Erschienen auf https://www.main-echo.de/freizeit/mami-papi-ich/eltern/art490001,6607213
Spielen ist für Kinder der beste Weg, für das Leben zu lernen. Mit Pädagoge Karl Gebauer sprach Redakteurin Fee Berthold-Geis darüber, ob Kinder überhaupt Spielzeug brauchen und warum Langeweile gut ist.
Der Spielefachmann hat mehrere Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen veröffentlicht und 17 Jahre lang jährlich einen Bildungskongress an der Georg-August-Universität in Göttingen geleitet.
Warum ist Spielen so wichtig?Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Für ihre Entwicklung brauchen sie daher Spiel- und Erlebnisräume, die ihnen Entdeckungen ermöglichen.Bei Beobachtungen zeigt sich immer wieder, dass sich kleine Kinder bereits über längere Zeitspannen mit einem Gegenstand beschäftigen können. Das kann ein kleiner Ast, ein Spielzeugauto, ein Löffel, eine Puppe, eine Halskette der Mutter, ? sein. Kinder fassen die Objekte an, bewegen sie hin und her, beobachten und erkunden, was damit alles möglich ist. Dadurch werden die Grundlagen für entdeckendes Lernen und Forschen geschaffen.
Wie hängen Spielen und Fantasie zusammen? Ein Mobile über dem Kinderbett oder im Kinderzimmer regt nicht nur die kindliche Fantasie an, sondern führt auch dazu, dass Kinder diese Bewegungen durch Greifen und Pusten beeinflussen wollen. Überhaupt versuchen kleine Kinder durch das Greifen ihre nahe Welt zu »begreifen«. So geht nahezu jedes Kind in den ersten Monaten seines Lebens mit seinen kleinen Fingern im Gesicht von Mutter oder Vater auf Entdeckungstour. Wenn die Erwachsenen sich darauf einlassen, eventuell muntere Geräusche machen, wenn sich ihr Kind mit ihrer Nase beschäftigt, dann kann das die schönsten emotionalen Erfahrungen auslösen. Es wird beim Kind den Wunsch wecken, diese überraschende und wohltuenden Situationen immer wieder herbeizuführen.
Weil das glücklich macht?Ja, während dieser Aktivitäten werden im Gehirn Glückshormone, also Opioide ausgeschüttet, die ein Kind motivieren, solche interessanten Situationen immer wieder herbeiführen zu wollen. Seine Motivation wird entwickelt und gestärkt. In einer solchen Eltern-Kind-Beziehung werden die Grundlagen für entdeckendes Lernen gelegt. Solche freudigen Erlebnisse werden im Gehirn verankert. Es werden die beteiligten Nervenzellen im Gehirn miteinander verknüpft und es bilden sich Netzwerke, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können.
Brauchen Kinder Spielzeug?Kinder brauchen nicht unbedingt das neueste Spielzeug, das der Markt bietet, sie brauchen Gegenstände und Materialien, die sie anregen, herausfordern und ihnen immer wieder die Chance eröffnen, ihre ganz eigenen Erfahrungen mit den Sachen zu machen. Für Kinder ist ihre nahe Umwelt von großer Bedeutung. In der Regel blicken sie mit Interesse auf die vielen Alltagsdinge, die sie in ihrem Kinderzimmer, im Wohnzimmer oder Bad vorfinden. Später machen sie Entdeckungen vor allem mit Materialien wie Wasser, Erde oder Sand. Der Sandkasten ist – ebenso wie das Spielen im Gebüsch – ein idealer Ort für Entdeckungen aller Art.
Die Kinder einfach machen lassen?Entscheidend ist, ob Eltern ihren Kindern genügend Freiräume lassen. Hier ergeben sich auch Konflikte unter den Kindern. Gelegentlich auch unter den Eltern. Es ist gut für die Kinder, wenn Eltern ein Verständnis für diese Konflikte haben und mit dem nötigen Einfühlungsvermögen helfen, die jeweilige Situation zu klären. Hier liegen die großen Chancen für die Entwicklung von sozialer Kompetenz.
Geht die Fähigkeit zu spielen heute stückweise verloren?In manchen Forschungsberichten wird auf dieses Phänomen hingewiesen. Die Zeiten ändern sich, es gibt neue Spielangebote. In manchen Angeboten lauert die Gefahr, nur noch sehr einseitige Spiele zu spielen. Für eine gute Entwicklung ist es entscheidend, ob sich Eltern ihren Kindern in genügendem Maße zuwenden. Oft sind sie durch die Beschäftigung mit ihrem Smartphone abgelenkt.
Was kann man machen, damit Kinder die Fähigkeit zu spielen nicht verlieren? Hilfreich kann sein, sich als Eltern an die eigene Kindheit und die Spiele, die man gespielt hat, zu erinnern und zu überlegen, was einem damals gefehlt oder Freude bereit hat. Es ist vor allem wichtig, sich Zeit für sein Kind zu nehmen, es beim Spiel zu beobachten, sich an seinem Tun zu freuen und die Freude auch zu zeigen und auszusprechen.
Ist Langeweile etwas Gutes?Ein Kind sollte nicht permanent in Aktion sein. Erwachsene müssen nicht ständig springen, wenn das Kind nicht weiß, was es tun soll. Ruhe und Entspannung sind in der Kindheit wichtige Erfahrungen. Langeweile kann sich in Tagträume verwandeln und Fantasie anregen.
Sie sprechen von der »Zauberkraft des Spiels«? Was meinen Sie damit?Im Spiel zeigt sich die ganze Vitalität eines Kindes. Es kann versonnen spielen, kann gezielt bestimmte Dinge untersuchen und entdecken, was man mit ihnen alles machen kann. Im Spiel kann ein Kind vor allem aber die emotionale Gestimmtheit seiner Lebenssituation nachempfinden. Die einfühlende Zuwendung der Eltern vermitteln dem Kind Sicherheit und Geborgenheit. Sein Blick wird frei für alles was in seiner Umgebung möglich ist.
In seinem Tun, kann ein Kind erleben, dass es schon etwas bewirken kann. Es macht im Spiel die Erfahrung von »Selbstwirksamkeit«. Dies führt zu einer inneren Haltung, die wir Motivation nennen. Ein Kind entwickelt im und durch das Spiel enorme Kräfte für den Augenblick und für seine Zukunft. Es wohnt daher dem Spiel eine wahre Zauberkraft inne.