I. KINDER LERNEN DAS SPRECHEN IN INTERAKTIONEN
Konzept einer modernen Sprachbildung
Erfreulicherweise sind in einigen Bundesländern die Weichen für ein modernes Sprachbildungskonzept bereits gestellt. So enthält der Hessische Bildungsplan die zentrale Aussage: „Sprachkompetenz erwerben Kinder am erfolgreichsten im Zusammenhang mit Handlungen, die für sie selbst Sinn ergeben.“ Die Niedersächsischen Handlungsempfehlungen zu Sprachbildung und – förderung konkretisieren diesen Ansatz. Ganz deutlich hebt der Orientierungsplan zur Sprachbildung und Sprachförderung hervor, dass es im Elementarbereich primär darum gehen müsse, das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken. (Sprachbildung und Sprachförderung – Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinsrichtungen für Kinder, S. 13).
Bedingungen für einen erfolgreichen Spracherwerb
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ein wertschätzendes Erziehungsklima,
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sichere und belastbare Beziehungen,
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Zuwendungsformen, die Lernbegeisterung entfachen.
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Feinfühliges und wertschätzendes Kommunikationsverhalten.
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Kinder müssen oft zu Wort kommen, denn auch der Erwerb sprachlichen Wissens muss vom eigenen Handeln des Kindes ausgehen.
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Das Gefühl von Erfolg und Selbstwirksamkeit ist wichtig.
Als Facetten eines neuen Sprachbildungskonzeptes können daher angesehen werden:
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Reden über die Dinge des Alltags;
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Vorlesen in den Familien und in der KITA;
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über Bilderbücher und Geschichten sprechen;
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Erzählen, Erfinden, und Aufschreiben von Geschichten;
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Laut- und Sprachspiele, Gedichte, Reime und Lieder;
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Spiele aller Art;
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über Konflikte reden;
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Gespräche beim gemeinsamen Essen.
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Vor allem sollten die Erwachsenen für die Kinder ein sprachliches Vorbild sein.
II. EMPATHISCHE BEZIEHUNGEN SIND WICHTIG
Die neuen Orientierungspläne und Empfehlungen berücksichtigen Erkenntnisse aus relevanten Forschungsbereichen. Aus wissenschaftlicher Sicht hat die Beziehungsgestaltung eine revolutionäre Neubewertung erfahren. Die über Interaktionen entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen). Die Qualität der frühkindlichen Bindung und die in der weiteren Entwicklung darauf aufbauenden Beziehungen mit anderen Personen bestimmen den Aufbau neuronaler Strukturen. Erlebt ein Kind Empathie, so ist dies die beste Voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen empathischen Handlungsmusters. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie (sich einfühlen und mitfühlen können) eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende Entwicklung darstellt.
Beachtung, Anerkennung und Zuwendung aktivieren das Motivationssystem. (Bauer 2005) Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem eine empathische Beziehung zwischen Erzieherinnen und Kindern eine positive Auswirkung auf die Sprachentwicklung hat. Es gilt daher, allen interaktiven Prozessen eine große Aufmerksamkeit zu schenken. Die Interaktionen der Kinder sind eine Schatzkammer der sprachlichen Bildung.
Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt. Wenn nun Mutter und Vater mit dem Baby sprechen, vermittelt ihr Gesicht Gefühle, die mit den Sprechlauten verbunden sind. Die Mimik der Eltern verbunden mit ihrem Sprechen führt beim Baby zu akustischen und emotionalen Wahrnehmungen. Auf diese Weise bereiten sie den Säugling auf das Sprechen vor. Innerhalb dieses Vorgangs ist es die emotionale Gestimmtheit, die den Säugling veranlasst, auf die sprechende Person zu achten und schließlich ebenfalls Bewegungen mit Mund und Zunge zu beginnen. Die Freude an den Sprechversuchen wird gestärkt, wenn ein Kind merkt, dass die Erwachsenen auf seine Aktivitäten reagieren.
Schon vom dritten Monat an sind lautliche Versuche zu beobachten, bald werden Laute rhythmisch gestaltet. Man kann auch schon beobachten, dass sie sich in der Lautstärke unterscheiden. Für sich alleine aber auch in Resonanz zu den Eltern versucht ein Kind nun alles, was es mit seiner Zunge, seinen Lippen und mit viel Spucke produzieren kann. Verbunden sind diese Versuche oft mit großer Begeisterung. Es sind erste Erfahrungen der Selbstwirksamkeit. Freude entsteht, wenn Eltern eine entsprechende Resonanz geben. In der folgenden Zeit nehmen Kinder (etwa zwischen vier und sechs Monaten) Einzellaute wahr. Es entstehen Lautfolgen wie Mama, Papa, dada. Für die sprachliche Entwicklung ist die empathische Zuwendung entscheidend. Ein Kind muss sich bei seinen Aktivitäten wahrgenommen fühlen. Die empathische Resonanz der Bezugsperson trägt dazu bei, dass ein Kind mit Interesse und Ausdauer sich seinen lautlichen Produktionen widmet. Schon jetzt beginnt es zu verstehen, dass es dabei auf Zuhören und Reagieren ankommt. Das setzt voraus, dass sich eine erwachsene Person ganz dem Kind zuwendet. Videospiel oder Fernsehsendungen können nichts bewirken. Sie bringen Kinder eher in ratlose Situationen. (Haug-Schnabel / Bensel 2012, S. 15)
„Wörter und Sätze erhalten erst durch Emotionen, Gesten, Gesichtsausdruck und Stimmlage eine nachhaltige Bedeutung.“ (Haug-Schnabel /Bensel 2012, S. 17)
In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung.Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten.
Auf die Erlebnisqualität kommt es an
Für viele Kinder stellt der Besuch des Kindergartens eine Bereicherung ihres Lebens dar. Dabei kommt es auf die Qualifikation der Erzieherinnen ebenso an wie auf die personalen und räumlichen Bedingungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erlebnisqualität nicht durch den Einsatz von Förderprogrammen der unterschiedlichsten Art gestört oder gar verdrängt wird.
Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)
Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.
Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.
Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:
Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
Eigene Spielideen entwickeln.
Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.
Die Bedeutung der Gleichaltrigen
Sprachbildung findet vor allem im Spiel mit Gleichaltrigen statt. Zunächst werden Kinder versuchen über Mimik und Gestik Zugang zum Spiel anderer Kinder zu finden. Dabei brauchen sie gelegentlich die Unterstützung durch ihre Erzieherin. Um das zweite Lebensjahr werden sie versuchen über Laute und Worte zu signalisieren, dass sie mitspielen wollen. Schließlich kommt es im weiteren Verlauf des Spiels darauf an, Bedürfnisse und Ziele mit den anderen abzustimmen. Voraussetzung für diese Leistung ist die Ausbildung von Empathie.
Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti (2008) entdeckten Spiegelneurone.
Kinder nehmen schon früh emotional wahr. Etwa im Alter von 18 Monaten entdecken sie ihr eigenes Selbst. Äußerlich ist dies daran abzulesen, dass sich ein Kind im Spiegel erkennt. Es ist von nun an zur Selbst-Objektivierung fähig und damit in der Lage, einen Spielpartner nicht nur als „Objekt, sondern als eigenständiges Subjekt zu erkennen. Es kann nun unabhängig von der eignen Ich-Perspektive die Gedanken und Gefühle des anderen wahrnehmen und einschätzen. Damit ist eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Interaktionen geschaffen. Diese Fähigkeit wird als „theory of mind“ bezeichnet.
