinnen aussehen sollte: Sie zeigen Interesse an der Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler, können deren Verhaltensweisen deuten und interpretieren. Sie schätzen die eigenen Kräfte realistisch ein und können sich vor Überforderung schützen. Sie haben sich ihre Resonanzfähigkeit erhalten. Sie wissen, dass sie in ihrem Verhalten Vorbildcharakter haben. Hinsichtlich der Erfolge ihrer Arbeit vergewissern sie sich. Sie wissen außerdem, dass es Sinn macht, im Team zu arbeiten. Ich ermuntere dazu, solche Selbstentwicklungsteams zu gründen. Urheberschaft und Resonanz, Aufmerksamkeit für die eigene emotionale Befindlichkeit, Empathie für Mitmenschen sind ihre innersten Kennzeichen(von Salisch 2002). Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrer sind bis an den Rand ihrer Leistungsgrenze ausgelastet. Damit sie gesund, arbeitsfähig und auch lebensfroh bleiben, ist es wichtig, den Problemfeldern nicht auszuweichen, sondern sie zu bearbeiten. Dazu braucht man entsprechende Methoden. Am effektivsten ist es, sich diese Methoden im Team oder in kleinen Teams anzueignen und schon in der Aneignungsphase vorhandene Probleme zu lösen.

Ausblick

Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das Motivations-System in Gang. Fehlt die emotionale Komponente in Lernprozessen, dann kann sich die für spätere Lern-, Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse so wichtige neuronale Struktur nicht angemessen ausbilden. Die wichtigste Grundlage für späteres Lernen ist in der Kindheit das Spiel. In der Schule sind es vor allem Lernformen, die den Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Lerngegenstand ermöglichen. Damit ist die entscheidende Grundlage für erfolgreiches Lernen beschrieben. Das gilt für KITAS, für alle Schulformen und auch für alle Personen, die in diesen Institutionen tätig sind. Es gilt besonders für den Übergang von der KITA in die Schule. Erzieherinnen und Lehrkräfte sollten daher versuchen, diesen Schritt in gegenseitiger Wertschätzung möglichst gut für die Kinder zu gestalten.

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STERNSCHNUPPEN AM BILDUNGSHIMMEL – VERTRAUEN SCHAFFT ZUKUNFT

 Gleichgültigkeit, Angst und Überheblichkeit

Foto: Adolf Riess / pixelio.de

Foto: Adolf Riess / pixelio.de

Eltern können sich glücklich schätzen, wenn sie für ihr Kind eine Schule finden, in der Lernen Freude macht. Denn Freude ist der stärkste Faktor, der eine grundlegende und andauernde Lernmotivation stützt. (Spitzer, 2003; Gebauer, 2007)

All zu oft währt diese Freude nur kurze Zeit. Bei manchen Schülerinnen und Schülern endet sie schon nach den ersten Schulwochen. Einige wollen gar nicht erst zur Schule gehen. Bei vielen kommt es im Verlauf ihrer Schulzeit zu Brüchen und Phasen des Desinteresses. Viele Faktoren haben Einfluss auf das Wohlergehen und die Lernfreude eines Kindes. Eltern und Lehrer können einige dieser Faktoren verändern oder abmildern, andere scheinen fest und starr zu sein. Dringend erforderliche Reformen der Rahmenbedingungen, die sich positiv auf die Lernentwicklung eines Kindes auswirken könnten, wurden oft nicht in angepackt, weil Entscheidungsprozesse im Dickicht eines politisch, bürokratischen Dschungels stecken blieben. Dennoch gibt es Spielräume, die Veränderungen ermöglichen. Diese Lichtblicke in der Bildungslandschaft gilt es zu entdecken und hervorzuheben. (Gebauer 2005)

Es gibt gute Schulen in Deutschland. Das kann man zum Beispiel auch daran sehen, dass sich viele Schulkollegien um den deutschen Schulpreis bewerben. Einige Schulen gehen als Gewinner daraus hervor. (http://schulpreis.bosch-stiftung.de/content/language1/html/index.asp). Aber noch gleichen sie Sternschnuppen. Manche von ihnen werden nach kurzer Zeit verglühen. So wie vor ihnen viele erfolgreiche Modellprojekte aus dem Gesichtsfeld verschwunden sind. Wahrscheinlich war es ein Cocktail aus Gleichgültigkeit, Angst und Überheblichkeit, der die deutsche Schulmisere über Jahrzehnte in die Sackgasse geführt hat. Bereits Mitte der siebziger Jahre wusste man sehr genau, worauf es bei dringend gebotenen schulischen Reformen ankommen würde.

