„Ich glaube an Dinosaurier, aber es gibt sie nicht mehr. Ich glaube, der lange Hals war bis zur Decke hoch, Ich glaube, der war tausenddreihundert Meter hoch, vielleicht auch sechzehntausend Meter – könnte stimmen.“
Ein Dialog zwischen Kindern, der einen Hinweis gibt auf die Faszination die Großes und Mächtiges auf sie ausübt. Gleichzeitig zeigt sich, dass Kinder schon in einem sehr jungen Alter Hypothesen darüber bilden, wie die Welt und das Leben auf der Welt einmal gewesen sein könnte.
Zahlreiche Forschungsergebnisse und Publikationen der letzen Jahrzehnte heben die große Bedeutung der Frühen Bildung hervor. Der Film „Frühe Bildung / Montessori“ erinnert auf eindrucksvolle Weise an eine Forscherin, die bereits um 1900 die große Bedeutung der eignen Potenziale der Kinder für ihren Bildungsweg entdeckt und beschrieben hat. Ihr Engagement hat entscheidend zu einer veränderten Sichtweise auf die Fähigkeiten der Kinder beigetragen. Maria Montessori hat eine Pädagogik entwickelt, die dem Kind seine Subjektivität zurückgibt.
In 13 Kapiteln wird in einer gelungenen Komposition von kindlichen Aktivitäten, theoretischen Darstellungen und klanglichen Untermalungen deutlich, wie Kinder sich und ihre Welt entdecken und wie sie es schaffen, sich darin zu orientieren und zu handeln.
Thematisch geht es um: Angebote für Neugeborene, Übungen des täglichen Lebens, Aktivitäten in der Krippe und im Kinderhaus, Polarisation der Aufmerksamkeit, Soziale Interaktionen, Sensible Phasen, die Bedeutung einer vorbereitete Umgebung und die große Bedeutung der Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Die Überleitungen zu den einzelnen Kapiteln sind filmische und klangliche Kleinode. Es tauchen plötzlich Buntstifte und dicke Malkreiden wie von Zauberhand auf. Der Betrachter sieht, wie Kinder sich recken und strecken, gähnen, zufrieden und zart lächeln. Kindergesichter werden auf freundliche Art gezeigt und verändert. Sie zaubern unwillkürlich ein Lächeln in das Gesicht der Betrachter.
Eine Walze dreht sich und die Klänge einer Drehorgel entführen den Zuschauer in die Welt Maria Montessoris. Es folgen eindrucksstarke Bilder und Filmausschnitte über Leben und Werk dieser Forscherin.
1897 tritt sie eine Assistentenstelle in der Psychiatrischen Klinik in Rom an. Ihre Aufgabe: Kinder in so genannten Irrenanstalten zu beobachten. Diese Erlebnisse bringen sie von der Medizin zur Pädagogik. Portrais von Maria Montessori, Bidler aus der Anstalt und die Klänge der Drehorgel wechseln einander ab. Zu sehen sind Kinder, die ohne Zukunftsperspektive und ohne geistige Anregung ihr Dasein fristen.
Unvermittelt sieht der Betrachter, wie Kinder sich eine eigene Anregungswelt schaffen: Kinderhände formen aus Brotkrumen Figuren. Diese Bilder bleiben hängen.
1907 eröffnet Maria Montessori das erste Kinderhaus „Casa dei Bambini“ und
entwickelt eine Methode des Arbeitens, bei dem sich die Kinder das Lesen und Schreiben selbst beibringen und das schon weit vor dem Schulalter. Ihre Schrift: „Die Methode der wissenschaftlichen Pädagogik“ findet weltweite Beachtung. Maria Montessori unternimmt Weltreisen, ihre Pädagogik wirkt international und interkulturell. Die Eigenaktivität des Kindes von Geburt an ist und bleibt ihr zentrales Thema.