Beispiel: „Mama kommt wieder.“
In einer Gruppe von Kindern im Alter zwischen 12 und 24 Monaten konnte ich die folgende Szene beobachten:
Frühstückszeit in der Krippe. Die Kinder sitzen mit ihrer Erzieherin am Tisch. Es ist still. Plötzlich weint Lisa leise. Anna erhebt sich von ihrem Platz, geht zu Lisa, legt ihren Arm um deren Schulter und sagt: „Mama kommt wieder.“
Anna, so darf man annehmen, ist in der Lage, sich in die Situation von Lisa zu versetzen. Sie realisiert, dass Trost die richtige Geste ist. Ein innerer Verarbeitungsprozess hat es ihr ermöglicht, sich in Lisas Erleben einzufühlen. Dabei lässt sie es aber nicht bewenden. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie handeln muss. Und dann handelt sie. In ihrem Gehirn durchläuft sie einen Prozess, bei dem Fühlen, Denken und Handeln miteinander verknüpft werden. Sie aktualisiert ihre Fühl-Denk-Handlungsbahnen. In der Hirnforschung werden diese Verbindungen als Limbofrontale Bahnungen beschrieben. Sie entwickeln sich aufgrund von Erfahrungen mit anderen Personen. Ganz entscheidend dabei ist die Vorbildfunktion der Erzieherin. Das lässt sich gut an dem folgenden Beispiel ablesen:
Beispiel: „Beruhige dich mal!“
Die Erzieherin hatte vor Ostern mit den Kindern ausgepustete Eier angemalt. Sie wollte an einem Ei einen Faden zum Aufhängen anbringen. Dabei zerbrach das Ei. Erzieherin: „Oh, das wollte ich nicht, das tut mir leid.“ Linus (fünf Jahre alt), der das Ei bemalt hatte, sagt: „Das weiß ich doch, beruhige dich mal.“
Darin zeigt sich empathisches Verhalten. Wir können annehmen, dass Linus während seiner Zeit im Kindergarten schon oft von seiner Erzieherin den beruhigenden Hinweis erhalten hat, dass es gut sein kann, sich nach einem aufregenden Ereignis zunächst einmal zu beruhigen.
Im ersten Beispiel wird ein empathisches Verhalten einem anderen Kind gegenüber sichtbar, im zweiten Beispiel zeigt ein Kind Empathie seiner Erzieherin gegenüber.
III. SPIEL, EMPATHIE UND KOMMUNIKATION
In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen, das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ (Albers 2011, S.53)
Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2012, S.53)
Aspekte einer Kultur der Gleichaltrigen:
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Die Art, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden;
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Wie sie Konflikte klären und Lösungen finden;
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Wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten;
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Wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren;
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Wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.
Timm Albers (2012, S. 57) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen: „Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.“
IV. SPRACHENTWICKLUNGSPHASEN
Viele Bedingungen spielen bei der Entwicklung der kindlichen Sprache eine Rolle. Da diese Bedingungen für die Kinder sehr unterschiedlich sind, ist es normal, dass auch ihre Sprachentwicklung große Unterschiede aufweist. Daher werden Entwicklungsschritte lediglich angedeutet. Sie sollen einer groben Orientierung dienen. Entscheidend für eine gelingende Sprachentwicklung ist die Haltung der Erwachsenen. Sie müssen sich die Frage stellen, ob sie im Umgang mit den Kindern die oft sehr großen Unterschiede emotional akzeptieren und angemessen auf die jeweiligen sprachlichen Äußerungen reagieren können.
Laute und Silben
Schon vom dritten Monat an gelingen lautähnliche Gebilde. Ein Kind probiert, was es mit Zunge, Lippen und Spucke alles machen kann. Kurze Zeit später bildet es Laute und Lautfolgen, wie a, aaaa, aa; mmmm, ma, mama. In den nächsten Monaten übt sich ein Kind im Lallen. Es ist nun schon in der Lage, Silben aneinander zu reihen. In der gesamten Phase sollten die Bezugspersonen sowohl die beruhigende Babysprache imitieren als auch in gewohnter Sprechweise die Vorgänge beim Wickeln, Füttern, Waschen und Anziehen benennen. Sie sollten ihre Handlungen sprachlich begleiten.
Zwischen dem 10. und 14. Monat können Kinder Wortklänge wie Nane, Dede, Hühang, Somzia, Dazus und Wuffin aus Wörtern heraushören und diese produzieren. Für den Erwachsenen ist leicht zu erkennen, dass mit Nane Banane gemeint ist. Schwieriger ist es, hinter Hühang einen Kühlschrank zu erkennen.
Wenn man Somzia langsam spricht und im Anschluss Wohnzimmer, dann kann man erahnen, welche Klangbilder ähnlich klingen. So ist es auch bei Dazus / Schlafanzug. Schwieriger ist es Wuffin mit Telefon in Verbindung zu bringen. Allerdings erschließen sich solche Bedeutungen leicht im konkreten Umgang mit dem Kind.
Wörter und erste Sätze
Im Alter von zwei Jahren sprechen viele Kinder Wörter wie: Mama, Papa, Ball, Puppe, Hund oder Wauwau. Dodil, Tator, Schleifwurst und viele andere Produktionen entstehen und geben der Bezugsperson oft nur für Sekunden ein Rätsel auf. Dann lässt dich die Bedeutung aus dem Kontext erahnen. Nun ist die empathische Modellierkunst der Erwachsenen gefragt. Und es gibt viele Nuancen, Klangmelodien und Zusammenhänge in denen nun über das Krokodil, den Traktor oder die leckere Fleischwurst geredet werden kann. Wenn wir die vielen Wortklangschöpfungen der Kinder mit Staunen und Freude aufnehmen und wohlwollend korrigierend ihre Klangwörter in der Umgangssprache wieder verwenden, dann finden nach und nach Klang und Bedeutung auf gute Weise zueinander. So wird irgendwann aus Wuffin ein Telefon, aus Somzia ein Wohnzimmer und aus Dazus ein Schlafanzug.
Einjährige Kinder verstehen etwa 50 Wörter aus ihrer Erfahrungswelt. Mit etwa 18 Monaten verfügt ein Kind über 200 Wörter im passiven Wortschatz. So kann ein Kind, wenn es mit Vater oder Mutter im Garten ist, die Frage: „Wollen wir die Blumen gießen?“ in der Regel verstehen und es wird zur Gießkanne greifen oder „ja“ sagen. Aktiv verwendet ein Kind in diesem Alter etwas 50 Wörter. Im Alter von zwei Jahren sind es oft schon 200 Wörter, die zum aktiven Wortschatz eines Kindes gehören. Dieser Anstieg ist vor allem dann zu verzeichnen, wenn Eltern und Erzieherinnen die vielen Dinge und Ereignisse des Alltags sprachlich korrekt beschreiben.
Förderliche Dialoge
Jan: „Wasser!“
Erzieherin: „Du möchtest mit Wasser spielen?“
Jan.: „Kanne – Wasser.“
Erzieherin: „Möchtest du Wasser in die Gießkanne tun?“
Jan.: „Wasser – Blumen.“
Erzieherin: „Ah, du möchtest die Blumen gießen.“
So erleben Kinder, dass sie verstanden werden und mit Sprache etwas bewirken können. Und das motiviert sie, immer wieder mit Hilfe ihrer Sprache etwas erreichen zu wollen. Sind sie erfolgreich und zeigen die Erwachsenen eine angemessene Resonanz, dann wird dieses Verhalten von den Kindern als Belohnung empfunden. Diese Erfahrung führt zur Ausschüttung von „Glückshormonen“ und stärkt das Bedürfnis, immer wieder durch sprachliches Handeln etwas bewirken zu können.
Zwei- und Dreiwortsätze, Einzahl und Mehrzahl, Verwendung der Artikel
Im Alter von drei Jahren kommt es zu komplexeren Sätzen. Das Verb wird an die richtige Stelle im Satz gestellt. Fragen können formuliert, Einzahl und Mehrzahl unterschieden werden. Der richtige Gebrauch der Artikel nimmt zu. Kinder verwenden in diesem Alter die richtige Zeitform und wollen beim Betrachten von Bilderbüchern nicht nur zuhören, sondern möglichst oft auch mitreden.