Gelingende Schulen gibt es in großer Zahl

Die skandinavischen Länder haben in den siebziger Jahren vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse heftige bildungspolitische Debatten geführt. Das Ergebnis ist eine Schulform, deren Erfolge heute zu besichtigen sind. Längst haben wir uns in Deutschland mit den Faktoren, die den „Pisa-Sieger“ Finnland auszeichnen, vertraut gemacht. Entscheidende Gesichtspunkte sind:

  • Die finnische Philosophie der Bildung beruht auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens.

  • Kinder lernen in den ersten Jahren von den Besten.

  • Für Grundschullehrer gibt es ein hartes Auslesverfahren. Neben einer schriftlichen Prüfung vor Aufnahme des Studiums geht es in Gesprächen um die Motivation der künftigen Lehrerinnen und Lehrer. Sie müssen auch zeigen, ob sie in Gruppen Aufgaben lösen können. (vgl. dazu ein Gespräch mit dem finnischen Erziehungswissenschaftler Matti Meri: http://www.regio-tv.global-click.de/regio_html/vi_kongress2.html )

  • Im Studium wird die Qualifikation erworben, Kinder bis zur 10. Klasse zu unterrichten.

  • Das Hauptfach des Studiums ist das Unterrichten selbst; es geht um Pädagogik, Psychologie und Didaktik.

  • Im Zentrum der wissenschaftlichen Abschlussarbeit stehen Fragen der Erziehung.

  • Die besonderen Fähigkeiten finnischer Lehrerinnen und Lehrer: Sie machen differenzierte Unterrichtsangebote, fördern entdeckendes Lernen, würdigen die Lernbemühungen des einzelnen Schülers und sie haben aufgrund der Schulstruktur viel Zeit für gemeinsamen Unterricht.

Zwei wesentliche Aspekte zeichnen die „PISA-Sieger“ aus: die Länge des Schultags und die Zeit des gemeinsamen Lernens.

Das spricht für Ganztagsschulen und für eine längere gemeinsame Schulzeit und damit gegen die frühe Aufteilung der Schülergruppen, wie sie das deutsche System weiterhin betreibt und nicht davon lassen will. „Nirgendwo auf der Welt werden Schüler so früh, so endgültig und so vielfältig aufgeteilt wie in Deutschland. Wer in den ersten Schuljahren ins Hintertreffen gerät, verbaut sich meist für immer die Schulkarriere. Halbtagsunterricht und Dreigliedrigkeit bilden zusammen den Nährboden für die hierzulande so ausgeprägte soziale Ungerechtigkeit.“ (Süddeutsche Zeitung vom 6. 12. 04). Diese Erkenntnis liegt nun auch schon wieder vier Jahre zurück.

Die Kinder aus den Ländern mit großen Erfolgen gehen mindestens 6 Jahre, meistens sogar 8 oder 9 Jahre, gemeinsam zur Schule. Warum ist das bei uns nicht so? Heftig wird bereits wieder der alte Streit um die richtige Schulstruktur geführt. Zu einer Demokratie gehören hitzige Debatten, aber in Deutschland geht es um einen ideologisch erstarrten Schlagabtausch. Die Kämpfer – Männer und Frauen gleichermaßen – erscheinen in Ritterrüstungen, schlagen aufeinander ein, wo es doch darauf ankäme zu erkennen, was eigentlich gerettet werden sollte. Es herrscht ein bildungspolitisches Kampfgetümmel. Ein notwendiger bildungspolitischer Diskurs über wichtige Erkenntnisse aus den Bereichen der Entwicklungspsychologie, Säuglings-, Bindungs- und Hirnforschung findet kaum statt.

Man muss die Kinder und Jugendlichen mögen, wenn man ihnen eine Zukunft durch Bildung eröffnen will. Das schließt bestimmte Maßnahmen aus oder rückt sie nicht an die erste Stelle.

Eine falsche Erzählung von den Zuständen im Land

Die eindringliche Frage lautet, ob unsere Gesellschaft wirklich jedem Kind seine Entwicklungschance einräumen will. Wer diese Frage bejaht, muss heute – und zwar jenseits der Diskussion um die richtige Struktur – Prioritäten setzen. Dazu gehören verstärkte Anstrengungen im Schuleingangsbereich und wirksame Fördermaßnahmen für Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen. Damit sind nicht die frühen Sprachtest und auch nicht die gängigen Fördermaßnahmen gemeint. Die alten Kämpfer wollen nicht verstehen, dass sie ihre Rüstungen verschrotten müssen.

