
(Größenphantasie eines 9jährigen Jungen, der auf diese Weise versucht, sich eine innere Sicherheit zu verschaffen. Das Projekt „Zeit für ein Kind“ wäre wahrscheinlich für ihn eine große Hilfe gewesen.)
Festvortrag für die Bürgerstiftung Göttingen (03.06.2025)
(überarbeitete Vortragsfassung)
Unsere Zukunft ist ungewiss!
Inmitten einer Welt, in der Komplexität und Unsicherheit den Takt angeben, sollten wir uns immer wieder bewusst machen, dass in der Gestaltung empathischer Beziehungen die Quellen für eine innere Stabilität zu suchen und zu finden sind (Gebauer, K., 2025). Unsere Möglichkeiten, als Einzelne das Weltgeschehen zu beeinflussen, sind in einer globalisierten Welt äußerst gering. Aber wir können unseren Blick auf den Nahbereich richten, sollten alles tun, um unsere Kommunikation gut zu gestalten. Das gilt in besonderer Weise für den Umgang mit unseren Kindern. Das bedeutet nicht, sich von den Problemen der Welt abzuwenden. Angesichts weltpolitischer Verwerfungen und gesellschaftspolitischer Veränderungen werden Vorschläge gemacht, die im Nahbereich zu Aktivitäten anregen, die im Kern sowohl eine positive Wirkung auf die individuelle Resilienz eines Menschen als auch auf gesamtgesellschaftliche Prozesse haben könnten. (vgl.:„Stürmische Zeiten – stabiles Ich“, in: Psychologie heute, Heft 2, 2025).
220 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Viele Menschen erleben Verfolgung, Hunger und Tod. Putins Angriffs-Krieg gegen die Menschen in der Ukraine könnte sich auf weitere Teile von Europa auswirken. Es herrscht Krieg zwischen Israel und der Hamas, der furchtbares Leid im Gazastreifen unter der palästinensischen Bevölkerung anrichtet. Tausende Menschen sind in dem Land vom Hungertod bedroht. Bilder von der unvorstellbaren Zerstörung und dem Leid der Menschen sind täglich in den Medien präsent. Leser*innen, die sich mit der historische Entwicklung in dieser Region beschäftigen, wissen, dass der Konflikt viele Ursachen hat und dass die angestrebte Zwei-Staaten-Lösung bislang keinen Erfolg hatte. (Baumgarten,H./Paech,N.,2025)
In beiden Kriegen zeichnet sich keine Lösung für ein friedliches Ende ab. Und es sind nicht die einzigen Kriege in unserer Welt. Was wir faktisch und emotional wahrnehmen können, ist das unendliche Leid der betroffenen Menschen.
Die gegenwärtige Weltlage ist hoch komplex. Demokratien sind in Gefahr. In der Regel greifen potenzielle autoritäre Herrscher zunächst das Rechtssystem eines Staates an. Bereits 2019 haben amerikanische Wissenschaftler auf die Gefahren hingewiesen, die jetzt in den USA Realität zu werden drohen. (Levitzky,S. /Ziblatt, D.)
Kinder und Jugendliche sind von der weltpolitischen Entwicklung in besonderer Weise betroffen. Ein Team von Soziologen schreibt aktuell dazu: „Für sie (die Kinder) ist heute der Krisenzustand zum Normalzustand geworden. Ihr Alltag ist geprägt von gestressten Eltern, überforderten Lehrkräften, orientierungslosen Erwachsenen und nicht zuverlässig funktionierenden Institutionen. Vieles deutet darauf hin, dass es aufgrund von Klimawandel, gesellschaftlichen Krisen und internationalen Konflikten in Zukunft noch schlimmer werden könnte. Kinder und Jugendliche erleben keine gesellschaftliche Stabilität und erst recht keine allgemeine optimistische Grundstimmung.“ (El Mafaalani, A. u.a., o.J., S.7/8.)
Im Rahmen meines Vortrags gehe ich der Frage nach, ob und wie Kinder trotz weltweiter Krisen bereits in den Situationen ihres Alltags Erfahrungen machen können, die in sich die Chance von Resilienz enthalten. Aus meiner Sicht liegt sie in der Dynamik von Selbstwirksamkeit und Resonanz und diese beginnt bereits in den ersten Lebensjahren. Hier wird die Basis für den Umgang mit Krisen gelegt. Bereits in der frühen Kindheit und der sich anschließenden Schulzeit entstehen und entwickeln sich auch die Grundlagen für eine demokratische Haltung.
Die Ausführungen des Vortrags kreisen um folgende Gedanken:
- Wie sieht die Lernspur zu einer inneren Stabilität aus?
- Grundlagen einer hoffnungsvollen Entwicklung – Sichere Bindungen in der frühen Kindheit
- Selbstwirksamkeit und Resonanz – ein elementares Beziehungsgefüge
- Empathie aktiviert und strukturiert unsere neuronalen Netze
- Gewalt- und Missbrauchserfahrungen schädigen und behindern den Aufbau der Gehirnstruktur
- Größenphantasien können hilfreich und zerstörerisch sein
- Erfolgreiche Klärungsgespräche – Voraussetzung für ein gutes Miteinander
- „Zeit für ein Kind“ – ein Zukunftsprojekt
- Neurologisch-psychologisches Lern- und Handlungsmodell
- Zukunft braucht Empathie – Demokratie schafft Zukunft
Teil I: Frühe Kindheit
In einer von Empathie geprägten zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation zwischen Mutter /Vater und Kind werden Erfahrungen gesammelt, die als Grundlage für Resilienz gelten können.Grundlage für meine Ausführungen sind vor allem die Ergebnisse der Säuglings- und Bindungsforschung. Der Forschungsstand im Jahr 2000 wurde im Rahmen des „Göttinger Kongresses für Erziehung und Bildung“ von den damaligen Repräsentanten vorgestellt und in dem Buch „Kinder brauchen Wurzeln“ publiziert. (Gebauer, K./ Hüther, G., Hrsg., 2001)
In den Vorträgen wurde deutlich, wie wichtig die körperliche Nähe unmittelbar nach der Geburt für ein Baby ist. Schon bald spiegelt es sich in den Augen der Eltern, möchte wahrnehmen, ob es willkommen ist auf dieser Welt. Psychologische und neurobiologische Studien gehen davon aus, dass gerade über diese Spiegelungsprozesse die Aktivitäten im kindlichen Gehirn angeregt werden. Wenn die Eltern verstehen, was ihrem Kind gut tut, was es braucht, wenn sie seine Mimik, Gestik und die Laute, die es von sich gibt, richtig interpretieren und angemessen darauf reagieren, dann sind das wichtige Grunderfahrungen über die ein Kind so etwas wie Urvertrauen entwickeln kann. Die vielfältigen Erlebnisse eines Kindes beim Waschen, Wickeln und Anziehen führen in seinem Gehirn zu emotional-sozialen Erfahrungsmustern. Es hörte Laute und Geräusche im Zusammenhang mit konkreten Ereignissen und sammelt so an jedem Tag neue Erfahrungen. Diese führen zur Ausbildung grundlegender neuronaler Strukturen im kindlichen Gehirn. „Diese ganz grundlegenden Mechanismen sind vor allem in der Interaktion zwischen Eltern und Kind wirksam. Die häufigsten Lernerfahrungen machen kleine Säuglinge ja nicht mit Spielzeug, sondern in der Interaktion mit Mutter und Vater.“ (Papouseck, 2007) Manchmal handelt es sich bei den Interaktionen um eine Geste, ein Lächeln oder eine freundliche Antwort. In solchen Augenblicken können Kinder – aber auch erwachsene Person – glückliche Momente erleben. In empathisch gestalteten Interaktionen liegen Kraftquellen für ein gelingendes Leben.
Wenn die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern stimmig ist, befinden sie sich in einer Dynamik von Entdeckerfreude und Resonanz. Das heißt, erwachsene Personen (Eltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen und Pat*innen) nehmen die Interessen der Kinder wahr und ermöglichen durch die Bereitstellung von Materialien Handlungs- und Lernmöglichkeiten.
Sie sollten daher in den Kitas und Schulen eine besondere Beachtung und Wertschätzung erfahren. Kinder müssen das Gefühl haben, dass sie in ihrer emotionalen Gestimmtheit und ihrer grundsätzlichen Lernmotivation wahrgenommen werden. Kleinste Handlungen innerhalb emotional gestalteter Interaktionen können Hoffnung spenden. Die Kunst der Erziehung besteht in der frühen Kindheit darin, sich in Ruhe den Bedürfnissen der Kinder zu widmen. Jedes Kind muss sich in seinem Tun wahrgenommen fühlen. Es braucht für sein Aktivitäten eine Bestätigung, eine Resonanz. Im Rahmen dieser Kommunikation kann sich Zuversicht entwickeln. Zuversichtserfahrungen können zu dem führen, was wir mit Hoffnung beschreiben. Hoffnung entwickelt sich in gelingenden interaktiven Prozessen. Es ist primär „die Hilfe von Menschen, die es gut mit uns meinen, die unser Ich stabilisieren.“ (Metzger, 2025, S.19). Damit ist auch der Kern des Projektes„Zeit für ein Kind“ angedeutet. (vgl.: https://gebauer-karl.de/patenschaftsprojekt-zeit-fuer-ein-kind/)
Kindheitsmuster Empathie
Wenn Kinder diese Bindungssicherheit nicht erleben und wenn sie darüber hinaus auch keine psychotherapeutische Betreuung erfahren (Brisch, K.H., 2009) , wenn sie stattdessen überwiegend Demütigungen und Gewalt erleben, dann besteht die Gefahr, dass sie dieses Erlebnismodell in späteren Jahren reproduzieren – meistens zu Ungunsten anderer Menschen, die mit der Ursprungssituation nichts zu tun hatten. Das heißt, sie bringen andere Menschen in eine ähnliche Leidenssituation, der sie als Kinder hilflos ausgeliefert waren.