Tanja Pütz, die zusammen mit Sönke Held die Idee zum Film entwickelt und schließlich auch realisiert hat, stellt fest: „Es ist ein Ansatz, der in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen funktioniert.“ Es sei ein offener Ansatz, man dürfe ihn nicht dogmatisch lesen. Die Pädagogik Maria Montessoris sei anschlussfähig an unsere Zeit. Im nächsten Augenblick sehen wir Kinder aus der heutigen Zeit. Vor allem aber kommen Wissenschafterinnen und Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen zu Wort. Sie alle bestätigen und würdigen die große Entdeckerleistung Maria Montessoris und zeigen auf, dass ihre Erkenntnis auch heute noch ihre Gültigkeit haben. Auf ruhige Art erklären Leiterinnen von Montessorieinrichtungen das zentrale Anliegen der Pädagogik, die den Namen ihrer Entdeckerin trägt.
Wir sehen Kinder bei unterschiedlichen Aktivitäten, wie sie Wasser von einem Gefäß in einen Becher gießen, sehen wie sie Papierstreifen flechten und sich an Fingerspielen erfreuen. Wir sehen, wie ein Kind mit äußerster Konzentration versucht, einen Faden durch ein Nadelöhr zu stecken. Der Neurobiologe Professor Spitzer erläutert, es brauche diese konkreten Erfahrungen mit der Außenwelt. damit sich das Gehirn ausdifferenzieren könne. Das Training der Motorik, die Fingerspiele seien wichtig für dass Training der komplexeren inneren Verarbeitung.
Montessoris Maxime: „Hilf mir es selbst zu tun“, wird in allen filmischen Einstellungen sichtbar. Wie schön, wenn möglichst viele Eltern diesen Grundsatz verstehen und beachten würden.
Allen, die Kinder bei ihrer Entwicklung begleiten, kann der Film Wesentliches deutlich machen. Sie könnten erfahren, wie grundlegende Lernprozesse verlaufen. Lehrerinnen würden auf diese Weise früh darauf aufmerksam, dass es sich lohnt, bei den Frühpädagoginnen einmal zu hospitieren, um zu erfahren, wie Lernprozesse tatsächlich verlaufen. Die Frage, was Kinder alles können müssen, wenn sie erfolgreich den Übergang in die Schule schaffen wollen, würde sich so nicht mehr stellen. Grundschulpädagoginnen müssten vielmehr fragen, wie sie der großen Entdeckerfreude und dem Lernbedürfnis der Kinder gerecht werden können. Differenzierte Unterrichtsangebote wären die logische Folge.
Ich wünsche mir, dass viele Eltern den Film sehen. Er könnte sie aufmerksam machen auf die Potenziale ihrer Kinder und ihnen die Angst nehmen, sie könnten etwas versäumen, wenn die Kita ihrer Wahl auf spezielle Förderprogramme verzichtet.
Die Faszination des Films ergibt sich aus seiner Gesamtkomposition. Es ist die gelungene Mischung von Informationen über die Forscherin Maria Montessori, über ihr konkretes Wirken als junge Assistenzärztin bis hin zu ihrem internationalen Engagement und der weltweiten Bedeutung ihrer Pädagogik. In einer lockeren Kombination von Bildern, Musik und den Aussagen von Wissenschaftlern, Tagesstättenleiterinnen, einem Fotografen und vielen Kindern ist ein Panorama entstanden, dessen Spannungsbogen das Interesse des Zuschauers vom ersten Wort des Films bis zum letzten Satz wach hält.
Sönke Held ist Filmproduzent und -regisseur mit Schwerpunkt Wissenschaft, Musikfilm und Künstlerporträt.
Dr. Tanja Pütz, Professorin, lehrt „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ an der Fachhochschule Kiel, Schwerpunkt Reformpädagogik; Theoriedozentin in Montessori-Ausbildungskursen.
Äußere Daten:
Format: DVD
Idee und Realisation: Sönke Held und Tanja Pütz
Dauer: 75 Min.
Preis: 29.95 €
Regie, Kamera & Schnitt: Sönke Held
Texte und Interviews: Tanja Pütz
Verlag: Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014