WIE KINDER GUT LERNEN – BEDINGUNGEN FÜR EINE GELINGENDE ENTWICKLUNG

 

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Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung, der Säuglings- und Bindungsforschung beschreiben Faktoren einer gelingenden Entwicklung. Begriffe wie Empathie oder emotionale Achtsamkeit werden immer häufiger genannt, wenn es darum geht, eine gut verlaufende individuelle oder auch eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu beschreiben. Der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin stellt in seinem neuesten Buch „Die Empathische Zivilisation“ diese Erkenntnisse in einen globalen Zusammenhang. Er meint sogar ein neues soziales Webmuster zu erkennen – die „empathische Zivilisation.“

 

„Obwohl das Leben um uns herum durchsetzt ist mit Leid, Sorgen, Ungerechtigkeiten und verbrecherischen Machenschaften, besteht es im Großen und Ganzen doch aus Hunderten von kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit und der Großzügigkeit. Liebe und Mitgefühl zwischen den Menschen schaffen Wohlwollen, prägen soziale Bande und bringen Freude in unser Leben. Unser Umgang miteinander ist, kurz gesagt, weitgehend getragen von wechselseitiger Empathie – und zwar aus dem einfachen Grund, weil dies unserem eigentlichen Wesen entspricht.“ (J. Rifkin, S. 21)

So fängt alles an

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. „Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.“ (Bauer 2005) Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti entdeckten Spiegelneurone. (Rizzolatti 2008) Wenn zum Beispiel Mutter oder Vater ihr Baby füttern, so erlebt das kleine Kind nicht nur, dass sein Hunger gestillt wird, sondern es nimmt auch Mimik, Gestik und die Laute seiner Eltern wahr. In der Regel findet während des Essens ein intensiver Augenkontakt statt. Die emotionale Gestimmtheit der Situation führt zur Ausbildung von Spiegelnervenzellen. Der äußere Vorgang ist sehr anschaulich in dem Buch „Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie“ dokumentiert. (Gebauer 2011, S.9 – 11

In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können, denn sie müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen.

Auf die Beziehung kommt es an

Eine entscheidende Voraussetzung für die empathische Entwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Hirnforscher gehen davon aus, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Lehrkräfte). Hier werden die Grundlagen für Empathiefähigkeit gelegt.

Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender

Kinder verfolgen schon als Säuglinge mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel (2003) schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen:

Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“

Es ist der Charme eines Kindes, der in der Regel bei seinen Eltern eine empathische Reaktion hervorruft. Über die auf diese Weise angelegten limbofrontalen Bahnungen laufen unser Leben lang alle emotional-kognitiven Prozesse. (siehe Anhang)

Spielräume der Kindheit

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen hoch komplizierten Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Hier wirkt die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen als Vorbild für die sich langsam entwickelnde Fähigkeit, sich in die Absichten und das Verhalten anderer Personen einzufühlen. (Gebauer 2011, S.42 – 47)

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit, Muße und dem Einfühlungsvermögen mancher Eltern. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Erwachsene oft kein Interesse am Spiel der Kinder haben. Es fehlt das Einfühlungsvermögen und damit die geteilte Aufmerksamkeit, die einem Kind signalisiert, dass das, was gerade geschieht bedeutsam ist.

Spiel-Unlust mancher Eltern

Die Münchner Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek beobachtet seit einigen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ schon sehr kleiner Kinder.

Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht,“ das seien typische Äußerungen von Müttern. (Papoušek 2003, S. 23–39)

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

In den Erlebnissen liegt die Quelle einer gelingenden Entwicklung

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. (Gebauer 2007a)

Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des Motivations-Systems. Die Freude, die ein Kind dabei erlebt, stärkt seine Aufmerksamkeit und sein Selbstwertgefühl. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. In diesen eigenständigen Aktivitäten liegen die Grundlagen für verantwortliches Handeln. Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das dopaminerge System in Gang (siehe Anhang). Am besten gelingt das im Spiel.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird.“ (Astrid Lindgren 2002)

Im Grunde beschreibt Astrid Lindgren diesen roten Faden. Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.

Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.

Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.

Eigene Spielideen entwickeln.

Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.

Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Die folgenden Beispiele aus einem Kindergarten sollen diese Zusammenhänge deutlich machen. Dabei geht es im ersten Beispiel um eine reale Situation, im zweiten Beispiel geht es um eine Fantasiegeschichte, die aber ihren Bezugspunkt in der realen Beziehung eines Kindes zu seiner Erzieherin hat.

Empathie auf einer Rutsche

Dr. Karl Gebauer - Rutsche

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Die Erzieherin beobachtet einen dreijährigen Jungen, der ebenfalls die Leiter hochsteigt, oben abwartend stehen bleibt und eine Risikoabschätzung vornimmt. Ganz so, wie es wohl jeder tut, der zum ersten Mal auf das Zehnmeterbrett im Schwimmbad steigt. So mancher ist erst einmal wieder umgekehrt. Genau das macht der dreijährige Junge. Er steigt die Leiter herunter, beobachtet aber die anderen Kinder und wird dabei von seiner Erzieherin beobachtet. Dann steigt er erneut nach oben, nimmt eine Abschätzung vor und kehrt wieder zurück. Das wiederholt sich noch einmal. Anschließend spielt er zusammen mit anderen Kindern im Sandkasten. 14 Tage später geht die Gruppe wieder zu diesem Spielplatz. Die Erzieherin hat die Situation noch vor Augen und ist gespannt, ob der Junge sich noch einmal nach oben wagen wird. Zu ihrem Erstaunen steigt er nicht nur nach oben, sondern rutscht auch sofort die Rutsche hinunter. Dabei sucht er den Blick seiner Erzieherin und ruft: „Gar nicht so schwer, Beatrix!“ Die Antwort seiner Erzieherin lautet: „Das hast du jetzt entdeckt.“ Damit sind wir Zeuge eines entscheidenden Vorgangs geworden. Der Junge hat die Erfahrung gemacht, dass er die Entscheidung getroffen hat und dass ihm das Rutschen gelungen ist. Wir sprechen von Selbstwirksamkeitserfahrung. Von seiner Erzieherin erhält er eine empathische Resonanz. Damit sind wir bei der Quelle aller Lernprozesse. Sie speist sich aus der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Es wird aber auch in der Interaktion etwas deutlich, was man als Erziehungskunst beschreiben darf:

Dr. Karl Gebauer - Empathie auf einer Rutsche

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Der Junge hat vor allem Erfahrungen hinsichtlich seiner Risikobereitschaft gesammelt. Er zeigt Empathie gegenüber der Befindlichkeit seines eigenen Körpers.

Damit hat er sein Empathiemuster weiter ausgebildet.

Empathie auf dem Motorrad

Die Erzieherin bringt ihre Schatzkiste mit in eine Dialogrunde. Sie nimmt einen Drachen und einen Koffer heraus und sagt: „Ihr könnt euch dazu eine Geschichte ausdenken. ihr könnt sie malen, ihr könne sie für euch behalten oder mir erzählen, ich schreibe sie dann für euch auf.“

Ein Junge greift in seine Hosentasche und stellt noch einen Spielzeugmotorradfahrer dazu. Drei Kinder fangen an, eine Fantasiegeschichte zu malen. Vier Kinder sind unentschlossen, sie warten zunächst ab, beteiligen sich aber nach und nach.

moz-screenshot-3Lucia wollte erst nichts malen, fängt dann aber an und zeigt ihr Bild der Erzieherin.

Es entspinnt sich der folgende Dialog:

Erzieherin: „Wer ist das?“

Lucia: „Ich.“

E.: „Wo willst du hinfahren?“

Lucia: „ Zu Susanne.“ (So heißt die Erzieherin)

E.: „Das ist ja schon eine Geschichte.“

Lucia: „Unterwegs könnte sie den Drachen treffen.“

E.: „Das könntest du auch noch malen.“

Lucia: „Ja.“

Am nächsten Tag bringt Lucia mehrere Zeichnungen mit, auf denen sie als Motorradfahrerin zu sehen ist – zunächst alleine und dann zusammen mit Susanne. Auch zwei Drachen sind auf den Bildern, auf einem Bild ist eine Katze.

Lucia erzählt:

moz-screenshotEs war einmal ein wunderschöner Tag. Da kam eine Motorradfahrerin vorbei. Die wollte Susanne besuchen. Da begegnete sie zwei Drachen. Die hatten Stacheln auf dem Rücken. Die Drachen sind weggelaufen, weil sie Angst hatten vor der Motorradfahrerin und vor dem Motorrad. Die sind in das Gebüsch gelaufen. Dann begegnete die Motorradfahrerin noch einem kleinen Drachen. Der lief auch schnell ins Gebüsch. Dann fuhr sie weiter.

Ein paar Minuten später war sie angekommen. Susanne war zu Hause und aß Kuchen. Susanne hat sich gefreut. „Guten Tag,“ hat sie gesagt, „komm rein und iss mit mir Kuchen.“ Es war Marmorkuchen. Der Marmorkuchen hat lecker geschmeckt.

Dann fuhr sie weiter. Susanne wollte mitkommen. Dann waren sie zuhause bei der Motorradfahrerin und aßen Marmorkuchen. Dann war es dunkel. Susanne ging nach Hause zum Schlafen.

Als es Morgen war, aß sie erstmal Frühstück und dann ging sie wieder zu der Motorradfahrerin. Dann spielten sie beide. Sie spielten in dem Garten Fangen. Es gab ganz gute Verstecke. Aber die Drachen trauten sich nicht mehr dazu. Dann war es abends. Susanne ging nach Hause und schlief ein. Der Tag war schön gewesen.

moz-screenshot-1Sie träumte: Susanne und die Motorradfahrerin waren an einem großen See. Dann schwammen sie zu dem anderen Ufer. Da spielten sie Verstecken, weil – es gab sehr gute Verstecke. Dann wachte sie auf und es gab Frühstück.

Danach ging sie wieder zu der Motorradfahrerin. Die Motorradfahrerin hieß Lucia. Und danach gingen sie wieder zu Susanne und aßen Kuchen. Der Kuchen schmeckte köstlich. Es war Erdbeerkuchen. Danach gingen sie in Susannes Garten und pflanzten Blumen ein. Danach spielten sie Verstecken im Haus. Dann war es dunkel und sie ging nach Hause.

Am Morgen ging Susanne wieder zur Motorradfahrerin Lucia und sie aßen Erdbeerkuchen, schon wieder. Dann gingen sie in den Garten raus und spielten Fangen. Sie fuhren an einen See und badeten. Danach gingen sie nach Hause und schliefen ein. Es war so schön gewesen.

Am nächsten Morgen hat Susanne dass Frühstück vergessen. Sie ging stattdessen zu Lucia. Draußen im Garten begegnete sie einer schwarz-weißen Katze. Die Katze lief weg, weil sie auch Angst hatte. Sie hat gedacht, dass Susanne und Lucia ihr etwas tun. Dann gingen sie nach Hause, weil es abends war und schliefen ein.“

Interpretation:

moz-screenshot-2Die Aufgabenstellung scheint zunächst für Lucia nicht von großem Interesse zu sein. Es sieht so aus, als wisse sie mit dem Drachen und dem Motorradfahrer nichts anzufangen. Dann aber beginnt die Anregung in ihr zu wirken. Die Erzieherin hat – so dürfen wir annehmen – in ihr etwas zum Klingen gebracht. Auf der Beziehungsebene ist über die Wirksamkeit von Spiegelzellen eine Verbindung entstanden, die nun von Lucia ausführlich gestaltet wird.

Lucia versetzt sich in die Situation einer Motorradfahrerin, berücksichtig auch die Drachen, weil das von der Erzieherin gewünscht war. Im weiteren Verlauf gestaltet sie aber ihre Erzählung als Beziehungsgeschichte. So fährt sie mit dem Motorrad zu Susanne und lässt sich von ihr einladen. „Komm rein und iss mit mir Kuchen!“ In den folgenden Tagen benutzt sie immer wieder das Motorrad, um Susanne zu besuchen und mir ihr gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie verbringen schöne Tage miteinander, spielen Fangen und Verstecken, pflanzen Blumen. Lucia lässt ihre Erzieherin von einem Bad im See träumen. Später nutzen sie die Mobilität, die ihnen das Motorrad bietet, sie fahren zu einem See und baden. Mehrmals heißt es in der Erzählung: „Es war sehr schön!“

Dieses Beispiel zeigt, dass das Kind zunächst mit einer Anregung seiner Erzieherin gewisse Schwierigkeiten hat. Der Einstieg will zunächst nicht gelingen. Aber dann springt ein Gefühl hinüber zur Erzieherin. Wir können davon ausgehen, dass das Mädchen intuitiv spürt, dass jetzt eine Chance besteht, ihren Wunsch nach Nähe zu der erwachsenen Person in eine Erzählform zu bringen.

Auf diese Weise, so lehren uns Neurobiologen, bilden sich im Gehirn Spiegelneurone aus. Es handelt sich um die neuronale Vernetzung von gemeinsamen ErfahrungenIn jüngster Zeit wurde dies von dem Freiburger Psychoneuroimmunologen Joachim Bauer sehr anschaulich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ (2005) beschrieben. Im Verlauf der frühen Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen oder Interaktionen des Alltags. Dieser Vernetzungsprozess ereignet sich nicht im luftleeren Raum, er ist auf konkrete Aktivitäten angewiesen.

Empathie in Klärungsgesprächen

Beispiel: „Schlag sie!“

Der Unterricht in der zweiten Klasse hatte gerade begonnen. Ich wollte in das Thema der Stunde einführen. Da sehe ich Janas Finger, mit dem sie signalisiert, sie habe eine sehr wichtige Mitteilung zu machen. Mir passte das zu diesem Zeitpunkt nicht so gut, ich gab ihr aber die Möglichkeit, ihr Anliegen vorzubringen. „Der Paul hat mich geschlagen,“ sagt sie leise aber bestimmt. Mehr sagt sie nicht.

Ich würde mit ihr und Paul darüber sprechen, wenn ich meine Einführung in das Thema der Stunde abgeschlossen hätte, sage ich.

Im Anschluss bitte ich beide zu mir. „Erzählt bitte, was vorgefallen ist!“ „Benno wollte mich schlagen,“ so beginnt Paul mit der Schilderung. Einen Jungen mit diesem Namen gibt es in der Klasse nicht. Ich bitte um Aufklärung. Paul wiederholt nun mehrmals diesen Satz: „Benno wollte mich schlagen.“ Rat suchend blicke ich zu Jana. Diese wendet sich direkt an Paul und sagt: „Aber deswegen musst du mich doch nicht schlagen. Ich hab dir doch gar nichts getan.“ Paul schweigt. Er wollte oder konnte keine weiteren Informationen geben. Jana wendet sich an mich und sagt: „Benno besucht eine dritte Klasse. Er hat zu Paul gesagt, er soll mich schlagen. Und wenn er das nicht macht, dann bekommt er von Benno Kloppe.“ Paul nickt zustimmend.