Hier sind Ursachen für Hass, Demagogie, Destruktion und Zerstörung zu suchen. Diese Entwicklungsdynamik trifft vor allem dann zu, wenn Kinder mit ihren Gewalterfahrungen alleine gelassen wurden und wenn es in ihrer weiteren Entwicklung keinen Menschen gab, der ein auf Empathie basierendes Erfahrungsmodell vorleben konnte.
Hier wird auch die Quelle für die maßlose Destruktivität, die wir gegenwärtig in vielen Teilen der Welt beobachten können, vermutet. Allerdings: „Destruktive Kindheitseinflüsse bilden nur das Fundament für menschliche Destruktivität.“ (Fuchs, S.: „Die Kindheit ist politisch, Mattes, 2019, S. 342).
Im Extremfall führen solche Erfahrungen im späteren Leben zu Sympathien mit autoritären Systemen.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die zentrale Aufgabe für demokratische Politiker*innen, für Eltern, Kirchen, Gewerkschaften und überhaupt für Menschen, denen die Zukunft unserer Kinder am Herzen liegt, für eine emotional gestützte humane Entwicklung und Bildung Sorge zu tragen.
Hier sind auch die Gründe des Projektes „Zeit für ein Kind“ zu suchen. Das Projekt eröffnet für Kinder einen Schutz- und Erlebnisraum. Neuere Forschungen unterstützen diese Annahme. Durch die emotionale Zuwendung auch nur einer Person, erhalten Kinder die Chance, ein inneres Arbeitsmodell auszubilden, das es ihnen ermöglicht, psychisch gesund ihr Leben zu gestalten.
Aus der Studie „UWE“ (Umwelt, Wohlbefinden und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, Bertelsmann Stiftung) geht zum Beispiel hervor, dass „im Durchschnitt aller Grundschulen ein Drittel aller Kinder in der Schule keine erwachsene Person kennt, der sie wichtig sind.“ (El Mafaalani, A., u.a.,S.129)
Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Projektes „Zeit für ein Kind“ besonders sichtbar. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Erfahrungen von Prof. Peter Riedesser hinweisen:
„Je mehr Kinder bei uns und weltweit vernachlässigt, geschlagen, gedemütigt werden, desto höher steigt das destruktive Potential in unserem eigenen Land und weltweit. Weltweiter Kinderschutz ist der Königsweg zur Prävention nicht nur von seelischem Leid, sondern auch von Kriminalität, Militarismus und Terrorismus. Er sichert die Demokratie und den friedlichen kulturellen und ökonomischen Austausch. Unsere gesamte Kreativität und Entschlossenheit ist gefragt, dies zu realisieren.“ (Peter Riedesser, ehemaligerDirektor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zitiert nach Fuchs, S. (2019;): „Die Kindheit ist politisch“ (Seite 217).
Fuchs schreibt auch: „Nicht alle einst gedemütigten und misshandelten Kinder werden zu Gewalttätern.“ Er ergänzt: „Destruktive Kindheitserlebnisse bilden nur das Fundament für menschliche Destruktivität“. (Fuchs, S.,2019): S.341/342)
So ist zum Beispiel im Verlauf von Mobbingsituationen, wie sie später in der Schule auftreten können, zu beobachten, dass Diffamierungen, Unwahrheiten und Hassbotschaften ein solches Maß annehmen können, dass Opfer oft für sich keinen Ausweg mehr sehen. Der Verlust der Würde, der in solchen Handlungen sichtbar wird, gefährdet nicht nur ein individuelles Leben, im gesellschaftlichen Zusammenhang führt er zur Zerstörung von Demokratien (Levitzky / Ziblatt, 2019).
Wird allerdings die Dynamik einer Mobbingsituation angemessen bearbeitet, so werden die damit verbundenen Erfahrungen in den neuronalen Netzen des Gehirns gespeichert. Betroffene Menschen verfügen dann über ein inneres Arbeitsmodell, das es ihnen ermöglicht, vor allem Lügen und Manipulationen in komplexen Prozessen zu erkennen. Solche Erfahrungen können Kraftquellen für das Leben sein und somit als Grundlagen für demokratisches Handeln angesehen werden. Allerdings wird diese Fähigkeit durch die Algorithmen moderner Internet-Plattformen zunehmend erschwert. Diese stellen eine Verstärkung negativer Botschaften dar. Zu erwähnen und zu beachten sind auch Manipulationen, die oft von kleinen Gruppen initiiert werden und über Netzwerke eine unheilvolle Wirkung erzielen können.
Demokratischer Grunderfahrungen beginnen in der frühen Kindheit
Grundlegende Fähigkeiten für demokratisches Verhalten werden bereits in der Frühen Kindheit vorbereitet und in den Kitas und Schulen gefestigt.Gelingt es zum Beispiel einem Baby durch Lächeln, Weinen oder Schreien die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zu lenken, dann liegt darin die erste und wichtige Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Resonanz. Werden solche Situationen von den Eltern wohlwollend beantwortet, entwickelt sich eine sichere emotionalen Bindung des Kindes an seine Eltern. Damit hat es einen bedeutenden Schutzfaktor für seine Entwicklung erworben. Bindungssichere Kinder haben ein grundlegendes Gefühl von Ur-Vertrauen verinnerlicht, von dem aus sie nicht nur neugierig die Welt erkunden können, sie können auch in Zeiten von äußerer und innerer Bedrohung an dieses Bindungssystem anknüpfen und zu einer inneren Ruhe finden. Hier wird der Boden für das bereitet, was Tim Müller mit dem Begriff der „Selbstaffirmation“ beschreibt. Menschen kämen schneller durch Krisen, wenn sie sich an Ereignisse erinnerten, die Ihnen in der Vergangenheit geglückt seien. (Müller, T., 2025). Wenn das Finden einer inneren Sicherheit in der frühen Kindheit immer wieder erlebt werden konnte, dann kann diese Erfahrung in der Regel auch in Krisenzeiten abgerufen werden.
Beispiel: Wohlgefühl
Wer stellt sich schon beim Füttern eines Babys die Frage, ob das eine Bedeutung für demokratisches Verhalten in der Zukunft haben könnte?
„Schmeckt es dir?“ – „Möchtest du mehr davon?“ – „Hier kommt der nächste Löffel.“ – Das sind Sätze, verbunden mit Mimik und Gestik, die ein Kind ab einem bestimmten Alter täglich erleben kann, wenn Eltern ihre Handlungen sprachlich begleiten. In diesen einfachen Vorgängen liegen große Entwicklungspotenziale. Das melodische Sprechen der Erwachsenen, in Verbindung mir der Nahrungsaufnahme, schafft für das Baby einen Raum des Wohlgefühls. Es erlebt Wärme und kann so ein Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit ausbilden. Mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt es die Interaktionen naher Personen. Es spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, was das alles bedeutet. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen: „Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“ (Haug-Schnabel, 2003)
Ist das Grundbedürfnis nach Hunger und Geborgenheit gestillt, wird ein Kind nun auf vielfältige Weise versuchen, seine Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in der unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde und Sand. In der Krippe erlebt ein Kind, dass es neben ihm noch andere Kinder mit eigenen Interessen gibt. Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen, entstehende Unsicherheiten ernst nehmen, wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Hier werden elementare Erfahrungen gesammelt, die eine Grundlagen für späteres demokratisches Handeln bilden.
Auch in den vielen Konfliktsituationen, die es in Kitas und Schulen gibt, werden in Klärungsgesprächen Grundlagen der Kompromissbildung gelernt In Streitsituationen werden Gefühle wie Wut, Ärger, Ohnmacht erlebbar. Diese gilt es altersgemäß zu benennen und zu bearbeiten. Geben Erwachsene Hilfestellungen, dann findet eine emotional-kognitive Bearbeitung der Situation statt (Beispiele in Tel II). Betroffene Kinder erleben, dass sie nicht nur Urheber von Streit sind, sondern dass sie auch zur Lösung beitragen können. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und es bilden sich Grundstrukturen für soziales und damit demokratisches Verhalten heraus.
Während der Adoleszenz treten Konflikte noch einmal in stärkerem Maß auf. (Streeck-Fischer, A., 2004.) Hier sind vor allem die weiterführenden Schulen gefordert. Es stellt sich die Frage, ob sie genügend Zeit für die Bearbeitung von Konfliktsituationen und für das Entwickeln sozialer und damit demokratischer Verhaltensweisen vorsehen.
Es wäre hilfreich die gesamte Schulentwicklung – besonders seit der ersten Pisa-Studie im Jahr 2001 – kritisch daraufhin zu überprüfen, ob sie die Bedeutung, die in einer guten Beziehungsgestaltung liegt, optimal berücksichtigt hat. Um gute Ergebnisse bei den Pisa-Studien zu erreichen, traten in vielen Schulen grundlegende emotional-soziale Inhalte in den Hintergrund. So wurden wichtige Bildungsprozesse für demokratisches Verhalten von vielen Schüler*innen nicht erlebt.
In diesem Zusammenhang machen Soziologen auf das Phänomen aufmerksam, dass die Ergebnisse aller Bildungs-Studien zeigten, dass die Kompetenzentwicklung rückläufig sei. Sie haben zwar keine evidenzbasierte Antwort auf die sich daraus ergebenden Fragen, deuten aber an, dass das Nicht-Wahrgenommen werden, zu den häufigsten Ursachen für späteres Lernversagen in der Schule zählt. (El Mafaalani u.a.,o.J., S.150) Damit dürfte im weitesten Sinne die emotionale Situation der Schüler*innen in diesen Zeiten gemeint sein.