Es ist unwissenschaftlich und menschenverachtend, wenn über fragwürdige Testverfahren die Hoffnung geweckt wird, man bemühe sich um Bildungsgerechtigkeit. Wäre Gerechtigkeit in der Bildung ein Ziel, müssten Entscheidungen getroffen werden, die den einzelnen Schüler im Blick hätten. So hat sich – man kann es kaum fassen – eine Papier- und Förderprogrammpädagogik etabliert, die auch den Rest von Lernlust noch auslöscht. Worauf es ankommt, ist ein tragendes Beziehungsangebot, das dem Schüler vermittelt: „Ich habe Interesse an deiner Entwicklung.“ Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir mit Formulierungen wie: „Deutsche Schüler sind nur Mittelmaß“ aufhören würden. Das ist eine falsche Erzählung von den Zuständen im Land. Täglich geben sich die meisten Schüler und Schülerinnen große Mühe, die ihnen gestellten Aufgaben zu erfüllen. Sie wollen und können lernen, sind klug, engagiert und weitsichtig. Ihr Lernvermögen speist sich aus frühkindlichen Erfahrungen von Geborgenheit und Vertrauen.

Den benachteiligten Kindern eine Chance geben

Die Schüler hingegen, die große Probleme beim Lernen haben, deren Interesse erlahmt, und die schließlich keine Chance für sich sehen, brauchen nicht nur unser Verständnis, sondern in besonderer Weise unser Zuwendung und Hilfe. Ihnen sind die Faktoren, die ihre Lernchancen beeinträchtigen, nicht anzulasten. Sie brauchen auch andere Rahmenbedingungen und Anregungen, die sie in ihrem Selbstwert bestärken. Sie brauchen individuelle Hinweise darauf, wie sie Strategien des Lernens erwerben können. Das kostet nicht nur Geld, sondern erfordert Pädagogen, die bereit sind, sich auf die individuellen Lernmöglichkeiten eines Kindes einzulassen. Gemeint sind die Kinder – ihr Anteil macht etwa 25 Prozent aus – die aus so genannten bildungsfernen Elternhäusern kommen. Viele von ihnen müssen aus Scham ihre ganze Energie dafür aufwenden, dass ihr geringes Lernvermögen möglichst nicht entdeckt wird.

Wir dürfen die Kinder nicht beschämen“ – das ist ein Leitsatz finnischer Pädagogik. In Finnland führte dieses Credo zu verstärkten Anstrengungen im Schuleingangsbereich. Es wurden wirksame Fördermaßnahmen für Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen entwickelt. Dazu bedurfte es eines guten Versorgungsschlüssels für die Betreuung der Kinder mit Lehrern, Sozialpädagogen und Therapeuten. Langfristig wird es in Deutschland genau darum gehen müssen. Wie auch immer sich unser Schulsystem weiterentwickeln mag, bereits heute müssen wir uns um die Gruppe der Kinder und Jugendlichen kümmern, die zwischen 12 und 16 Jahre alt sind und zu denen gehören, deren Chancen durch eine unzureichende Lernkompetenz von Tag zu Tag schwinden.

Erst kürzlich feierten die Kultusminister den Beschluss eines Handlungsrahmens, mit dem die Zahl der Schulabbrecher halbiert werden soll. Ein nobles Vorhaben. Immerhin verlassen gegenwärtig 7,9 Prozent aller Jugendlichen die Hauptschule ohne Abschluss. Ihr Dilemma beginnt bereits in den Familien und setzt sich in den Schulen fort. Eine gemeinsame neun oder zehnjährige Schulzeit und ein qualifiziertes Ganztagsangebot könnten wahre Wunder bewirken. Realitätssinn, Kreativität, emotionale Kompetenz, Risikofreude und Abkehr von ideologischen Standpunkten wären erforderlich, wenn es in der deutschen Bildungspolitik wieder bergauf gehen sollte.

