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ZUSAMMENARBEIT VON KITAS UND GRUNDSCHULEN

I. Bilateraler Wissens- und Kompetenztransfer bei gegenseitiger Wertschätzung – Allgemeine Überlegungen

 

Bildungspläne sind auf dem Stand der aktuellen Forschung

Enorme Anstrengungen in den Bereichen der Säuglins-, Hirn-, Bindungs- und Schulforschung haben zu einem hohen Wissenszuwachs über frühkindliche Bildungsprozesse geführt. Erfreulicherweise haben diese Erkenntnisse bereits in den neuen Bildungsplänen der Länder ihren

Niederschlag gefunden.

Das Selbstbild von Erzieherinnen und Lehrern ist beschädigt

In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass in den Praxisfeldern der Elementarbildung (KITA und Schule) ein großer Nachholbedarf besteht. So ist in den letzten Jahren der Eindruck entstanden, die unzureichenden Bildungserfolge in KITA und Schule seien vornehmlich dem dort tätigen Personal anzulasten. Tatsächlich sind aber für das Versagen des deutschschen Bildungssystems viele Faktoren verantwortlich wie: Praxisferne Studiengänge, fehlende wissenschaftliche Begleitung, mangelhafte Kooperation zwischen Wissenschaftlern und Praktikern, unzureichende Rahmenbedingungen usw. Bei den Bemühungen um bessere Qualitätsstandards in den Einrichtungen ist es – möglicherweise unbewusst – zu einer Abwertung des professionellen Handelns von Erzieherinnen und Lehrkräften gekommen. Selbstbild und Motivation der Berufsgruppe ist dadurch eher beschädigt als gestärkt worden. Ihre – oft über viele Jahre gesammelten – Erfahrungen werden wenig geschätzt.

Gelingende Kooperation

Mit dem Begriff „Wissens- und Kompetenztransfer“ wird die Notwendigkeit umschrieben, nicht nur das „neue Wissen“ in die Praxis hineinzutragen, sondern auch die vorhandenen Kompetenzen aufzunehmen und beides miteinander in Beziehung zu setzen.

Es geht um die Frage, wie praktische Erfahrungen und theoretisches Wissen auf optimale Weise zusammengeführt werden können. Die hohen Anforderungen, die durch die neuen Bildungspläne an Erzieherinnen und Lehrkräfte gestellt werden, haben nicht nur positive Auswirkungen. In vielen Fällen haben sie – verstärkt durch hohe Erwartungen der Eltern – zu Überforderungssituationen (Stress) geführt.

Man muss bedenken, dass die neuen Vorgaben ohne Verbesserung der Rahmenbedingungen oder eine qualifizierte Fortbildung geleistet werden sollen. Beides muss noch entwickelt werden und dieses Projekt soll einen Beitrag zum Gelingen leisten.

Überforderung statt neuer Energien

Bei vielen Betroffenen haben die hohen Erwartungen eher zu dem Gefühl geführt, es nicht schaffen zu können. Ihr Blick hat sich verengt und es besteht die Gefahr, dass Vorgaben formal erfüllt werden, ohne dass eine inhaltliche Weiterentwicklung damit verbunden ist. Die optimale Umsetzung der neuen Bildungsinhalte erfordert hingegen offene Sichtweisen. Neue Energien müssen sich in und mit der konkreten Arbeit entwickeln. Das kann nicht gelingen, so lange diese Aufgaben als zusätzliche Belastung empfunden werden.

Emotionale Kompetenz

Die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Lehrkräfte soll vor dem Hintergrund neuer Bildungspläne und Rahmenrichtlinien bei der nachwachsenden Generation für Lernmotivation, Konzentration und Lernerfolge sorgen, obwohl sie selbst in ihrem professionellen Verhalten überfordert und stark verunsichert ist. Das kann nicht gut gehen. Emotionale Kompetenz setzt gegenseitige Wertschätzung voraus. Dazu gehört es auch, dass die Arbeitsbedingungen eine Beachtung der Emotionen ermöglichen.

Gegenseitige Wertschätzung

Erfolge im Bildungswesen werden sich einstellen, wenn es zu einer gegenseitigen Wertschätzung der agierenden Personengruppen kommt. Das gilt in besonderer Weise für alle Übergangssituationen. Eine solche Situation stellt der Übergang vom Kindergarten zur Schule dar. Soll der Wissenstransfer gelingen, so sind die emotionalen Befindlichkeiten der verschiedenen Gruppen an dieser wichtigen Bildungsnahtstelle zu beachten.

Was beschäftig Kinder, wenn sie an den Übergang vom Kindergarten zur Schule denken? Was fühlen sie, wenn sie daran denken, dass Sie nun bald ihre vertraute Gruppe und die ihnen vertrauten Erzieherinnen verlassen werden, verlassen müssen – denn wer wollte in diesem Alter kein Schulkind werden.

Wie geht es Eltern, wenn ihnen bewusst wird, dass ihr Kind zur Schule kommt?

Wie geht es den Erzieherinnen, die täglich viele Stunden – und das über einen Zeitraum von drei Jahren – intensiv mit den Kindern zusammengelebt und in dieser Zeit ein sehr enges Beziehungsgefüge aufgebaut haben?

Wie geht es den künftigen Lehrerinnen und Lehrern, die sich schon lange vor der Einschulung gedanklich mit Kindern befasst haben, die sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht kennen.

In diesen Fragen schwingen die entscheidenden emotionalen und sozialen Erlebnisse mit, die bei der Diskussion eines gelingenden Übergangs vom Kindergarten zur Schule oft in den Hintergrund rücken. Stattdessen treten die Erwartungen der Gesellschaft in Form von Plänen in den Vordergrund, die zwar in ihrem Leitmotiv alle Aspekte enthalten, die zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung erforderlich sind, aber immer noch den Gedanken nahe legen, man könne und müsse die Entwicklung eines Menschen bis ins Detail dokumentieren. Auch langfristige Veränderungsprozesse in den Lebensbedingungen der Eltern und ihrer Kinder mit ihrer kognitiven-emotionalen und praktischen Dimensionen, wie Fragen im Zusammenhang mit der Globalisierung, rücken oft zu sehr in den Hintergrund.

Voraussetzungen für Zukunft schaffen

Zukunft werden unsere Kinder nur dann gewinnen, wenn wir ihnen eine angemessene Resonanz auf ihren Wissensdurst geben. Es geht um die Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Kinder müssen die Erfahrung machen, dass die Aufgaben, vor denen sie stehen, lösbar sind. Erzieherinnen und Lehrkräfte müssen ihnen bei ihrem Bemühen eine angemessene Resonanz geben, sie anregen, ihr Tun mit Interesse begleiten und ihr Bemühen wertschätzen. Damit sind emotional-soziale Kompetenzen angesprochen.