Ich gehe nun in die gegenüberliegende Klasse und bitte Benno zum Gespräch. Er sagt mit weinerlicher Stimme: „Er würde so etwas nie tun.“ Da äußert sich Jana sehr energisch: „Du hast zu Paul gesagt, dass er mich schlagen soll. Das hast du gesagt. Und wenn er das nicht macht, dann wolltest du ihn schlagen.“ Während sie das sagt, guckt sie Benno genau an. Das habe er nur gesagt, tun würde er das niemals, sagt Benno kaum hörbar. Nun schaltet sich Paul ein: „Du hast mich ja schon einmal geschlagen.“ Benno fängt an zu weinen und sagt: „Aber ich wollte es nicht.“ Paul: „Aber du hast es getan und diesmal hättest du es wieder getan.“

„Kennst du Jana,“ frage ich Benno. „Nein,“ sagt er – „die stand da.“ „Hat sie dir etwas getan,“ möchte ich nun wissen. „Nein,“ antwortet Benno und streckt zur Entschuldigung die Hand aus. Er entschuldigt sich bei Paul und im Anschluss bei Jana und fügt hinzu: „Ich will’s nicht wieder machen.“ Zu meinem Erstaunen ergänzt er: „Und wenn ich es doch noch einmal mache, dann erinnere mich bitte, dass ich es nicht machen will.“

Interpretation:

Jana zeigt Mut. Sie meldet sich zu Wort, teilt die für sie bedrohliche Situation – für alle hörbar – mit und verbindet damit die Erwartung, von ihrem Lehrer unterstützt zu werden. Sie zeigt Vertrauen ihrem Lehrer gegenüber.

Das Verhalten der beiden Jungen ist geprägt von Angst und Unsicherheit. Benno erscheint aus der Perspektive von Jana und Paul als mächtig und stark. Benno hat Jana nicht geschlagen. Er lässt Paul schlagen. Darin liegt seine Macht. Sein verhalten ist destruktiv – Empathie ist nicht zu erkennen. Paul schlägt auf Anweisung von Benno zu. Er hat Angst vor Benno. Jana gegenüber lässt Paul keine Empathie erkennen. Jana erlebt eine für sie unangenehme Situation und befürchtet, dass sich diese Situation wiederholen könne. Sie kann die Situation kognitiv bearbeiten, vermutet, dass das immer so weitergehen könnte. Sie erkennt ihre Grenzen – zeigt Empathie sich selbst gegenüber – und bittet ihren Lehrer um Hilfe. In ihrem Verhalten zeigt sich emotionale Kompetenz. Sie ist in der Lage, die bisherigen Abläufe darzustellen und künftige Ereignisse einzubeziehen.

Das Beispiel zeigt auf anschauliche Weise, wie eng der Zusammenhang von Empathie, Vertrauen, kognitiver Verarbeitung und kommunikativer Kompetenz ist. Solche Situationen stärken die Entwicklung der Persönlichkeit. Fortschritte in emotionaler und sozialer Intelligenz machen Kinder, wenn sie die Chance erhalten, ihre Konflikte darzustellen und zu bearbeiten. Persönlichkeit entsteht, indem Kinder lernen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Damit dies möglich ist, brauchen Kinder empathische Lehrkräfte. Empathie in diesem Zusammenhange bedeutet, dass der Lehrer für einen Handlungsraum sorgt, in dem die beteiligten Kinder in einem geschützten Rahmen frei über ihre Gefühle sprechen können. Während der Klärung überträgt sich das empathische Verhalten des Lehrers auf die Kinder. Die neurologischen Abläufe kann man sich so vorstellen:

Empathische Lehrpersonen werden als kompetent erlebt. Schülerinnen und Schüler entwickeln Vertrauen (Oxytocin). Es schaltet sich ihr Beruhigungssystem ein (Serotonin). Nun beteiligen sie sich an der Suche nach einer Lösung (Dopamin). Bei erfolgreicher Klärung eines Konflikts kommt es zur Ausschüttung von körpereigenen Opioiden.

Unser Handeln ist das Ergebnis eines Selbstorganisationsprozesses, bei dem Empathie eine entscheidende Rolle spielt. Die Erfahrung im Umgang mit Konflikten bringt es mit sich, dass für eine gegebene Situation meist mehrere Wahlmöglichkeiten erkannt werden. Betroffene, die über empathische Muster verfügen, können sich die Folgen von Handlungen vorstellen und Handlungsentwürfe vor ihrer Umsetzung auch stoppen. Die entscheidende Grundlage dafür ist die Fähigkeit zur Empathie.

Ungünstige Entwicklungen

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es in der Hirnforschung keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Gewalt
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Wenn Kinder konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann kann dieses Erlebnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es schafft die Voraussetzungen für Handlungsmuster, die als innere Muster gespeichert werden und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen.

Ausblick: Empathie ist die Brücke zum Anderen

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümlin 2012)

Leitgedanken für die Gestaltung unseres Lebens könnten Tugenden sein, die bereits in der griechischen Philosophie mit den Begriffen Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit beschrieben wurden. Es ist die Aufgabe jeder Generation, diese Vorstellungen für ihre Zeit neu zu interpretieren. Dabei sollte Achtsamkeit – eine zentrale Haltung aus der Welt des Buddhismus – mehr und mehr Beachtung finden.

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. Der einzelne Mensch sollte seine inneren Potenziale voll ausschöpfen können. Er sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Empathisch miteinander umgehen setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Erklärung der Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen.

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Der Bogen ist gespannt von der individuellen Entwicklung, die sich in dialogischen Situationen mit nahen und zugewandten Personen vollzieht, über das vertrauensvolle, empathische und oft interkulturelle Kommunizieren bis hin zu der Entwicklung demokratischer Lebensformen im globalen Maßstab.

Anhang:

Limbofrontale Bahnungen

Unser Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen (Neuronen) und den sie verbindenden Nervenfasern. Jedes Neuron besitzt weite baumartige Verzweigungen (Dendriten). Sowohl an den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die Nervenfasern anderer Neurone. Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen vielfältig miteinander verbunden. Hier findet die Übertragung von Nervenimpulsen statt. Sie bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken, Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt.

Hirnforscher gehen davon aus, dass sich neue Nervenzellen und Nervenzellverbindungen aufgrund von Eigenaktivitäten eines Kindes ausbilden. Kinder nehmen zunächst emotional wahr, so die Annahme der Säuglingsforschung. Diese Wahrnehmungen finden im lymbischen (emotionalen) System, das tief im Gehirn angelegt ist, statt. Sie verbinden sich mit dem kognitiven System im vorderen Kortex über konkrete Handlungen. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, Gefühle wahrzunehmen und Wörter für Gefühle zu finden.

Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig (Selbstwirksamkeitskonzept und Motivation, Impulskontrolle und Handlungsplanung, soziale und emotionale Kompetenz).Um die hierfür erforderlichen, hoch komplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende Angebote, die ihre emotionalen Zentren aktivieren. Sie brauchen Herausforderungen, die sie erfolgreich bewältigen können Sicherheit bietende Bindungsbeziehungen. Nur unter dem einfühlsamen Schutz und der kompetenten Anleitung durch erwachsene Vorbilder können Kinder vielfältige Gestaltungsangebote auch kreativ nutzen und dabei ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten erkennen und weiterentwickeln. Nur so kann im Frontalhirn ein eigenes, inneres Bild von Selbstwirksamkeit stabilisiert und für die Selbstmotivation in allen nachfolgenden Lernprozessen genutzt werden.

Auf der Handlungsebene lassen sich diese Prozesse mit dem schlichten Satz ausdrücken: „Ich kann das.“ Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben oder rechnen. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten werden vielfältige Strategien entwickelt, die in Nervenzellverbindungen zwischen den emotionalen, motorischen und kognitiven Bereichen angelegt und gespeichert werden. Die dabei entstehenden Vernetzungen des emotionalen und kognitiven Bereichs, der vorwiegend im frontalen Kortex angelegt ist, werden als limbofrontale Bahnungen bezeichnet.

Dopaminerges System

Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen ist die emotionale Erfahrung von Geborgenheit. Im Gehirn führt dies zur Ausschüttung des Botenstoffes Oxytozin. Auf dieser Grundlage sammeln Kinder bei entsprechender Anregung die unterschiedlichsten Erfahrungen. Sie wollen die Welt entdecken und ihre Handlungsmöglichkeiten ausprobieren. Dazu braucht es den Botenstoff Dopamin. Er wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn das Experimentieren mit Freude verbunden ist. Auf diese Weise werden körpereigene Opioide ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl machen.

Damit Lernen gelingt, kommt es auf der Ebene der Neurotransmitter auf eine gute Mischung von Oxytozin, Dopamin und Opioiden (Glückshormone) an.

Neurotransmitter, Emotionen und konkrete Handlungen ergeben das dopaminerge System.

Literatur:

Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg

Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg

Büchergilde Gutenberg (o.J.): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, verkündet von den Vereinten Nationen am 10.Dezember 1948

Gebauer, K. (1996): Ich hab sie ja nur leicht gewürgt. Mit Schulkindern über Gewalt reden. Klett-Cotta, Stuttgart

Gebauer, K. (2003): Die Bedeutung des Emotionalen in Bildungsprozessen. In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen, S. 213 -240

Gebauer, K. / Fittkau B. / Krause,C. (Hg)(2006): Lernen braucht Vertrauen. Perspektiven für eine innovative Schule. Patmos. Düsseldorf

Gebauer, K. (2007a): Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Patmos, Düsseldorf

Gebauer, K. (2007b): Klug wird niemand von allein. Zur Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. In: Erziehungskunst, Zeitschrift zur Pädagogik Rudolf Steiners, Heft 9, September 2007, S. 947 – 954

Gebauer, K. (2011): Gefühle erkennen –sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz, Weinheim

Gebauer K. / Hüther, G. (Hg.) (2001): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf

Gebauer, K. / Hüther, G. (Hg.) (2002): Kinder suchen Orientierung. Anregungen für eine sinn-stiftende Erziehung. Walter, Düsseldorf

Gebauer, K. / Hüther, G. (2003): Kinder brauchen Spielräume. Perspektiven für eine kreative Erziehung. Walter, Düsseldorf,

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Von Salisch, M. (Hrsg.) (2002): Emotionale Kompetenz entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Kohlhammer, Stuttgart

WIE WERDEN KINDER KLUG?

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Kinder werden als Entdecker geboren

Kinder müssen fast alles, worauf es im Leben ankommt, durch Erfahrung lernen. Sie werden als Weltentdecker geboren und können erfolgreich sein, wenn sie Lernen als ihre eigene Sache begreifen. Dafür brauchen sie Spiel- und Lernräume, die Entdeckungen ermöglichen. Sie brauchen eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergaren und in der Schule. So erfahren sie, dass Lernen Freude macht und stabilisieren damit ihr Motivationssystem.

Druck macht dumm

Viele Eltern sind nach den Ergebnissen der Pisa-Studien stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Diese können das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark einschränken. Auflösen wird man diesen Teufelkreis, der durch verunsicherte Bildungspolitiker noch verstärkt wird, nur durch Besinnung auf die wichtigen Faktoren, die beim Lernen eine Rolle spielen. Dazu zählen in der frühen Kindheit die Erfahrung von Geborgenheit und Selbstwirksamkeit.

Die Quelle des Lernens

Es kommt darauf an, den Kindern Geborgenheit und damit emotionale Sicherheit zu geben. Über vielfältige Anregungen erhalten sie die Chance, grundlegende Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit zu machen. Damit ist eine Erfahrung gemeint, die sich in dem schlichten Satz ausdrückt: „Ich kann das.“ Zunächst verbindet sich diese Erfahrung mit allen Aktivitäten, die beim kindlichen Spiel vorkommen. Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben, rechnen. Wenn Eltern oder nahe Bezugspersonen diese Lernerlebnisse der Kinder wohlwollend begleiten und durch zustimmende Äußerungen unterstützen, bilden sich im Gehirn der Kinder neuronale Netzwerke aus, in denen nicht nur das motorische Können gespeichert wird, sondern auch die Freude am Können. Sie erfahren auf diese Weise eine Bestätigung und Stärkung ihrer Selbstwirksamkeitserfahrung. Daraus entwickelt sich die für lebenslanges Lernen so notwendige innere Motivation. Hier liegt die Quelle des Lernens. In allen nachfolgenden Prozessen müssen wir darauf achten, dass diese Quelle nicht versiegt. Sie kann durch kein noch so ausgeklügeltes Förderprogramm ersetzt werden. Die Freude am Lernen steht in einem direkten Zusammenhang mit der Erfahrung, dass das eigene Tun auch in den Augen und Ohren anderer Menschen als etwas Wichtiges wahrgenommen wird. Die positive Resonanz, die Kinder erfahren gibt ihnen Sicherheit und bestärkt sie in ihrem Tun.

Ein Bildungsplan als Orientierungsplan

Hilfreich sein kann dabei der Hessische Bildungsplan „Bildung von Anfang an.“ Er basiert auf wissenschaftlichen Grundlagen und enthält viele wertvolle Anregungen für die Praxis. Manchmal werden die Leserinnen und Leser den Eindruck haben, dass man die umfassenden Ziele kaum wird erreichen können.

Deswegen ist es wichtig, dass man aus der Fülle der Anregungen für sich die wichtigsten Teile markiert. Das kann am besten im Team geschehen.

Lernen und Emotionen

Lernen ist eingebettet in soziale Situationen und wird von Emotionen begleitet. Was nach vielen Jahren noch präsent ist oder in der Erinnerung wieder hervorgerufen werden kann, war einst von starken Emotionen begleitet. Oft erinnern wir nicht mehr die konkreten Ereignisse, sondern verbinden mit neuen Anforderungen angenehme oder unangenehme Gefühle. Als Erinnerungsspur bleibt oft nur ein inneres Muster haften, das aber in konkreten Situationen seine Wirksamkeit entfalten kann. Je intensiver wir freudige Ereignisse mit Lernen verbinden, desto selbstbewusster und zielstrebiger werden wird dann auch in der Zukunft an die Lösung von Problemen herangehen.

Lernen findet in einem Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Aktivitäten statt. Leider wird das Lernen heute weitgehend mit dem Lernen in schulischen Fächer gleichgesetzt und nur selten in seinen emotionalen und sozialen Dimensionen gesehen. Für erfolgreiches Lernen ist die Erfahrung von vielen komplexen Situationen erforderlich.

Treppen-Mathematik

„Als ich klein war“ erzählt ein heute 35jähriger Vater,“ besuchte ich gerne meinen Opa. Einmal wollten wir ein Spiel vom Dachboden holen. Er nahm mich an die Hand und ging mit mir die Treppe hinauf. Dabei sollte ich jede Stufe zählen. 21 Stufen waren es. Ich weiß es noch wie heute. Ob es wohl nach unten genau so viele Stufen wären, wollte Opa nun wissen. Wir vergaßen unser Spiel und waren schneller unten als oben. Irgendwann haben wir dann noch das Spiel geholt. Manche Erfahrungen vergisst man nicht, so beendete er seine Erzählung. Das ist ein Beispiel für die Einbettung eines Lernereignisses in eine emotional bedeutsame Situation. Dieser Großvater folgte einer Intuition und keinem Lernprogramm. Er nutzte den Augenblick, schaffte mit einer paradox erscheinenden Anregung ein mathematisches Lernereignis, das noch viele Jahre später in der Erinnerung seines inzwischen erwachsen gewordenen Enkelkindes lebendig war. Zählen hatte von diesem Augenblick an für ihn eine positive Bedeutung.