Grundlagen einer humanen Bildungspraxis
Grundlegend für die Arbeit in Kitas- und Schulen ist eine humanen Bildungspraxis.
„Eine humane Bildungspraxis selektiert nicht. Sie geht von der Gleichwürdigkeit aller Menschen aus. Dabei nimmt sie auf die Vielfalt von individuellen Lebensformen, Interessen, Begabungen und kulturellen Prägungen Rücksicht. Sie soll den Menschen in seiner ästhetischen, emotionalen, ethischen und kognitiven Dimension respektieren.“ (Nida Rümelin, J., 2013). In seinem Werk formuliert er: „Glück ist in der Entfaltung eigener Fähigkeiten zu erfahren.“
Gemeint ist u.a. die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Und die ist im Rahmen einer guten Kita-Arbeit täglich bei den verschiedensten Aktivitäten möglich.
Die Lebendigkeit der Kinder, ihre Neugier für alles, was in ihren Blick gerät, ihre Freude über jede kleine Entdeckung, ihr Staunen und andächtiges Zuhören beim Vorlesen und Betrachten von Bilderbüchern, ihr konzentriertes Gestalten von Objekten, ist in vielen Kitas zu beobachten. Die Arbeit mit kleinen Kindern bedeutet Lebendigkeit pur. Sie könnte zu den schönsten Arbeitsfeldern erwachsener Menschen gehören. Oft versperren aber unzureichende äußere Bedingungen eine positive Entwicklung. Viele Erzieher*innen arbeiten am Limit. Die täglichen Belastungen sind kaum zu stemmen. Es herrscht seit Jahren ein Mangel an Fachkräften. Das ist seit Jahren bekannt. Bekannt ist auch, dass die in den Bildungsplänen formulierten Ziele einer guten frühkindlichen Bildung nur dann zu erreichen sind, wenn die äußeren Rahmenbedingungen stimmen. Damit sind nicht nur die Betreuungszeiten gemeint. Erzieher*innen benötigen auch einen angemessenen Zeitrahmen für ihre Vorbereitungen und die nachfolgenden Reflexionen. Über diesen arbeitsspezifischen Rahmen hinaus sind viele Eltern, Erzieher*innen und Lehrer*innen mit einer Fülle weiterer Probleme belastet.
Wo ist vor diesem Hintergrund Zuversicht in Sicht?
Bezogen auf die frühkindlichen Entwicklungsprozess wie und wodurch Kinder so etwas wie Vertrauen und Hoffnung entwickeln können, gibt die Wissenschaft eindeutige Antworten: Es sind – wie bereits ausgeführt – sichere Bindungen an nahe Bezugspersonen. In den ersten Monaten sind es weitgehend Mutter und/oder Vater. In den Kitas und Schulen sind es die auf Wohlwollen und Empathie gegründeten Interaktionen. Sie können Kraftquellen für ein gelingendes Leben sein. Sie sollten daher in den Kitas und Schulen im Zentrum der Bildungsarbeit ihren Platz haben.
Ein völlig anderes Erziehungs- und Erlebnismuster erfuhren Babys in der Zeit des Nationalsozialismus. Es gehörte zum Erziehungskonzept, die körperliche und emotionale Nähe zu vermeiden. Den Müttern wurde geraten, ihr weinendes Baby nicht an die wärmende Brust zu legen, sondern möglichst weit vom Körper weg zu halten (Chamberlain, 2002). Die Erfahrung von Nähe und Geborgenheit wird unterbunden, der Weg zu einer inneren Kälte wird gebahnt.
„Mama kommt wieder“ – ein Beispiel für Mitgefühl/Empathie.
Die etwa zweijährigen Kinder einer Krippengruppe versammeln sich an einem Tisch zum gemeinsamen Frühstück. Es herrscht eine schöne und ruhige Atmosphäre. Plötzlich hört man ein leises Weinen, die Kinder und die Erzieherinnen werden aufmerksam, schauen sich um. Da steht ein Kind von seinem Platz auf, geht zu dem weinenden Mädchen, legt seinen Arm um dessen Schulter und sagt: „Mama kommt wieder.“
Empathie besteht aus mehreren Komponenten. Zunächst ist damit die emotionale Fähigkeit gemeint, überhaupt wahrzunehmen, dass ein anderer Mensch auch Schmerz und Trauer empfinden kann. Das bedeutet sich in einen anderen Menschen einfühlen zu können. Damit verbunden ist ein kognitiver Prozess. Das in dieser Situation handelnde Kind, konnte bei sich das Gefühl des weinenden Kindes fühlen und kognitiv erkennen, dass es auf der Handlungsebene um die Abwesenheit der Mutter ging. In dieser Situation kamen die Gefühle des weinenden und des tröstenden Kindes für einen Augenblick in einen Gleichklang. Daraus erwuchs die Erkenntnis zum Handeln und dieses Handeln zeigte sich darin, dass ein Kind aufstand, seinen Platz verließ, das andre Kind aufsuchte und dieses tröstete. Auch hier finden wir die Figur von Selbstwirksamkeit und Resonanz. Das Ergebnis ist verblüffend: Das getröstete Kind wird von seiner Angst (Die Mutter ist weg, kommt sie wieder?) befreit. Das helfende Kind erfährt sich in seiner Selbstwirksamkeit, es war erfolgreich in seiner tröstenden Aktivität. Damit hat er durch sein Handeln in der Situation dem traurigen Kind geholfen, seine Angst zu überwinden. Es kann nun am gemeinsamen Frühstück teilnehmen, das heißt, dass sich für das getröste Kind in dem Augenblick Zukunft eröffnet hat – Zukunft für den Tag.
Eine empathische Aktion, die in Zeiten des Nationalsozialismus undenkbar war. (Chamberlain, 2002) Damals galt Härte als Erziehungsideal. Die Fähigkeit zur Einfühlung spielte keine Rolle. So konnten sich aus verweigerter emotionalen Nähe Destruktion und Grausamkeit entwickeln.
Wenn das Interesse eines Elternteils, z.B. des Vaters oder der Mutter – an den Aktivitäten des Kindes fehlt, dann ist die Ausbildung tragfähiger neuronaler Verschaltungen gefährdet.
„Papa, schau mal, schau mal.“
Ein eindrucksvolles Beispiel für Desinteresse schildert der französische Autor Édouard Louis in seinem Roman: „Wer hat meinen Vater umgebracht?“ (S.Fischer, 2019, S. 18.ff.)
Zur Situation: Der Vater hatte Gäste eingeladen, was er nur selten tat. Sein Sohn nahm die Situation zum Anlass für seinen Vater und dessen Gäste mit Freunden ein Musikstück aufzuführen. Sie probten und traten vor die Gäste:
„Ich kam als erster ins Esszimmer, die anderen folgten mir, ich gab das vereinbarte Signal und wir fingen an, doch du (der Vater) wandest sofort den Kopf ab. Ich begriff es nicht. Alle Erwachsenen schauten uns zu, nur du nicht. Ich sang lauter, tanzte mit exaltierten Bewegungen, damit du mich bemerktest, aber du schautest weg. Ich sagte, Papa, schau mal, schau mal, ich kämpfte, aber du sahst nicht hin.“
Solch ein Desinteresse an den wohlwollenden Aktivitäten des Sohnes durch den Vater, können dazu beitragen, sich der Sohn hilflos fühlen und sich durch Wiederholungen dieser Erfahrungen bei ihm Hoffnungslosigkeit einstellt. Das trifft vor allem dann zu, wenn ein Kind kaum oder keine emotionale Zuwendung erfährt, wenn Desinteresse den Umgang zwischen Vater und Kind prägen; wenn ein Kind mit Gewalterfahrungen alleine gelassen wird und wenn es in seiner weiteren Entwicklung keine Menschen gibt, die durch ihr Handeln ein Modell von emotionaler Zuwendung anbieten. So jedenfalls verstehe ich vor allem die hoffnungsspendenden Tätigkeiten der Patinnen und Paten, die sich ehrenamtlich im Projekt „Zeit für ein Kind“. engagieren. (vgl.: Gebauer, K./Streeck-Fischer, A. (2005): https://gebauer-karl.de/patenschaftsprojekt-zeit-fuer-ein-kind/)
Kompetentes Verhalten von Erzieher*innen –in wichtigen Sätzen
Grundlegend für die Arbeit in den Kitas sind die Bildungspläne der einzelnen Bundesländer. Ich beschränke mich auf Äußerungen, die ich bei meinen Besuchen in Kitas gesammelt habe. Die Sätze fielen imRahmen von Diskussionen. Sie zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie einen empathischen Grundton haben.
In den Aussagen ist die dynamische Figur von Selbstwirksamkeit und Resonanz zu entdecken.
„Ich betrachte mit den Kindern Bilderbücher und berücksichtige ihre sprachlichen Hinweise.“
„Ich rege sie zu Spielsituationen an und spiele mit, wenn es die Situation erlaubt.“
„Ich bemühe mich um ein sprachliches Vorbild, indem ich meine Sprache nicht reduziere.“
„Möglichst oft schreibe ich ihre Erzählungen und Berichte für sie auf. Später lese ich sie ihnen noch einmal vor.“
„Ich nehme mir Zeit und achte bewusst darauf, was mir die Kinder erzählen wollen.“
„Ich bin in meinem sprachlichen Handeln authentisch und rege sie an, angemessen über ihre Konflikte zu sprechen.“
„Ich achte darauf, dass neue Wörter in ihrem Zusammenhang erlebt und verstanden werden.“
„Ich zeige Interesse an dem, was Kinder machen und wie sie es machen.