Die Atmosphäre ist wichtig

Eine entscheidende Voraussetzung für gelingendes Lernen ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Freude am Lernen und eine hohe Lernmotivation stellen sich dann ein, wenn Kinder ihre Lernprozesse vorwiegend selbst gestalten können. Dies ist eine zentrale Erkenntnis der modernen Hirnforschung. Nur über eigene Aktivitäten, das Erfahren der Urheber von Lernerfolgen zu sein, bildet sich ein differenziertes Gehirn aus. Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Das gilt von Geburt an und setzt sich durch die gesamte Kindheit und Jugend fort. Und diese Prozesse sind abhängig von den emotionalen und sozialen Bezügen eines Kindes.

So entwickelt sich das Motivationssystem

Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann werden die beim Lernen und Experimentieren erfahrene Freude und Begeisterung in ihrem Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendet und konzentriert lernen kann. Bildung in diesem Sinne ist die wichtigste Ressource für individuelle Bildungserfolge und für die Lösung der sich abzeichnenden globalen Probleme. Ein Interesse der erwachsenen Personen an den Lernbemühungen der Kinder ist entscheidender als die permanente Dokumentation von sichtbaren Lernerfolgen.

Damit diese Prozesse gelingen können, müssen auch für die in Kindergärten und Schulen tätigen Personen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sie zunächst eine psychosoziale Kompetenz entwickeln können.

Wenn allerdings verstärkt Druck auf Erzieherinnen und Lehrkräfte ausgeübt wird, den sie oft unbewusst auf die Kinder übertragen, schaltet sich das Stresssystem ein. Es kommt zu einem verstärkten Ausstoß des Neurotransmitters Cortisol. Dies führt in der Folge, so wird angenommen, zur Destabilisierung gespurter Nervenbahnen oder gar zu ihrer Auflösung. Auf diese Art wird die Quelle erfolgreichen und andauernden Lernens verschüttet. So enthalten die neuen Bildungspläne bei unsachgemäßer Handhabung durchaus auch Gefahren.

Die großen Ziele nicht aus den Augen verlieren

Bei Übergang vom Kindergarten zur Grundschule wird oft ein verengter Blick auf das Können der Kinder geworfen. Es gilt aber bei dem gesamten Prozess des Übergangs darauf zu achten, dass jedes Kind möglichst selbstbewusst und ohne Kränkungen über diese Brücke in die Welt der Schule gehen kann. Insofern sind Gespräche der beteiligten Personen von großer Bedeutung. Auch wenn es unterschiedliche Auffassung hinsichtlich einzelner Fragen gibt, so sollten sich alle Beteiligten um eine gegenseitige Wertschätzung bemühen.

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Kinder werden nur dann in der Lage sein, die künftigen Anforderungen im sozialen, emotionalen und kognitiven Bereich zu erfüllen, wenn sie die Chance zur Ausbildung einer stabilen Persönlichkeit erhalten. So ist es auch unter Punkt 2. “Grundwerte in der demokratischen Gesellschaft“ im Niedersächsischen Bildungsplan formuliert. In der Regel werden sich die Kinder dann konzentrieren und auch zielstrebig Lesen, Schreiben und Rechnen lernen können.

Übergang in Zeiten der Globalisierung

Welche Probleme werden die heute sechsjährigen Kinder einmal zu bewältigen haben? Werden die vorgelegten Bildungspläne den sich abzeichnenden globalen Entwicklungen gerecht? Denken wir einmal 13 Jahre weiter. Nach dem jüngsten Bericht der UN zur Veränderung des Klimas ist zu befürchten, dass im Jahr 2020 in Afrika bis zu 250 Millionen Menschen unter Hunger und Wassermangel leiden werden. In Asien werden wegen heftiger Überflutungen Menschen obdachlos. Kriegerische Auseinandersetzungen um die immer geringer werdenden Ressourcen sind zu befürchten. In Europa wird es ebenfalls zu Überflutungen und zu Waldbränden kommen. Insgesamt wird ein rasantes Artensterben einsetzen.

Die mit diesen Veränderungen einhergehenden Fragen richten sich zunächst an die Kompetenz der Erwachsenen. Diese Entwicklung wird nur aufzuhalten oder abzuschwächen sein, wenn heute entscheidende Weichenstellungen erfolgen. Es wird elementar sichtbar, dass es zur Bewältigung einer umfassenden Bildung und Handlungskompetenz bedarf.

Gefragt sind Personen, mit einer umfassenden psycho-sozialen Kompetenz. Es geht um den verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen dabei in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Bildung ist als umfassende psychosoziale und kognitive Kompetenz anzusehen. Sie ist die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs und damit die wichtigste Ressource zur Lösung globaler Probleme. Dabei ist die Fähigkeit, miteinander zu kooperieren eine der wichtigsten Voraussetzungen. Und genau diese Fähigkeit kommt in der aktuellen Debatte über Erziehung und Bildung zu kurz. Angesichts des Klimawandels gilt es vor allem das Angewiesensein aufeinander – weltweit – in unseren Horizont aufnehmen. Das geht nur über eine emotional-soziale Kompetenz.

Kronberger Erklärung

So stellt im Juni 2007 eine UNESCO Kommission in der „Kronberger Erklärung“ fest, dass es in den Bildungseinrichtungen zu gravierenden Änderungen kommen müsse. Sie müssten sich in der Zukunft viel stärker den emotionalen und sozialen Fähigkeiten des Einzelnen widmen und ein umfassenderes, wertorientiertes Bildungskonzept vermitteln. Die Bedeutung des Erwerbs von Faktenwissen werde erheblich abnehmen zugunsten der Fähigkeit, sich in komplexen Systemen zu orientieren sowie relevante Information zu finden, zu bewerten und kreativ zu nutzen. Dem Lernenden werde im Lernprozess und auch bei der Erstellung von Inhalten eine viel aktivere und eigenverantwortlichere Rolle zukommen. Lehrende werden in Zukunft als Manager von Lernprozessen und Tutoren agieren, betonen die Experten in der Kronberger Erklärung (siehe Anhang).

Verschiedenartigkeit anerkennen und berücksichtigen

Die Verschiedenartigkeit ist das bestimmende Merkmal in einer globalen Welt. Ihre Akzeptanz und ein angemessene Umgang mit ihr sind die Voraussetzungen für eine weltweite Kooperationsfähigkeit. Es geht um gegenseitige Rücksichtnahme, um Zunahme von Kooperationsbereitschaft, um Abbau von Vorurteilen, um

Verantwortung für sich und andere. Es lohnt sich also auch vor diesem Hintergrund über die Förderung von Kreativität und Kooperation nachzudenken.