Erinnerung an eigenes Lernen

Gönnen Sie sich einen Moment des Erinnerns. Versuchen Sie einmal Lernräume ihrer Kindheit zu entdecken. Sie sehen Menschen, erinnern Einzelheiten, spüren Spannung oder Anspannung, erinnern Aufgaben, die gelöst werden sollen. Versuchen Sie auch, sich an ihre Gefühle zu erinnern. Hat das Ereignis ihre Lernfreude gefördert oder eher reduziert? Warum haben sie gerade diese Situation erinnert?

Jetzt wissen sie vermutlich mehr über Lernen als nach der Lektüre einer klugen Abhandlung.

Spiel als Quelle von Selbstzufriedenheit und Lernfreude

Im Kindergarten ist es vor allem das Spiel, das dem Kind erlaubt, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und emotionale Konflikte zu bewältigen. Trotz Anstrengung, gelegentlicher Frustrationen und Momenten von Langeweile kann das Spiel daher für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebens- und Lernbedingungen aufgenommen werden müsste. Die Fähigkeit zu spielen scheint aber sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen und Selbstwirksamkeitserfahrungen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Einfache Förderprogramme können nicht leisten, was im Spiel versäumt wurde.

Lernen findet in einem sozialen System statt

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon frühe voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Applaus belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse dar.

Erzieherinnen und Lehrer müssen diese Prozesse pflegen und entsprechende Entwicklungs- und Gestaltungsanreize geben. Im Spiel sammeln Kinder z.B. vielfältige emotionale und kognitive Erfahrungen, die sich auf eine differenzierte Ausbildung ihres Gehirns auswirken.

Feste als Lernereignisse

Als Schulleiter habe ich mich immer auf die schulischen Feste und Rituale gefreut. Die Schulanfänger wurden mit Musikstücken, Liedern, Gedichten, kurzen Erzählungen und kleinen Theaterstücken begrüßt. Veränderungen in den Räumen und auf dem Schulhof, die Einrichtung eines Schulgartens, die Verbesserung des Spielplatzes oder die Gestaltung einer Außenwand waren Anlässe für kleine Feste. Die kurzen aber zahlreichen Beiträge der Schülerinnen und Schüler gaben einen Einblick in ihre Schaffensfreude. Bei einer Geburtstagsfeier hatte jede Klasse ihr eigenes Ritual. Auf diese Weise wurde Gemeinschaft erlebt und gefeiert. Am Ende der vierten Klasse wurden die Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Festes verabschiedet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie unzählige Lernerfahrungen gesammelt. Die meisten davon werden sie wieder vergessen. Was bleiben sollte, ist die Erfahrung, dass das Lernen in einem emotionalen und sozialen Bezug stand und mit Erfolgen und Bestätigung zu tun hatte.

Lernen erfordert emotionale Achtsamkeit?

Lernen ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem guten Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Prozessen beruht. Erfahrene Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen gehen deshalb emotional achtsam mit sich selbst um. Das ist eine Voraussetzung für Empathie gegenüber Kindern. Kreativ und zielstrebig arbeiten emotional kompetente Erzieherinnen und Lehrkräfte mit ihren Kolleginnen und Kollegen an einer pädagogischen Konzeption, in deren Kern es um die Beachtung und Förderung der gesamten Persönlichkeit geht. Ohne sich im Gestrüpp der vielfältigen Alltagsbelastungen zu verfangen, schaffe sie für die ihnen anvertrauten Kinder und Schüler Lernräume, die Entdeckungen ermöglichen. Sie werden vor allem dafür sorgen, dass störende Einflüsse wie Demütigungen von Mitschülern nicht zugelassen und Konflikte geklärt werden. Unsicherheitssituationen, die durch Gewaltandrohung, Gewalt oder Mobbing geschaffen werden, beeinträchtigen das Lernvermögen der betroffenen Kinder nachhaltig. Sie müssen daher, wenn Lernen gelingen soll, bearbeitet werden und dürfen auf keinen Fall unbeachtet bleiben oder abgetan werden.

Die Bedingungen müssen stimmen

Erfolgreiches Lernen hat neben der individuellen Komponente immer auch Rahmenbedingungen als Voraussetzung. Gegenwärtig müssen diese in vielen Einrichtungen erst noch geschaffen werden.

Wenn Kinder die Chance erhalten, Probleme selbstständig zu lösen, entwickeln sie über die Zunahme ihrer Handlungskompetenz eine intrinsische Motivation, die sich wiederum auf ihr Selbstwirksamkeitskonzept stabilisierend auswirkt. Kinder brauchen, um hinreichend offen für neue Wahrnehmungen, kreativ und neugierig zu bleiben, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Da sie mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in die Institutionen Kindergarten und Schule kommen, müssen sich Erzieherinnen und Lehrerinnen auf die Heterogenität von Lerngruppen einstellen und diese bei ihrer Arbeit angemessen berücksichtigen, um möglichst jedem Kind seinen Lernweg zu eröffnen. Das individuelle Lernen ist immer eingebettet in strukturelle Rahmenbedingungen, die Lernforschritte eher begünstigen oder behindern können. Außerdem braucht es wirksame Ausbildungskonzepte für Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Lehrer und Lehrerinnen.

Reformschulen schaffen Lernerfolge über Freude am Lernen

Es gibt zwei grundlegende Tendenzen in der Bildungspolitik. Die Schuladministration verfolgt – gestützt durch Erlasse, Rahmenrichtlinien und Evaluationsgläubigkeit das Konzept der autoritären Fernsteuerung von Lernprozessen. Aber es gibt immer mehr Schulen, die an den Reformkonzepten der 20iger und 30iger Jahre anknüpfen und Modelle der Eigenverantwortung entwickeln und praktizieren. Hier finden über das grundlegende Konzept der Erfahrung von Selbstwirksamkeit permanent Lern- und Bildungsprozesse statt.

Freude der Eltern

Es gibt sehr elementare Erfahrungen, an die sich die meisten Eltern erinnern. Da kann das erste Bad des Babys sein, das können seine ersten Laute und später seine ersten Schritte sein. Leider lässt das Interesse bei vielen Eltern mit der Zeit nach.

Als Vater bin ich meistens mit Vorfreude zu den schulischen Veranstaltungen gegangen, bei denen Musik- und Theaterprojekte vorgestellt wurden. Ich konnte meine Kinder in Aktion mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern erleben und die Freude an den Aufführungen gemeinsam mit anderen Eltern teilen. Der Applaus belohnte die Ideen und Darbietungen der Schülerinnen und Schüler und das Engagement ihrer Lehrerinnen und Lehrer. Das Interesse am Zeugnis ist nicht unwichtig, aber Kinder brauchen Anerkennung und Bestätigung für ihr tägliches Bemühen. Leider überwiegt oft die Kontrolle.

Langzeitwirkung früher Motivation

„Wenn das dein Großvater hätte erleben können, sagte eine Mutter vor nunmehr 58 Jahren zu ihrem damals 8jährigen Sohn, als er auf einem alten Akkordeon, eine kleine Melodie spielte. Freude klang aus ihren Worten und die Vorstellung, dass sich der Großvater darüber noch viel mehr gefreut hätte. Das Staunen der Mutter, ihre Freude über das Spiel ihres Sohnes verbunden mit der ihrer Erinnerung an ihren Vater blieb als emotionale Erinnerung in dem Jungen haften.

Aus der Rückschau ist es für ihn ein Wunder, wo seine Mutter damals – in der Kriegs- und Nachkriegszeit – ein altes Akkordeon, dessen Balg voller Löcher war, hatte auftreiben können. Weit hatte es der Junge mit seinem Akkordeonspiel nicht gebracht. Irgendwie versandete sein Spiel. Das Geld reichte nicht für einen kontinuierlichen Unterricht. Erst im Alter verschaffte sich eine Sehnsucht aus der Kindheit Gehör. Jede Woche nimmt der Mann nun Akkordeonunterricht. Wenn er in die Tasten greift und mit dem ungelöcherten Balg laute und leise Töne hervorbringt, klingt etwas mit von der Hoffnung und Wünschen der Mutter und es gesellt sich die Freude dazu, auch im Alter noch lernfähig zu sein: emotional, kognitiv und motorisch, denn die Noten wollen nicht nur gelesen, sie wollen auch klanglich, melodisch und rhythmisch ausgeführt werden.

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

WORTWECHSEL MIT KINDERN VIELE FACETTEN VON SPRACHE ERLEBEN

I. KINDER LERNEN DAS SPRECHEN IN INTERAKTIONEN

Dr. Karl Gebauer - Aufsätze - Wortwechsel

Foto: Jürgen Hast

Konzept einer modernen Sprachbildung

Erfreulicherweise sind in einigen Bundesländern die Weichen für ein modernes Sprachbildungskonzept bereits gestellt. So enthält der Hessische Bildungsplan die zentrale Aussage: „Sprachkompetenz erwerben Kinder am erfolgreichsten im Zusammenhang mit Handlungen, die für sie selbst Sinn ergeben.“ Die Niedersächsischen Handlungsempfehlungen zu Sprachbildung und – förderung konkretisieren diesen Ansatz. Ganz deutlich hebt der Orientierungsplan zur Sprachbildung und Sprachförderung hervor, dass es im Elementarbereich primär darum gehen müsse, das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken. (Sprachbildung und Sprachförderung – Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinsrichtungen für Kinder, S. 13).

Bedingungen für einen erfolgreichen Spracherwerb

  • ein wertschätzendes Erziehungsklima,

  • sichere und belastbare Beziehungen,

  • Zuwendungsformen, die Lernbegeisterung entfachen.

  • Feinfühliges und wertschätzendes Kommunikationsverhalten.

  • Kinder müssen oft zu Wort kommen, denn auch der Erwerb sprachlichen Wissens muss vom eigenen Handeln des Kindes ausgehen.

  • Das Gefühl von Erfolg und Selbstwirksamkeit ist wichtig.

Als Facetten eines neuen Sprachbildungskonzeptes können daher angesehen werden:

  • Reden über die Dinge des Alltags;

  • Vorlesen in den Familien und in der KITA;

  • über Bilderbücher und Geschichten sprechen;

  • Erzählen, Erfinden, und Aufschreiben von Geschichten;

  • Laut- und Sprachspiele, Gedichte, Reime und Lieder;

  • Spiele aller Art;

  • über Konflikte reden;

  • Gespräche beim gemeinsamen Essen.

  • Vor allem sollten die Erwachsenen für die Kinder ein sprachliches Vorbild sein.

II. EMPATHISCHE BEZIEHUNGEN SIND WICHTIG

Die neuen Orientierungspläne und Empfehlungen berücksichtigen Erkenntnisse aus relevanten Forschungsbereichen. Aus wissenschaftlicher Sicht hat die Beziehungsgestaltung eine revolutionäre Neubewertung erfahren. Die über Interaktionen entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen). Die Qualität der frühkindlichen Bindung und die in der weiteren Entwicklung darauf aufbauenden Beziehungen mit anderen Personen bestimmen den Aufbau neuronaler Strukturen. Erlebt ein Kind Empathie, so ist dies die beste Voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen empathischen Handlungsmusters. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie (sich einfühlen und mitfühlen können) eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende Entwicklung darstellt.

Beachtung, Anerkennung und Zuwendung aktivieren das Motivationssystem. (Bauer 2005) Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem eine empathische Beziehung zwischen Erzieherinnen und Kindern eine positive Auswirkung auf die Sprachentwicklung hat. Es gilt daher, allen interaktiven Prozessen eine große Aufmerksamkeit zu schenken. Die Interaktionen der Kinder sind eine Schatzkammer der sprachlichen Bildung.

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt. Wenn nun Mutter und Vater mit dem Baby sprechen, vermittelt ihr Gesicht Gefühle, die mit den Sprechlauten verbunden sind. Die Mimik der Eltern verbunden mit ihrem Sprechen führt beim Baby zu akustischen und emotionalen Wahrnehmungen. Auf diese Weise bereiten sie den Säugling auf das Sprechen vor. Innerhalb dieses Vorgangs ist es die emotionale Gestimmtheit, die den Säugling veranlasst, auf die sprechende Person zu achten und schließlich ebenfalls Bewegungen mit Mund und Zunge zu beginnen. Die Freude an den Sprechversuchen wird gestärkt, wenn ein Kind merkt, dass die Erwachsenen auf seine Aktivitäten reagieren.

Schon vom dritten Monat an sind lautliche Versuche zu beobachten, bald werden Laute rhythmisch gestaltet. Man kann auch schon beobachten, dass sie sich in der Lautstärke unterscheiden. Für sich alleine aber auch in Resonanz zu den Eltern versucht ein Kind nun alles, was es mit seiner Zunge, seinen Lippen und mit viel Spucke produzieren kann. Verbunden sind diese Versuche oft mit großer Begeisterung. Es sind erste Erfahrungen der Selbstwirksamkeit. Freude entsteht, wenn Eltern eine entsprechende Resonanz geben. In der folgenden Zeit nehmen Kinder (etwa zwischen vier und sechs Monaten) Einzellaute wahr. Es entstehen Lautfolgen wie Mama, Papa, dada. Für die sprachliche Entwicklung ist die empathische Zuwendung entscheidend. Ein Kind muss sich bei seinen Aktivitäten wahrgenommen fühlen. Die empathische Resonanz der Bezugsperson trägt dazu bei, dass ein Kind mit Interesse und Ausdauer sich seinen lautlichen Produktionen widmet. Schon jetzt beginnt es zu verstehen, dass es dabei auf Zuhören und Reagieren ankommt. Das setzt voraus, dass sich eine erwachsene Person ganz dem Kind zuwendet. Videospiel oder Fernsehsendungen können nichts bewirken. Sie bringen Kinder eher in ratlose Situationen. (Haug-Schnabel / Bensel 2012, S. 15)

Wörter und Sätze erhalten erst durch Emotionen, Gesten, Gesichtsausdruck und Stimmlage eine nachhaltige Bedeutung.“ (Haug-Schnabel /Bensel 2012, S. 17)

In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung.Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten.

Auf die Erlebnisqualität kommt es an

Für viele Kinder stellt der Besuch des Kindergartens eine Bereicherung ihres Lebens dar. Dabei kommt es auf die Qualifikation der Erzieherinnen ebenso an wie auf die personalen und räumlichen Bedingungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erlebnisqualität nicht durch den Einsatz von Förderprogrammen der unterschiedlichsten Art gestört oder gar verdrängt wird.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)

Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.

Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.

Eigene Spielideen entwickeln.

Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.

Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Die Bedeutung der Gleichaltrigen

Sprachbildung findet vor allem im Spiel mit Gleichaltrigen statt. Zunächst werden Kinder versuchen über Mimik und Gestik Zugang zum Spiel anderer Kinder zu finden. Dabei brauchen sie gelegentlich die Unterstützung durch ihre Erzieherin. Um das zweite Lebensjahr werden sie versuchen über Laute und Worte zu signalisieren, dass sie mitspielen wollen. Schließlich kommt es im weiteren Verlauf des Spiels darauf an, Bedürfnisse und Ziele mit den anderen abzustimmen. Voraussetzung für diese Leistung ist die Ausbildung von Empathie.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti (2008) entdeckten Spiegelneurone.

Kinder nehmen schon früh emotional wahr. Etwa im Alter von 18 Monaten entdecken sie ihr eigenes Selbst. Äußerlich ist dies daran abzulesen, dass sich ein Kind im Spiegel erkennt. Es ist von nun an zur Selbst-Objektivierung fähig und damit in der Lage, einen Spielpartner nicht nur als „Objekt, sondern als eigenständiges Subjekt zu erkennen. Es kann nun unabhängig von der eignen Ich-Perspektive die Gedanken und Gefühle des anderen wahrnehmen und einschätzen. Damit ist eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Interaktionen geschaffen. Diese Fähigkeit wird als „theory of mind“ bezeichnet.

Beispiel: „Mama kommt wieder.“

In einer Gruppe von Kindern im Alter zwischen 12 und 24 Monaten konnte ich die folgende Szene beobachten:

Frühstückszeit in der Krippe. Die Kinder sitzen mit ihrer Erzieherin am Tisch. Es ist still. Plötzlich weint Lisa leise. Anna erhebt sich von ihrem Platz, geht zu Lisa, legt ihren Arm um deren Schulter und sagt: „Mama kommt wieder.“

Anna, so darf man annehmen, ist in der Lage, sich in die Situation von Lisa zu versetzen. Sie realisiert, dass Trost die richtige Geste ist. Ein innerer Verarbeitungsprozess hat es ihr ermöglicht, sich in Lisas Erleben einzufühlen. Dabei lässt sie es aber nicht bewenden. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie handeln muss. Und dann handelt sie. In ihrem Gehirn durchläuft sie einen Prozess, bei dem Fühlen, Denken und Handeln miteinander verknüpft werden. Sie aktualisiert ihre Fühl-Denk-Handlungsbahnen. In der Hirnforschung werden diese Verbindungen als Limbofrontale Bahnungen beschrieben. Sie entwickeln sich aufgrund von Erfahrungen mit anderen Personen. Ganz entscheidend dabei ist die Vorbildfunktion der Erzieherin. Das lässt sich gut an dem folgenden Beispiel ablesen:

Beispiel: „Beruhige dich mal!“

Die Erzieherin hatte vor Ostern mit den Kindern ausgepustete Eier angemalt. Sie wollte an einem Ei einen Faden zum Aufhängen anbringen. Dabei zerbrach das Ei. Erzieherin: „Oh, das wollte ich nicht, das tut mir leid.“ Linus (fünf Jahre alt), der das Ei bemalt hatte, sagt: „Das weiß ich doch, beruhige dich mal.“

Darin zeigt sich empathisches Verhalten. Wir können annehmen, dass Linus während seiner Zeit im Kindergarten schon oft von seiner Erzieherin den beruhigenden Hinweis erhalten hat, dass es gut sein kann, sich nach einem aufregenden Ereignis zunächst einmal zu beruhigen.

Im ersten Beispiel wird ein empathisches Verhalten einem anderen Kind gegenüber sichtbar, im zweiten Beispiel zeigt ein Kind Empathie seiner Erzieherin gegenüber.

III. SPIEL, EMPATHIE UND KOMMUNIKATION


In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen, das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ (Albers 2011, S.53)

Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2012, S.53)

Aspekte einer Kultur der Gleichaltrigen:

  • Die Art, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden;

  • Wie sie Konflikte klären und Lösungen finden;

  • Wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten;

  • Wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren;

  • Wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.

Timm Albers (2012, S. 57) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen: „Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.“

IV. SPRACHENTWICKLUNGSPHASEN

Viele Bedingungen spielen bei der Entwicklung der kindlichen Sprache eine Rolle. Da diese Bedingungen für die Kinder sehr unterschiedlich sind, ist es normal, dass auch ihre Sprachentwicklung große Unterschiede aufweist. Daher werden Entwicklungsschritte lediglich angedeutet. Sie sollen einer groben Orientierung dienen. Entscheidend für eine gelingende Sprachentwicklung ist die Haltung der Erwachsenen. Sie müssen sich die Frage stellen, ob sie im Umgang mit den Kindern die oft sehr großen Unterschiede emotional akzeptieren und angemessen auf die jeweiligen sprachlichen Äußerungen reagieren können.

Laute und Silben

Schon vom dritten Monat an gelingen lautähnliche Gebilde. Ein Kind probiert, was es mit Zunge, Lippen und Spucke alles machen kann. Kurze Zeit später bildet es Laute und Lautfolgen, wie a, aaaa, aa; mmmm, ma, mama. In den nächsten Monaten übt sich ein Kind im Lallen. Es ist nun schon in der Lage, Silben aneinander zu reihen. In der gesamten Phase sollten die Bezugspersonen sowohl die beruhigende Babysprache imitieren als auch in gewohnter Sprechweise die Vorgänge beim Wickeln, Füttern, Waschen und Anziehen benennen. Sie sollten ihre Handlungen sprachlich begleiten.

Zwischen dem 10. und 14. Monat können Kinder Wortklänge wie Nane, Dede, Hühang, Somzia, Dazus und Wuffin aus Wörtern heraushören und diese produzieren. Für den Erwachsenen ist leicht zu erkennen, dass mit Nane Banane gemeint ist. Schwieriger ist es, hinter Hühang einen Kühlschrank zu erkennen.

Wenn man Somzia langsam spricht und im Anschluss Wohnzimmer, dann kann man erahnen, welche Klangbilder ähnlich klingen. So ist es auch bei Dazus / Schlafanzug. Schwieriger ist es Wuffin mit Telefon in Verbindung zu bringen. Allerdings erschließen sich solche Bedeutungen leicht im konkreten Umgang mit dem Kind.

Wörter und erste Sätze

Im Alter von zwei Jahren sprechen viele Kinder Wörter wie: Mama, Papa, Ball, Puppe, Hund oder Wauwau. Dodil, Tator, Schleifwurst und viele andere Produktionen entstehen und geben der Bezugsperson oft nur für Sekunden ein Rätsel auf. Dann lässt dich die Bedeutung aus dem Kontext erahnen. Nun ist die empathische Modellierkunst der Erwachsenen gefragt. Und es gibt viele Nuancen, Klangmelodien und Zusammenhänge in denen nun über das Krokodil, den Traktor oder die leckere Fleischwurst geredet werden kann. Wenn wir die vielen Wortklangschöpfungen der Kinder mit Staunen und Freude aufnehmen und wohlwollend korrigierend ihre Klangwörter in der Umgangssprache wieder verwenden, dann finden nach und nach Klang und Bedeutung auf gute Weise zueinander. So wird irgendwann aus Wuffin ein Telefon, aus Somzia ein Wohnzimmer und aus Dazus ein Schlafanzug.

Einjährige Kinder verstehen etwa 50 Wörter aus ihrer Erfahrungswelt. Mit etwa 18 Monaten verfügt ein Kind über 200 Wörter im passiven Wortschatz. So kann ein Kind, wenn es mit Vater oder Mutter im Garten ist, die Frage: „Wollen wir die Blumen gießen?“ in der Regel verstehen und es wird zur Gießkanne greifen oder „ja“ sagen. Aktiv verwendet ein Kind in diesem Alter etwas 50 Wörter. Im Alter von zwei Jahren sind es oft schon 200 Wörter, die zum aktiven Wortschatz eines Kindes gehören. Dieser Anstieg ist vor allem dann zu verzeichnen, wenn Eltern und Erzieherinnen die vielen Dinge und Ereignisse des Alltags sprachlich korrekt beschreiben.

Förderliche Dialoge

Jan: „Wasser!“

Erzieherin: „Du möchtest mit Wasser spielen?“

Jan.: „Kanne – Wasser.“

Erzieherin: „Möchtest du Wasser in die Gießkanne tun?“

Jan.: „Wasser – Blumen.“

Erzieherin: „Ah, du möchtest die Blumen gießen.“

So erleben Kinder, dass sie verstanden werden und mit Sprache etwas bewirken können. Und das motiviert sie, immer wieder mit Hilfe ihrer Sprache etwas erreichen zu wollen. Sind sie erfolgreich und zeigen die Erwachsenen eine angemessene Resonanz, dann wird dieses Verhalten von den Kindern als Belohnung empfunden. Diese Erfahrung führt zur Ausschüttung von „Glückshormonen“ und stärkt das Bedürfnis, immer wieder durch sprachliches Handeln etwas bewirken zu können.

Zwei- und Dreiwortsätze, Einzahl und Mehrzahl, Verwendung der Artikel

Im Alter von drei Jahren kommt es zu komplexeren Sätzen. Das Verb wird an die richtige Stelle im Satz gestellt. Fragen können formuliert, Einzahl und Mehrzahl unterschieden werden. Der richtige Gebrauch der Artikel nimmt zu. Kinder verwenden in diesem Alter die richtige Zeitform und wollen beim Betrachten von Bilderbüchern nicht nur zuhören, sondern möglichst oft auch mitreden.

Unterschiede im sprachlichen Können und die Haltung der Erzieherin

Es gibt große Unterschiede im sprachlichen Handeln der Kinder. Da möchte ein dreijähriges Mädchen gerne wissen, ob es zur Köchin gehen darf, um zu fragen, was es heute zu essen gibt. Zu seiner Erzieher sagt es mit fragendem Blick: „Ute (so heißt die Köchin) kocht hat?“ Die Erzieherin nimmt die Frage auf und moduliert etwa folgende Antwort: „Du möchtest wissen, was Ute gekocht hat. Du darfst zu ihr gehen und sie fragen, was es heute zu essen gibt.“

Es ist denkbar, dass ein anderes dreijähriges Mädchen einen Fragesatz exakt formulieren: „Christina, kann ich mal in die Küche gehen? Ich möchte Ute fragen, was es heute zu essen gibt.“ Und es ist vorstellbar, dass dieses Mädchen kurze Zeit später seiner Erzieherin mit leuchtenden Augen mitteilt: „Ich habe Ute gefragt, was sie gekocht hat. Es gibt Nudeln mit Tomatensoße.“

Daran wird deutlich, dass Kinder in diesem Alter bereits über ein ausgeprägtes grammatikalisches Verständnis verfügen.

Beispiel: Toter Käfer

Ein Junge kommt aufgeregt angerannt, fass die Erzieherin an der Hand und führt sie an einen Tisch. Dort betrachten Kinder den Inhalt einer Schachtel. Ein Kind hatte tote Käfer mitgebracht. „Guck da din hat,“ sagt der dreijährige Junge, der bis vor wenigen Wochen noch nicht gesprochen hat.

Er meint: „Guck doch mal, was der da in seiner Schachtel gesammelt hat.“

Die Erzieherin sagt, als sie mir diese Geschichten erzählt, wahrscheinlich könne ich mir gar nicht vorstellen, wie glücklich sie über diese Leistung sei.

Der Junge fühlt sich wohl in der Gruppe, ist integriert, wird mit seiner Schwäche akzeptiert. Das ist dann möglich, wenn nicht ein verengter Begriff von Bildung und Lernen im Vordergrund steht, sondern das Leben selbst – mit seinen oft schwierigen – aber auch seinen sehr schönen Seiten. Der Junge erhält eine logopädische Betreuung. Wenn die Kinder im Morgenkreis erzählen, meldet er sich oft zu Wort. Manchmal könne man nur erahnen, was er meine, aber alle Kinder hörten geduldig und mit Interesse zu. Sie wollen verstehen, was er meint. In diesem Verhalten zeigt sich Empathie.

Ich erwähne diese Beispiele vor allem aus zwei Gründen:

Kinder sind verschieden, und sie sind in der Lage sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Die Erzieherin freut sich über die sprachlichen Äußerungen der Kinder und gibt ihnen eine entsprechende Resonanz. So findet Bildung statt. In diesen Fällen ist die Grundlage für eine anhaltende Motivation gelegt und darauf kommt es an. „Ich hoffe,“ sagt die Erzieherin, „dass sie einmal eine Lehrerin kriegen, die sie versteht. Und ich hoffe, dass wir ihnen was mitgegeben haben, was ein positives Grundgefühl in ihnen auslöst – ich hoffe, dass sie, wenn sie sich später einmal erinnern, das Gefühl haben, dass sie eine glückliche Kindergartenzeit hatten.“

Dialogrunden

Im Alter von vier bis fünf Jahren sind Kinder zu länger anhaltenden Gesprächen fähig, die sich unabhängig vom Handlungskontext auch auf fiktive Zusammenhänge beziehen können. Mit vier Jahren verstehen Kinder auch komplexe Satzkonstruktionen. Wenn Kinder erzählen, dann weben sie auch Wünsche und Fantasien in ihre Erzählungen. Sie brauchen interessierte / neugierige Zuhörer. Sie profitieren in der Interaktion von der Sprache der Erwachsenen. Diese sollten modulierend das Sprechen der Kinder begleiten: Fragen stellen, Äußerungen wiederholen und auch erweitern und auf empathische Weise Korrekturen anbringen.

Kinder brauchen Zeit, eine anregende Umgebung und zugewandte Erzieherinnen. So kann sich eine Sprachkultur entwickeln, die für die beteiligten Personen mit Freude verbunden ist.

Erlebnisse der Kinder

Die folgende Geschichte soll als Beispiel dafür gelten, wie differenziert sich fünfjährige Kinder ausdrücken können, wenn sie die Möglichkeit erhalten, an einem für sie interessanten Thema gemeinsam zu arbeiten. Die Erzieherin hatte im Rahmen einer Dialogrunde nach wichtigen Ereignissen aus dem Leben der Kinder gefragt. Ein Junge erzählte von einem Einbruch, der in der Nachbarschaft geschehen war. Andere Kinder erzählten davon, dass in der Zeitung „Räubergeschichten“ gestanden hätten. Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das die Erzieherin mitschrieb. Dabei musste sie immer wieder die Kinder bitten, langsam zu sprechen, damit sie auch alles mitschreiben könne. So ist eine fiktive Geschichte entstanden, an der fünf Kinder beteiligt waren. Jedes Kind hat daran seinen je eigenen Anteil. Zum Schluss las die Erzieherin das Ergebnis vor. In den folgenden Tagen gestalten die Kinder diese Geschichte immer wieder als Rollenspiel. Sprachbildung ereignet sich im Erzählgeschehen und im Prozess der Rollenspielgestaltung auf vielfältige Art.