Ihre Aktivitäten begleite ich sprachlich.“
„Ich spreche regelmäßig mit den Kindern und erkläre ihnen die Regeln, die für unser Zusammenleben wichtig sind.“
„Ich schaue mit ihnen gemeinsam die Ergebnisse an, die wir in einem Portfolio gesammelt haben und lese daraus vor.“
Mir ist bewusst, dass die Muster der neuronalen Verbindungen ein
Spiegelbild unserer Gefühlsreaktionen sind.“
„Ich weiß, dass eine empathische Beziehung das Beruhigungssystem der Kinder stimuliert. Und entscheidend für unsere Zukunft ist.“
Es gilt, gute Rahmenbedingungen zu schaffen
Analysen von Kindheitsforscher*innen weisen nachdrücklich darauf hin, dass unzureichende Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung kindliches Wohlbefinden gefährden. Es müsste ein Anliegen der Politik sein, Rahmenbedingungen für eine hohe Bildungsqualität – besonders im System der frühen Bildung und Erziehung – abzusichern. Der Fachkräftemangel in Verbindung mit den krisenhaften Ereignisse der letzten Jahre und den immer komplexer werdenden Anforderungen erschweren gelingende Bildungsprozesse. Das bedeutet, dass viele Kinder während einer zentralen Entwicklungsphase ihres Lebens die grundlegende Erfahrung von Selbstwirksamkeit nur begrenzt machen können. Seit Jahren liegen Studien darüber vor, dass in den frühen Jahren die Grundlagen für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen gelegt werden. Eine reife Persönlichkeit zeichnet sich im späteren Leben dadurch aus, dass sie die Probleme der Welt nicht einseitig betrachtet und analysiert, sondern dass die eigenen, besonders die emotional-sozialen Erfahrungen aus der Kindheit, dabei eine Rolle spielen. Das bedeutet, dass für das Verstehen und Lösen von Problemen im späteren Leben auf diese Grunderfahrungen zurückgegriffen werden kann.
Resümee
Den Kern meiner Ausführung bilden zwei zentrale Begriffe: Selbstwirksamkeit und Resonanz. Sie gelten als entscheidende Wirkfaktoren für die Ausbildung eines gefestigten inneren Selbst. Jeder Menschen kennt in seinem Leben Momente des Gelingens. Wird diese Erfahrung von einer Person gewürdigt, so erlebt man durch diese wohlwollende Resonanz eine Bestätigung seiner Aktivitäten. Dieser Prozess führt zu einem Gefühl von Zuversicht. Es entsteht Hoffnung, dass auch in der Zukunft Gutes gelingen könnte. In der Dynamik von Selbstwirksamkeit und Resonanz liegt nicht nur die Quelle für unsere Antriebskraft, sie ist auch in schwierigen Zeiten entscheidend für das Gefühl einer inneren Sicherheit. Das bedeutet, dass Zuversicht und Hoffnung in diesen konkreten Handlungen zu suchen und zu finden sind. Es ist gut, sich in Zeiten von allgemein großer Verunsicherung und Bedrohung, daran zu erinnern. In gelingenden Interaktionen liegen die Kraftquellen für ein gelingendes Leben. Sie sollten daher in den Kitas und Schulen im Zentrum der Bildungsarbeit ihren Platz haben. Wenn sich Kinder gehört und verstanden fühlen, befindet sie sich in der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. In der gelingenden zwischenmenschlichen Interaktion ist das zu finden, was als Fundament für Resilienz angesehen wird.
Teil II: Konflikte als Erfahrungs- und Lerninhalte wertschätzen
Über Konflikte und gelegentliche gewalttätige Situationen habe ich während meiner Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter über einen Zeitraum von 25 Jahren fast täglich Notizen über meine Klärungsgespräche mit den Schüler*innen gemacht. So sind insgesamt 28 – eng beschriebene – Tagebücher entstanden. Sie bildeten die Grundlage für meine Bücher und Aufsätze zu diesem Thema. (Gebauer,K.1996)
In diesem Teil möchte ich pädagogische Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und erläutern, auf welche Art Konflikten, wie sie in der Schule vorkommen können, zum Inhalt sowohl für eine positive individuelle Entwicklung als auch für eine demokratische Entwicklung unserer Gesellschaft werden können.
Für das Gelingen dieses Vorhabens ist die Fähigkeit zu Empathie eine wichtige Voraussetzung. Diese gründet – wie bereits erwähnt – in den ersten Begegnungen mit Mutter und Vater oder anderen nahen Menschen. Fehlt diese – oft körperliche Zuwendung – dann ist es im weiteren Entwicklungsverlauf oft schwer, nach Konflikten zu einer inneren Ruhe zu finden. Es fehlt die „gute Mutter“, der „gute Vater“ – die eine innere Instanz der Handlungskontrolle ermöglichen würden. Die Art und Weise wie Eltern in den ersten Lebensjahren mit ihren Kindern umgehen, wird von diesen nicht nur wahrgenommen sondern in der Regel auch übernommen.
Ethisch begründetes Verhalten kann in den vielen Situationen des Alltags erlebt und gelernt werden. So brauchen Kinder in Konfliktsituationen eine helfende Person, die sich in ihre Situation einfühlen und einen Weg zeigen kann, der zu einem guten Ergebnis führt. In Streitsituationen werden Gefühle wie Wut, Ärger, Ohnmacht erlebbar. Diese gilt es zu benennen. Geben Eltern, Erzieher*innen oder Lehrer*innen Hilfestellungen, dann findet eine emotional-kognitive Bearbeitung der Situation statt. Betroffene Kinder erleben, dass sie nicht nur Urheber von Streit sind, sondern dass sie auch zur Lösung beigetragen können. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und es bilden sich Grundstrukturen für soziales Verhalten heraus. Kinder machen die Erfahrung, dass sie durch ihr Handeln etwas bewirken können. Sie erleben sich in der wichtigen Grunderfahrung von Selbstwirksamkeit. Eltern, Erzieher*innen, Patinnen, Paten und Lehrer*innen kommt hier eine Vorbildfunktion zu.
Ich spreche von einer empathische Haltung, die in Zeiten des Nationalsozialismus undenkbar war. (Chamberlain, 2002) Damals galt Härte als Erziehungsideal. Die Fähigkeit zur Einfühlung spielte keine Rolle. So konnten sich aus verweigerter emotionalen Nähe Destruktion und Grausamkeit entwickeln. Die Abwesenheit von empathischen Verhalten dürfte auch in der Gegenwart bei gewalttätigen Konflikten eine entscheidende Rolle sielen.
Kompetenzmerkmale für demokratisches Verhalten
Kindheitsmuster für soziales Verhalten entwickeln sich auch in Konfliktsituationen.Entscheidend ist, dass die erwachsene Person eine Haltung verkörpert, in der Kinder Zuwendung, Verständnis und Hilfe erfahren und nicht beschämt werden Die Erleichterung, die Kinder in und nach einer solchen Situation verspüren, trägt mit dazu bei, dass sich diese Erfahrungen als Muster für das Lösen zukünftiger Konfliktsituationen etablieren, das heißt: diese Erfahrungen werden als neuronale Muster im Gehirn etabliert. Es ist eine Erfahrung, die Hoffnung in sich trägt.
In der Regel sprechen wir im Zusammenhang mit solchen Ereignissen von emotional-sozialen Lernprozessen. Im Kern sind hier bereits grundlegende demokratische Fähigkeiten angelegt. Als Kompetenzmerkmale für demokratisches Verhalten werden folgende Fähigkeiten angenommen:
Probleme erkennen, Einfühlungsvermögen zeigen, Lösungsansätze suchen und diskutieren, Gedanken anderer wahrnehmen und zu verstehen suchen, Kompromissfähigkeit entwickeln, sich auf gemeinsame Handlungen verständigen und zur Realisierung beitragen. Dabei spielt die Erfahrung von Verlässlichkeit eine entscheidende Rolle.
Die Ausbildung dieser Kompetenzen beginnt in der frühen Kindheit. Sie gehören daher in einer guten Kita-Praxis zum Erfahrungsfeld von Kindern. Viele Wissenschaftler*innen, die sich mit diesem Problemfeld beschäftigen, sehen geradezu die Kernaufgabe menschlicher Bildung in der Entwicklung emotional-sozialer Kompetenzen. Die Grundannahme lautet, die Potentiale für Empathie sind in jedem Menschen angelegt. Es brauche aber bestimmte Bedingungen, damit sich diese Potenziale entwickeln könnten. Das gelinge besonders in Situationen, in denen von den Beteiligten Problemlösungsfähigkeit als ein wichtiger Faktor angesehen wird.
Demokratisches Handeln kann vor allem in den vielen Konfliktsituationen des Kita – und Schulalltags gelernt werden. In Streitsituationen werden Gefühle wie Wut, Ärger, Ohnmacht erlebbar. Diese gilt es altersgemäß zu benennen. Geben Erzieher*innen Hilfestellungen, dann findet eine emotional-kognitive Bearbeitung der Situation statt. Betroffene Kinder erleben, dass sie nicht nur Urheber von Streit sind, sondern dass sie auch zur Lösung beitragen können. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und es bilden sich Grundstrukturen für soziales und damit demokratisches Verhalten heraus.
Als wichtiges Erfahrungsfeld gilt vor allem das Spiel der Kinder. Denn
im Spiel machen sich die Kinder mit ihrer sozialen und materiellen Umwelt vertraut. Anstrengung – verbunden mit Momenten der Frustrationen – gehören ebenso dazu wie die Freude über das Gelingen. Das Spiel kann für Kinder zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Im Spiel können vielfältige Erfahrungen von Selbstwirksamkeit gesammelt werden.