Unterschiede im sprachlichen Können und die Haltung der Erzieherin
Es gibt große Unterschiede im sprachlichen Handeln der Kinder. Da möchte ein dreijähriges Mädchen gerne wissen, ob es zur Köchin gehen darf, um zu fragen, was es heute zu essen gibt. Zu seiner Erzieher sagt es mit fragendem Blick: „Ute (so heißt die Köchin) kocht hat?“ Die Erzieherin nimmt die Frage auf und moduliert etwa folgende Antwort: „Du möchtest wissen, was Ute gekocht hat. Du darfst zu ihr gehen und sie fragen, was es heute zu essen gibt.“
Es ist denkbar, dass ein anderes dreijähriges Mädchen einen Fragesatz exakt formulieren: „Christina, kann ich mal in die Küche gehen? Ich möchte Ute fragen, was es heute zu essen gibt.“ Und es ist vorstellbar, dass dieses Mädchen kurze Zeit später seiner Erzieherin mit leuchtenden Augen mitteilt: „Ich habe Ute gefragt, was sie gekocht hat. Es gibt Nudeln mit Tomatensoße.“
Daran wird deutlich, dass Kinder in diesem Alter bereits über ein ausgeprägtes grammatikalisches Verständnis verfügen.
Beispiel: Toter Käfer
Ein Junge kommt aufgeregt angerannt, fass die Erzieherin an der Hand und führt sie an einen Tisch. Dort betrachten Kinder den Inhalt einer Schachtel. Ein Kind hatte tote Käfer mitgebracht. „Guck da din hat,“ sagt der dreijährige Junge, der bis vor wenigen Wochen noch nicht gesprochen hat.
Er meint: „Guck doch mal, was der da in seiner Schachtel gesammelt hat.“
Die Erzieherin sagt, als sie mir diese Geschichten erzählt, wahrscheinlich könne ich mir gar nicht vorstellen, wie glücklich sie über diese Leistung sei.
Der Junge fühlt sich wohl in der Gruppe, ist integriert, wird mit seiner Schwäche akzeptiert. Das ist dann möglich, wenn nicht ein verengter Begriff von Bildung und Lernen im Vordergrund steht, sondern das Leben selbst – mit seinen oft schwierigen – aber auch seinen sehr schönen Seiten. Der Junge erhält eine logopädische Betreuung. Wenn die Kinder im Morgenkreis erzählen, meldet er sich oft zu Wort. Manchmal könne man nur erahnen, was er meine, aber alle Kinder hörten geduldig und mit Interesse zu. Sie wollen verstehen, was er meint. In diesem Verhalten zeigt sich Empathie.
Ich erwähne diese Beispiele vor allem aus zwei Gründen:
Kinder sind verschieden, und sie sind in der Lage sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Die Erzieherin freut sich über die sprachlichen Äußerungen der Kinder und gibt ihnen eine entsprechende Resonanz. So findet Bildung statt. In diesen Fällen ist die Grundlage für eine anhaltende Motivation gelegt und darauf kommt es an. „Ich hoffe,“ sagt die Erzieherin, „dass sie einmal eine Lehrerin kriegen, die sie versteht. Und ich hoffe, dass wir ihnen was mitgegeben haben, was ein positives Grundgefühl in ihnen auslöst – ich hoffe, dass sie, wenn sie sich später einmal erinnern, das Gefühl haben, dass sie eine glückliche Kindergartenzeit hatten.“
Dialogrunden
Im Alter von vier bis fünf Jahren sind Kinder zu länger anhaltenden Gesprächen fähig, die sich unabhängig vom Handlungskontext auch auf fiktive Zusammenhänge beziehen können. Mit vier Jahren verstehen Kinder auch komplexe Satzkonstruktionen. Wenn Kinder erzählen, dann weben sie auch Wünsche und Fantasien in ihre Erzählungen. Sie brauchen interessierte / neugierige Zuhörer. Sie profitieren in der Interaktion von der Sprache der Erwachsenen. Diese sollten modulierend das Sprechen der Kinder begleiten: Fragen stellen, Äußerungen wiederholen und auch erweitern und auf empathische Weise Korrekturen anbringen.
Kinder brauchen Zeit, eine anregende Umgebung und zugewandte Erzieherinnen. So kann sich eine Sprachkultur entwickeln, die für die beteiligten Personen mit Freude verbunden ist.
Erlebnisse der Kinder
Die folgende Geschichte soll als Beispiel dafür gelten, wie differenziert sich fünfjährige Kinder ausdrücken können, wenn sie die Möglichkeit erhalten, an einem für sie interessanten Thema gemeinsam zu arbeiten. Die Erzieherin hatte im Rahmen einer Dialogrunde nach wichtigen Ereignissen aus dem Leben der Kinder gefragt. Ein Junge erzählte von einem Einbruch, der in der Nachbarschaft geschehen war. Andere Kinder erzählten davon, dass in der Zeitung „Räubergeschichten“ gestanden hätten. Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das die Erzieherin mitschrieb. Dabei musste sie immer wieder die Kinder bitten, langsam zu sprechen, damit sie auch alles mitschreiben könne. So ist eine fiktive Geschichte entstanden, an der fünf Kinder beteiligt waren. Jedes Kind hat daran seinen je eigenen Anteil. Zum Schluss las die Erzieherin das Ergebnis vor. In den folgenden Tagen gestalten die Kinder diese Geschichte immer wieder als Rollenspiel. Sprachbildung ereignet sich im Erzählgeschehen und im Prozess der Rollenspielgestaltung auf vielfältige Art.
Wenn Menschen erzählen, finden sie eine sprachliche Form für das, was sie erlebt haben. Sie sind das Subjekt der Erzählung. Das Ereignis findet an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten statt. Vergangenes wird erinnert, findet in der Sprache eine neue Form, ist nicht nur Abbild sondern Neuschöpfung des Erlebten. Stimmungen, Assoziationen, Emotionen verbinden sich mit dem Erzählten.
Beispiel: Eine Räubergeschichte
„In der Zeitung und im Internet stand, dass eine unheimliche Räuberbande mit Männern und Frauen durch die Gegend schleicht. Die Diebe haben schwarze Sachen an – ein schwarzes Kostüm. Es waren zwei Männer und zwei Frauen. Die Männer haben schwarze Hüte auf und die Frauen schwarze Mützen.
Jonathan wusste, dass sie sich in der Nähe herumtreiben, aber nicht dass sie es gerade auf sein Haus abgesehen hatten. Jonathan wohnt in einem Bauernhaus mit Reetdach.
Als sie die Tür aufgemacht haben, sie haben die Türklinke abgebrochen und das Türschloss aufgebrochen, war es schon 12 Uhr nachts.
Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatten, schlichen sie die Treppe hoch und machten die Tür auf – mit einem Gerät. Das Gerät sieht ungefähr so aus wie ein Maschinengewehr, aber es hat unten ganz lange spitze Zacken.
Sie kamen ganz leise herein und wollten nach dem Computer greifen, aber Jonathan hat in letzter Sekunde noch das Telefon aus dem Ständer gerissen und hat die Polizei angerufen: ‚Polizei, bei mir sind Diebe – die unheimlichste Bande Deutschlands.’
Die Diebesbande ist weggelaufen und hat Jonathans Lieblingsbuch geschnappt, in dem er abends immer liest.
Die Polizei hat sie auf dem Weg in die Räuberhöhle ertappt und hat ihnen das Buch abgenommen. Sie hat ihnen Handschellen angelegt und sie ins Gefängnis geführt.