Konkrete Hilfen sind wichtig

Viele Jugendliche verfügen nicht über das Wissen, das die Wirtschaft von ihnen erwartet. Aber die Situation verbessert sich nicht dadurch, dass die Verbandsvertreter immer wieder auf diesen Sachverhalt hinweisen. Wir brauchen Menschen, die sich für die Kinder und Jugendlichen einsetzen. Es gilt durch konkreten Einsatz das Selbstvertrauen und die Leistungsfähigkeit von Jugendlichen zu stärken, die nicht so gut durch die Schule gekommen sind. Beides ist möglich. Hier muss auch die Wirtschaft ihren Beitrag leisten. Einige Betriebe tun dies in vorbildlicher Weise. Es gibt viele kreative Versuche. Die Göttinger Unternehmerin Katja Thiele-Hann erhielt 2004 den Heribert-Späth-Preis dafür, dass sie sich in „herausragender Weise für die Ausbildung junger Menschen verdient gemacht hat.“ Ihr Motto: „Wir glauben an die Jugend.“ (vgl. Gebauer, 2005, S.225 ff.)

Modelle des Gelingens

Es gibt Modelle des Gelingens. Sie umzusetzen erfordert flexibles Denken und Handeln. Der Film „Treibhäuser der Zukunft“ (R. Kahl, 2005; www.archiv-der-zukunft.de) zeigt, mit welcher Begeisterung Schüler bei der Sache sein können. Ihre Begeisterung wird demzufolge mitgelernt und in ihrem neuronalen Netz verankert. Das sollte unser Anliegen sein. Wer bereit ist, Verantwortung für die Erziehung und Bildung der nachfolgenden Generation zu übernehmen, der muss dieser Generation nahe sein und sich in die Potenziale der Fünfjährigen ebenso wie in die der 15-jährigen einfühlen können. Die Betonung liegt auf EINFÜHLEN. Dazu braucht man Mut. Lernen gibt es immer nur in emotional bedeutsamen Zusammenhängen. Dann wird es lebendig, dann wird es interessant. Im deutschen Schulwesen stehen die Fächer mit ihren Sachaspekte im Vordergrund. Der Bereich des emotional-sozialen Denkens führt ein Schattendasein. Darin liegt eine wesentliche Ursache für das Scheitern von Bildungsprozessen.

Natürlich kann man auch unter Druck und Angst lernen. Aber – in diesen Fällen werden auch immer Angst und Druck mitgelernt. Das betrifft kleine Kinder genau so wie Jugendliche und auch ihre Lehrerinnen und Lehrer. Leider muss man befürchten, dass diese Zusammenhänge nicht in ihrer Problematik beachtet werden. Wenn der Druck übermächtig wird und im emotionalen Teil des Gehirns das Stresssystem in Gang setzt, dann treten körperliche und psychische Symptome auf, die in die Krankheit führen. Sehr deutlich zeigen das die Ergebnisse der Freiburger Schulstudie. (http://www.psychotherapie-prof-bauer.de/titelframe.htm )

Gelingen basiert auf Vertrauen

Die größten Erfolge im Kindergarten und in der Schule sind offensichtlich dort zu erreichen, wo die Erwachsenen eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen und durch vielfältige Anregungen den Kindern die Chance zu selbstständigem Lernen eröffnen. Auf diese Weise erfahren sie ihre Selbstwirksamkeit und entwickeln eine grundlegende Motivation. Ergebnisse der Schulentwicklungsforschung verweisen darauf, dass die Atmosphäre im Klassenzimmer und das pädagogische Beziehungsangebot der Lehrkräfte entscheidend für die Lernentwicklung der Schüler sind. (Gebauer/Hüther, 2004).

Wie dies auf der Handlungsebene einer Schule geschehen kann, habe ich an der 25-jährigen Entwicklungsgeschichte der Göttinger Leineberg-Grundschule in früheren Publikationen beschrieben (Gebauer, 1996; 1997; 2000; 2002).

Innovationen durch Eigenaktivität und Umsicht

Heute kann man sich an den Schulen orientieren, die es auf die Auswahlliste für den Deutschen Schulpreis geschafft haben oder diesen Preis sogar gewonnen haben.

Wesentliche Kriterien sind:

  • Umgang mit Vielfalt

  • Unterrichtsqualität

  • Schulleben

  • Schule als lernende Institution

  • Verantwortung

  • Leistung

 

Schule als Haus des Lernens

 

Schon lange vor der Vergabe des Deutschen Schulpreises gab es beachtliche Bemühungen, gelingende Lernprozesse zu beschreiben. Die Bildungskommission von Nordrhein-Westfalen hat dies 1995 mit dem Begriff „Schule als Haus des Lernens“ versucht. Dort heißt es: „Schule als »Haus des Lernens«