Dabei ist es für die Kinder wichtig, neben der Fähigkeit, eigene Absichten mitzuteilen, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Damit wird ihr Spiel nicht nur zu einem Motor für ihren Spracherwerb, sie sammeln vor allem demokratische Grunderfahrungen. Diese sind von unschätzbarem Wert für ihr jetziges und auch für ihr zukünftiges Leben. Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft.
In den Sozialwissenschaften werden diese Kompetenzen nicht nur als eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle Entwicklung bezeichnet, sie werden auch als Kern einer gelingenden gesamtgesellschaftlichen Entwicklung angesehen. Denn eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. Damit sind die Voraussetzungen für solidarisches Handeln in demokratischen Prozessen angedeutet. Zukunftsforscher betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.
In Zeiten, in denen Demokratien weltweit bedroht werden oder bereits zerstört wurden (Levitsky/Ziblatt, 2019) ist es besonders wichtig zu erkennen, wo und auf welche Weise Grundlagen für demokratisches Handeln erworben werden und wie Demokratien geschützt werden können.
Entwicklung einer psychosozialen-kognitiven Kompetenz
In den KITAs und Grundschulen, werden die Grundlagen für demokratisches Handeln gelegt. Lernen in den KITA s und den Schulen vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon früh voneinander lernen, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Im Verlauf der Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen zu einer kognitiv-psychosozialen Kompetenz. Anders formuliert: Diese Kompetenzen werden in den neuronalen Netzen gespeichert. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und für ein empathisches Handeln anderen gegenüber bereit und fähig zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen und Interaktionen des Alltags, wie ich es an Beispielen beschrieben habe.
Kinder brauchen Menschen, die sich in ihre Situation einfühlen können und ihnen Orientierungen bieten. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, die Gefühle der Kinder wahrzunehmen und ihnen Wörter für diese Gefühle anzubieten. Wenn Kinder konkret erleben können, dass ihnen Eltern, Erzieherinnen und Lehrpersonen helfen, konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv zu lösen, dann führt diese Erfahrung zu inneren Mustern, die in künftigen Situationen für den Umgang miteinander und für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen.
Bei der Bearbeitung von Konflikten finden permanent Wechselwirkungen zwischen Wahrnehmen, Fühlen, Verstehen und Handeln statt. Diese Erfahrungen werden als innere Muster etabliert. Kinder erleben sich in solchen Situationen in ihrer Selbstwirksamkeit, diese Erfahrung stärkt ihr Selbstwertgefühl und so bilden sich Grundstrukturen für pro-soziales Verhalten heraus. Damit ist eine wesentliche Erfahrungsgrundlage für demokratisches Handeln geschaffen.
Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene, die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt es Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen und Handlungspotenziale gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.
Wenn Eltern und Erzieher*innen und Lehrerinnen Interesse zeigen, Geborgenheit vermitteln, Anregungen geben, Regeln erklären, Eigenaktivitäten zulassen, bei Konflikten helfen und sich an der Entwicklung der Kinder freuen, dann entsteht ein Gefühl von Sicherheit. Ein Kind ruht dann in sich, nimmt wahr, was um es herum geschieht, gerät es in einen Konflikt, so hat es Klärungskompetenzen erworben, die ihm nun bei der Lösung helfen können. Diese erworbenen Kompetenzen kann es in seinem weiteren Leben immer wieder als Erfahrung abrufen. Wir sollten uns immer wieder daran erinnern, dass grundlegende Erfahrungen aus der Kindheit in den neuronalen Netzen unseres Gehirns gespeichert sind.
Empathisches Handeln beruht auf dem Zusammenspiel mehrerer Komponenten. „Wir sind aus neurobiologischer Sicht auf soziale Resonanz und Kooperation angelegt Wesen. Kern aller Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben.“ (Bauer, 2005)
Ein Mensch sollte sich in die Situation eines anderen Menschen einfühlen können (emotionale Komponente). Hinzu kommt eine kognitive Komponente, sie bezeichnet den Versuch des Verstehens: Worin besteht das Problem der anderen Person? Daraus ergibt sich eine Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Handeln. Ist die Handlung auf Mitgefühl gebaut, hat sie eine helfende Wirkung.
Sie kann sich aber, ohne die Komponente des Mitgefühls entweder in Gleichgültigkeit oder in Destruktion verwandeln. Destruktive Handlungen können zu Grausamkeiten ausarten und alle aggressiven Formen in sich tragen (Gebauer, K., 2007).
Auch dieses Verhalten kann in der Kindheit erlernt werden. Es setzt sich dann ins Leben eines erwachsenen Menschen fort, wenn ein Kind im weiteren Verlauf seiner Entwicklung keine Chance hat, einem empathisch zugewandten Menschen zu begegnen.
Welcher Schaden im Einzelfall – aber auch in einer Gesellschaft – eintreten kann, beschreibt S. Fuchs ausführlich in seinem Buch: „Die Kindheit ist politisch! – Kriege, Terror, Extremismus und Gewalt als Folge destruktiver Kindheitserfahrungen.“(Fuchs, S., 2019)
Ergebnisse der Kindheitsforschung berücksichtigen
In der Kindheitsforschung werden zwei zentrale Begriffe für die frühe Kindheit hervorgehoben: Selbstwirksamkeit und Resonanz. Ich habe sie im bisherigen Text immer wieder erwähnt. Sie gelten als entscheidende Wirkfaktoren für eine innere Sicherheit. Jeder Menschen kennt in seinem Leben Momente des Gelingens. Wird diese Erfahrung von einer Person gewürdigt, so erlebt ein Kind durch diese wohlwollende Resonanz eine Bestätigung für seine Aktivitäten. Dieser Prozess führt zu einem Gefühl von Zuversicht. Es entsteht Hoffnung, dass auch in der Zukunft Gutes gelingen könnte. In der Dynamik von Selbstwirksamkeit und Resonanz liegt nicht nur die Quelle für unsere Antriebskraft, sie ist auch in schwierigen Zeiten entscheidend für unsere innere Sicherheit. Das bedeutet, dass Hoffnung genau in diesen konkreten Handlungen zu suchen und zu finden ist. Es ist gut, in Zeiten von allgemein großer Verunsicherung und Bedrohung, sich daran zu erinnern. Natürlich übersteigt es die Fähigkeiten einer einzelnen Person oder einer Personengruppe, die Weltpolitik zu beeinflussen. Aber, es ist wichtig, dass wir als Individuen versuchen, für uns eine innere Sicherheit herzustellen. Damit schaffen wir eine wichtige Grundlage für das Verstehen und Verarbeiten von kleinen und großen politischen Problemen.
Die Komplexität der Welt verstehen
Es ist anzunehmen, dass Menschen, die über ein gefestigtes inneres Selbst verfügen, komplexe Ereignisse in ihrer Gesamtheit verstehen und bearbeiten können. Eine reife Persönlichkeit zeichnet sich im späteren Leben dadurch aus, dass sie die Probleme der Welt nicht einseitig betrachtet und analysiert, sondern dass sie sich an die eigenen – die emotional-sozialen – Erfahrungen aus der Kindheit erinnert. Das bedeutet, dass für das Verstehen und Lösen von Problemen immer auch die emotional-sozialen Aspekte eine Rolle spielen. Wurde der Umgang mit den eigenen Emotionen nicht gelernt, so besteht die Gefahr der Entmenschlichung. Rücksichtslosigkeit und brutale Ausübung von Macht würden die Handlungsweisen der Akteure bestimmen. Wenn allerdings Menschen den komplexen Vorgang von Konfliktlösungen verinnerlicht haben, dann besteht die Chance, dass ihr inneres Handlungsmodell Chancen hat, der „Achse der Autokraten“ (Applebaum) mit einem gefestigten Menschenbild entgegenzutreten. Natürlich ist das nur im Rahmen starker Demokratien möglich.
Klärung von Gewaltsituationen – ein wichtiges Aufgabenfeld für die Entwicklung einer demokratischen Halltung
Für eine erfolgreiche Bearbeitung von Gewaltsituationen, wie sie in der Schule auftreten können, ist es von Bedeutung, welche ethische Haltung eine Lehrkraft zu dem Phänomen Gewalt in der Schule einnimmt. (Gebauer, K., 1999)
„Eine gesunde Entwicklung verlangt – vom Kind her gedacht – nicht nur sorgende und liebende Eltern, sondern auch zugewandte, unterstützende Lehrerinnen und Lehrer und Erziehende in den Institutionen.“ (El-Mafaalani, A., u.a., S.140)
Dass es zu Gewalthandlungen kommt, kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel:
– Gewalterfahrungen in der Familie
– Demütigungen oder Gewalt durch Mitschüler*innen
In jedem Fall gilt es, das betroffene Kind zu schützen und ihm dabei zu helfen, dass der Täter/die Täterin sich nach einem solchen Vorfall entschuldigt. Das setzt allerdings eine moderierte Aufarbeitung der Situation voraus.
Einen Klärungsrahmen schaffen
Viele Gewaltattacken ereignen sich in den Pausen. Während meiner Schulpraxis hatten die Schüler*innen die Möglichkeit, wenn sie aus der Pause zurückkamen, zu signalisieren, ob es Probleme gab, ob da noch Klärungsbedarf bestand, ob sie mich bei der Klärung brauchten oder ob sie in den Gruppenraum gehen und dort ihren Konflikt ohne meine Hilfe besprechen wollten.
Jede Lehrkraft sollte sich prüfen, ob sie sich in der Lage fühlt, empathisch in eine Klärungssituation mit den betroffenen Schüler*innen eintreten zu können.