Die Polizei hat Jonathan, nachdem sie die Diebe eingesperrt hatte – ins Gefängnis – sein Lieblingsbuch zurückgebracht, in dem er abends immer liest, wenn er im Bett liegt.
Jonathans Eltern waren noch in der Stadt. Er hat sie angerufen und ihnen erzählt, dass die gefährlichste Räuberbande Deutschlands bei ihm eingebrochen hat und jetzt im Kerker sitzt und jammert, dass sie Jonathans Computer klauen wollte und jetzt eingesperrt ist.
Die Diebe bereuen, dass sie den Computer klauen wollten und das Buch geklaut haben.“
(Beteiligt waren fünf Kinder im Alter von fünf Jahren)
Interpretation:
Ausgangspunkt für dieses Beispiel ist die Anregung der Erzieherin. Sie hatte darum gebeten, ein wichtiges Erlebnis zu erzählen. Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt oder von dem sie gehört. Sie erzählen, dann, wenn das Thema für sie bedeutsam ist. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Realität und Fiktion werden oft miteinander verknüpft. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das freie Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. In diesen gemeinsam gestalteten Raum fließen die unterschiedlichsten Erfahrungen und Assoziationen ein. So wird aus dem Beginn einer individuellen Erfahrung ein gemeinsam gestaltetes Rollenspiel.
Beispiel: Empathie auf dem Motorrad
Die Erzieherin bringt ihre Schatzkiste mit in eine Dialogrunde. Beteiligt sind sechs Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren. Die Erzieherin nimmt einen Drachen und einen kleinen Koffer heraus und sagt: „Ihr könnt euch dazu eine Geschichte ausdenken. ihr könnt sie malen, ihr könne sie für euch behalten oder mir erzählen, ich schreibe sie dann für euch auf.“
Ein Junge greift in seine Hosentasche und stellt noch einen Spielzeugmotorradfahrer dazu. Drei Kinder fangen an, eine Fantasiegeschichte zu malen. Vier Kinder sind unentschlossen, sie warten zunächst ab, beteiligen sich aber nach und nach.
Luzia (4 J.) wollte erst nichts malen, fängt dann aber an und zeigt ihr Bild der Erzieherin.
Es entspinnt sich der folgende Dialog:
Erzieherin: „Wer ist das?“
Luzia: „Ich.“
E.: „Wo willst du hinfahren?“
Luzia: „ Zu Susanne.“ (So heißt die Erzieherin)
E.: „Das ist ja schon eine Geschichte.“
Luzia: „Unterwegs könnte sie den Drachen treffen.“
E.: „Das könntest du auch noch malen.“
Luzia: „Ja.“
Am nächsten Tag bringt Luzia mehrere Zeichnungen mit, auf denen sie als Motorradfahrerin zu sehen ist – zunächst alleine und dann zusammen mit Susanne. Auch zwei Drachen sind auf den Bildern, auf einem Bild ist eine Katze.
Luzia erzählt:
„Es war einmal ein wunderschöner Tag. Da kam eine Motorradfahrerin vorbei. Die wollte Susanne besuchen. Da begegnete sie zwei Drachen. Die hatten Stacheln auf dem Rücken. Die Drachen sind weggelaufen, weil sie Angst hatten vor der Motorradfahrerin und vor dem Motorrad. Die sind in das Gebüsch gelaufen. Dann begegnete die Motorradfahrerin noch einem kleinen Drachen. Der lief auch schnell ins Gebüsch. Dann fuhr sie weiter.
Ein paar Minuten später war sie angekommen. Susanne war zu Hause und aß Kuchen. Susanne hat sich gefreut. ‚Guten Tag,’ hat sie gesagt, ‚komm rein und iss mit mir Kuchen.’ Es war Marmorkuchen. Der Marmorkuchen hat lecker geschmeckt.
Dann fuhr sie weiter. Susanne wollte mitkommen. Dann waren sie zuhause bei der Motorradfahrerin und aßen Marmorkuchen. Dann war es dunkel. Susanne ging nach Hause zum Schlafen.
Als es Morgen war, …“
So geht die Geschichte noch ein ganzes Stück weiter.
Interpretation:
Ausgangspunkt sind Utensilien aus dem Erzählkoffer. Die Aufgabenstellung scheint zunächst für Luzia nicht von großem Interesse zu sein. Es sieht so aus, als wisse sie mit dem Drachen und dem Motorradfahrer nichts anzufangen. Dann aber beginnt die Anregung in ihr zu wirken. Die Erzieherin hat – so dürfen wir annehmen – in ihr etwas zum Klingen gebracht. Auf der Beziehungsebene ist über die Wirksamkeit von Spiegelzellen eine Verbindung entstanden, die nun von Luzia ausführlich gestaltet wird. Im Akt des Erzählens werden Beziehungen thematisiert und gleichzeitig erlebt.
Luzia versetzt sich in die Situation einer Motorradfahrerin, berücksichtig auch die Drachen, weil das von der Erzieherin gewünscht war. Im weiteren Verlauf gestaltet sie aber ihre Erzählung als Beziehungsgeschichte. So fährt sie mit dem Motorrad zu Susanne und lässt sich von ihr einladen. „Komm rein und iss mit mir Kuchen!“ In den folgenden Tagen benutzt sie immer wieder das Motorrad, um Susanne zu besuchen und mir ihr gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie verbringen schöne Tage miteinander, spielen Fangen und Verstecken, pflanzen Blumen. Luzia lässt ihre Erzieherin von einem Bad im See träumen. Später nutzen sie die Mobilität, die ihnen das Motorrad bietet, sie fahren zu einem See und baden. Mehrmals heißt es in der Erzählung: „Es war sehr schön!“
Dieses Beispiel zeigt, dass das Kind zunächst mit einer Anregung seiner Erzieherin gewisse Schwierigkeiten hat. Der Einstieg will zunächst nicht gelingen. Aber dann springt ein Gefühl hinüber zur Erzieherin. Wir können davon ausgehen, dass das Mädchen intuitiv spürt, dass jetzt eine Chance besteht, ihren Wunsch nach Nähe zu der erwachsenen Person in eine Erzählform zu bringen.
Die Ausgangssituation, die zu Luzias Erzählung geführt hat, war für die Gruppe von sechs Kindern identisch. Es sind allerdings ganz unterschiedliche Geschichten entstanden. Das zeigen die beiden nachfolgenden Beispiele.
Beispiel: Motorradfahrer und Medaillen
„Der Motorradfahrer hat beim Rennen 300 Medaillen in Gold und Silber und tausendzwanzig Pokale – auch in Gold und Silber – gewonnen.“
(Junge, 6. J.)
Beispiel: Motorradfahrer und Regenbogen
„Das ist ein Mensch. Da sitzt ein Mensch drauf auf dem Motorrad. Die kommen aus England und die haben einen schönen Regenbogen mitgebracht. Es regnet gerade. Es scheint auch gerade die Sonne. Dann blitzt es auf einmal und donnert auf die Menschen. Und dann hört es wieder auf. Dann kommt ein kleiner Drache und sagt: ‚Kommt auf meinen Rücken, ich rette euch vor dem Regen.’ Dann fliegt der Drache davon mit den beiden Motorradfahrern. Der fliegt mit denen zu seinem Haus und da scheint gerade die Sonne. Und dann spielen sie mit Cars 2.“
Für Mama.
Junge, 5 J.