Wenn Menschen erzählen, finden sie eine sprachliche Form für das, was sie erlebt haben. Sie sind das Subjekt der Erzählung. Das Ereignis findet an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten statt. Vergangenes wird erinnert, findet in der Sprache eine neue Form, ist nicht nur Abbild sondern Neuschöpfung des Erlebten. Stimmungen, Assoziationen, Emotionen verbinden sich mit dem Erzählten.

Beispiel: Eine Räubergeschichte

In der Zeitung und im Internet stand, dass eine unheimliche Räuberbande mit Männern und Frauen durch die Gegend schleicht. Die Diebe haben schwarze Sachen an – ein schwarzes Kostüm. Es waren zwei Männer und zwei Frauen. Die Männer haben schwarze Hüte auf und die Frauen schwarze Mützen.

Jonathan wusste, dass sie sich in der Nähe herumtreiben, aber nicht dass sie es gerade auf sein Haus abgesehen hatten. Jonathan wohnt in einem Bauernhaus mit Reetdach.

Als sie die Tür aufgemacht haben, sie haben die Türklinke abgebrochen und das Türschloss aufgebrochen, war es schon 12 Uhr nachts.

Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatten, schlichen sie die Treppe hoch und machten die Tür auf – mit einem Gerät. Das Gerät sieht ungefähr so aus wie ein Maschinengewehr, aber es hat unten ganz lange spitze Zacken.

Sie kamen ganz leise herein und wollten nach dem Computer greifen, aber Jonathan hat in letzter Sekunde noch das Telefon aus dem Ständer gerissen und hat die Polizei angerufen: ‚Polizei, bei mir sind Diebe – die unheimlichste Bande Deutschlands.’

Die Diebesbande ist weggelaufen und hat Jonathans Lieblingsbuch geschnappt, in dem er abends immer liest.

Die Polizei hat sie auf dem Weg in die Räuberhöhle ertappt und hat ihnen das Buch abgenommen. Sie hat ihnen Handschellen angelegt und sie ins Gefängnis geführt.

Die Polizei hat Jonathan, nachdem sie die Diebe eingesperrt hatte – ins Gefängnis – sein Lieblingsbuch zurückgebracht, in dem er abends immer liest, wenn er im Bett liegt.

Jonathans Eltern waren noch in der Stadt. Er hat sie angerufen und ihnen erzählt, dass die gefährlichste Räuberbande Deutschlands bei ihm eingebrochen hat und jetzt im Kerker sitzt und jammert, dass sie Jonathans Computer klauen wollte und jetzt eingesperrt ist.

Die Diebe bereuen, dass sie den Computer klauen wollten und das Buch geklaut haben.“

(Beteiligt waren fünf Kinder im Alter von fünf Jahren)

Interpretation:

Ausgangspunkt für dieses Beispiel ist die Anregung der Erzieherin. Sie hatte darum gebeten, ein wichtiges Erlebnis zu erzählen. Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt oder von dem sie gehört. Sie erzählen, dann, wenn das Thema für sie bedeutsam ist. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Realität und Fiktion werden oft miteinander verknüpft. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das freie Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. In diesen gemeinsam gestalteten Raum fließen die unterschiedlichsten Erfahrungen und Assoziationen ein. So wird aus dem Beginn einer individuellen Erfahrung ein gemeinsam gestaltetes Rollenspiel.

Beispiel: Empathie auf dem Motorrad

Die Erzieherin bringt ihre Schatzkiste mit in eine Dialogrunde. Beteiligt sind sechs Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren. Die Erzieherin nimmt einen Drachen und einen kleinen Koffer heraus und sagt: „Ihr könnt euch dazu eine Geschichte ausdenken. ihr könnt sie malen, ihr könne sie für euch behalten oder mir erzählen, ich schreibe sie dann für euch auf.“

Ein Junge greift in seine Hosentasche und stellt noch einen Spielzeugmotorradfahrer dazu. Drei Kinder fangen an, eine Fantasiegeschichte zu malen. Vier Kinder sind unentschlossen, sie warten zunächst ab, beteiligen sich aber nach und nach.

Luzia (4 J.) wollte erst nichts malen, fängt dann aber an und zeigt ihr Bild der Erzieherin.

Es entspinnt sich der folgende Dialog:

Erzieherin: „Wer ist das?“

Luzia: „Ich.“

E.: „Wo willst du hinfahren?“

Luzia: „ Zu Susanne.“ (So heißt die Erzieherin)

E.: „Das ist ja schon eine Geschichte.“

Luzia: „Unterwegs könnte sie den Drachen treffen.“

E.: „Das könntest du auch noch malen.“

Luzia: „Ja.“

Am nächsten Tag bringt Luzia mehrere Zeichnungen mit, auf denen sie als Motorradfahrerin zu sehen ist – zunächst alleine und dann zusammen mit Susanne. Auch zwei Drachen sind auf den Bildern, auf einem Bild ist eine Katze.

Luzia erzählt:

Es war einmal ein wunderschöner Tag. Da kam eine Motorradfahrerin vorbei. Die wollte Susanne besuchen. Da begegnete sie zwei Drachen. Die hatten Stacheln auf dem Rücken. Die Drachen sind weggelaufen, weil sie Angst hatten vor der Motorradfahrerin und vor dem Motorrad. Die sind in das Gebüsch gelaufen. Dann begegnete die Motorradfahrerin noch einem kleinen Drachen. Der lief auch schnell ins Gebüsch. Dann fuhr sie weiter.

Ein paar Minuten später war sie angekommen. Susanne war zu Hause und aß Kuchen. Susanne hat sich gefreut. ‚Guten Tag,’ hat sie gesagt, ‚komm rein und iss mit mir Kuchen.’ Es war Marmorkuchen. Der Marmorkuchen hat lecker geschmeckt.

Dann fuhr sie weiter. Susanne wollte mitkommen. Dann waren sie zuhause bei der Motorradfahrerin und aßen Marmorkuchen. Dann war es dunkel. Susanne ging nach Hause zum Schlafen.

Als es Morgen war, …“

So geht die Geschichte noch ein ganzes Stück weiter.

Interpretation:

Ausgangspunkt sind Utensilien aus dem Erzählkoffer. Die Aufgabenstellung scheint zunächst für Luzia nicht von großem Interesse zu sein. Es sieht so aus, als wisse sie mit dem Drachen und dem Motorradfahrer nichts anzufangen. Dann aber beginnt die Anregung in ihr zu wirken. Die Erzieherin hat – so dürfen wir annehmen – in ihr etwas zum Klingen gebracht. Auf der Beziehungsebene ist über die Wirksamkeit von Spiegelzellen eine Verbindung entstanden, die nun von Luzia ausführlich gestaltet wird. Im Akt des Erzählens werden Beziehungen thematisiert und gleichzeitig erlebt.

Luzia versetzt sich in die Situation einer Motorradfahrerin, berücksichtig auch die Drachen, weil das von der Erzieherin gewünscht war. Im weiteren Verlauf gestaltet sie aber ihre Erzählung als Beziehungsgeschichte. So fährt sie mit dem Motorrad zu Susanne und lässt sich von ihr einladen. „Komm rein und iss mit mir Kuchen!“ In den folgenden Tagen benutzt sie immer wieder das Motorrad, um Susanne zu besuchen und mir ihr gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie verbringen schöne Tage miteinander, spielen Fangen und Verstecken, pflanzen Blumen. Luzia lässt ihre Erzieherin von einem Bad im See träumen. Später nutzen sie die Mobilität, die ihnen das Motorrad bietet, sie fahren zu einem See und baden. Mehrmals heißt es in der Erzählung: „Es war sehr schön!“

Dieses Beispiel zeigt, dass das Kind zunächst mit einer Anregung seiner Erzieherin gewisse Schwierigkeiten hat. Der Einstieg will zunächst nicht gelingen. Aber dann springt ein Gefühl hinüber zur Erzieherin. Wir können davon ausgehen, dass das Mädchen intuitiv spürt, dass jetzt eine Chance besteht, ihren Wunsch nach Nähe zu der erwachsenen Person in eine Erzählform zu bringen.

Die Ausgangssituation, die zu Luzias Erzählung geführt hat, war für die Gruppe von sechs Kindern identisch. Es sind allerdings ganz unterschiedliche Geschichten entstanden. Das zeigen die beiden nachfolgenden Beispiele.

Beispiel: Motorradfahrer und Medaillen

Der Motorradfahrer hat beim Rennen 300 Medaillen in Gold und Silber und tausendzwanzig Pokale – auch in Gold und Silber – gewonnen.“

(Junge, 6. J.)

Beispiel: Motorradfahrer und Regenbogen

Das ist ein Mensch. Da sitzt ein Mensch drauf auf dem Motorrad. Die kommen aus England und die haben einen schönen Regenbogen mitgebracht. Es regnet gerade. Es scheint auch gerade die Sonne. Dann blitzt es auf einmal und donnert auf die Menschen. Und dann hört es wieder auf. Dann kommt ein kleiner Drache und sagt: ‚Kommt auf meinen Rücken, ich rette euch vor dem Regen.’ Dann fliegt der Drache davon mit den beiden Motorradfahrern. Der fliegt mit denen zu seinem Haus und da scheint gerade die Sonne. Und dann spielen sie mit Cars 2.“

Für Mama.

Junge, 5 J.

Jeder Junge malt ein Bild und erzählt auch der Erzieherin bereitwillig, was er sich vorgestellt hat. Beide Erzählungen fallen dadurch auf, dass sie wesentlich kürzer sind als Luzias Geschichte. Da sind ganz unterschiedliche Assoziationen im Spiel. Im Text des sechsjährigen Jungen geht es inhaltlich um ein Motorradrennen an dessen Ende Sieg, Medaillen, Gold und Silber gewonnen werden. Im Beispiel des fünfjährigen Jungen ist mehr Fantasie im Spiel. Da ist auch eine echte Dramatik zu spüren. Möglicherweise speist sich die Erzählung aus einem realen Erleben. Es regnet und es scheint die Sonne. Und dann erscheint der Regenbogen. In dem kleinen Text zeigt sich ein Anflug von Poesie. Der Junge berücksichtigt sogar die Anregung der Erzieherin und lässt einen Drachen als Retter erscheinen. Am Schluss widmet der Junge die Geschichte seiner Mama.

V. THEMEN DER KINDER

Die Themen der Kinder sind aufgrund ihres familiären Umfeldes sehr unterschiedlich. Sie finden vor allem dann eine sprachliche Form, wenn eine Erzieherin Interesse an der Lebenssituation eines Kindes signalisiert und auch den Zeitrahmen dafür schafft, um sich in Ruhe mit dem Thema eines Kindes zu beschäftigen

Heute leben wir“

Maya zu Luka: „Setzt du dich neben mich?“

Luka: „Ich sitze neben dir, so lange du willst.“

Maya: „Wir haben noch länger Zeit. Wir leben noch lange.“

Luka: „Irgendwann sterben wir. Alle Menschen müssen sterben.“

Maya: „Aber heute nicht. Heute leben wir.“

(Beide 5 J.)

Alt werden“

Ich möchte sterben bevor ich eine alte Frau werde. Ich möchte nicht so eine Frisur mit kurzen Haaren haben.

(Mädchen, 5 J.)

Keiner da bei meiner Bürste“

Faruk, vier Jahre, Familie mit 6 Kindern, Heimat Kosovo, besucht seit drei Monaten einen integrativen Kindergarten. Noch ist seine Beeinträchtigung, die sich u.a. in seiner noch gering ausgeprägten Sprachfähigkeit zeigt, nicht hinreichend diagnostiziert. Er kommt gerne, sogar die Mutter ist schon einmal mitgekommen.

Zur Situation: Am Wochenende werden die Zahnbecher gereinigt. Am Montag werden die Becher an ihren Platz gestellt und die Zahnbürsten werden von den Kindern wieder zugeordnet. Faruk fehlt an diesem Tag. Als er am Dienstag Zähne putzen will, ist seine Bürste nicht im Becher. Er kommt er ganz aufgeregt zu seiner Erzieherin und sagt:

Keiner da bei meiner Bürste.“

Die Erzieherin sagt, es sei der schönste Satz des ganzen Jahres. Dieser Satz habe ihr den ganzen Vormittag über gute Laune gemacht. Und das geschehe auch immer dann, wen sie an diese Situation denken würde. Er könne seine Zahnbürste nicht finden, das wollte Faruk seiner Erzieherin mitteilen. Wir sehen, dass er noch Probleme in der Satzkonstruktion hat. Aber er konnte ausdrücken, dass es um seine Zahnbürste geht. Seine Erzieherin hat ihn verstanden. Das ist entscheidend.

Das sprachliche Handeln seiner Erzieherin können wir uns so vorstellen:

E: „Faruk, du wolltest Zähne putzen. Deine Zahnbürste war nicht an ihrem Platz. Ich weiß, wo sie ist. Komm, wir holen sie. Dann kannst du deine Zähne putzen.“ Seine Sprache hat im geholfen, an seine Zahnbürste zu kommen. Er kann sich freuen, dass er sein Ziel erreicht hat.

Faruk bekommt eine Logopädie-Therapie, er fühlt sich in der Gruppe wohl und macht insgesamt gute Fortschritte.

VI. BEISPIELE AUS DER KOOPERATION MIT DEM TEAM DER KITA PFALZ-GRONA-BREITE, GÖTTINGEN

Die Situationen in Krippen sind sehr vielfältig und komplex. Um eine gute Grundlage für das Verstehen von Kinderäußerungen und ihre sprachlichen Fähigkeiten zu bekommen, ist es hilfreich, immer wieder einmal einzelne Situationen aufzuzeichnen und das Ergebnis im Team anzuschauen und zu analysieren. Dabei können die folgenden Aspekte eine Hilfe bieten:

Kriterien für die Analyse von Kommunikationssituationen

Werden die Sprechversuche der Kinder wahrgenommen?

Art der Zuwendung durch die Erzieherin. Ist erkennbar, dass sie sich für das Sprechen des Kindes interessiert?

Welche Atmosphäre herrscht in der Gesprächssituation?

Hat die Erzieherin eventuell das Sprechen eines Kindes besonders im Blick?

Werden die anderen Kinder von der Erzieherin auch wahrgenommen und einbezogen?

Wird hörbar, ob und wie die Erzieherin um Verstehen bemüht ist?

Moduliert sie das Sprechen der Kinder?

Wie wird der sprachliche Anteil der Erzieherin im Verhältnis zum Sprechen der Kinder wahrgenommen?

Wann und wie gehen Kinder sprachlich aufeinander ein?

Sind Themen der Kinder erkennbar?

Wird auf diese Themen eingegangen?

Werden die sprachlichen Möglichkeiten in den unterschiedlichsten Situationen des Alltags wahrgenommen? (Bilderbücher, Spiele aller Art, Wickeln, An- und Ausziehen usw.)

Wie wird die sprachliche Entwicklung eines Kindes dokumentiert und gefördert?

Was könnte man besser / anders machen?