In meinem Unterricht war es möglich, dass sich die betroffenen Kinder zu mir setzten und mit mir zusammen versuchten die Situation zu analysieren. Die anderen Kinder machten in dieser Zeit ihre Mathe-Aufgabe, d.h. traditionelles Lernen und ein Klärungsdialog fanden zeitgleich nebeneinander statt.
Auf der individuellen Ebene ist dies vor allem dann möglich, wenn die Lehrerin/der Lehrer bereit und in der Lage ist ein empathisches Beziehungsangebot zu pflegen. Auf der strukturellen Ebene bedeutet dies, dass bereits im Rahmen des Studiums und später während des Referendariats eine Einübung in diese Art der Praxis geschieht. Wurde in beiden Phasen die Klärung von Gewaltsituationen nicht behandelt, so sollten interessierte Lehrkräfte in jedem Fall versuchen, diese Qualifikation im Rahmen von Supervisionen nachzuholen. Es geht um die Entwicklung zu einem einfühlsamen, verständnisvollen Verhalten im Umgang mit Kindern.
Gewalthandlungen in der Schule bedeuten in der Regel eine Störung des Unterrichts oder des Spiels während der Pause. Hat man es gelernt, diese Störungen auch als Lernereignisse zu begreifen und zu bearbeiten, dann führen sie bei Lehrkräften und Schüler*innen zunächst einmal zu weniger Stress – ja, sie können sich als Lernprozesse erweisen, die für das spätere Leben von entscheidender Bedeutung sein können. Bei Gewalthandlungen sind in den meisten Fällen die Emotionen der Schüler*innen und auch die der Lehrer*innen tangiert, d.h. es ist wichtig, dass Lehrer*innen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung dieses Feld in ihre Überlegungen und Reflexionen immer wieder einbeziehen.
Eine erfolgreiche Klärung setzt die kompetente Beschäftigung mit derWelt unserer Gefühle voraus
(vgl.: Die Macht der Gefühle – Von Angst bis Zorn. 3SAT, Sendung vom 15.06.25)
So ist es zum Beispiel wichtig, dass Lehrer*innen versuchen, die emotionale Situation in ihren Klassen zu erfassen und bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen. (vgl. Konzept, Gebauer,K., in: Zeitschrift Lehrern & Lernen, Heft 7, 2019)
In Abständen von etwa 3 Monaten habe ich meine Schüler*innen angeregt, über ihr Gefühle nachzudenken. Ich sagte ihnen: „Ich würde mich freuen, wenn ihr einmal versuchen würdet, über euere Gefühle ein Bild zu malen und es mir anschließen auf den Tisch legt. Ich werde euere Bilder mit nach Hause nehmen, sie mir nachmittags in Ruhe ansehen und darüber nachdenken, was sie bedeuten könnten.“ (Das Malen der Bilder war freiwillig.) Warum ich den Wunsch hätte, fragten sie mich berechtigter Weise anfangs. Meine Antwort: „Ich möchte gerne wissen, wie es euch geht. Es ist mir wichtig, dass ihr euch in der Schule wohl fühlt. Und wenn es traurige oder ärgerliche Erfahrungen gibt, will ich auch gerne mit euch darüber reden.“
Meine Interpretation war von folgenden Grundgedanken geprägt:
1. Welche Bedeutung haben die Bilder für das Leben der Schüler*innen?
2. Kann ich, wie kann ich die Aussage, die ein Bild enthält, verstehen?
3. Was bedeutet das für mein pädagogisches Handeln?
In der Regel waren meinen Schüler*innen bereit, mir mitzuteilen, was sie dargestellt hatten und welche Bedeutung das Gemälde für ihre aktuelle Lebenssituation hatte. Danach war es an mir, ihr dargestellte Situation zu versehen und mein Handeln entsprechend darauf auszurichten.
Beispiel für das Erfassen der Gefühlslage einer Klasse

Ich greife für diesen Vortrag die Bilder mit der Nummer 13 und 17 heraus:


Auf meine Frage, was diese Bilder bedeuten, sagt der Schüler, der das Bild Nr 13 gemalt hatte ruhig und nachdenklich: „Ich könnte einen umbringen. Am liebsten mich selbst.“ Ich fragte: „So geht es dir?“ „Ja, so geht es mir.“ Unsere Blicke begegneten sich. Ich nickte nachdenklich und sagte: „So geht es dir also.“ „Ja“, antwortete er. Weitere Worte haben wir nicht gewechselt. Wenn man aber verstanden hat, wozu unsere „Spiegelneurone“ fähig sind, dass sich Menschen einander einfühlend begegnen können – ohne dass sie viele Worte wechseln müssen, dann kann man es dabei belassen. Die Situation wird eine hoffende Wirkung haben. Ich hatte den Eindruck, dass sich der Schüler in seiner Not wahrgenommen fühlte. (Natürlich habe ich auch mit den Eltern gesprochen.) Aber das alles Entscheidende passiert in den wenigen Sätzen und dem Austausch unserer Blicke. Der Schüler fühlt sich von mir in seiner Welt der Gefühle wahrgenommen. Es gab eine Verbindung gegenseitigen Vertrauens, sonst hätte er sich mir gegenüber nicht so offen geäußert. Ich konnte davon ausgehen, dass er ein emotional-sicheres Vertrauen zu mir hatte. Das bedeutet, dass auf der emotionalen Ebene zwischen uns – so ist meine Deutung – ein elementares Gefühl einer gegenseitigen Sicherheit aufkeimte. Der Schüler erlebte sich während der malende Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen in seiner Selbstwirksamkeit. In unserer kurzen Besprechung thematisierte er seinen Gefühlszustand und konnte eine emotionale Resonanz durch seinen Lehrer erfahren. Er konnte sich in seiner Not wahrgenommen fühlen.
In solchen Begegnungen eröffnen sich für Schüler und Lehrer Perspektiven der Hoffnung.
Drei Tage später: Ich beobachte während der Pause die Schüler*innen dieser Klasse. Sie spielen an verschiedenen Ort typische Pausenspiel. Plötzlich steht der Schüler, mit dem ich vor einigen Tagen über seine Gefühle gesprochen hatte, neben mir und fragt: „Verstehen sie alles, was hier abläuft?“ Meine Antwort: „Ich glaube schon.“ Schüler: „ Ich glaube nicht!“
Wenn ich es wünschte, so fuhr der Schüler fort, würde er mir sein Wissen mitteilen. Und dann lieferte er mir formvollendet eine Analyse einer Mobbingsituation, die sich seiner Meinung nach seit einigen Tagen in der Klasse ereignete. Er benannte Täter, Mitläufer und Opfer des Ereignisses. (Siehe Struktur von Mobbing)
Aus meiner Sicht wird im Verhalten des Schülers deutlich, dass unser kurzer Austausch über seine Gefühlssituation, wie er sie in seinem Bild auszudrücken versucht, ein Band des Vertrauens zwischen uns gespannt hat.
Zum Thema Mobbing habe ich mehrere Veröffentlichungen vorgelegt, zum Beispiel: https://www.bildungsxperten.net/bildungschannels/schule/mobbing-in-der-schule-so-schuetzen-sie-ihr-kind/

Struktur von Mobbing
Zum Bild mit der Nr. 17: Der Schüler, der das Bild Nr 17 gemalt hat, antwortet auf meine Frage, was sein Bild bedeute:
„Sie wisse doch, wie es mir geht. Es ist wie ein Gewitter im Kopf.“
Hintergrund: Der Schüler lebte in einem Heim, kam zu Pflegeeltern, wieder zurück ins Heim, erneut zu Pflegeeltern…
Manchmal „rastete er aus“, rannte zur Tür, verschwand nach draußen. Ich rief hinter ihm her: „Nur bis zur Schulhofgrenze!“ Das hat er immer beherzigt. Nach einer Weile schaute ich nach ihm. Er kauerte vor der Klassentür. „Komm wieder rein“, sagte ich dann.
Auch hier zeigt zeigt sich eine vertrauensvolle Verbindung zwischen Lehrer und Schüler. Es braucht dafür nicht viele Worte. Die Grundstruktur der Beziehung besteht aus gegenseitiger Wertschätzung – ohne dass sich dadurch die grundlegende Lebenssituation des Schülers verändert hätte. Grundlage für diese Erfahrung ist eine auf gegenseitiger Empathie beruhenden Wertschätzung.
Der Lehrer als Helfer in einer bedrohlichen Situation
Ich sitze in meinem Büro. Plötzlich wird es sehr laut vor meiner Tür. Ich schaue nach und sehen, wie einige Kolleginnen einen sehr erregten Schüler, der mich unbedingt sprechen wollte, davon abzuhalten mein Büro zu betreten. Er hämmerte an die Tür. – Es trat sofort Ruhe ein, als ich die Tür öffnete.