Die große Bedeutung der limbofrontalen Bahnung

Neue Erkenntnisse der Hirnforschung beziehen sich u.a. auf das Zusammenspiel von Fühlen und Denken. Es sind die neuronalen Verschaltungen zwischen dem limbischen System und dem frontalen Kortex, die aufgrund von konkreten Erfahrungen gebahnt werden. Hier entwickeln sich Fähigkeiten wie Interesse, Aufmerksamkeit, Leistungsbereitschaft und Mitgefühl. Genau diese Fähigkeiten brauchen Kinder mehr als alles andere, wenn sie sich später in der Schule und im Leben zurechtfinden wollen, wenn sie lernbereit, wissensdurstig und neugierig bleiben und mit anderen gemeinsam nach brauchbaren Lösungen suchen wollen. Hier liegt die Quelle der Kreativität, die für die Gestaltung der Zukunft von elementarer Bedeutung sein wird. Um die Zukunft nicht zu verlieren, ist Kompetenz angesagt, verbunden mit Menschlichkeit und möglichst unter Vermeidung von Egoismus und Druck. Denn Druck macht dumm, schadet dem Einzelnen und der Gesellschaft.

Wir erwähnen diese Zusammenhänge, weil gerade am Übergang vom Kindergarten zur Grundschule oft sehr viele und auch sehr einseitig wissensorientierte Erwartungen formuliert werden. Aber sind das die wirklich entscheidenden Aspekte? Wenn nicht, so besteht die Gefahr, dass die Kinder, ihre Eltern, die Erzieherinnen und Lehrer wegen der zu erfüllenden Aufgaben so unter Druck geraten, dass das große Bildungsziel einer psycho-sozialen Kompetenz auf der Strecke bleiben könnte.

Erfolgserlebnisse und Motivation

In den kleinen Dingen des Alltags, z.B. beim Erlesen eines Wortes, entsteht ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück darüber, dass man dieses Problem lösen konnte. Das sollte gewürdigt werden, ebenso, wenn Zahlen addiert und dividiert werden können. Diese Erfahrung trägt zur Sicherheit bei, auch künftig kleinere und größere Probleme lösen zu können. Damit die Quellen des Lernens sprudeln können, sind die individuellen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Dies setzt – gerade zu Beginn der Schulzeit – ein differenziertes Unterrichtsangebot voraus. Voraussetzung dafür ist wiederum eine Grundhaltung, die berücksichtigt, dass Kinder unterschiedlich schnell lernen.

II. Praktische Vorgehensweise

In Vorträgen und Workshops für Erzieherinnen, Lehrkräfte und Eltern sollen die vorhandenen Kompetenzen und Sichtweisen zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Inhalten des Bildungsplanes in eine Beziehung gesetzt werden. Der Plan enthält viele wertvolle Hinweise zur Reflexion und Bildungsbegleitung der Kinder, aber er hält sich sehr bedeckt hinsichtlich der agierenden Erwachsenengruppen. Das vorgelegte Angebot soll genau hier eine Hilfestellung bieten.

Es wird also darauf ankommen, dass Erzieherinnen und Lehrkräfte solche Kooperationstreffen nicht nur als zusätzliche Belastung erleben, sondern als Veranstaltungen, bei denen es auch immer etwas Neues zu entdecken gibt und dass sie es sind, die Neues schaffen.

Erhalt und Wertschätzung eigener Kompetenzen

Es geht darum, sich des eigenen Könnens bewusst zu werden, die vielen hilfreichen Routinen nicht unbesehen über Bord zu werfen, sondern zu neuen Erkenntnissen in eine Beziehung zu setzen. Jede Einrichtung verfügt bereits über gelingende Formen des Übergangs von der Kita in die Schule. Sie gilt es zu erinnern. Gemeint sind die Elternabende im Zusammenhang mit dem Übergang, der Ranzen, die Zuckertüte, die schulärztliche Untersuchung, das Abschiedsfest im Kindergarten, der erste Schultag, eventuell verbunden mit einem Gottesdienst, das Ritual der Begrüßungsfeierlichkeiten. Und dann der gemeinsame Gang in den hoffentlich schön gestalteten Klassenraum.

Es gibt tausend Möglichkeiten diese konkreten Schritte zu gehen. Und alle sind abhängig vom Engagement und den Emotionen der beteiligten Personen.

In Vortragsveranstaltungen werden die zentralen Erkenntnisse aus den o.g. Wissenschaftsbereichen dargestellt. Diese werden in einen Bezug gebracht zu den konkreten Erlebnissen und Vorhaben der Eltern, Erzieherinnen und der Lehrkräfte.

In Workshopgruppen wird der angesprochene Wissens- und Kompetenztransfer erarbeitet. So sollte auch über belastende Ereignisse gesprochen werden. Debatten, die sich lediglich auf die Regelung notwendiger organisatorischer Maßnahmen beziehen sind notwendig, aber sie dürfen die Zeit, die für grundlegende Bildungsfragen und die Erweiterung der professionellen Erziehungskompetenz benötigt wird, nicht übermäßig beanspruchen.

Literatur:

 

Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg.

Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg.

Brisch, K. H. (1999): Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. Klett-Cotta, Stuttgart.

Ciompi, L. (1997): Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Deutscher Bildungsrat (1975): Die Eingangsstufe des Primarbereichs, Band 1: Ansätze zur Entwicklung. Klett-Cotta, Stuttgart

Deutscher Bildungsrat (1975): Die Eingangsstufe des Primarbereichs, Band 2/1: Spielen und Gestalten. Klett-Cotta, Stuttgart

Deutscher Bildungsrat (1975): Die Eingangsstufe des Primarbereichs, Band 2/2: Soziales Lernen und Sprache. Klett-Cotta, Stuttgart

Deutsches PISA-Konsortium (Hg.) (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Leske + Budrich, Opladen.

Dornes, M. (2000): Die emotionale Welt des Kindes. Fischer Taschenbuch, Frankfurt a./M.

Dörr, M. / Göppel, R. (Hg.) (2003): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen.

Fittkau, B. (2005): Gelingende Teamarbeit. Voraussetzung für Innovationen? In: Gebauer, K. (Hg.): Anders lernen. Modelle für die Zukunft. Walter, Düsseldorf, S. 150–184.

Gebauer, K. (2003): Die Bedeutung des Emotionalen in Bildungsprozessen. In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle, S. 213–240.

Gebauer, K. (Hg.) (2005b): Anders lernen. Modelle für die Zukunft. Walter, Düsseldorf.