Jeder Junge malt ein Bild und erzählt auch der Erzieherin bereitwillig, was er sich vorgestellt hat. Beide Erzählungen fallen dadurch auf, dass sie wesentlich kürzer sind als Luzias Geschichte. Da sind ganz unterschiedliche Assoziationen im Spiel. Im Text des sechsjährigen Jungen geht es inhaltlich um ein Motorradrennen an dessen Ende Sieg, Medaillen, Gold und Silber gewonnen werden. Im Beispiel des fünfjährigen Jungen ist mehr Fantasie im Spiel. Da ist auch eine echte Dramatik zu spüren. Möglicherweise speist sich die Erzählung aus einem realen Erleben. Es regnet und es scheint die Sonne. Und dann erscheint der Regenbogen. In dem kleinen Text zeigt sich ein Anflug von Poesie. Der Junge berücksichtigt sogar die Anregung der Erzieherin und lässt einen Drachen als Retter erscheinen. Am Schluss widmet der Junge die Geschichte seiner Mama.
V. THEMEN DER KINDER
Die Themen der Kinder sind aufgrund ihres familiären Umfeldes sehr unterschiedlich. Sie finden vor allem dann eine sprachliche Form, wenn eine Erzieherin Interesse an der Lebenssituation eines Kindes signalisiert und auch den Zeitrahmen dafür schafft, um sich in Ruhe mit dem Thema eines Kindes zu beschäftigen
„Heute leben wir“
Maya zu Luka: „Setzt du dich neben mich?“
Luka: „Ich sitze neben dir, so lange du willst.“
Maya: „Wir haben noch länger Zeit. Wir leben noch lange.“
Luka: „Irgendwann sterben wir. Alle Menschen müssen sterben.“
Maya: „Aber heute nicht. Heute leben wir.“
(Beide 5 J.)
„Alt werden“
„Ich möchte sterben bevor ich eine alte Frau werde. Ich möchte nicht so eine Frisur mit kurzen Haaren haben.
(Mädchen, 5 J.)
„Keiner da bei meiner Bürste“
Faruk, vier Jahre, Familie mit 6 Kindern, Heimat Kosovo, besucht seit drei Monaten einen integrativen Kindergarten. Noch ist seine Beeinträchtigung, die sich u.a. in seiner noch gering ausgeprägten Sprachfähigkeit zeigt, nicht hinreichend diagnostiziert. Er kommt gerne, sogar die Mutter ist schon einmal mitgekommen.
Zur Situation: Am Wochenende werden die Zahnbecher gereinigt. Am Montag werden die Becher an ihren Platz gestellt und die Zahnbürsten werden von den Kindern wieder zugeordnet. Faruk fehlt an diesem Tag. Als er am Dienstag Zähne putzen will, ist seine Bürste nicht im Becher. Er kommt er ganz aufgeregt zu seiner Erzieherin und sagt:
„Keiner da bei meiner Bürste.“
Die Erzieherin sagt, es sei der schönste Satz des ganzen Jahres. Dieser Satz habe ihr den ganzen Vormittag über gute Laune gemacht. Und das geschehe auch immer dann, wen sie an diese Situation denken würde. Er könne seine Zahnbürste nicht finden, das wollte Faruk seiner Erzieherin mitteilen. Wir sehen, dass er noch Probleme in der Satzkonstruktion hat. Aber er konnte ausdrücken, dass es um seine Zahnbürste geht. Seine Erzieherin hat ihn verstanden. Das ist entscheidend.
Das sprachliche Handeln seiner Erzieherin können wir uns so vorstellen:
E: „Faruk, du wolltest Zähne putzen. Deine Zahnbürste war nicht an ihrem Platz. Ich weiß, wo sie ist. Komm, wir holen sie. Dann kannst du deine Zähne putzen.“ Seine Sprache hat im geholfen, an seine Zahnbürste zu kommen. Er kann sich freuen, dass er sein Ziel erreicht hat.
Faruk bekommt eine Logopädie-Therapie, er fühlt sich in der Gruppe wohl und macht insgesamt gute Fortschritte.
VI. BEISPIELE AUS DER KOOPERATION MIT DEM TEAM DER KITA PFALZ-GRONA-BREITE, GÖTTINGEN
Die Situationen in Krippen sind sehr vielfältig und komplex. Um eine gute Grundlage für das Verstehen von Kinderäußerungen und ihre sprachlichen Fähigkeiten zu bekommen, ist es hilfreich, immer wieder einmal einzelne Situationen aufzuzeichnen und das Ergebnis im Team anzuschauen und zu analysieren. Dabei können die folgenden Aspekte eine Hilfe bieten:
Kriterien für die Analyse von Kommunikationssituationen
Werden die Sprechversuche der Kinder wahrgenommen?
Art der Zuwendung durch die Erzieherin. Ist erkennbar, dass sie sich für das Sprechen des Kindes interessiert?
Welche Atmosphäre herrscht in der Gesprächssituation?
Hat die Erzieherin eventuell das Sprechen eines Kindes besonders im Blick?
Werden die anderen Kinder von der Erzieherin auch wahrgenommen und einbezogen?
Wird hörbar, ob und wie die Erzieherin um Verstehen bemüht ist?
Moduliert sie das Sprechen der Kinder?
Wie wird der sprachliche Anteil der Erzieherin im Verhältnis zum Sprechen der Kinder wahrgenommen?
Wann und wie gehen Kinder sprachlich aufeinander ein?
Sind Themen der Kinder erkennbar?
Wird auf diese Themen eingegangen?
Werden die sprachlichen Möglichkeiten in den unterschiedlichsten Situationen des Alltags wahrgenommen? (Bilderbücher, Spiele aller Art, Wickeln, An- und Ausziehen usw.)
Wie wird die sprachliche Entwicklung eines Kindes dokumentiert und gefördert?
Was könnte man besser / anders machen?
Was zeichnet die Beziehung zwischen Erzieherin und Kind aus?
Zeigt sich in der Beziehung ein empathisches Verhalten?
Damit ist der Hintergrund für die Analyse der nachfolgenden Beispiele skizziert. Das Betrachten der Beispiele erfolgt in der Regel in vier Schritten. Gelegentlich heben wir einen Aspekt hervor oder beschäftigen uns auch nur mit einem Aspekt.
Charakterisierung der Situation
Es wird die Situation skizziert, in der die Dialoge stattfinden. Im Vordergrund steht der äußere Rahmen, in den eine Kommunikationssituation eingebettet ist. Es geht aber auch um die Atmosphäre und das Beziehungsangebot der Erzieherin.
Die Dialogsituation
Im nächsten Schritt wird die eigentliche Dialogsituation beschrieben. Damit sind die sprachlichen Anteile des Kindes und der Erzieherin gemeint. Wir erleben, wie sich ein Kind um einzelne Wörter bemüht, wie es versucht, Wörter für Gegenstände oder Personen zu finden und zu formulieren. Wir können wahrnehmen, wie ein Kind zunächst nur einzelne Laute oder Lautfolgen erkennt und diese artikuliert. Der Blick sollte aber nicht nur auf die Wortproduktion des Kindes gereichtet sein, sondern auch auf die Art und Weise, wie die Erzieherin versucht, das Gesprochene zu verstehen und durch eine entsprechende Modulation zum richtigen Klang bringt. Schließlich ist zu erkennen, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Kind nach kurzer Zeit einzelne Wörter richtig ausspricht und im Kontext richtig verwendet. Die Dialogsituationen sind das Material, an dem wir erkennen können, wie sich ein Kind nach und nach in die Struktur der gesprochenen Sprache einlebt. Wir werden Zeugen der vielen Versuche, einen Satz so zu konstruieren, dass das Gemeinte für den Gesprächspartner verständlich wird.
Was ist zu beobachten?
In einem nächsten Schritt werden die verwendeten Wörter und Sätze einer genaueren Betrachtung unterzogen. Welche Wörter und Sätze verwendet ein Kind? Dabei kommt es auf das Gesagte und das Gemeinte an. Es wird auch gelegentlich darauf geachtet, wie viele Wörter ein Kind bereits beherrscht. Bei der Betrachtung der Sätze geht es zum Beispiel darum, ob ein Kind die Verbform richtig verwendet und einen Vorgang in seinem zeitlichen Ablauf darstellen kann.