Was zeichnet die Beziehung zwischen Erzieherin und Kind aus?

Zeigt sich in der Beziehung ein empathisches Verhalten?

Damit ist der Hintergrund für die Analyse der nachfolgenden Beispiele skizziert. Das Betrachten der Beispiele erfolgt in der Regel in vier Schritten. Gelegentlich heben wir einen Aspekt hervor oder beschäftigen uns auch nur mit einem Aspekt.

Charakterisierung der Situation

Es wird die Situation skizziert, in der die Dialoge stattfinden. Im Vordergrund steht der äußere Rahmen, in den eine Kommunikationssituation eingebettet ist. Es geht aber auch um die Atmosphäre und das Beziehungsangebot der Erzieherin.

Die Dialogsituation

Im nächsten Schritt wird die eigentliche Dialogsituation beschrieben. Damit sind die sprachlichen Anteile des Kindes und der Erzieherin gemeint. Wir erleben, wie sich ein Kind um einzelne Wörter bemüht, wie es versucht, Wörter für Gegenstände oder Personen zu finden und zu formulieren. Wir können wahrnehmen, wie ein Kind zunächst nur einzelne Laute oder Lautfolgen erkennt und diese artikuliert. Der Blick sollte aber nicht nur auf die Wortproduktion des Kindes gereichtet sein, sondern auch auf die Art und Weise, wie die Erzieherin versucht, das Gesprochene zu verstehen und durch eine entsprechende Modulation zum richtigen Klang bringt. Schließlich ist zu erkennen, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Kind nach kurzer Zeit einzelne Wörter richtig ausspricht und im Kontext richtig verwendet. Die Dialogsituationen sind das Material, an dem wir erkennen können, wie sich ein Kind nach und nach in die Struktur der gesprochenen Sprache einlebt. Wir werden Zeugen der vielen Versuche, einen Satz so zu konstruieren, dass das Gemeinte für den Gesprächspartner verständlich wird.

Was ist zu beobachten?

In einem nächsten Schritt werden die verwendeten Wörter und Sätze einer genaueren Betrachtung unterzogen. Welche Wörter und Sätze verwendet ein Kind? Dabei kommt es auf das Gesagte und das Gemeinte an. Es wird auch gelegentlich darauf geachtet, wie viele Wörter ein Kind bereits beherrscht. Bei der Betrachtung der Sätze geht es zum Beispiel darum, ob ein Kind die Verbform richtig verwendet und einen Vorgang in seinem zeitlichen Ablauf darstellen kann.

Reflexion und Perspektiven

In einer abschließenden Betrachtung wird erörtert, was die Erzieherin in der Situation hätte anders machen können bzw. welche Schlüsse sie aus der Reflexion für die künftige Arbeit zieht. Es wird noch einmal die Beziehungsqualität in den Blick genommen.

Beispiel: Dialoge auf dem Wickeltisch

Charakterisierung der Situation:

Erzieherin und Kind (Noura, 2;1) betreten gemeinsam den Wickelraum. Noura läuft in Richtung des Lichtschalters und möchte das Licht einschalten. Diese Absicht wird sofort von der Erzieherin erfasst und Noura wird sprachlich in das Geschehen einbezogen. Es folgt das Wickeln auf der Kommode.

Dialogsituation:

E.: „Willst du das Licht anmachen?“

Noura reckt ihre Hand zum Schalter und fragt: „Da?“

E.: „Ja. – Kommst du da dran?“

Es gelingt und die Erzieherin sagt: „Prima.“

Im Gesicht von Noura ist Freude zu erkennen.

E.: „Holst du dir eine Windel aus dem Fach?“ Noura zieht das entsprechende Fach auf. E. merkt, dass die Windel sehr weit hinten liegt und sagt: „Oh, kommst du gar nicht dran.“ Noura versucht es. Erzieherin holt die Windel nach vorne: „Kommst du da dran?“ Es gelingt. E.: „Prima.“

N. lässt die Schublade zu fallen. E.: „Jawoll.“

N. steigt mit Windel in der Hand die Treppe zum Wickeltisch hoch. E.: „Soll ich die Windel festhalten?“ N. reicht sie der Erzieherin. E.: „Danke.“

N. steigt nun auf den Wickeltisch, schaut sich im Spiegel an. Blickt mit Spannung in den Spiegel. N: „Guck mal ich Haare Bange.“

E.: „Du hast eine Spange in den Haaren. Wer hat die denn da rein gemacht?“

N.: „ Mama.“

E.: „Die sind ja echt schick. Ein Herz ist das, ne? Und eine Glitzerhaarspange hast du hier – mit Blümchen. So was Schickes.“

N.: „Dan se Mama.“

E.: „Hat Mama rein gemacht.“

E. (Nimmt eine Zeigegeste des Kindes auf.)

N.:„Da!“

E.: „Ein Tuch.

N.: „Haben?“

E.: „Kannst du mit spielen, kannst du dich verstecken. – Ha, wo is denn die Noura? Ich seh die Noura gar nicht mehr.“

N.: „Piep!“

E.: „Hast du Piep gemacht?“

N.: „ Jaaa!“

E.: „Wo bist du denn, ich seh dich gar nicht? –Noura, wo bist du?

N.: „Piep!“

E.: „Mäuschen, piep einmal.“

N.: „… piep einmal.“

E.: „Mäuschen piep einmal – piep.“

E.: „Ach, da bist du ja….ganz rosa im Gesicht. – Dein Tuch is ganz rosa. – M…“

N.: „He, he.“

E.: „He, he.“

N.: „Ich tata?“

E.: „Was sagst du?“

N.: Ich tata.“

E.: „Nee, du hast kein kaka, nur pipi. – Nur pipi in der Windel.“

N.: „kommt.“

E.: „Hast noch nicht kaka gemacht, vielleicht kommts später?“

N.: „Später.“

E.: „Wenn wir uns ein bisschen bewegen. – Wollen wir dann in Bewegungsraum gehen?“

N.: „Ja. – Ich hole a met.“

E.: „Wer kommt mit? – Ich komme mit. Ja.“

N.: „Nein, Kata met.“

E.: „Katja kommt auch mit. Und wer kommt noch mit?“ – Wer ist denn noch da?

N.: ( murmelt ungenau)

E.: „Wer ist noch da? – Nina? (Noura nickt)

N.: „Ja.“

E.: „Und wer noch?“

N.: „Katja.“

E.: „Und noch einer? –Einer fehlt noch.“

N.: „Ja.“

E.: „Sas…“

N.: „Sas…“

E.: „Saskia, ne. Die fehlt noch, die kommt auch mit rüber und die andern Kinder.“

N.: „Ja.“

E.: „Ja.“

N.: „Noura au met.“

E: „Wolln wir die Hose ausziehn? Du hast ja noch eine drunter.“

N.: „Wo ich eine …“

E.: „ Wollen wir die ausziehen?“

N.: „Ja.“

E.: „Ja.“

N.: „Dann basste i noch hüpen dann.“

E.: „Das packst du dann in dein Körbchen rein. – Genau.“

N.: „Weita hüpen dann.“

E.: „Na, huch. Wir ziehen erstmal Hausschuhe an, sonst rutscht du aus.“

N: Da ich besser hüpen kann

E.: „Das Trampolin ist kaputt.“ … Da müssen wir was anderes aufbauen. OK?“

N.: „Ja.“

E.: Oh, sage mal, deine Füße sind gewachsen.

N.: „Halsand.“

E.: „Du hast auch eine Kette. Ich auch.“ – Ich hab ein Herz und du hast kleine Kugeln. Eine Bernsteinkette. Und Entenknöppe an deinem Pullover. Da – Entenknöpfe. – Wie machen die denn.

N.: „Quak, quak.“

E.: „So Mausi, krabbelst du runter.“

Was ist zu beobachten?

Die Erzieherin ist Noura zugewandt und bezieht sie in die Aktionen mit ein: Licht einschalten, Windel holen, auf den Wickeltisch krabbeln, sich umdrehen, später wieder runterkrabbeln. Diese Aktivitäten werden durch Frage- oder Aussagesätze begleitet. Die Erzieherin geht auf die sprachlichen Äußerungen ein und moduliert diese. Es folgt jeweils eine positive Resonanz. So sagt die Erzieherin, nachdem Noura das Licht eingeschaltet hat: „Prima!“ Noura strahlt über das ganze Gesicht.

Insgesamt ist es ein ausgewogener sprachlicher Dialog. Die Erzieherin ist sehr darum bemüht, das Kind zu verstehen. Sie moduliert immer wieder auf angenehme Weise die Aussagen des Kindes. Eine Alltagssituation wird sprachbegleitend gestaltet. Die Erzieherin geht auf die sprachlichen Möglichkeiten des Kindes ein und verhält sich der Situation angemessen.

Die ausgesprochen schöne Kommunikationssituation ermöglicht umfassende sprachliche Aktivitäten. Noura kann erleben, dass ihre sprachlichen Äußerungen verstanden werden. Sie wird von sich aus aktiv, als sie auf die Haarspangen verweist. Sie kann über eine Zeigegeste mitteilen, dass sie ein Tuch haben möchte. Daraus entwickelt sich das Spiel „Mäuschen piep einmal.“ Noura möchte wissen, was in der Windel war: „Ich tata?“ Sie stellt eine altersgemäße Frage und erhält von der Erzieherin eine angemessene Antwort. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt „Kaka“ in der Windel sein könnte und dass es sinnvoll sein könnte, den Vorgang durch Bewegung zu unterstützen. Die Erzieherin verweist auf das Trampolin, stellt unmittelbar danach fest, dass dieses ja defekt sei. Es ergeben sich noch Überlegungen, wer alles am Bewegungsspiel beteiligt werden könnte. Dabei wird deutlich, dass es Noura vor allem auf die Teilnahme von Katja ankommt. Die Frage „Wollen wir in den Bewegungsraum?“, wird von Noura begrüßt und sie äußert undeutlich den Wunsch, dass noch jemand mitkommen solle. Die Erzieherin bezieht diese Äußerung auf sich, wird aber von Noura mit einem deutlichen „Nein!“ korrigiert. Nouras Äußerung: „Ich hole a met“ könnte der Versuch einer Satzkonstruktion sein, die noch nicht ganz gelungen ist. Sie könnte gemeint haben: „Ich hole Katja, sie kommt auch mit.“ Es handelt sich möglicherweise um eine „verpuppte“ Wortfolge, die aber von der Erzieherin verstanden wird. Es wird in der Kommunikation zwischen ihr und Noura deutlich, worum es geht. Die Erzieherin will den Kreis der teilnehmenden Kinder noch erweitern, indem sie Fragen nach den anderen Kindern stellt. Aber dies liegt nicht so sehr im Interesse von Noura. Für Noura ist es wichtig, dass Katja mitkommt und die Äußerung „Noura au met“ macht deutlich, dass sie natürlich nicht vergessen werden darf. Das „NEIN“ bezogen auf die Teilnahme der Erzieherin ist deutlich. Und das „ICH“ ist in dieser Sequenz noch nicht zu erkennen. Noura spricht von sich noch als Noura.

Zum Schluss fragt die Erzieherin noch, ob die Hose ausgezogen werden solle. Dem stimmt Noura zu und sie formuliert auch einen Satz, dass sie die Hose in den entsprechenden Korb packen wolle. Dieser Satz ist allerdings von einem Außenstehenden kaum zu verstehen. Er klingt etwas so: „Dann basste i noch hüpen dann.“ Wahrscheinlich handelt es sich auch um die Vorform eines Satzes, der gegenwärtig noch aus „verpuppten“ Elementen besteht. Die Erzieherin versteht / interpretiert ihn in der Situation so, als wolle Noura die Hose in ihr Körbchen legen. Sie moduliert einen entsprechenden Satz.

Erst in der kritischen Reflexion nach Ansicht des Video wird deutlich, dass sie sich geirrt hat. Noura meint, dass sie dann besser hüpfen könne. Etwas weiter vorne geht es im Gespräch darum, dass Mama die Spangen in das Haar gemacht hat. Noura beteiligt sich mit Interesse am Gespräch. Auf die Bemerkung der Erzieherin: „So was Schickes,“ antwortet sie: „Dan se Mama.“ Wir sehen und hören, dass sich Noura am Gespräch beteiligt. Sie will mitreden. Was „Dan se Mama“ in dem Zusammenhang bedeutet, ist nicht klar zu erkennen. Die Erzieherin greift die Bemerkung auf und moduliert sie zu der Feststellung: „Hat Mama rein gemacht.“ Ob sie damit Nouras Intention getroffen hat, können wir auch nach mehrmaligem Ansehen des Videos nicht entscheiden. Jedenfalls wird die Kommunikationssituation nicht gestört. Noura teile sich gerne mit, die Erzieherin greift die Mitteilungen auf und beide haben offensichtlich Freude an ihrem Dialog.

Reflexion:

Vermutlich meint Noura, wenn sie die eine Hose auszieht, dass sie dann besser hüpfen könne. Wie auch immer, es ist der Versuch einen Satz zu konstruieren. Und darauf käme es an, diesen Konstruktionsversuch zu bemerken, vielleicht noch einmal nachzufragen. Die Erzieherin interpretiert die Äußerung so, dass die Hose dann in ein Körbchen gelegt werden soll. Sie moduliert die ungenaue Äußerung von Noura. Noura hat aber wahrscheinlich gemeint, dass sie ohne die zweite Hose besser hüpfen könne. Das betont sie in ihrem Nachsatz noch einmal: „Weita hüpen dann.“

Aus diesen Überlegungen ist zu folgern, dass es manchmal sinnvoll ist, etwas abzuwarten, vielleicht nachzufragen, was gemeint ist. So hätte ein Kind die Chance, sich in der Satzkonstruktion weiter zu entwickeln.

Dieser Hinweis enthält keine Kritik am Verhalten der Erzieherin. Die Situation auf dem Wickeltisch ist in vielerlei Hinsicht optimal. Es ist normal, wenn man in den vielen Situationen des Alltags, in denen schnell reagiert werden muss, eine Äußerung nicht richtig versteht. Erst nach mehrmaligem Ansehen und Hören des Videoausschnittes war es möglich, das Gesagte im Ansatz zu verstehen. Solche Satzfragmente sind so wichtig, weil sich hier Kinder aktiv bemühen, etwas für sie wichtiges mitzuteilen. In solchen Artikulationsversuchen der Kinder liegen entscheidende Fortschritte für ihre sprachliche Entwicklung. Für Noura ist es der mutige Versuch, mit ihrer Erzieherin im Dialog zu bleiben. Für die praktische Arbeit bedeutet es, in solchen Situationen – wenn es möglich ist – in Ruhe noch einmal nachzufragen. Dadurch erhöht sich die Chance für das Kind, sich in der Konstruktion eines Satzes zu üben.

Für unsere gemeinsame Arbeit bedeutet es, bei den Videoaufnahmen besonders auf das Vorkommen solcher Versuche zu achten.