Schüler (sehr erregt): „Ich muss Sie sprechen, Ich könnte einen umbringen.“
Ich bitte ihn einzutreten, weiß nicht was auf mich zukommt. Der Schüler ist sehr aufgeregt und sagte immer nur: „Ich bring sie (2 Mitschüler) um.“
Ich sage: „Ich habe gehört, was du vor hast. Ich finde es gut, dass du zu mir gekommen bist. – Das finde ich gut!“
Schüler (wirkt erleichtert): „Ja, Sie haben uns oft geholfen, wenn wir Probleme hatten.“
Ich: „Ich werde auch jetzt versuchen, dir zu helfen. – in zwei Stunden habe ich bei euch Mathe. Schaffst du es jetzt zurück in deine Klasse zu gehen, ohne einen umzubringen?“
Schüler: „Ja, das schaffe ich – aber, wie sie das sonst so machen, wie sie mit uns Konflikte klären, das wird nicht helfen.“
Ich: „Ich sage dir noch einmal, ich finde es es gut, dass du zu mir gekommen bist, bevor etwas Schlimmes passiert ist.“
Schüler: „Ja, sie haben uns oft geholfen, aber jetzt geht es um Leben und Tod.“
Ich: „Das habe ich verstanden. Noch einmal die Frage: „Schaffst du es, in die Klasse zurück zu gehen und dort bis zur 3. Unterrichtsstunde nichts Schlimmes zu unternehmen. Ich überlege in der Zwischenzeit, wie ich das Problem mit euch gemeinsam klären kann. Ich muss drüber nachdenken.“
Schüler: „Ok.“
Reflexion: Das Gespräch war von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt nicht konkret wissen, was die Ursache für die Wut war, das wollte ich zusammen mit allen Schüler*innen
klären. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie ich den Klärungsdialog gestalten würde, ging aber spontan in den Werkraum, suchte instinktiv Pappen, Pinsel und Farben aus – und war ganz zuversichtlich. Der Grund für meine Zuversicht:
Zwischen dem Schüler (ein Junge aus dem ehemaligen Jugoslawien, mit Kriegs- und Fluchterfahrungen) und mir hatte sich über einen längeren Zeitraum ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen aufgebaut – sonst hätte ich so nicht handeln können.
Ich war mir sicher, dass in der Zwischenzeit nichts passieren würde. Nachdem ich mit dem Material in der Klasse angekommen war, erklärte ich lediglich, dass ich gehört hätte, es gäbe ein ernstes Problem. Ich ginge davon aus, dass alle Schüler*innen das mit bekommen hätten. Und nun meine Bitte: Malt in kleinen Gruppen ein Bild von dem Problem, das zwischen euch besteht, danach reden wir darüber.
Als ich mit meinen Utensilien in der 3. Stunde in den Klassenraum kam, erlebte ich eine ruhige, sehr gespannte Situation. So still hatte ich die Klasse sonst nicht erlebt. Ich fühlte die hohe Erwartung, die in der Ruhe lag. Dann wollten alle gleichzeitig reden. Ich informierte, dass ich flüchtig über ein ernstes Problem von J. Informiert worden sei, hätte mir Gedanken gemacht und hätte nun auch eine Idee, wie wir vielleicht das Problem analysieren und klären könnten. Ich sagte den Schülern (Es war ein Problem, das nur die Jungen betraf) , dass ich vermutete, dass alle wüssten, worum es ginge und daher würde ich sie bitten, kleine Gruppen zu bilden, sie mit Pinseln und Farben zu versorgen und das Problem aus ihrer Sicht zu malen. Ich ssh ihr Staunen, blieb aber bei meiner Absicht. Sie setzten sich auf den Boden und begannen mit der Arbeit. Es herrschte Stille im Klassenraum, nur gelegentlich war ein Flüstern zu hören. (Meine Absicht war es, dass sich alle in Ruhe mit der ernsten Problematik auf eine aktive Art befassten (selbst aktiv werden, in die Tiefe des Problems vordringen, sich in der eigenen Selbstwirksamkeit erleben und ein Bild auf der Grundlage des eigenen Denkens und Fühlens erstellen). Das Ergebnis ist schnell erzählt. Jede Gruppe stellte ihr Ergebnis vor. Überall war zu erkennen, dass ein Schüler, der aus einem Kriegsgebiet zu uns gekommen war, von zwei Mitschülern mit dem Satz: „Du gehörst auf den Grill“ – schwer beleidigt worden war.
Es herrschte Schweigen und tiefe Betroffenheit. Es folgte immer Ritual nach solchen Klärungsgesprächen: „Ich/wir bitten um Entschuldigung. Nimmst du sie an?“
In der Situation hörten wir ein leises: „Ja.“ Erleichterung ist spürbar.
Beispiel: „Ich liebe Schläge.“
Die Schülerinnen einer 3. Klasse kamen aufgeregt zu mir und berichteten, ein Schüler – Ich nenne ihn Stefan – habe sie von den Stelzen gestoßen.
Ich bitte den Schüler zu mir und bitte um eine Erklärung. Seine Antwort: „Ich liebe Schläge.“ Meine Antwort: „Das habe ich bisher von keinem Schüler gehört.“ Nach einer kurzen Phase des Nachdenkens sage ich: „Ich möchte verstehen, warum du Schläge liebst. Deswegen bekommst du die Aufgabe, darüber nachzudenken und wenn du es herausgefunden hast, sag es mir bitte!“
„Noch etwas – ich würde gerne wissen, womit du dich zu Hause beschäftigst.“
Am nächsten Tag brachte mir Stefan zwei Mappen mit von ihm gezeichneten Bildern, die alle schwer bewaffnete Figuren darstellten. Das nahm ich zum Anlass, ihn zu bitten, einmal ein Bild von seiner Familie zu zeichnen. Er brachte ein Bild mit, auf dem Oma, Mutter, Bruder, und Vater zu sehen sehen sind. Sich selbst hat er als sehr kleine Figur innerhalb eine Roboterbildes gemalt. Zu meinem großen Erstaunen entdecke ich diese Figur in einer seine Roboterzeichnungen wieder. Im Gespräch zum Familienbild sagte er: „Ich passe da nicht mehr hin.“
Was auch immer der Grund für sein Empfinden sein mag, er sucht eine Lösung für seine familiäre Unsicherheit in einer Größenphantasie.
Größenphantasien können hilfreich sein, wenn sie aber nicht erkannt und bearbeitet werden, können sie in der Folge zu einem äußerst destruktiven Verhalten führen. Der Ethnologe und Psychoanalytiker Mario Erdheim sagt dazu:
„Größenphantasien haben die Funktion, gefühlte Unzulänglichkeiten in der Fantasie auszugleichen und und somit das Selbstsystem zu stabilisieren. Diese Fantasien müssen, wenn sie ihren förderlichen Charakter behalten sollen, immer wieder mit der Realität abgeglichen werden.“


Meine Anregung und die jeweiligen kurzen Gespräche mit dem Schüler führten dazu, dass er sein Verhalten innerhalb weniger Tage verändern konnte. Er war ein verträglicher Schüler, wurde in die Fußballmannschaft integriert und behauptete sich in der Folgezeit als hervorragender Torwart.
„Die Wut ist weg!“ – Ein Beispiel, wie Lehrer*innen einen inneren Erlebnisraum schaffen können
In der Mathematikstunde einer 4. Klasse herrschte eine schöne Atmosphäre. Alle Schüler*innen waren in ihre Arbeit vertieft. Plötzlich schlägt der Schüler T. ohne Vorwarnung auf seinen Mitschüler L. ein. Ich schreie in die Klasse, dass T. Sofort sofort aufhören solle. Alle Schüler*innen blickten erschrocken auf. Ich war von diesem Vorgang total überrascht, hatte nicht damit gerechnet. Ich spürte Enttäuschung, Verärgerung und Wut. Mir war klar, dass ich mich für Sekunden mit meinen eigenen Emotionen befassen musste. Ich kam zu einer inneren Ruhe, bat beide Schüler zu mir und fragte sie nach den Ursachen. Bereitwillig erzählten sie von ihrer großen Wut. Der Schüler T. begründete sein Verhalten damit, dass er die Aufgaben nicht verstanden hätte und deswegen bei L. Abgeschrieben habe. Dieser habe das der Gruppe mitgeteilt und darüber sei er so wütend geworden, dass er gleich hätte zuschlagen müssen.
Das war natürlich überhaupt nicht angemessen. Ich verzichte auf eine verbale Diskussion, rege aber die betroffenen Schülern an, ihre Wut in einen „Messbecher für Wut“ zu zeichnen. Empathisches Verhalten des Lehrers bedeutet in dieser Situation, den Ablauf der Ereignisse und der sie begleiteten Emotionen bewusst zu machen und den Schülern zu helfen, auf diese Weise das Maß ihrer Wut zu verstehen. „Euere Wut möchte ich gerne kennenlernen, ich skizziere zwei Messbecher für Wut und bitte euch, euere Wut dort „einzufüllen“. Ich möchte den Schülern die Chance eröffnen, sich mit ihrer großen Wut durch eine Gestaltungsaufgabe bewusst zu werden (Selbstwirksamkeit) um, im Verlauf des Prozesses das Ergebnis auch emotional erfassen zu können. Die Becher, man kann es sehen, reichen für ihre Wut nicht aus. „Wenn dein Wut so groß ist, dann ist meine so groß wie ein Riese und dann fresse ich dich in einer Sekunde auf,“ sagt der Schüler L. Der Schüler T. versucht ihn zu übertreffen: „Dann bin ich ein Dinosaurier, der dich auffrisst.“
Es sind typische Größenphantasien, mit denen die beiden Schüler versuchen, sich in der Situation durch Angriffe zu retten. Es ist nun an mir, sie mit der Realität zu konfrontieren. Ich sage: „Ich male euch noch einmal Messbecher für euere Wut. Zeichnet bitte hinein, wie groß sie noch ist.“ Zu meinem großen Erstaunen ist be T. nur noch ein Punkt in seinem Becher zu sehen. Bei dem Becher von L. erkennt man, dass seine Wut aus dem Becher heraus läuft. Als ich abschließend beide Schüler frage, womit das zusammen hinge, sagen beide sinngemäß: „Na, dass wir darüber gesprochen haben. Nun ist die Wut weg.“
Ich halte fest: Persönlichkeit entsteht, indem Schüler*innen lernen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Damit dies möglich ist, brauchen sie empathische Lehrer*innen, die in der Situation einen inneren Erlebnisraum schaffen, in dem Schüler*innen frei über ihre Gefühle sprechen und empathische Prozesse erleben können. Während des Klärungsversuchs überträgt sich das empathische Verhalten der Lehrkraft auf die beteiligten Schüler.