Reflexion und Perspektiven
In einer abschließenden Betrachtung wird erörtert, was die Erzieherin in der Situation hätte anders machen können bzw. welche Schlüsse sie aus der Reflexion für die künftige Arbeit zieht. Es wird noch einmal die Beziehungsqualität in den Blick genommen.
Beispiel: Dialoge auf dem Wickeltisch
Charakterisierung der Situation:
Erzieherin und Kind (Noura, 2;1) betreten gemeinsam den Wickelraum. Noura läuft in Richtung des Lichtschalters und möchte das Licht einschalten. Diese Absicht wird sofort von der Erzieherin erfasst und Noura wird sprachlich in das Geschehen einbezogen. Es folgt das Wickeln auf der Kommode.
Dialogsituation:
E.: „Willst du das Licht anmachen?“
Noura reckt ihre Hand zum Schalter und fragt: „Da?“
E.: „Ja. – Kommst du da dran?“
Es gelingt und die Erzieherin sagt: „Prima.“
Im Gesicht von Noura ist Freude zu erkennen.
E.: „Holst du dir eine Windel aus dem Fach?“ Noura zieht das entsprechende Fach auf. E. merkt, dass die Windel sehr weit hinten liegt und sagt: „Oh, kommst du gar nicht dran.“ Noura versucht es. Erzieherin holt die Windel nach vorne: „Kommst du da dran?“ Es gelingt. E.: „Prima.“
N. lässt die Schublade zu fallen. E.: „Jawoll.“
N. steigt mit Windel in der Hand die Treppe zum Wickeltisch hoch. E.: „Soll ich die Windel festhalten?“ N. reicht sie der Erzieherin. E.: „Danke.“
N. steigt nun auf den Wickeltisch, schaut sich im Spiegel an. Blickt mit Spannung in den Spiegel. N: „Guck mal ich Haare Bange.“
E.: „Du hast eine Spange in den Haaren. Wer hat die denn da rein gemacht?“
N.: „ Mama.“
E.: „Die sind ja echt schick. Ein Herz ist das, ne? Und eine Glitzerhaarspange hast du hier – mit Blümchen. So was Schickes.“
N.: „Dan se Mama.“
E.: „Hat Mama rein gemacht.“
E. (Nimmt eine Zeigegeste des Kindes auf.)
N.:„Da!“
E.: „Ein Tuch.
N.: „Haben?“
E.: „Kannst du mit spielen, kannst du dich verstecken. – Ha, wo is denn die Noura? Ich seh die Noura gar nicht mehr.“
N.: „Piep!“
E.: „Hast du Piep gemacht?“
N.: „ Jaaa!“
E.: „Wo bist du denn, ich seh dich gar nicht? –Noura, wo bist du?
N.: „Piep!“
E.: „Mäuschen, piep einmal.“
N.: „… piep einmal.“
E.: „Mäuschen piep einmal – piep.“
E.: „Ach, da bist du ja….ganz rosa im Gesicht. – Dein Tuch is ganz rosa. – M…“
N.: „He, he.“
E.: „He, he.“
N.: „Ich tata?“
E.: „Was sagst du?“
N.: Ich tata.“
E.: „Nee, du hast kein kaka, nur pipi. – Nur pipi in der Windel.“
N.: „kommt.“
E.: „Hast noch nicht kaka gemacht, vielleicht kommts später?“
N.: „Später.“
E.: „Wenn wir uns ein bisschen bewegen. – Wollen wir dann in Bewegungsraum gehen?“
N.: „Ja. – Ich hole a met.“
E.: „Wer kommt mit? – Ich komme mit. Ja.“
N.: „Nein, Kata met.“
E.: „Katja kommt auch mit. Und wer kommt noch mit?“ – Wer ist denn noch da?
N.: ( murmelt ungenau)
E.: „Wer ist noch da? – Nina? (Noura nickt)
N.: „Ja.“
E.: „Und wer noch?“
N.: „Katja.“
E.: „Und noch einer? –Einer fehlt noch.“
N.: „Ja.“
E.: „Sas…“
N.: „Sas…“
E.: „Saskia, ne. Die fehlt noch, die kommt auch mit rüber und die andern Kinder.“
N.: „Ja.“
E.: „Ja.“
N.: „Noura au met.“
E: „Wolln wir die Hose ausziehn? Du hast ja noch eine drunter.“
N.: „Wo ich eine …“
E.: „ Wollen wir die ausziehen?“
N.: „Ja.“
E.: „Ja.“
N.: „Dann basste i noch hüpen dann.“
E.: „Das packst du dann in dein Körbchen rein. – Genau.“
N.: „Weita hüpen dann.“
E.: „Na, huch. Wir ziehen erstmal Hausschuhe an, sonst rutscht du aus.“
N: Da ich besser hüpen kann
E.: „Das Trampolin ist kaputt.“ … Da müssen wir was anderes aufbauen. OK?“
N.: „Ja.“
E.: Oh, sage mal, deine Füße sind gewachsen.
N.: „Halsand.“
E.: „Du hast auch eine Kette. Ich auch.“ – Ich hab ein Herz und du hast kleine Kugeln. Eine Bernsteinkette. Und Entenknöppe an deinem Pullover. Da – Entenknöpfe. – Wie machen die denn.
N.: „Quak, quak.“
E.: „So Mausi, krabbelst du runter.“
Was ist zu beobachten?
Die Erzieherin ist Noura zugewandt und bezieht sie in die Aktionen mit ein: Licht einschalten, Windel holen, auf den Wickeltisch krabbeln, sich umdrehen, später wieder runterkrabbeln. Diese Aktivitäten werden durch Frage- oder Aussagesätze begleitet. Die Erzieherin geht auf die sprachlichen Äußerungen ein und moduliert diese. Es folgt jeweils eine positive Resonanz. So sagt die Erzieherin, nachdem Noura das Licht eingeschaltet hat: „Prima!“ Noura strahlt über das ganze Gesicht.
Insgesamt ist es ein ausgewogener sprachlicher Dialog. Die Erzieherin ist sehr darum bemüht, das Kind zu verstehen. Sie moduliert immer wieder auf angenehme Weise die Aussagen des Kindes. Eine Alltagssituation wird sprachbegleitend gestaltet. Die Erzieherin geht auf die sprachlichen Möglichkeiten des Kindes ein und verhält sich der Situation angemessen.
Die ausgesprochen schöne Kommunikationssituation ermöglicht umfassende sprachliche Aktivitäten. Noura kann erleben, dass ihre sprachlichen Äußerungen verstanden werden. Sie wird von sich aus aktiv, als sie auf die Haarspangen verweist. Sie kann über eine Zeigegeste mitteilen, dass sie ein Tuch haben möchte. Daraus entwickelt sich das Spiel „Mäuschen piep einmal.“ Noura möchte wissen, was in der Windel war: „Ich tata?“ Sie stellt eine altersgemäße Frage und erhält von der Erzieherin eine angemessene Antwort. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt „Kaka“ in der Windel sein könnte und dass es sinnvoll sein könnte, den Vorgang durch Bewegung zu unterstützen. Die Erzieherin verweist auf das Trampolin, stellt unmittelbar danach fest, dass dieses ja defekt sei. Es ergeben sich noch Überlegungen, wer alles am Bewegungsspiel beteiligt werden könnte. Dabei wird deutlich, dass es Noura vor allem auf die Teilnahme von Katja ankommt. Die Frage „Wollen wir in den Bewegungsraum?“, wird von Noura begrüßt und sie äußert undeutlich den Wunsch, dass noch jemand mitkommen solle. Die Erzieherin bezieht diese Äußerung auf sich, wird aber von Noura mit einem deutlichen „Nein!“ korrigiert. Nouras Äußerung: „Ich hole a met“ könnte der Versuch einer Satzkonstruktion sein, die noch nicht ganz gelungen ist. Sie könnte gemeint haben: „Ich hole Katja, sie kommt auch mit.“ Es handelt sich möglicherweise um eine „verpuppte“ Wortfolge, die aber von der Erzieherin verstanden wird. Es wird in der Kommunikation zwischen ihr und Noura deutlich, worum es geht. Die Erzieherin will den Kreis der teilnehmenden Kinder noch erweitern, indem sie Fragen nach den anderen Kindern stellt. Aber dies liegt nicht so sehr im Interesse von Noura. Für Noura ist es wichtig, dass Katja mitkommt und die Äußerung „Noura au met“ macht deutlich, dass sie natürlich nicht vergessen werden darf. Das „NEIN“ bezogen auf die Teilnahme der Erzieherin ist deutlich. Und das „ICH“ ist in dieser Sequenz noch nicht zu erkennen. Noura spricht von sich noch als Noura.