Voraussetzung für eine gute Entwicklung sind die gelingenden Interaktionen zwischen Erzieherin und Kind. Das ist bei diesem Beispiel besonders gut gelungen. Die Erzieherin hält Blickkontakt mit dem Kind, geht auf seine Fragen ein und gibt Antworten. Sprachliche Aktivitäten gehen auch von Noura aus. So macht sie ihre Erzieherin auf die Spangen in ihrem Haar aufmerksam. Noura hat Interesse an der Kommunikation mit ihrer Erzieherin. Sie darf sich ernst genommen fühlen.

Zehn Monate später.

Beispiel: „Eingesperrt“ auf dem Riesenrad

Charakterisierung der Situation:

Noura (2;11) betrachtet ein Fotobuch, andere Kinder sind in der Nähe. Ein Kind wird gerade von der Mutter abgeholt. Man hört Geräusche und Gesprächsteile im Hintergrund. Erzieherin, Mutter und Kind begrüßen sich, ohne dass man sie auf der Videoaufnahme sehen kann. Noura lässt sich einen Moment von der Betrachtung ablenken, schaut hinüber, konzentriert sich dann aber wieder auf das Buch. Noura blättert in ihrem Fotoband, schaut sehr interessiert eine Seite an. Schließlich kommt eine Erzieherin dazu, setzt sich neben Noura und schaut gemeinsam mit ihr in das Buch.

Dialogsituation:

E.: „Ja, das bist du, Noura. – Oh, mit einem leckeren Würstchen in der Hand.“

Noura: „Guck mal. Ist das mein Rucksack?

E.: „Ich glaube schon, der hing neulich hier auch bei uns am Haken.“

Noura blättert weiter. E.: „Das war bei dem Laternenfest letztes Jahr.“

N.: Das, da sin mer…“

E.: „Da sitzt ihr draußen im Garten.“

Noura blättert weiter und sagt: „Guck mal.“

E.: „Das ist Sina mit ihrer Mama.“ Nora blättert weiter. E.: „Und einmal ohne Mama.“ Noura blättert weiter. E. zeigt auf ein Kind und sagt: „Das ist Felix.“

N.: „Guck mal der hat bunte Hasen.“

E.: „Wo sind bunte H…“

N. zeigt auf die Stelle und sagt: „Da.“ E.: „Da?“

E.: „Oder die Augen?“

N.: „Die Auden“

E.: „Das sind rote Augen. Das kommt durch den Blitz von dem Fotoapparat.“

N. zeigt auf ein anderes Foto und sagt: „Guck mal.“

E.: „Ich glaub, das ist die Johanna.“

N.: „Ja, Guck mal da ist der Weihnachtsmarkt kommt – E.: „Das ist…“ N.: „Da ich auch.“

E.: „Ich glaub eher, das ist der Ostermarkt – in der Stadt.“ N. blättert weiter.

E.: „Guck, da bist du.“

N.: „Ich wir warn schomal, ich war schmal mit Mama, mit Mama auf dem Weihnachtsmarkt und da haben wir Riesenrad gefahren.“

E.: “Guck das ist… Ihr seid mit dem Riesenrad gefahrn auf dem Weihnachtsmarkt?“

N.: „Ja! – Danz weit hoch.“

E.: „Ganz weit nach oben?“

N.: „Ja.“ Und die Mama hat mich an die Hand festehalten.“

E.: „Ja, damit du nicht rausfällst. – Bestimmt.“

N.: „Ja.“ Und wi sin da eindesperrt.

E.: „Ihr wart eingesperrt?“ N.: “Ja.“ E.: Aber das war zur Sicherheit bestimmt, damit ihr nicht rausplumst.“

N. blättert die Seiten locker um.

E.: „Guckst du dir die Fotos noch mal an?“

Was ist zu beobachten?

Noura stellt Fragen: „Ist das mein Rucksack?“

Sie trifft Feststellungen: „Da ist der Weihnachtsmarkt.“

Sie bezeichnet sich mit „ICH“: „Da bin ich auch.“

Es wird sichtbar, dass Bedeutsames für das Sprechen eine Rolle spielt. Noura spricht vom Weihnachtsmarkt, die Erzieherin hält ihn aber für den Ostermarkt. Sie sagt dies auch. Aber Noura ist mit ihren Erlebnissen beim Weihnachtsmarkt. Die Erzieherin nimmt an der Stimme des Kindes wahr, dass auf dem Weihnachtsmarkt etwas Besonderes geschehen ist und geht darauf ein. Für Noura ist ist in ihrer Erinnerung die Fahrt mit dem Riesenrad wichtig. In ihre Sprachmelodie kommt eine deutliche Dynamik, als sie davon erzählt: „Ich war schon einmal…haben wir Riesenrad gefahren.

Noura spricht von sich in der Ich-Form. Sie formuliert erste Sätze. Einige davon grammatikalisch richtig. Insgesamt eine schöne Kommunikationsform zwischen Erzieherin und Kind.

Verglichen mit der Situation vor 10 Monaten ist der Zuwachs an sprachlicher Kompetenz deutlich zu erkennen. Noura verwendet für sich ganz selbstverständlich das „ICH“. Sie formuliert Sätze bei denen Das Subjekt klar benannt ist und das Verb in der Klammer steht. In der Eile spricht sie von „Ich“ und fast gleichzeitig von „WIR“. Sie kann aussprechen, mit wem sie auf dem Markt war und was sie dort gemacht haben. Sie kann sogar beschreiben, dass sie mit dem Riesenrad „danz weit hoch“ gefahren sind. Hier liegen die Anfänge des Erzählens. Noura erinnert sich an eine wichtige Begebenheit. Sie hat in der Erzieherin eine Gesprächspartnerin, die Interesse an ihrem Erlebnis zeigt. Und schon entsteht in der Kommunikationssituation eine ganze Geschichte. Wir beobachten eine sprachliche und kognitive Weiterentwicklung. Über das Anschauen der Fotos erinnert Noura eine für sie bedeutsame Situation. Sie vergegenwärtigt sich das in der Vergangenheit liegende Ereignis und bringt es in eine sprachliche Form.

Exkurs über das Erzählen:

Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt haben und das bedeutsam für sie war. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Wird den Kindern Interesse entgegengebracht, dann wird die beim Erzählen erfahrene Freude und Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne an Vergangenes erinnert und Freude daran findet, diese Erinnerung in Worte zu fassen. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Im Akt des Erzählens werden Beziehungen thematisiert und gleichzeitig erlebt.

Das vorherige Beispiel bezieht sich auf die Anfangsphase des Erzählens eines Kindes und es ist ein Hinweis darauf, dass mit der Entwicklung einer Erzählkultur bereits in der Krippe begonnen werden sollte.

VII: UNGÜNSTIGE ENTWICKLUNGEN

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Maanche Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen

  • Fehlende Wertschätzung

  • Beschämungen

  • Gewalt

  • Überbetonung der Leistung

  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Das gilt für die Familie, die Kindertagesstätte und für die Schule.

VIII. NACHDENKEN ÜBER DAS EIGENE SPRACHLICHE HANDELN

In regelmäßigen Abständen sollten sich Erzieherinnen und Lehrkräfte im Rahmen einer Selbstreflexion ihres sprachlichen Handelns die folgenden Fragen stellen:

  • Zeige ich Interesse an dem, was Kinder machen und wie sie es machen?
  • Begleite ich ihre Aktivitäten sprachlich?
  • Achte ich darauf, dass neue Wörter in ihrem Zusammenhang erlebt und verstanden werden?
  • Unterstütze ich die Kinder bei ihren Interaktionen?
  • Korrigiere ich das Sprechen der Kinder, indem ich Modelliertechniken einsetze?
  • Stelle ich Fragen zu unvollständigen Äußerungen und bringe ich sie – falls erforderlich – in die grammatikalisch richtige Form?
  • Ermuntere ich die Kinder zu Rollenspielen und beteilige ich mich an Spielsituationen
  • Bringe ich genügend Ideen mit in den Alltag?
  • Setze ich anregende methodische Möglichkeiten ein (Erzählkoffer)?
  • Achte ich bewusst darauf, was Kinder mir mitteilen wollen?
  • Schreibe ich möglichst oft ihre Erzählungen und Berichte für sie auf?
  • Bin ich in meinem sprachlichen Handeln authentisch?
  • Rege ich die Kinder an, angemessen über ihre Konflikte zu sprechen?

AUSBLICK

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümelin 2012)

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. Der einzelne Mensch sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Damit wir empathisch miteinander umgehen, braucht es die Überzeugung, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen.

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Kommunikative Kompetenz ist mehr als das Verwenden von Wörtern und das richtige Aussprechen von Sätzen.

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Vortrag beim XIV. Kongress für Erziehung und Bildung am 15.11.2013 in Göttingen*

Dr. phil. Karl Gebauer in Kooperation mit: Veronika Niewa und Iris Wittorf, Kita Pfalz-Grona-Breite, Göttingen

*Der Vortrag wurde in freier Form gehalten

Dr. phil. Karl Gebauer, Rektor i.R., ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Er ist Mitinitiator der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung. http://www.ibe-goettingen.de/kongresse.html Karl Gebauer bereitet gegenwärtig einen Kongress mit dem Thema: INKLUSION UND SPRACHE vor: http://www.beltzforum.de/kita/ , der am 23./24.Mai 2014 in Wolfsburg stattfindet. Aktuelle Bücher: Klug wird niemand von allein. Patmos Verlag; Gefühle erkennen- sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz Verlag. Weitere Informationen unter: www.gebauer-karl.de

Iris Wittorf, Erzieherin, Jg. 1968. Seit 1989- im Kindergarten Ernst Fahlbusch-Haus (Stadt Göttin- gen), seit 2005 in der Krippe Pfalz-Grona-Breite (Stadt Göttingen) und seit Herbst 2011 Beteiligung an der Qualifizierungsoffensive des Deutschen Jugendinstituts München: „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei.“

Veronika Niewa, Erzieherin, Jg. 1975. Seit 1998 Nachmittagskraft in der Kita Gartenstraße (Stadt Göttingen), seit 2011 Erzieherin in der Krippe Pfalz-Grona-Breite (Stadt Göttingen) und seit Herbst 2011 Beteiligung an der Qualifizierungsoffensive des Deutschen Jugendinstituts München: „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei.“

 

 

ZUSAMMENARBEIT VON KITAS UND GRUNDSCHULEN

I. Bilateraler Wissens- und Kompetenztransfer bei gegenseitiger Wertschätzung – Allgemeine Überlegungen

 

Bildungspläne sind auf dem Stand der aktuellen Forschung

Enorme Anstrengungen in den Bereichen der Säuglins-, Hirn-, Bindungs- und Schulforschung haben zu einem hohen Wissenszuwachs über frühkindliche Bildungsprozesse geführt. Erfreulicherweise haben diese Erkenntnisse bereits in den neuen Bildungsplänen der Länder ihren

Niederschlag gefunden.

Das Selbstbild von Erzieherinnen und Lehrern ist beschädigt

In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass in den Praxisfeldern der Elementarbildung (KITA und Schule) ein großer Nachholbedarf besteht. So ist in den letzten Jahren der Eindruck entstanden, die unzureichenden Bildungserfolge in KITA und Schule seien vornehmlich dem dort tätigen Personal anzulasten. Tatsächlich sind aber für das Versagen des deutschschen Bildungssystems viele Faktoren verantwortlich wie: Praxisferne Studiengänge, fehlende wissenschaftliche Begleitung, mangelhafte Kooperation zwischen Wissenschaftlern und Praktikern, unzureichende Rahmenbedingungen usw. Bei den Bemühungen um bessere Qualitätsstandards in den Einrichtungen ist es – möglicherweise unbewusst – zu einer Abwertung des professionellen Handelns von Erzieherinnen und Lehrkräften gekommen. Selbstbild und Motivation der Berufsgruppe ist dadurch eher beschädigt als gestärkt worden. Ihre – oft über viele Jahre gesammelten – Erfahrungen werden wenig geschätzt.

Gelingende Kooperation

Mit dem Begriff „Wissens- und Kompetenztransfer“ wird die Notwendigkeit umschrieben, nicht nur das „neue Wissen“ in die Praxis hineinzutragen, sondern auch die vorhandenen Kompetenzen aufzunehmen und beides miteinander in Beziehung zu setzen.

Es geht um die Frage, wie praktische Erfahrungen und theoretisches Wissen auf optimale Weise zusammengeführt werden können. Die hohen Anforderungen, die durch die neuen Bildungspläne an Erzieherinnen und Lehrkräfte gestellt werden, haben nicht nur positive Auswirkungen. In vielen Fällen haben sie – verstärkt durch hohe Erwartungen der Eltern – zu Überforderungssituationen (Stress) geführt.

Man muss bedenken, dass die neuen Vorgaben ohne Verbesserung der Rahmenbedingungen oder eine qualifizierte Fortbildung geleistet werden sollen. Beides muss noch entwickelt werden und dieses Projekt soll einen Beitrag zum Gelingen leisten.

Überforderung statt neuer Energien

Bei vielen Betroffenen haben die hohen Erwartungen eher zu dem Gefühl geführt, es nicht schaffen zu können. Ihr Blick hat sich verengt und es besteht die Gefahr, dass Vorgaben formal erfüllt werden, ohne dass eine inhaltliche Weiterentwicklung damit verbunden ist. Die optimale Umsetzung der neuen Bildungsinhalte erfordert hingegen offene Sichtweisen. Neue Energien müssen sich in und mit der konkreten Arbeit entwickeln. Das kann nicht gelingen, so lange diese Aufgaben als zusätzliche Belastung empfunden werden.

Emotionale Kompetenz

Die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Lehrkräfte soll vor dem Hintergrund neuer Bildungspläne und Rahmenrichtlinien bei der nachwachsenden Generation für Lernmotivation, Konzentration und Lernerfolge sorgen, obwohl sie selbst in ihrem professionellen Verhalten überfordert und stark verunsichert ist. Das kann nicht gut gehen. Emotionale Kompetenz setzt gegenseitige Wertschätzung voraus. Dazu gehört es auch, dass die Arbeitsbedingungen eine Beachtung der Emotionen ermöglichen.

Gegenseitige Wertschätzung

Erfolge im Bildungswesen werden sich einstellen, wenn es zu einer gegenseitigen Wertschätzung der agierenden Personengruppen kommt. Das gilt in besonderer Weise für alle Übergangssituationen. Eine solche Situation stellt der Übergang vom Kindergarten zur Schule dar. Soll der Wissenstransfer gelingen, so sind die emotionalen Befindlichkeiten der verschiedenen Gruppen an dieser wichtigen Bildungsnahtstelle zu beachten.

Was beschäftig Kinder, wenn sie an den Übergang vom Kindergarten zur Schule denken? Was fühlen sie, wenn sie daran denken, dass Sie nun bald ihre vertraute Gruppe und die ihnen vertrauten Erzieherinnen verlassen werden, verlassen müssen – denn wer wollte in diesem Alter kein Schulkind werden.

Wie geht es Eltern, wenn ihnen bewusst wird, dass ihr Kind zur Schule kommt?