Gebauer K. / Hüther, G. (Hg.) (2001): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf.

Gebauer, K. / Hüther, G. (Hg.) (2002): Kinder suchen Orientierung. Anregungen für eine sinn-stiftende Erziehung. Walter, Düsseldorf.

Gebauer, K. / Hüther, G. (2003): Kinder brauchen Spielräume. Perspektiven für eine kreative Erziehung. Walter, Düsseldorf.

Gebauer, K. / Hüther, G. (Hg.) (2004): Kinder brauchen Vertrauen. Erfolgreiches Lernen durch starke Beziehungen. Walter, Düsseldorf.

Göll, E. (2001): Zukünfte – Möglichkeiten und Anforderungen aus der Zukunft. In: GEW (Hg.): Beiträge zu Theorie und Praxis von Bildung in Kindertagesstätten. Frankfurt/M.

Haug-Schnabel, G. (2003): Erziehen – durch zugewandte und kompetente Begleitung zum selbsttätigen Erkennen und Handeln anleiten. In: Gebauer/Hüther (Hg.): Kinder brauchen Spielräume

Hessisches Kultusministerium, Hessisches Sozialminissterium (2005): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von O bis 10 Jahren in Hessen. Entwurf für die Erprobungsphase

Hüther, G. (2001): Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Huber, Ch. (2004): Stärkung psychosozialer Kompetenz im Rahmen von Theaterprojekten in Schulen. In: Gebauer / Hüther (Hg.): Kinder brauchen Vertrauen. S. 156–170.

Largo, R. H. (2001): Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Piper, München.

Laewen, H.-J./ Anderes, B. (Hrsg.) (2002): Künstler, Konstrukteure, Beltz Weinheim

LeDoux, J. (1998): Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. Hanser, München.

Netta, B. / Weigl, M. (2006): Hand in Hand. Das Amberger Modell – ein Kooperationsprojekt für Kindertagesstätten und Grundschulen. Finken Verlag, Oberursel

Niedersächsiches Kultusministerium (1975): Rahmenrichtlinien für die Eingangsstufe des Primarbereichs, Schiffgraben 12, Hannover

Niedersächsisches Kultusministerium (1975): Empfehlungen für die Arbeit im Kindergarten, Schiffgraben 12, Hannover

Niedersächsisches Kultusministerium (2005): Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder, Schiffgraben 12, Hannover

Papoušek, M. (2003): Spiel und Kreativität in der frühen Kindheit. In: Gebauer/Hüther (Hg.): Kinder brauchen Spielräume, S. 23–39.

Kronberger Erklärung (2007) (siehe Anhang)

Salisch, M. von (Hg.) (2002): Emotionale Kompetenz entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Kohlhammer, Stuttgart.

Schäfer, G. E. (2003): Die Bedeutung emotionaler und kognitiver Dimensionen bei frühkindlichen Bildungsprozessen. In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle, S. 77 ff.

Spitzer, M. (2003): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum, Heidelberg.

Dr. phil. Karl Gebauer, ehemaliger Schulleiter, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Zuletzt sind von ihm erschienen: „Mobbing in der Schule“ (2005); „Klug wird niemand von allein.“ (2007) und Gefühle erkennen, sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. (2011) Karl Gebauer ist Mitinitiator und Leiter der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung.

Anhang: Bildungssektor steht vor dramatischen Veränderungen

 

UNESCO sieht Bildungseinrichtungen weltweit vor grundlegenden Veränderungen

Am 31. Juli haben die UNESCO und die Deutsche UNESCO-Kommission die Kronberger Erklärung“ zur Zukunft der Bildung veröffentlicht.

Die Erklärung ist das Ergebnis der Tagung einer Expertenkommission der UNESCO, die am 22. und 23. Juni 2007 in Kronberg im Taunus stattfand. Die 18 internationalen Expertinnen und Experten aus 13 Ländern waren sich darin einig, dass der Bildungssektor vor dramatischen Veränderungen steht. Diese werden vor allem von der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien vorangetrieben. Lernformen, die Rolle der Lehrer, der institutionelle Rahmen und die Bewertung von Kompetenzen werden sich so die Kronberger Erklärung in den nächsten Jahrzehnten grundlegend wandeln.

Die Kronberger Erklärung ist abrufbar unter www.unesco.de/kronberg_declaration.html

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen UNESCO-Kommission vom 31.7.2007

WIE KINDER GUT LERNEN – BEDINGUNGEN FÜR EINE GELINGENDE ENTWICKLUNG

 

Foto: Karl Gebauer

Foto: Jürgen Hast

Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung, der Säuglings- und Bindungsforschung beschreiben Faktoren einer gelingenden Entwicklung. Begriffe wie Empathie oder emotionale Achtsamkeit werden immer häufiger genannt, wenn es darum geht, eine gut verlaufende individuelle oder auch eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu beschreiben. Der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin stellt in seinem neuesten Buch „Die Empathische Zivilisation“ diese Erkenntnisse in einen globalen Zusammenhang. Er meint sogar ein neues soziales Webmuster zu erkennen – die „empathische Zivilisation.“

 

„Obwohl das Leben um uns herum durchsetzt ist mit Leid, Sorgen, Ungerechtigkeiten und verbrecherischen Machenschaften, besteht es im Großen und Ganzen doch aus Hunderten von kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit und der Großzügigkeit. Liebe und Mitgefühl zwischen den Menschen schaffen Wohlwollen, prägen soziale Bande und bringen Freude in unser Leben. Unser Umgang miteinander ist, kurz gesagt, weitgehend getragen von wechselseitiger Empathie – und zwar aus dem einfachen Grund, weil dies unserem eigentlichen Wesen entspricht.“ (J. Rifkin, S. 21)

So fängt alles an

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. „Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.“ (Bauer 2005) Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti entdeckten Spiegelneurone. (Rizzolatti 2008) Wenn zum Beispiel Mutter oder Vater ihr Baby füttern, so erlebt das kleine Kind nicht nur, dass sein Hunger gestillt wird, sondern es nimmt auch Mimik, Gestik und die Laute seiner Eltern wahr. In der Regel findet während des Essens ein intensiver Augenkontakt statt. Die emotionale Gestimmtheit der Situation führt zur Ausbildung von Spiegelnervenzellen. Der äußere Vorgang ist sehr anschaulich in dem Buch „Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie“ dokumentiert. (Gebauer 2011, S.9 – 11

In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können, denn sie müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen.

Auf die Beziehung kommt es an

Eine entscheidende Voraussetzung für die empathische Entwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Hirnforscher gehen davon aus, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Lehrkräfte). Hier werden die Grundlagen für Empathiefähigkeit gelegt.

Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender

Kinder verfolgen schon als Säuglinge mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel (2003) schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen:

Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“

Es ist der Charme eines Kindes, der in der Regel bei seinen Eltern eine empathische Reaktion hervorruft. Über die auf diese Weise angelegten limbofrontalen Bahnungen laufen unser Leben lang alle emotional-kognitiven Prozesse. (siehe Anhang)

Spielräume der Kindheit

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen hoch komplizierten Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Hier wirkt die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen als Vorbild für die sich langsam entwickelnde Fähigkeit, sich in die Absichten und das Verhalten anderer Personen einzufühlen. (Gebauer 2011, S.42 – 47)

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit, Muße und dem Einfühlungsvermögen mancher Eltern. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Erwachsene oft kein Interesse am Spiel der Kinder haben. Es fehlt das Einfühlungsvermögen und damit die geteilte Aufmerksamkeit, die einem Kind signalisiert, dass das, was gerade geschieht bedeutsam ist.

Spiel-Unlust mancher Eltern

Die Münchner Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek beobachtet seit einigen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ schon sehr kleiner Kinder.

Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht,“ das seien typische Äußerungen von Müttern. (Papoušek 2003, S. 23–39)

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

In den Erlebnissen liegt die Quelle einer gelingenden Entwicklung

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. (Gebauer 2007a)

Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des Motivations-Systems. Die Freude, die ein Kind dabei erlebt, stärkt seine Aufmerksamkeit und sein Selbstwertgefühl. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. In diesen eigenständigen Aktivitäten liegen die Grundlagen für verantwortliches Handeln. Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das dopaminerge System in Gang (siehe Anhang). Am besten gelingt das im Spiel.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird.“ (Astrid Lindgren 2002)

Im Grunde beschreibt Astrid Lindgren diesen roten Faden. Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.

Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.

Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.

Eigene Spielideen entwickeln.

Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.

Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Die folgenden Beispiele aus einem Kindergarten sollen diese Zusammenhänge deutlich machen. Dabei geht es im ersten Beispiel um eine reale Situation, im zweiten Beispiel geht es um eine Fantasiegeschichte, die aber ihren Bezugspunkt in der realen Beziehung eines Kindes zu seiner Erzieherin hat.

Empathie auf einer Rutsche

Dr. Karl Gebauer - Rutsche

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Die Erzieherin beobachtet einen dreijährigen Jungen, der ebenfalls die Leiter hochsteigt, oben abwartend stehen bleibt und eine Risikoabschätzung vornimmt. Ganz so, wie es wohl jeder tut, der zum ersten Mal auf das Zehnmeterbrett im Schwimmbad steigt. So mancher ist erst einmal wieder umgekehrt. Genau das macht der dreijährige Junge. Er steigt die Leiter herunter, beobachtet aber die anderen Kinder und wird dabei von seiner Erzieherin beobachtet. Dann steigt er erneut nach oben, nimmt eine Abschätzung vor und kehrt wieder zurück. Das wiederholt sich noch einmal. Anschließend spielt er zusammen mit anderen Kindern im Sandkasten. 14 Tage später geht die Gruppe wieder zu diesem Spielplatz. Die Erzieherin hat die Situation noch vor Augen und ist gespannt, ob der Junge sich noch einmal nach oben wagen wird. Zu ihrem Erstaunen steigt er nicht nur nach oben, sondern rutscht auch sofort die Rutsche hinunter. Dabei sucht er den Blick seiner Erzieherin und ruft: „Gar nicht so schwer, Beatrix!“ Die Antwort seiner Erzieherin lautet: „Das hast du jetzt entdeckt.“ Damit sind wir Zeuge eines entscheidenden Vorgangs geworden. Der Junge hat die Erfahrung gemacht, dass er die Entscheidung getroffen hat und dass ihm das Rutschen gelungen ist. Wir sprechen von Selbstwirksamkeitserfahrung. Von seiner Erzieherin erhält er eine empathische Resonanz. Damit sind wir bei der Quelle aller Lernprozesse. Sie speist sich aus der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Es wird aber auch in der Interaktion etwas deutlich, was man als Erziehungskunst beschreiben darf:

Dr. Karl Gebauer - Empathie auf einer Rutsche

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Der Junge hat vor allem Erfahrungen hinsichtlich seiner Risikobereitschaft gesammelt. Er zeigt Empathie gegenüber der Befindlichkeit seines eigenen Körpers.

Damit hat er sein Empathiemuster weiter ausgebildet.

Empathie auf dem Motorrad

Die Erzieherin bringt ihre Schatzkiste mit in eine Dialogrunde. Sie nimmt einen Drachen und einen Koffer heraus und sagt: „Ihr könnt euch dazu eine Geschichte ausdenken. ihr könnt sie malen, ihr könne sie für euch behalten oder mir erzählen, ich schreibe sie dann für euch auf.“

Ein Junge greift in seine Hosentasche und stellt noch einen Spielzeugmotorradfahrer dazu. Drei Kinder fangen an, eine Fantasiegeschichte zu malen. Vier Kinder sind unentschlossen, sie warten zunächst ab, beteiligen sich aber nach und nach.

moz-screenshot-3Lucia wollte erst nichts malen, fängt dann aber an und zeigt ihr Bild der Erzieherin.

Es entspinnt sich der folgende Dialog:

Erzieherin: „Wer ist das?“

Lucia: „Ich.“

E.: „Wo willst du hinfahren?“

Lucia: „ Zu Susanne.“ (So heißt die Erzieherin)

E.: „Das ist ja schon eine Geschichte.“

Lucia: „Unterwegs könnte sie den Drachen treffen.“

E.: „Das könntest du auch noch malen.“

Lucia: „Ja.“

Am nächsten Tag bringt Lucia mehrere Zeichnungen mit, auf denen sie als Motorradfahrerin zu sehen ist – zunächst alleine und dann zusammen mit Susanne. Auch zwei Drachen sind auf den Bildern, auf einem Bild ist eine Katze.

Lucia erzählt:

moz-screenshotEs war einmal ein wunderschöner Tag. Da kam eine Motorradfahrerin vorbei. Die wollte Susanne besuchen. Da begegnete sie zwei Drachen. Die hatten Stacheln auf dem Rücken. Die Drachen sind weggelaufen, weil sie Angst hatten vor der Motorradfahrerin und vor dem Motorrad. Die sind in das Gebüsch gelaufen. Dann begegnete die Motorradfahrerin noch einem kleinen Drachen. Der lief auch schnell ins Gebüsch. Dann fuhr sie weiter.