Zum Schluss fragt die Erzieherin noch, ob die Hose ausgezogen werden solle. Dem stimmt Noura zu und sie formuliert auch einen Satz, dass sie die Hose in den entsprechenden Korb packen wolle. Dieser Satz ist allerdings von einem Außenstehenden kaum zu verstehen. Er klingt etwas so: „Dann basste i noch hüpen dann.“ Wahrscheinlich handelt es sich auch um die Vorform eines Satzes, der gegenwärtig noch aus „verpuppten“ Elementen besteht. Die Erzieherin versteht / interpretiert ihn in der Situation so, als wolle Noura die Hose in ihr Körbchen legen. Sie moduliert einen entsprechenden Satz.
Erst in der kritischen Reflexion nach Ansicht des Video wird deutlich, dass sie sich geirrt hat. Noura meint, dass sie dann besser hüpfen könne. Etwas weiter vorne geht es im Gespräch darum, dass Mama die Spangen in das Haar gemacht hat. Noura beteiligt sich mit Interesse am Gespräch. Auf die Bemerkung der Erzieherin: „So was Schickes,“ antwortet sie: „Dan se Mama.“ Wir sehen und hören, dass sich Noura am Gespräch beteiligt. Sie will mitreden. Was „Dan se Mama“ in dem Zusammenhang bedeutet, ist nicht klar zu erkennen. Die Erzieherin greift die Bemerkung auf und moduliert sie zu der Feststellung: „Hat Mama rein gemacht.“ Ob sie damit Nouras Intention getroffen hat, können wir auch nach mehrmaligem Ansehen des Videos nicht entscheiden. Jedenfalls wird die Kommunikationssituation nicht gestört. Noura teile sich gerne mit, die Erzieherin greift die Mitteilungen auf und beide haben offensichtlich Freude an ihrem Dialog.
Reflexion:
Vermutlich meint Noura, wenn sie die eine Hose auszieht, dass sie dann besser hüpfen könne. Wie auch immer, es ist der Versuch einen Satz zu konstruieren. Und darauf käme es an, diesen Konstruktionsversuch zu bemerken, vielleicht noch einmal nachzufragen. Die Erzieherin interpretiert die Äußerung so, dass die Hose dann in ein Körbchen gelegt werden soll. Sie moduliert die ungenaue Äußerung von Noura. Noura hat aber wahrscheinlich gemeint, dass sie ohne die zweite Hose besser hüpfen könne. Das betont sie in ihrem Nachsatz noch einmal: „Weita hüpen dann.“
Aus diesen Überlegungen ist zu folgern, dass es manchmal sinnvoll ist, etwas abzuwarten, vielleicht nachzufragen, was gemeint ist. So hätte ein Kind die Chance, sich in der Satzkonstruktion weiter zu entwickeln.
Dieser Hinweis enthält keine Kritik am Verhalten der Erzieherin. Die Situation auf dem Wickeltisch ist in vielerlei Hinsicht optimal. Es ist normal, wenn man in den vielen Situationen des Alltags, in denen schnell reagiert werden muss, eine Äußerung nicht richtig versteht. Erst nach mehrmaligem Ansehen und Hören des Videoausschnittes war es möglich, das Gesagte im Ansatz zu verstehen. Solche Satzfragmente sind so wichtig, weil sich hier Kinder aktiv bemühen, etwas für sie wichtiges mitzuteilen. In solchen Artikulationsversuchen der Kinder liegen entscheidende Fortschritte für ihre sprachliche Entwicklung. Für Noura ist es der mutige Versuch, mit ihrer Erzieherin im Dialog zu bleiben. Für die praktische Arbeit bedeutet es, in solchen Situationen – wenn es möglich ist – in Ruhe noch einmal nachzufragen. Dadurch erhöht sich die Chance für das Kind, sich in der Konstruktion eines Satzes zu üben.
Für unsere gemeinsame Arbeit bedeutet es, bei den Videoaufnahmen besonders auf das Vorkommen solcher Versuche zu achten.
Voraussetzung für eine gute Entwicklung sind die gelingenden Interaktionen zwischen Erzieherin und Kind. Das ist bei diesem Beispiel besonders gut gelungen. Die Erzieherin hält Blickkontakt mit dem Kind, geht auf seine Fragen ein und gibt Antworten. Sprachliche Aktivitäten gehen auch von Noura aus. So macht sie ihre Erzieherin auf die Spangen in ihrem Haar aufmerksam. Noura hat Interesse an der Kommunikation mit ihrer Erzieherin. Sie darf sich ernst genommen fühlen.
Zehn Monate später.
Beispiel: „Eingesperrt“ auf dem Riesenrad
Charakterisierung der Situation:
Noura (2;11) betrachtet ein Fotobuch, andere Kinder sind in der Nähe. Ein Kind wird gerade von der Mutter abgeholt. Man hört Geräusche und Gesprächsteile im Hintergrund. Erzieherin, Mutter und Kind begrüßen sich, ohne dass man sie auf der Videoaufnahme sehen kann. Noura lässt sich einen Moment von der Betrachtung ablenken, schaut hinüber, konzentriert sich dann aber wieder auf das Buch. Noura blättert in ihrem Fotoband, schaut sehr interessiert eine Seite an. Schließlich kommt eine Erzieherin dazu, setzt sich neben Noura und schaut gemeinsam mit ihr in das Buch.
Dialogsituation:
E.: „Ja, das bist du, Noura. – Oh, mit einem leckeren Würstchen in der Hand.“
Noura: „Guck mal. Ist das mein Rucksack?
E.: „Ich glaube schon, der hing neulich hier auch bei uns am Haken.“
Noura blättert weiter. E.: „Das war bei dem Laternenfest letztes Jahr.“
N.: Das, da sin mer…“
E.: „Da sitzt ihr draußen im Garten.“
Noura blättert weiter und sagt: „Guck mal.“
E.: „Das ist Sina mit ihrer Mama.“ Nora blättert weiter. E.: „Und einmal ohne Mama.“ Noura blättert weiter. E. zeigt auf ein Kind und sagt: „Das ist Felix.“
N.: „Guck mal der hat bunte Hasen.“
E.: „Wo sind bunte H…“
N. zeigt auf die Stelle und sagt: „Da.“ E.: „Da?“
E.: „Oder die Augen?“
N.: „Die Auden“
E.: „Das sind rote Augen. Das kommt durch den Blitz von dem Fotoapparat.“
N. zeigt auf ein anderes Foto und sagt: „Guck mal.“
E.: „Ich glaub, das ist die Johanna.“
N.: „Ja, Guck mal da ist der Weihnachtsmarkt kommt – E.: „Das ist…“ N.: „Da ich auch.“
E.: „Ich glaub eher, das ist der Ostermarkt – in der Stadt.“ N. blättert weiter.