Wie geht es den Erzieherinnen, die täglich viele Stunden – und das über einen Zeitraum von drei Jahren – intensiv mit den Kindern zusammengelebt und in dieser Zeit ein sehr enges Beziehungsgefüge aufgebaut haben?

Wie geht es den künftigen Lehrerinnen und Lehrern, die sich schon lange vor der Einschulung gedanklich mit Kindern befasst haben, die sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht kennen.

In diesen Fragen schwingen die entscheidenden emotionalen und sozialen Erlebnisse mit, die bei der Diskussion eines gelingenden Übergangs vom Kindergarten zur Schule oft in den Hintergrund rücken. Stattdessen treten die Erwartungen der Gesellschaft in Form von Plänen in den Vordergrund, die zwar in ihrem Leitmotiv alle Aspekte enthalten, die zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung erforderlich sind, aber immer noch den Gedanken nahe legen, man könne und müsse die Entwicklung eines Menschen bis ins Detail dokumentieren. Auch langfristige Veränderungsprozesse in den Lebensbedingungen der Eltern und ihrer Kinder mit ihrer kognitiven-emotionalen und praktischen Dimensionen, wie Fragen im Zusammenhang mit der Globalisierung, rücken oft zu sehr in den Hintergrund.

Voraussetzungen für Zukunft schaffen

Zukunft werden unsere Kinder nur dann gewinnen, wenn wir ihnen eine angemessene Resonanz auf ihren Wissensdurst geben. Es geht um die Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Kinder müssen die Erfahrung machen, dass die Aufgaben, vor denen sie stehen, lösbar sind. Erzieherinnen und Lehrkräfte müssen ihnen bei ihrem Bemühen eine angemessene Resonanz geben, sie anregen, ihr Tun mit Interesse begleiten und ihr Bemühen wertschätzen. Damit sind emotional-soziale Kompetenzen angesprochen.

Die Atmosphäre ist wichtig

Eine entscheidende Voraussetzung für gelingendes Lernen ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Freude am Lernen und eine hohe Lernmotivation stellen sich dann ein, wenn Kinder ihre Lernprozesse vorwiegend selbst gestalten können. Dies ist eine zentrale Erkenntnis der modernen Hirnforschung. Nur über eigene Aktivitäten, das Erfahren der Urheber von Lernerfolgen zu sein, bildet sich ein differenziertes Gehirn aus. Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Das gilt von Geburt an und setzt sich durch die gesamte Kindheit und Jugend fort. Und diese Prozesse sind abhängig von den emotionalen und sozialen Bezügen eines Kindes.

So entwickelt sich das Motivationssystem

Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann werden die beim Lernen und Experimentieren erfahrene Freude und Begeisterung in ihrem Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendet und konzentriert lernen kann. Bildung in diesem Sinne ist die wichtigste Ressource für individuelle Bildungserfolge und für die Lösung der sich abzeichnenden globalen Probleme. Ein Interesse der erwachsenen Personen an den Lernbemühungen der Kinder ist entscheidender als die permanente Dokumentation von sichtbaren Lernerfolgen.

Damit diese Prozesse gelingen können, müssen auch für die in Kindergärten und Schulen tätigen Personen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sie zunächst eine psychosoziale Kompetenz entwickeln können.

Wenn allerdings verstärkt Druck auf Erzieherinnen und Lehrkräfte ausgeübt wird, den sie oft unbewusst auf die Kinder übertragen, schaltet sich das Stresssystem ein. Es kommt zu einem verstärkten Ausstoß des Neurotransmitters Cortisol. Dies führt in der Folge, so wird angenommen, zur Destabilisierung gespurter Nervenbahnen oder gar zu ihrer Auflösung. Auf diese Art wird die Quelle erfolgreichen und andauernden Lernens verschüttet. So enthalten die neuen Bildungspläne bei unsachgemäßer Handhabung durchaus auch Gefahren.

Die großen Ziele nicht aus den Augen verlieren

Bei Übergang vom Kindergarten zur Grundschule wird oft ein verengter Blick auf das Können der Kinder geworfen. Es gilt aber bei dem gesamten Prozess des Übergangs darauf zu achten, dass jedes Kind möglichst selbstbewusst und ohne Kränkungen über diese Brücke in die Welt der Schule gehen kann. Insofern sind Gespräche der beteiligten Personen von großer Bedeutung. Auch wenn es unterschiedliche Auffassung hinsichtlich einzelner Fragen gibt, so sollten sich alle Beteiligten um eine gegenseitige Wertschätzung bemühen.

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Kinder werden nur dann in der Lage sein, die künftigen Anforderungen im sozialen, emotionalen und kognitiven Bereich zu erfüllen, wenn sie die Chance zur Ausbildung einer stabilen Persönlichkeit erhalten. So ist es auch unter Punkt 2. “Grundwerte in der demokratischen Gesellschaft“ im Niedersächsischen Bildungsplan formuliert. In der Regel werden sich die Kinder dann konzentrieren und auch zielstrebig Lesen, Schreiben und Rechnen lernen können.

Übergang in Zeiten der Globalisierung

Welche Probleme werden die heute sechsjährigen Kinder einmal zu bewältigen haben? Werden die vorgelegten Bildungspläne den sich abzeichnenden globalen Entwicklungen gerecht? Denken wir einmal 13 Jahre weiter. Nach dem jüngsten Bericht der UN zur Veränderung des Klimas ist zu befürchten, dass im Jahr 2020 in Afrika bis zu 250 Millionen Menschen unter Hunger und Wassermangel leiden werden. In Asien werden wegen heftiger Überflutungen Menschen obdachlos. Kriegerische Auseinandersetzungen um die immer geringer werdenden Ressourcen sind zu befürchten. In Europa wird es ebenfalls zu Überflutungen und zu Waldbränden kommen. Insgesamt wird ein rasantes Artensterben einsetzen.

Die mit diesen Veränderungen einhergehenden Fragen richten sich zunächst an die Kompetenz der Erwachsenen. Diese Entwicklung wird nur aufzuhalten oder abzuschwächen sein, wenn heute entscheidende Weichenstellungen erfolgen. Es wird elementar sichtbar, dass es zur Bewältigung einer umfassenden Bildung und Handlungskompetenz bedarf.

Gefragt sind Personen, mit einer umfassenden psycho-sozialen Kompetenz. Es geht um den verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen dabei in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Bildung ist als umfassende psychosoziale und kognitive Kompetenz anzusehen. Sie ist die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs und damit die wichtigste Ressource zur Lösung globaler Probleme. Dabei ist die Fähigkeit, miteinander zu kooperieren eine der wichtigsten Voraussetzungen. Und genau diese Fähigkeit kommt in der aktuellen Debatte über Erziehung und Bildung zu kurz. Angesichts des Klimawandels gilt es vor allem das Angewiesensein aufeinander – weltweit – in unseren Horizont aufnehmen. Das geht nur über eine emotional-soziale Kompetenz.

Kronberger Erklärung

So stellt im Juni 2007 eine UNESCO Kommission in der „Kronberger Erklärung“ fest, dass es in den Bildungseinrichtungen zu gravierenden Änderungen kommen müsse. Sie müssten sich in der Zukunft viel stärker den emotionalen und sozialen Fähigkeiten des Einzelnen widmen und ein umfassenderes, wertorientiertes Bildungskonzept vermitteln. Die Bedeutung des Erwerbs von Faktenwissen werde erheblich abnehmen zugunsten der Fähigkeit, sich in komplexen Systemen zu orientieren sowie relevante Information zu finden, zu bewerten und kreativ zu nutzen. Dem Lernenden werde im Lernprozess und auch bei der Erstellung von Inhalten eine viel aktivere und eigenverantwortlichere Rolle zukommen. Lehrende werden in Zukunft als Manager von Lernprozessen und Tutoren agieren, betonen die Experten in der Kronberger Erklärung (siehe Anhang).

Verschiedenartigkeit anerkennen und berücksichtigen

Die Verschiedenartigkeit ist das bestimmende Merkmal in einer globalen Welt. Ihre Akzeptanz und ein angemessene Umgang mit ihr sind die Voraussetzungen für eine weltweite Kooperationsfähigkeit. Es geht um gegenseitige Rücksichtnahme, um Zunahme von Kooperationsbereitschaft, um Abbau von Vorurteilen, um

Verantwortung für sich und andere. Es lohnt sich also auch vor diesem Hintergrund über die Förderung von Kreativität und Kooperation nachzudenken.

Die große Bedeutung der limbofrontalen Bahnung

Neue Erkenntnisse der Hirnforschung beziehen sich u.a. auf das Zusammenspiel von Fühlen und Denken. Es sind die neuronalen Verschaltungen zwischen dem limbischen System und dem frontalen Kortex, die aufgrund von konkreten Erfahrungen gebahnt werden. Hier entwickeln sich Fähigkeiten wie Interesse, Aufmerksamkeit, Leistungsbereitschaft und Mitgefühl. Genau diese Fähigkeiten brauchen Kinder mehr als alles andere, wenn sie sich später in der Schule und im Leben zurechtfinden wollen, wenn sie lernbereit, wissensdurstig und neugierig bleiben und mit anderen gemeinsam nach brauchbaren Lösungen suchen wollen. Hier liegt die Quelle der Kreativität, die für die Gestaltung der Zukunft von elementarer Bedeutung sein wird. Um die Zukunft nicht zu verlieren, ist Kompetenz angesagt, verbunden mit Menschlichkeit und möglichst unter Vermeidung von Egoismus und Druck. Denn Druck macht dumm, schadet dem Einzelnen und der Gesellschaft.

Wir erwähnen diese Zusammenhänge, weil gerade am Übergang vom Kindergarten zur Grundschule oft sehr viele und auch sehr einseitig wissensorientierte Erwartungen formuliert werden. Aber sind das die wirklich entscheidenden Aspekte? Wenn nicht, so besteht die Gefahr, dass die Kinder, ihre Eltern, die Erzieherinnen und Lehrer wegen der zu erfüllenden Aufgaben so unter Druck geraten, dass das große Bildungsziel einer psycho-sozialen Kompetenz auf der Strecke bleiben könnte.

Erfolgserlebnisse und Motivation

In den kleinen Dingen des Alltags, z.B. beim Erlesen eines Wortes, entsteht ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück darüber, dass man dieses Problem lösen konnte. Das sollte gewürdigt werden, ebenso, wenn Zahlen addiert und dividiert werden können. Diese Erfahrung trägt zur Sicherheit bei, auch künftig kleinere und größere Probleme lösen zu können. Damit die Quellen des Lernens sprudeln können, sind die individuellen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Dies setzt – gerade zu Beginn der Schulzeit – ein differenziertes Unterrichtsangebot voraus. Voraussetzung dafür ist wiederum eine Grundhaltung, die berücksichtigt, dass Kinder unterschiedlich schnell lernen.

II. Praktische Vorgehensweise

In Vorträgen und Workshops für Erzieherinnen, Lehrkräfte und Eltern sollen die vorhandenen Kompetenzen und Sichtweisen zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Inhalten des Bildungsplanes in eine Beziehung gesetzt werden. Der Plan enthält viele wertvolle Hinweise zur Reflexion und Bildungsbegleitung der Kinder, aber er hält sich sehr bedeckt hinsichtlich der agierenden Erwachsenengruppen. Das vorgelegte Angebot soll genau hier eine Hilfestellung bieten.

Es wird also darauf ankommen, dass Erzieherinnen und Lehrkräfte solche Kooperationstreffen nicht nur als zusätzliche Belastung erleben, sondern als Veranstaltungen, bei denen es auch immer etwas Neues zu entdecken gibt und dass sie es sind, die Neues schaffen.

Erhalt und Wertschätzung eigener Kompetenzen

Es geht darum, sich des eigenen Könnens bewusst zu werden, die vielen hilfreichen Routinen nicht unbesehen über Bord zu werfen, sondern zu neuen Erkenntnissen in eine Beziehung zu setzen. Jede Einrichtung verfügt bereits über gelingende Formen des Übergangs von der Kita in die Schule. Sie gilt es zu erinnern. Gemeint sind die Elternabende im Zusammenhang mit dem Übergang, der Ranzen, die Zuckertüte, die schulärztliche Untersuchung, das Abschiedsfest im Kindergarten, der erste Schultag, eventuell verbunden mit einem Gottesdienst, das Ritual der Begrüßungsfeierlichkeiten. Und dann der gemeinsame Gang in den hoffentlich schön gestalteten Klassenraum.

Es gibt tausend Möglichkeiten diese konkreten Schritte zu gehen. Und alle sind abhängig vom Engagement und den Emotionen der beteiligten Personen.

In Vortragsveranstaltungen werden die zentralen Erkenntnisse aus den o.g. Wissenschaftsbereichen dargestellt. Diese werden in einen Bezug gebracht zu den konkreten Erlebnissen und Vorhaben der Eltern, Erzieherinnen und der Lehrkräfte.

In Workshopgruppen wird der angesprochene Wissens- und Kompetenztransfer erarbeitet. So sollte auch über belastende Ereignisse gesprochen werden. Debatten, die sich lediglich auf die Regelung notwendiger organisatorischer Maßnahmen beziehen sind notwendig, aber sie dürfen die Zeit, die für grundlegende Bildungsfragen und die Erweiterung der professionellen Erziehungskompetenz benötigt wird, nicht übermäßig beanspruchen.

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Schäfer, G. E. (2003): Die Bedeutung emotionaler und kognitiver Dimensionen bei frühkindlichen Bildungsprozessen. In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle, S. 77 ff.

Spitzer, M. (2003): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum, Heidelberg.

Dr. phil. Karl Gebauer, ehemaliger Schulleiter, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Zuletzt sind von ihm erschienen: „Mobbing in der Schule“ (2005); „Klug wird niemand von allein.“ (2007) und Gefühle erkennen, sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. (2011) Karl Gebauer ist Mitinitiator und Leiter der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung.

Anhang: Bildungssektor steht vor dramatischen Veränderungen

 

UNESCO sieht Bildungseinrichtungen weltweit vor grundlegenden Veränderungen

Am 31. Juli haben die UNESCO und die Deutsche UNESCO-Kommission die Kronberger Erklärung“ zur Zukunft der Bildung veröffentlicht.

Die Erklärung ist das Ergebnis der Tagung einer Expertenkommission der UNESCO, die am 22. und 23. Juni 2007 in Kronberg im Taunus stattfand. Die 18 internationalen Expertinnen und Experten aus 13 Ländern waren sich darin einig, dass der Bildungssektor vor dramatischen Veränderungen steht. Diese werden vor allem von der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien vorangetrieben. Lernformen, die Rolle der Lehrer, der institutionelle Rahmen und die Bewertung von Kompetenzen werden sich so die Kronberger Erklärung in den nächsten Jahrzehnten grundlegend wandeln.

Die Kronberger Erklärung ist abrufbar unter www.unesco.de/kronberg_declaration.html

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen UNESCO-Kommission vom 31.7.2007