  • ist ein Ort, an dem alle willkommen sind, die Lehrenden wie die Lernenden in ihrer Individualität angenommen werden, die persönliche Eigenart in der Gestaltung von Schule ihren Platz findet,
  • ist ein Ort, an dem Zeit gegeben wird zum Wachsen, gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt voreinander gepflegt werden,
  • ist ein Ort, dessen Räume einladen zum Verweilen, dessen Angebote und Herausforderungen zum Lernen, zur selbsttätigen Auseinandersetzung locken,
  • ist ein Ort, an dem Umwege und Fehler erlaubt sind und Bewertungen als Feedback hilfreiche Orientierung geben,
  • ist ein Ort, wo intensiv gearbeitet wird und die Freude am eigenen Lernen wachsen kann,
  • ist ein Ort, an dem Lernen ansteckend wirkt.“ (Jürgens / Standop, 2004, S171 ff.).

In diesen Überlegungen steckt Hoffnung. Sie kann dann Realität werden, wenn sich Menschen vor Ort zusammenschließen und die Kerngedanken in ihrer Schule verwirklichen: Vertreter der Kommunen, Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrer und Unterstützer.

Ein Diskurs auf dem Hochseil

Heute scheinen viele Personen, die bildungspolitische Verantwortung tragen, die Nöte mancher Schüler von ihrem hohen Posten aus nicht mehr wahrzunehmen. Deswegen brauchen wir das Engagement von Menschen, die vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrungen den Lernwillen der Kinder und Jugendlichen unterstützen wollen. Kreative Kommunikations- und Aktionsformen sind gefragt. Und dann gilt es, Schritt für Schritt voranzukommen, achtsam, möglichst genau und unter Beachtung der individuellen Möglichkeiten. Vielleicht ist dieses Vorhaben zu vergleichen mit dem Geschick eines Seiltänzers, der behutsam und immer mit dem Blick zum Horizont sein Vorhaben vollbringt.

Perspektive, Wagnis, Mut und Selbstsicherheit verbinden sich mit diesem Bild. So schwierig der Tanz auf dem Seil auch ist, der Akteur muss seine Leistung alleine erbringen. In der Praxis einer KITA oder Schule sind aber immer mehrere Personen in Aktion. Ihre komplexen Aufgaben werden Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrer vor allem dann erfüllen können, wenn sie im Team ihre Ideen entwickeln, Probleme benennen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Wie ein roter Faden zieht sich bei einer Analyse erfolgreicher Schulmodelle die Erkenntnis, dass es neben den erforderlichen Rahmenbedingungen vor allem auf das Engagement einzelner Personen ankommt, die sehr wohl wissen, dass sie bei ihrer Suche nach Antworten auf aktuelle Fragen Kooperationspartner brauchen.

Es kommt auf die Leistungsbereitschaft des Einzelnen ebenso an wie auf die Fähigkeit, in einem Team gemeinsam Ideen umzusetzen. (Fittkau, 2005)

Was die Bildungsbürokratie wissen könnte

Unser Wissen über gelingende Bildungsprozesse ist sehr groß. So ist bekannt, dass sichere Bindungen für die Entwicklung der Persönlichkeit eine wichtige Voraussetzung darstellen. Das ist ein wesentliches Ergebnis der Bindungsforschung (Gebauer/Hüther, 2001). Die Qualität der Beziehung zwischen nahen Erwachsenen und dem Kind ist entscheidend für erfolgreiches Lernen.

Bin ich hier willkommen?“ Das dürfte die elementare Frage eines Babys sein. Es ist eine emotionale Frage. Wenn Mutter und Vater ihrem Kind durch ihren Körper- und Augenkontakt die Antwort geben: „Ja, du gehörst dazu!“, dann führt diese Erfahrung im kindlichen Gehirn zum Wachstum von Nervenzellen, die das Gefühl einer grundlegenden Sicherheit beherbergen. Dieser Vernetzungsprozess setzt sich durch die gesamte Kindheit und Jugend fort. Schenken Erzieherinnen und Lehrer den Kindern das sichere Gefühl, dass sie in der KITA und in der Schule willkommen sind, dann legen sie eine sprudelnde Quelle fortwährender Motivation frei.

Das trifft nicht nur für die frühe Kindheit zu, wenngleich sie hier einen äußerst hohen Stellenwert hat. Die Bedeutung der „pädagogischen Beziehung“ kümmert in der deutschen Bildungslandschaft leider ohne ausreichenden Nährboden dahin. Es steckt dahinter das geringe Vermögen, mit eigenen Emotionen und den Emotionen der Schülerinnen und Schüler angemessen umzugehen. Hier sind sowohl im Studium, in der Phase des Referendariats und im pädagogischen Alltag Abwehrhaltungen zu beobachten.