Ein paar Minuten später war sie angekommen. Susanne war zu Hause und aß Kuchen. Susanne hat sich gefreut. „Guten Tag,“ hat sie gesagt, „komm rein und iss mit mir Kuchen.“ Es war Marmorkuchen. Der Marmorkuchen hat lecker geschmeckt.

Dann fuhr sie weiter. Susanne wollte mitkommen. Dann waren sie zuhause bei der Motorradfahrerin und aßen Marmorkuchen. Dann war es dunkel. Susanne ging nach Hause zum Schlafen.

Als es Morgen war, aß sie erstmal Frühstück und dann ging sie wieder zu der Motorradfahrerin. Dann spielten sie beide. Sie spielten in dem Garten Fangen. Es gab ganz gute Verstecke. Aber die Drachen trauten sich nicht mehr dazu. Dann war es abends. Susanne ging nach Hause und schlief ein. Der Tag war schön gewesen.

moz-screenshot-1Sie träumte: Susanne und die Motorradfahrerin waren an einem großen See. Dann schwammen sie zu dem anderen Ufer. Da spielten sie Verstecken, weil – es gab sehr gute Verstecke. Dann wachte sie auf und es gab Frühstück.

Danach ging sie wieder zu der Motorradfahrerin. Die Motorradfahrerin hieß Lucia. Und danach gingen sie wieder zu Susanne und aßen Kuchen. Der Kuchen schmeckte köstlich. Es war Erdbeerkuchen. Danach gingen sie in Susannes Garten und pflanzten Blumen ein. Danach spielten sie Verstecken im Haus. Dann war es dunkel und sie ging nach Hause.

Am Morgen ging Susanne wieder zur Motorradfahrerin Lucia und sie aßen Erdbeerkuchen, schon wieder. Dann gingen sie in den Garten raus und spielten Fangen. Sie fuhren an einen See und badeten. Danach gingen sie nach Hause und schliefen ein. Es war so schön gewesen.

Am nächsten Morgen hat Susanne dass Frühstück vergessen. Sie ging stattdessen zu Lucia. Draußen im Garten begegnete sie einer schwarz-weißen Katze. Die Katze lief weg, weil sie auch Angst hatte. Sie hat gedacht, dass Susanne und Lucia ihr etwas tun. Dann gingen sie nach Hause, weil es abends war und schliefen ein.“

Interpretation:

moz-screenshot-2Die Aufgabenstellung scheint zunächst für Lucia nicht von großem Interesse zu sein. Es sieht so aus, als wisse sie mit dem Drachen und dem Motorradfahrer nichts anzufangen. Dann aber beginnt die Anregung in ihr zu wirken. Die Erzieherin hat – so dürfen wir annehmen – in ihr etwas zum Klingen gebracht. Auf der Beziehungsebene ist über die Wirksamkeit von Spiegelzellen eine Verbindung entstanden, die nun von Lucia ausführlich gestaltet wird.

Lucia versetzt sich in die Situation einer Motorradfahrerin, berücksichtig auch die Drachen, weil das von der Erzieherin gewünscht war. Im weiteren Verlauf gestaltet sie aber ihre Erzählung als Beziehungsgeschichte. So fährt sie mit dem Motorrad zu Susanne und lässt sich von ihr einladen. „Komm rein und iss mit mir Kuchen!“ In den folgenden Tagen benutzt sie immer wieder das Motorrad, um Susanne zu besuchen und mir ihr gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie verbringen schöne Tage miteinander, spielen Fangen und Verstecken, pflanzen Blumen. Lucia lässt ihre Erzieherin von einem Bad im See träumen. Später nutzen sie die Mobilität, die ihnen das Motorrad bietet, sie fahren zu einem See und baden. Mehrmals heißt es in der Erzählung: „Es war sehr schön!“

Dieses Beispiel zeigt, dass das Kind zunächst mit einer Anregung seiner Erzieherin gewisse Schwierigkeiten hat. Der Einstieg will zunächst nicht gelingen. Aber dann springt ein Gefühl hinüber zur Erzieherin. Wir können davon ausgehen, dass das Mädchen intuitiv spürt, dass jetzt eine Chance besteht, ihren Wunsch nach Nähe zu der erwachsenen Person in eine Erzählform zu bringen.

Auf diese Weise, so lehren uns Neurobiologen, bilden sich im Gehirn Spiegelneurone aus. Es handelt sich um die neuronale Vernetzung von gemeinsamen ErfahrungenIn jüngster Zeit wurde dies von dem Freiburger Psychoneuroimmunologen Joachim Bauer sehr anschaulich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ (2005) beschrieben. Im Verlauf der frühen Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen oder Interaktionen des Alltags. Dieser Vernetzungsprozess ereignet sich nicht im luftleeren Raum, er ist auf konkrete Aktivitäten angewiesen.

Empathie in Klärungsgesprächen

Beispiel: „Schlag sie!“

Der Unterricht in der zweiten Klasse hatte gerade begonnen. Ich wollte in das Thema der Stunde einführen. Da sehe ich Janas Finger, mit dem sie signalisiert, sie habe eine sehr wichtige Mitteilung zu machen. Mir passte das zu diesem Zeitpunkt nicht so gut, ich gab ihr aber die Möglichkeit, ihr Anliegen vorzubringen. „Der Paul hat mich geschlagen,“ sagt sie leise aber bestimmt. Mehr sagt sie nicht.

Ich würde mit ihr und Paul darüber sprechen, wenn ich meine Einführung in das Thema der Stunde abgeschlossen hätte, sage ich.

Im Anschluss bitte ich beide zu mir. „Erzählt bitte, was vorgefallen ist!“ „Benno wollte mich schlagen,“ so beginnt Paul mit der Schilderung. Einen Jungen mit diesem Namen gibt es in der Klasse nicht. Ich bitte um Aufklärung. Paul wiederholt nun mehrmals diesen Satz: „Benno wollte mich schlagen.“ Rat suchend blicke ich zu Jana. Diese wendet sich direkt an Paul und sagt: „Aber deswegen musst du mich doch nicht schlagen. Ich hab dir doch gar nichts getan.“ Paul schweigt. Er wollte oder konnte keine weiteren Informationen geben. Jana wendet sich an mich und sagt: „Benno besucht eine dritte Klasse. Er hat zu Paul gesagt, er soll mich schlagen. Und wenn er das nicht macht, dann bekommt er von Benno Kloppe.“ Paul nickt zustimmend.