E.: „Guck, da bist du.“
N.: „Ich wir warn schomal, ich war schmal mit Mama, mit Mama auf dem Weihnachtsmarkt und da haben wir Riesenrad gefahren.“
E.: “Guck das ist… Ihr seid mit dem Riesenrad gefahrn auf dem Weihnachtsmarkt?“
N.: „Ja! – Danz weit hoch.“
E.: „Ganz weit nach oben?“
N.: „Ja.“ Und die Mama hat mich an die Hand festehalten.“
E.: „Ja, damit du nicht rausfällst. – Bestimmt.“
N.: „Ja.“ Und wi sin da eindesperrt.
E.: „Ihr wart eingesperrt?“ N.: “Ja.“ E.: Aber das war zur Sicherheit bestimmt, damit ihr nicht rausplumst.“
N. blättert die Seiten locker um.
E.: „Guckst du dir die Fotos noch mal an?“
Was ist zu beobachten?
Noura stellt Fragen: „Ist das mein Rucksack?“
Sie trifft Feststellungen: „Da ist der Weihnachtsmarkt.“
Sie bezeichnet sich mit „ICH“: „Da bin ich auch.“
Es wird sichtbar, dass Bedeutsames für das Sprechen eine Rolle spielt. Noura spricht vom Weihnachtsmarkt, die Erzieherin hält ihn aber für den Ostermarkt. Sie sagt dies auch. Aber Noura ist mit ihren Erlebnissen beim Weihnachtsmarkt. Die Erzieherin nimmt an der Stimme des Kindes wahr, dass auf dem Weihnachtsmarkt etwas Besonderes geschehen ist und geht darauf ein. Für Noura ist ist in ihrer Erinnerung die Fahrt mit dem Riesenrad wichtig. In ihre Sprachmelodie kommt eine deutliche Dynamik, als sie davon erzählt: „Ich war schon einmal…haben wir Riesenrad gefahren.
Noura spricht von sich in der Ich-Form. Sie formuliert erste Sätze. Einige davon grammatikalisch richtig. Insgesamt eine schöne Kommunikationsform zwischen Erzieherin und Kind.
Verglichen mit der Situation vor 10 Monaten ist der Zuwachs an sprachlicher Kompetenz deutlich zu erkennen. Noura verwendet für sich ganz selbstverständlich das „ICH“. Sie formuliert Sätze bei denen Das Subjekt klar benannt ist und das Verb in der Klammer steht. In der Eile spricht sie von „Ich“ und fast gleichzeitig von „WIR“. Sie kann aussprechen, mit wem sie auf dem Markt war und was sie dort gemacht haben. Sie kann sogar beschreiben, dass sie mit dem Riesenrad „danz weit hoch“ gefahren sind. Hier liegen die Anfänge des Erzählens. Noura erinnert sich an eine wichtige Begebenheit. Sie hat in der Erzieherin eine Gesprächspartnerin, die Interesse an ihrem Erlebnis zeigt. Und schon entsteht in der Kommunikationssituation eine ganze Geschichte. Wir beobachten eine sprachliche und kognitive Weiterentwicklung. Über das Anschauen der Fotos erinnert Noura eine für sie bedeutsame Situation. Sie vergegenwärtigt sich das in der Vergangenheit liegende Ereignis und bringt es in eine sprachliche Form.
Exkurs über das Erzählen:
Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt haben und das bedeutsam für sie war. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Wird den Kindern Interesse entgegengebracht, dann wird die beim Erzählen erfahrene Freude und Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne an Vergangenes erinnert und Freude daran findet, diese Erinnerung in Worte zu fassen. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Im Akt des Erzählens werden Beziehungen thematisiert und gleichzeitig erlebt.
Das vorherige Beispiel bezieht sich auf die Anfangsphase des Erzählens eines Kindes und es ist ein Hinweis darauf, dass mit der Entwicklung einer Erzählkultur bereits in der Krippe begonnen werden sollte.
VII: UNGÜNSTIGE ENTWICKLUNGEN
Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Maanche Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.
Dazu gehören:
-
Missachtung der individuellen Bemühungen
-
Fehlende Wertschätzung
-
Beschämungen
-
Gewalt
-
Überbetonung der Leistung
-
Unzureichendes Beziehungsangebot.
Das gilt für die Familie, die Kindertagesstätte und für die Schule.
VIII. NACHDENKEN ÜBER DAS EIGENE SPRACHLICHE HANDELN
In regelmäßigen Abständen sollten sich Erzieherinnen und Lehrkräfte im Rahmen einer Selbstreflexion ihres sprachlichen Handelns die folgenden Fragen stellen:
- Zeige ich Interesse an dem, was Kinder machen und wie sie es machen?
- Begleite ich ihre Aktivitäten sprachlich?
- Achte ich darauf, dass neue Wörter in ihrem Zusammenhang erlebt und verstanden werden?
- Unterstütze ich die Kinder bei ihren Interaktionen?
- Korrigiere ich das Sprechen der Kinder, indem ich Modelliertechniken einsetze?
- Stelle ich Fragen zu unvollständigen Äußerungen und bringe ich sie – falls erforderlich – in die grammatikalisch richtige Form?
- Ermuntere ich die Kinder zu Rollenspielen und beteilige ich mich an Spielsituationen
- Bringe ich genügend Ideen mit in den Alltag?
- Setze ich anregende methodische Möglichkeiten ein (Erzählkoffer)?
- Achte ich bewusst darauf, was Kinder mir mitteilen wollen?
- Schreibe ich möglichst oft ihre Erzählungen und Berichte für sie auf?
- Bin ich in meinem sprachlichen Handeln authentisch?
- Rege ich die Kinder an, angemessen über ihre Konflikte zu sprechen?
AUSBLICK
Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.
Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine
entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümelin 2012)
Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. Der einzelne Mensch sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Damit wir empathisch miteinander umgehen, braucht es die Überzeugung, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.
Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen.
Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Kommunikative Kompetenz ist mehr als das Verwenden von Wörtern und das richtige Aussprechen von Sätzen.
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Vortrag beim XIV. Kongress für Erziehung und Bildung am 15.11.2013 in Göttingen*
Dr. phil. Karl Gebauer in Kooperation mit: Veronika Niewa und Iris Wittorf, Kita Pfalz-Grona-Breite, Göttingen
*Der Vortrag wurde in freier Form gehalten
Dr. phil. Karl Gebauer, Rektor i.R., ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Er ist Mitinitiator der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung. http://www.ibe-goettingen.de/kongresse.html Karl Gebauer bereitet gegenwärtig einen Kongress mit dem Thema: INKLUSION UND SPRACHE vor: http://www.beltzforum.de/kita/ , der am 23./24.Mai 2014 in Wolfsburg stattfindet. Aktuelle Bücher: Klug wird niemand von allein. Patmos Verlag; Gefühle erkennen- sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz Verlag. Weitere Informationen unter: www.gebauer-karl.de
Iris Wittorf, Erzieherin, Jg. 1968. Seit 1989- im Kindergarten Ernst Fahlbusch-Haus (Stadt Göttin- gen), seit 2005 in der Krippe Pfalz-Grona-Breite (Stadt Göttingen) und seit Herbst 2011 Beteiligung an der Qualifizierungsoffensive des Deutschen Jugendinstituts München: „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei.“
Veronika Niewa, Erzieherin, Jg. 1975. Seit 1998 Nachmittagskraft in der Kita Gartenstraße (Stadt Göttingen), seit 2011 Erzieherin in der Krippe Pfalz-Grona-Breite (Stadt Göttingen) und seit Herbst 2011 Beteiligung an der Qualifizierungsoffensive des Deutschen Jugendinstituts München: „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei.“