Im Spiel machen Kinder vielfältige emotionale und kognitive Erfahrungen, die sich auf eine differenzierte Ausbildung ihres Gehirns positiv auswirken. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen und Selbstwirksamkeitserfahrungenverstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Im Kindergarten ist es vor allem das Spiel, das dem Kind erlaubt, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und emotionale Konflikte zu bewältigen. Trotz großer Anstrengung, gelegentlicher Rückschläge und Enttäuschungen und Momenten von Langeweile kann das Spiel daher für das Kind zu einer unersetzlichen Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das ist z. B. eine wichtige Erkenntnis, die bei der Entwicklung von Bildungsstandards für Kindergärten berücksichtigt werden müsste. Dies hätte dann auch Auswirkungen auf die Gruppengröße und die Versorgung einer Kindergartengruppe mit entsprechend ausgebildetem Personal. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Artenschutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste Es besteht die Gefahr, dass sich zum Beispiel in der frühkindlichen Bildung kognitiv geleitete Förderprogramme einnisten, und dem Spiel der Kinder den Platz wegnehmen. (Gebauer/Hüther, 2003)

Schon in der Familie werden für die Kinder die Chancen verteilt. Hier finden ihre ersten Orientierungen statt. Wenn Lernen gelingen soll, brauchen Kinder Vorbilder, die sie schätzen, von denen sie gern etwas übernehmen, mit denen sie sich auch auseinandersetzen und streiten können (Gebauer/Hüther, 2002). Kinder kommen u. a. aufgrund ihres familiären Hintergrundes mit unterschiedlichen Voraussetzungen in den Kindergarten, das muss man bei der Konzeption eines Bildungsplans berücksichtigen. Dem Übergang vom Kindergarten zur Schule müsste unter dem Aspekt der individuellen Förderung größere Aufmerksamkeit zuteil werden, denn hier werden die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt. Die Phase des Übergangs von der Schule ins Berufsleben ist nicht weniger wichtig.

G 8 macht Bauchschmerzen

Das Kürzel G 8 beschreibt die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit. In acht Jahren soll nun gelernt werden, wofür früher die Zeit von neun Jahren zur Verfügung stand. Erst nach und nach macht sich bei vielen Eltern Unmut breit. Ihre Kinder klagen über Kopf- und Bauchschmerzen. Die Freude an der Schule schwindet, weil die mit ihr verbundenen Aufgaben bis in den späten Nachmittag reichen. Die Zeit für Freundinnen und Freunde, für Hobbys wie Sport und Musik schrumpft. Kinder senden wichtige Signale, aber den Bildungsverwaltern scheint das Sensorium für die Bedeutung dieser Symptome zu fehlen. Kinder können in kurzer Zeit viel und intensiv lernen, wenn die Atmosphäre und die Lernformen stimmen. Darauf wird z.Zt. in vielen Schulen nicht genügend geachtet.

Die Landtagswahlen (2008) in drei Bundesländern rückten das Thema Bildung weit nach vorne. Eltern gaben ihrem Unmut über die verfehlte Schulpolitik eine Stimme. Die Situation ist in vielen Bundesländern ähnlich. So sind in Bayern 67 Prozent der Eltern mit der dortigen Schul- und Bildungspolitik unzufrieden. 57 Prozent der Befragten nennen den durch die Verkürzung der Schulzeit entstandenen Druck als Ursache. (infratest-dimap) Inzwischen sind in der Bildungspolitik hektische Aktivitäten zu beobachten. Nun kann es mit der Kürzung der Stoffpläne wieder nicht schnell genug gehen. Eine Philosophie der Bildung, in deren Mittelpunkt die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes steht, ist nur schwer zu erkennen. Es herrscht in den Diskussionen der Bildungsverwalter eine rein technische Vorstellung von Bildung. Mangelt es den Bildungsgestaltern an geistiger Anstrengungsbereitschaft? Können sie den Sinn von Bildung nicht erkennen? Es konkurrieren im deutschen Bildungssystem zwei Konzepte miteinander. Auf der einen Seite steht eine Konzeption, die den Plan und die von außen geleitete Planbarkeit von Bildung in den Mittelpunkt stellt. Diese Konzeption berücksichtigt nicht die Ergebnisse der modernen Hirnforschung. Daneben gibt es eine Konzeption, die ihre Wurzeln in der Kindergartenpädagogik hat. Sie geht von den Aktivitäten des Kindes aus, schafft eine anregende Umwelt, strukturiert und rhythmisiert den Tagesablauf und achtet darauf, dass die Erzieherinnen den Kindern emotional zugewandt sind. Diese Konzeption wird durch aktuelle Forschungsergebnisse gestützt. In ihrem Kern geht es um die Aktivierung von Selbstwirksamkeit. Sie eröffnet Zukunft. In ihr finden auch die Emotionen ihren Gestaltungsraum.