Lernmodell auf neurobiologischer Grundlage (eine Skizze)

Erfolgreiches Lernen können wir uns so vorstellen: Es wird ein Lernangebot gemacht, die Schüler*innen versuchen die Aufgaben zu lösen. Sie müssen sich anstrengen, weil einige Aufgaben für sie neu sind. Das kann dazu führen, dass sie kurzfristig verunsichert sind. Wenn sie aber die Aufgabe schließlich lösen können, dann wird in ihrem Körper der Botenstoff Noradrenalin ausgeschüttet. Dieser biologische Vorgang führt dazu, dass sich vorhandene Nervenzellstrukturen festigen und stabilisieren. Es kommt zu einem wohltuenden Gefühl. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist geglückt.
Ein ganz anderer Ablauf ergibt sich, wenn die Aufgabenstellung zu schwer ist oder unlösbar erscheint. Es kann sich um schulisches Lernen aber auch um politisch erforderliche Aufgabenstellungen handeln. Ist die Lösung zu schwer oder sieht man eventuell überhaupt keine Lösung für das Problem, dann kann die Situation für die Betroffenen (Schüler*innen oder Politiker*innen) unkalkulierbar erscheinen. Das führt zur Ausschüttung des Botenstoffes Noradrenalin. Die Folgen können sein: Stress! Die weitere Folge: Kampf, Flucht, Erstarrung. Das Modell wird hier nur angedeutet.
Ziel unserer Arbeit in der Familie, in den Kitas und Schule sollte es sein, dem Stress, der uns auf vielfältige Weise durch die Bedrohungen in dieser Welt entgegenschlägt, zu trotzen und ein Modell der Hoffnung entgegen zu halten: ein auf Empathie gegründetes Miteinander.
Dabei spielen bestimmte biologische Botenstoffe eine besondere Rolle, die soll nur kurz erwähnt werden:
Ein Cocktail für Empathie und Mitmenschlichkeit– mit den vielen Botenstoffe, die dabei eine Rolle spielen

Ein solches Modell hätte seine Grundlage in einem Cocktail für für Empathie und Mitmenschlichkeit. Es beruhte auf vielen Botenstoffen für die Entwicklung einer inneren Stärke. Diese bilden sich u.a. durch eine intensive Beschäftigung mit entsprechenden Konfliktsituationen. Konstruktive Handlungsmuster erwerben Kinder und Jugendliche im Verlauf ihrer Entwicklung und Bildung, wenn erwachsene Personen, ihnen in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien (Frühe Kindheit, Kita- und Schulzeit, Eintritt in das Berufsleben) empathisch begegnen und ihnen helfen Konflikte erfolgreich zu lösen.
Hilfreich können Menschen und Institutionen sein, die sich mit grundlegenden Fragen für Innovationen beschäftigen. Viele kommen im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten hinsichtlich einer Analyse der Weltprobleme zu dem zentralen Ergebnis, dass in der Fähigkeit zu Empathie eine dynamische Kraft für Problemlösungen zu finden sei.
„Empathie ist der Boden auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können“…. „In einer Welt ohne Empathie fehlt das, was das Menschsein überhaupt ausmacht.“…. „Empathisch miteinander umgehen – setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer genauso einzigartig und sterblich ist und die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir selbst.“….„Je empathischer eine Gesellschaft, umso demokratischer ihr Wertesystem.“(Riffkin, J.)
„Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein. Empathie ist die Brücke zum Anderen.“… „Handlungsleitend sind die Menschenrechte.“ (Nida-Rümelin.J.)
„Ich glaube, dass die Menschheit nur durch Mitgefühl überleben kann.“ (Swetlana Alexijewitsch, Literaturnobelpreisträgerin 2015)
Resümee
Die Vorschläge zur Bearbeitung von Konflikten mögen bei manchen Leser*innen vielleicht zu der Äußerung führen: „Auch das noch!“ Vor dem Hintergrund meiner praktischen Erfahrungen plädiere ich dafür, diesem gesamten Bereich einen hohen Stellenwert im Studium, der Fortbildung und in der Praxis einzuräumen. Das Klären von Konflikten erfordert Zeit. Aber: Zugewandte und unterstützende Lehrer*innen würden eine Grundlage für Wohlbefinden und ein gesteigertes Lernvermögen schaffen. Dies würde zu einer auf Empathie basierenden Handlungsmöglichkeit im individuellen und gesamtgesellschaftlichen Bereich führen. Erkenntnis- und Handlungsleitend – also hilfreich – könnten die Grundaussagen der Philosophie einer humanen Bildung (Julian Nida Rümelin), die Erfahrungen aus der psychoanalytischen Praxis (Peter Riedesser), der psychohistorischen Forschung (Sven Fuchs) und der aktuellen soziologischen Forschung (Aladin El Mafaalani u.a.) sein. Gerade letztere gibt entscheidende Hinweise für erfolgreiche Bildungsprozesse: „Je mehr wertschätzende und unterstürzende Beziehungen zu erwachsenen Menschen (in Schule, Familie und Nachbarschaft) die Kinder haben, desto besser ist ihr Wohlbefinden, desto optimistischer sind sie, desto weniger sorgen sie sich, desto höher ist ihr Selbstwertgefühl, desto weniger traurig und desto zufriedener mit ihrem Leben sind sie und desto gesünder und wohler in ihrem Körper fühlen sie sich.“ (Mafaalani, A., ua., o.J., S.140) Damit sind mögliche Antworten auf die Ausgangsfrage – Zukunftschancen in unruhigen Zeiten – gegeben.
Literatur:
Applebaum, A. (2024): Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten.Siedler, München
Baumgarten, H. /Paech, N. (2025): Der Völkermord in Gaza. Eine politische und rechtliche Analyse. Kindle
Baumgarten, H.: Palästina-Expertin, über Gaza, Hamas & Israel, im Gespräch bei jung & naiv, (10.Mai, 2024)
https://www.youtube.com/watch?v=VhzPaOsYmbM
Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg
Brisch, K.H. (2009): Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Beratung und Therapie. Klett-Cotta
Bürgerstiftung Göttingen, Festvortrag: (https://www.buergerstiftung-goettingen.de/berichte/festvortrag-von-dr-karl-gebauer/)
Chamberlain, S. (2002): „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.“ Frühe Sozialisation im totalitären Staat am Beispiel des sogenannten dritten Reiches. In: Gebauer / Hüther: Kinder suchen Orientierung. Anregungen für eine sinn-stiftende Erziehung. Walter, Düsseldorf/Zürich
Decker, O., u.a.(2024): Die Leipziger Autoritarismus – Studie, https://www.boell.de/de/2024/11/13/die-leipziger-autoritarismus-studie-2024-methoden-ergebnisse-und-langzeitverlauf
El-Mafaalani, A., Kurtenbach, S., Strohmeier, KP., (o.J.): Kinder – Minderheit ohne Schutz. Aufwachsen in der alternden Gesellschaft. Kiepenheuer & Witsch
Erdheim, M.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mario_Erdheim
Fuchs, S. (2019): Die Kindheit ist politisch. Kriege Terror, Extremismus, Diktaturen und Gewalt als Folge destruktiver Kindheitserinnerungen. Mattes, Heidelberg
Fukuyama, F. (2019): Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet.Hoffmann & Campe
Gebauer,K.(1996): „Ich hab sie ja nur leicht gewürgt.“ Mit Schulkinder über Gewalt reden. Klett-Cotta, Stuttgart
Gebauer, K./Streeck-Fischer, A. (2005): https://gebauer-karl.de/patenschaftsprojekt-zeit-fuer-ein-kind/
Gebauer, K. (2003): Väter gesucht. 16 exemplarische Geschichten.
Gebauer, K. (2007): Mobbing in der Schule. Beltz, Weinheim Patmos/Walter, Düsseldorf/Zürich
Gebauer, K. (2011): Gefühle erkennen –sich in andere einfühlen.
Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz, Weinheim
Gebauer, K. (2019): Schulentwicklung vor 50 Jahren: Persönlichkeitsentwicklung – selbstständiges Lernen – Förderung sozialer Kompetenz, in: Zeitschrift „Lehren & Lernen“, Heft 7: downloaden unter: www.neckar-verlag.de)
Gebauer, K. (2025): Resonanz und Selbstwirksamkeit als Quelle der Hoffnung: https://nifbe.de/fachbeitraege/resonanz-und-selbstwirksamkeit-als-quelle-der-hoffnung
Haghari, S. (2024): Mit Nachsicht. Wie Empathie uns selbst und vielleicht sogar die Welt verändern kann. Kösel, München
Haug-Schnabel, G. (2003): Erziehen – durch zugewandte und kompetente Begleitung zum selbsttätigen Erkennen und Handeln anleiten. In: Gebauer/Hüther (Hg.2003): Kinder brauchen Spielräume, S 40–54
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Renz-Polster (2019): Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können. Kösel, München
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Rizzolatti, G. (2008): Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. edition unseld. Suhrkamp. Frankfurt a/M
Sibel, P. (2025): Leipziger Autoritarismus-Studie
X. Lee, B. (Hrsg): Wie gefährlich ist Donald Trump? – 27 Stellungnahmen aus Psychiatrie und Psychologie, (2025): Psychosozial-Verlag, Gießen
Weitere Medien:
Die Macht der Gefühle – Von Angst bis Zorn. 3SAT, Sendung vom 15.06.25
https://www.3sat.de/gesellschaft/sternstunde-philosophie/sternstunde-philosophie-216.html