Eine zukunftsoffene Bildungspolitik müsste diese Ansätze stärken und dafür sorgen, dass sie in die schulische Pädagogik Eingang findet. Leider ist zu beobachten, dass ein konservatives Beharren auf der Planwirksamkeit um sich greift. Die treibenden Kräfte entwickeln sich – das ist den Planern oft nicht bewusst – aus einer emotionalen Mixtur aus Angst, Gleichgültigkeit, Unwissenheit und Machtgelüsten.

Vertrauen verspielt

Das Streben nach Geld und Macht der wirtschaftlichen Eliten scheint den Blick für die in dieser Gesellschaft notwendigen Bildungsanstrengungen zu vernebeln. Die Eliten konstruieren gerne einen Gegensatz von Anstrengung und Spaß. Sie sind dabei, den Schülerinnen und Schülern die Freude am Lösen von Problemen auszutreiben. Niemand glaubt, dass gelingendes Lernen ohne Anstrengungsbereitschaft möglich ist. Aber Freude über Lernerfolge ist so notwendig wie die Luft zum Leben. Nicht weniger wichtig scheint die ernüchternde Erkenntnis in Zeiten der Finanzkrise zu sein, dass so manche Manager großer Banken nicht nur das Geld sondern auch das Vertrauen, das in ihre Kompetenzen gesetzt wurde, verspielt haben. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Menschen mit bildungspolitischer Verantwortung, den Schülerinnen und Schülern hinsichtlicht ihrer Leistungsbereitschaft in hohem Maße misstrauen. Anders lässt sich die Test- und Evaluationswut, die unser Land überzieht, nicht erklären. Dabei gibt es keinen Grund, dem Lernwillen und der Lernbereitschaft der Schülerinnen und Schülern mit einem solchen Misstrauen entgegen zu treten. Kinder werden als Entdecker geboren. Sie wollen lernen. Dort wo es ihnen nicht gelingt, sind meistens die Erwachsenen die Verursacher.

Die Banalität der Kontrolle durchweht die Klassenzimmer

Der deutschen Bildungspolitik ist das Vertrauen gegenüber der jungen Generation abhanden gekommen. Sie misstraut den Bildungsbemühungen der Schülerinnen und Schüler und setzt Kontrolle an die erste Stelle ihrer Reformen.

Die Bildungspolitik der Gegenwart scheint nahezu unfähig zu sein, ein zugewandtes und freundliches Interesse an den Lernbemühungen der Kinder und Jugendlichen aufzubringen. Damit hat sie das Scheitern von Bildung – ohne dies vielleicht bewusst zu wollen – im System etabliert.Eine Bildungspolitik die in Luftblasen von einem System der Durchlässigkeit spricht, in der Realität aber ein System der Aussonderung installiert und aufrecht erhält, öffnet der Angst Tür und Tor. Die Folgen sind Stress und Lernversagen.

 

Vertrauen schaffen – Emotionen beachten

Ist erst einmal der Weg in die falsche Richtung eingeschlagen, schaffen es nur wenig Menschen, diesen Irrtum zu akzeptieren und nach neuen Wegen Ausschau zu halten. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die deutsche Bildungspolitik. Kurs halten, so lautet die Parole der Bundesministerin für Bildung und Forschung, bei der Eröffnung der größten Bildungsmesse „didacta“ in Stuttgart. Im Spiegel Nr. 9 vom 25.02.08 bestärkt sie den eingeschlagenen Weg und fügt einen bedenkenswerten Satz hinzu: „Die Wende zur Empirie in der Bildungspolitik hat entscheidend dabei geholfen, von gefühlter Wirklichkeit wegzukommen.“ Sie hat es nicht so gemeint, aber genau darin besteht das Dilemma der deutschen Bildungspolitik, dass sie die Realität der Schülerinnen und Schüler gefühlsmäßig nicht wahrnehmen kann. Man hat den Eindruck, als gebe es bei vielen Bildungspolitikern einen Stau im limbofrontalen System.

Vertrauen ist die Grundlage von Bildung

Vertrauen ist eine Vorleistung, die Erwachsene den Kindern und Jugendlichen entgegenbringen müssen, damit diese selbst Vertrauen ausbilden können. Natürlich ist Vertrauen mit Risiken behaftet, aber das größere Risiko ist fehlendes Vertrauen.

Die jahrzehntelange Vernachlässigung schulischer Bildung hat die jetzige Generation der Erwachsenen zu verantworten. Statt sich dieser Verantwortung zu stellen, setzt sie durch völlig überzogene Kontrollen Schülerinnen und Schüler unter Druck und löst bei vielen von ihnen das Stresssystem mit allen schlimmen Folgen aus. Auf diese Weise hat das Unglück Einzug in viele Schulen gehalten. Es bleibt abzuwarten, ob und welche Bildungspolitiker einmal für diese Versäumnisse die Verantwortung übernehmen werden.

Motivation und Freude am Lernen

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Erzieher und Lehrer können „nur“ Angebote machen und Lern- und Motivationsräume für die Ihnen Anvertrauten schaffen. Lernen können nur die Schüler selbst. Deshalb ist eine entscheidende Voraussetzung für gelingendes Lernen eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Für das Entstehen einer lernförderlichen Atmosphäre in den Schulen tragen neben den Lehrkräften auch die Kultusminister die Verantwortung. Es scheint, als hätten sie diese Aufgabe aus dem Blick verloren. Erst mit der einsetzenden Finanzkrise und der nachfolgenden Wirtschaftskrise werden die großen Versäumnisse in der Erhaltung und Pflege der Schulgebäude sichtbar. Nun werden Gelder zur Verfügung gestellt. Natürlich ist das gut zu heißen. Nichts ist gegen die Schaffung von Arbeitsplätzen einzuwenden. Allerdings hätte eine Politik, die ja über Jahrzehnte über genügend Geld verfügte, bessere Rahmenbedingungen eröffnen können.

Leitbild für eine Schule der Zukunft

Freude am Lernen und eine hohe Lernmotivation stellen sich dann ein, wenn Kinder ihre Lernprozesse vorwiegend selbst gestalten können und wenn Eltern, Erzieherinnen und Lehrer die Bemühungen ihrer Kinder / Schüler angemessen würdigen. Kinder brauchen, damit sich ihr Gehirn differenziert entwickeln kann, vielfältige Herausforderungen. Die gestellten Probleme müssen allerdings für sie lösbar sein. So erleben sie sich als Urherber ihrer Lernprozesse. Es kommt Freude über das Gelingen auf. Dies führt im Gehirn zur Aktivierung des dopaminergen Systems. In der Dynamik von Anstrengung und Freude über den Erfolg liegt die Quelle des Lernens.

Achtung vor der Verschiedenartigkeit der Kinder

Kinder lernen unterschiedliche schnell, unterscheiden sich in ihrer Motivation, ihrer Konzentration und in ihren Lernstrategien. Die Beachtung der Verschiedenartigkeit – ihre Achtung – ist daher das A & 0 gelingender Bildungsprozesse. Nicht genug damit: Jedes Kind braucht für seine individuellen Bemühungen eine individuelle Resonanz.

Kinder, die aus unterschiedlichen familiären Konstellationen und mit verschiedenen kulturellen Hintergründen in die Schule kommen, müssen zunächst und über viele Jahre in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen und gewürdigt werden. Es gilt daher Bildungsstandards in die schulische Pädagogik einzuführen, die gewährleisten, dass Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen und gewürdigt werden.

Weil diese wichtigen Faktoren in der Bildungsdebatte der Gegenwart nur eine untergeordnete Rolle spielen, könnten die wenigen Schulen mit innovativem Potenzial bald wie Sternschnuppen verglühen. Es sind nicht die Tests, es sind nicht die blutleeren Förderprogramme, die Kindern mit Lernproblemen eine Chance eröffnen. Erfolg in der deutschen Bildungspolitik könnte sich dann einstellen, wenn es vielen Lehrerinnen und Lehrern gelänge, ihren Schülerinnen und Schülern ein zugewandtes Interesse entgegen zu bringen. Kinder brauchen erwachsene Menschen, die ihnen Vertrauen schenken, die sie anregen, ihnen Hilfe anbieten und sie auf ihrem Lernweg begleiten. Unter diesen Vorzeichen müsste – so ist meine Sichtweise – die deutsche Bildungspolitik neu gedacht werden.

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