Ich gehe nun in die gegenüberliegende Klasse und bitte Benno zum Gespräch. Er sagt mit weinerlicher Stimme: „Er würde so etwas nie tun.“ Da äußert sich Jana sehr energisch: „Du hast zu Paul gesagt, dass er mich schlagen soll. Das hast du gesagt. Und wenn er das nicht macht, dann wolltest du ihn schlagen.“ Während sie das sagt, guckt sie Benno genau an. Das habe er nur gesagt, tun würde er das niemals, sagt Benno kaum hörbar. Nun schaltet sich Paul ein: „Du hast mich ja schon einmal geschlagen.“ Benno fängt an zu weinen und sagt: „Aber ich wollte es nicht.“ Paul: „Aber du hast es getan und diesmal hättest du es wieder getan.“

„Kennst du Jana,“ frage ich Benno. „Nein,“ sagt er – „die stand da.“ „Hat sie dir etwas getan,“ möchte ich nun wissen. „Nein,“ antwortet Benno und streckt zur Entschuldigung die Hand aus. Er entschuldigt sich bei Paul und im Anschluss bei Jana und fügt hinzu: „Ich will’s nicht wieder machen.“ Zu meinem Erstaunen ergänzt er: „Und wenn ich es doch noch einmal mache, dann erinnere mich bitte, dass ich es nicht machen will.“

Interpretation:

Jana zeigt Mut. Sie meldet sich zu Wort, teilt die für sie bedrohliche Situation – für alle hörbar – mit und verbindet damit die Erwartung, von ihrem Lehrer unterstützt zu werden. Sie zeigt Vertrauen ihrem Lehrer gegenüber.

Das Verhalten der beiden Jungen ist geprägt von Angst und Unsicherheit. Benno erscheint aus der Perspektive von Jana und Paul als mächtig und stark. Benno hat Jana nicht geschlagen. Er lässt Paul schlagen. Darin liegt seine Macht. Sein verhalten ist destruktiv – Empathie ist nicht zu erkennen. Paul schlägt auf Anweisung von Benno zu. Er hat Angst vor Benno. Jana gegenüber lässt Paul keine Empathie erkennen. Jana erlebt eine für sie unangenehme Situation und befürchtet, dass sich diese Situation wiederholen könne. Sie kann die Situation kognitiv bearbeiten, vermutet, dass das immer so weitergehen könnte. Sie erkennt ihre Grenzen – zeigt Empathie sich selbst gegenüber – und bittet ihren Lehrer um Hilfe. In ihrem Verhalten zeigt sich emotionale Kompetenz. Sie ist in der Lage, die bisherigen Abläufe darzustellen und künftige Ereignisse einzubeziehen.

Das Beispiel zeigt auf anschauliche Weise, wie eng der Zusammenhang von Empathie, Vertrauen, kognitiver Verarbeitung und kommunikativer Kompetenz ist. Solche Situationen stärken die Entwicklung der Persönlichkeit. Fortschritte in emotionaler und sozialer Intelligenz machen Kinder, wenn sie die Chance erhalten, ihre Konflikte darzustellen und zu bearbeiten. Persönlichkeit entsteht, indem Kinder lernen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Damit dies möglich ist, brauchen Kinder empathische Lehrkräfte. Empathie in diesem Zusammenhange bedeutet, dass der Lehrer für einen Handlungsraum sorgt, in dem die beteiligten Kinder in einem geschützten Rahmen frei über ihre Gefühle sprechen können. Während der Klärung überträgt sich das empathische Verhalten des Lehrers auf die Kinder. Die neurologischen Abläufe kann man sich so vorstellen:

Empathische Lehrpersonen werden als kompetent erlebt. Schülerinnen und Schüler entwickeln Vertrauen (Oxytocin). Es schaltet sich ihr Beruhigungssystem ein (Serotonin). Nun beteiligen sie sich an der Suche nach einer Lösung (Dopamin). Bei erfolgreicher Klärung eines Konflikts kommt es zur Ausschüttung von körpereigenen Opioiden.

Unser Handeln ist das Ergebnis eines Selbstorganisationsprozesses, bei dem Empathie eine entscheidende Rolle spielt. Die Erfahrung im Umgang mit Konflikten bringt es mit sich, dass für eine gegebene Situation meist mehrere Wahlmöglichkeiten erkannt werden. Betroffene, die über empathische Muster verfügen, können sich die Folgen von Handlungen vorstellen und Handlungsentwürfe vor ihrer Umsetzung auch stoppen. Die entscheidende Grundlage dafür ist die Fähigkeit zur Empathie.

Ungünstige Entwicklungen

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es in der Hirnforschung keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Gewalt
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Wenn Kinder konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann kann dieses Erlebnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es schafft die Voraussetzungen für Handlungsmuster, die als innere Muster gespeichert werden und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen.

Ausblick: Empathie ist die Brücke zum Anderen

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümlin 2012)

Leitgedanken für die Gestaltung unseres Lebens könnten Tugenden sein, die bereits in der griechischen Philosophie mit den Begriffen Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit beschrieben wurden. Es ist die Aufgabe jeder Generation, diese Vorstellungen für ihre Zeit neu zu interpretieren. Dabei sollte Achtsamkeit – eine zentrale Haltung aus der Welt des Buddhismus – mehr und mehr Beachtung finden.

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. Der einzelne Mensch sollte seine inneren Potenziale voll ausschöpfen können. Er sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Empathisch miteinander umgehen setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Erklärung der Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen.

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Der Bogen ist gespannt von der individuellen Entwicklung, die sich in dialogischen Situationen mit nahen und zugewandten Personen vollzieht, über das vertrauensvolle, empathische und oft interkulturelle Kommunizieren bis hin zu der Entwicklung demokratischer Lebensformen im globalen Maßstab.

Anhang:

Limbofrontale Bahnungen

Unser Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen (Neuronen) und den sie verbindenden Nervenfasern. Jedes Neuron besitzt weite baumartige Verzweigungen (Dendriten). Sowohl an den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die Nervenfasern anderer Neurone. Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen vielfältig miteinander verbunden. Hier findet die Übertragung von Nervenimpulsen statt. Sie bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken, Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt.

Hirnforscher gehen davon aus, dass sich neue Nervenzellen und Nervenzellverbindungen aufgrund von Eigenaktivitäten eines Kindes ausbilden. Kinder nehmen zunächst emotional wahr, so die Annahme der Säuglingsforschung. Diese Wahrnehmungen finden im lymbischen (emotionalen) System, das tief im Gehirn angelegt ist, statt. Sie verbinden sich mit dem kognitiven System im vorderen Kortex über konkrete Handlungen. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, Gefühle wahrzunehmen und Wörter für Gefühle zu finden.

Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig (Selbstwirksamkeitskonzept und Motivation, Impulskontrolle und Handlungsplanung, soziale und emotionale Kompetenz).Um die hierfür erforderlichen, hoch komplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende Angebote, die ihre emotionalen Zentren aktivieren. Sie brauchen Herausforderungen, die sie erfolgreich bewältigen können Sicherheit bietende Bindungsbeziehungen. Nur unter dem einfühlsamen Schutz und der kompetenten Anleitung durch erwachsene Vorbilder können Kinder vielfältige Gestaltungsangebote auch kreativ nutzen und dabei ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten erkennen und weiterentwickeln. Nur so kann im Frontalhirn ein eigenes, inneres Bild von Selbstwirksamkeit stabilisiert und für die Selbstmotivation in allen nachfolgenden Lernprozessen genutzt werden.

Auf der Handlungsebene lassen sich diese Prozesse mit dem schlichten Satz ausdrücken: „Ich kann das.“ Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben oder rechnen. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten werden vielfältige Strategien entwickelt, die in Nervenzellverbindungen zwischen den emotionalen, motorischen und kognitiven Bereichen angelegt und gespeichert werden. Die dabei entstehenden Vernetzungen des emotionalen und kognitiven Bereichs, der vorwiegend im frontalen Kortex angelegt ist, werden als limbofrontale Bahnungen bezeichnet.

Dopaminerges System

Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen ist die emotionale Erfahrung von Geborgenheit. Im Gehirn führt dies zur Ausschüttung des Botenstoffes Oxytozin. Auf dieser Grundlage sammeln Kinder bei entsprechender Anregung die unterschiedlichsten Erfahrungen. Sie wollen die Welt entdecken und ihre Handlungsmöglichkeiten ausprobieren. Dazu braucht es den Botenstoff Dopamin. Er wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn das Experimentieren mit Freude verbunden ist. Auf diese Weise werden körpereigene Opioide ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl machen.

Damit Lernen gelingt, kommt es auf der Ebene der Neurotransmitter auf eine gute Mischung von Oxytozin, Dopamin und Opioiden (Glückshormone) an.

Neurotransmitter, Emotionen und konkrete Handlungen ergeben das dopaminerge System.

Literatur:

Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg

Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg

Büchergilde Gutenberg (o.J.): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, verkündet von den Vereinten Nationen am 10.Dezember 1948

Gebauer, K. (1996): Ich hab sie ja nur leicht gewürgt. Mit Schulkindern über Gewalt reden. Klett-Cotta, Stuttgart

Gebauer, K. (2003): Die Bedeutung des Emotionalen in Bildungsprozessen. In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen, S. 213 -240

Gebauer, K. / Fittkau B. / Krause,C. (Hg)(2006): Lernen braucht Vertrauen. Perspektiven für eine innovative Schule. Patmos. Düsseldorf

Gebauer, K. (2007a): Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Patmos, Düsseldorf

Gebauer, K. (2007b): Klug wird niemand von allein. Zur Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. In: Erziehungskunst, Zeitschrift zur Pädagogik Rudolf Steiners, Heft 9, September 2007, S. 947 – 954

Gebauer, K. (2011): Gefühle erkennen –sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz, Weinheim

Gebauer K. / Hüther, G. (Hg.) (2001): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf

Gebauer, K. / Hüther, G. (Hg.) (2002): Kinder suchen Orientierung. Anregungen für eine sinn-stiftende Erziehung. Walter, Düsseldorf

Gebauer, K. / Hüther, G. (2003): Kinder brauchen Spielräume. Perspektiven für eine kreative Erziehung. Walter, Düsseldorf,

Gebauer, K. / Hüther, G. (Hg.) (2004): Kinder brauchen Vertrauen. Erfolgreiches Lernen durch starke Beziehungen. Walter, Düsseldorf

Haug-Schnabel, G. (2003): Erziehen – durch zugewandte und kompetente Begleitung zum selbsttätigen Erkennen und Handeln anleiten. In: Gebauer/Hüther (Hg.): S 40–54

Hüther, G. (2001a): Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

Hüther, G. (2001b): Die Bedeutung emotionaler Sicherheit für die Entwicklung des kindlichen Gehirns. In: Gebauer K. / Hüther, G. (Hg.) (2001): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf

Largo, R. H. (2001): Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Piper, München

LeDoux, J. (1998): Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. Hanser, München

Lindgren, A. (2002): Steine auf dem Küchenbord. Gedanken, Erinnerungen, Einfälle. Oettinger, Hamburg

Nida-Rümlin, J. (2011): Die Optimierungsfalle. Philosophie einer humanen Ökonomie. Irisiana, München

Papoušek, M. (2003): Spiel und Kreativität in der frühen Kindheit. In: Gebauer/Hüther (Hg), S. 23–39

Rifkin, J. (2010): Die Empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein. Campus Verlag, Frankfurt a/M

Rizzolatti, G. (2008): Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. edition unseld. Suhrkamp. Frankfurt a/M

Sen, A. (2007): Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. Verlag Beck, München

Schäfer, G. E. (2003): Die Bedeutung emotionaler und kognitiver Dimensionen bei frühkindlichen Bildungsprozessen. In: Dörr/Göppel (Hg.): Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion, Intrusion? Psychosozial, Gießen, S. 77

Spitzer, M. (2003): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum, Heidelberg

Von Salisch, M. (Hrsg.) (2002): Emotionale Kompetenz entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Kohlhammer, Stuttgart

IM SPIEL DIE WELT ENTDECKEN – WARUM ERLEBNISRÄUME FÜR DIEPERÖNLICHKEITSENTWICKLUNG SO WICHIG SIND

Erlebnisraum Familie

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt. In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können, denn sie müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Für ihre Entwicklung brauchen sie daher Spiel- und Erlebnisräume, die ihnen Entdeckungen ermöglichen. Der Wert dieser Erlebnisräume liegt im Wesentlichen darin, dass Kinder ein relativ hohes Maß an Freizügigkeit haben und sich doch aufgehoben fühlen. Gleichzeitig können sie ihrem Bedürfnis nach Wildheit und Abenteuer nachgehen.

Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit. […] in unseren Spielen waren wir herrlich frei und nicht überwacht.“

(Astrid Lindgren 2002)

Auf die Beziehung kommt es an

Eine entscheidende Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und zu verstehen suchen, wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Hirnforscher gehen davon aus, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Lehrkräfte). Hier werden die Grundlagen für Empathiefähigkeit gelegt.

Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender

Kinder verfolgen schon als Säuglinge mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen:

Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“

Auch sehr kleine Kinder würden solche Wahrnehmungen auf ihre Weise bereits auswerten:

Wie ist es gelaufen? Komme ich mit meinen Erlebnissen zurecht? Habe ich so etwas erwartet?“

Ihre frühen Erfahrungen werden von ihnen emotional erfasst und gespeichert. Je nach Erlebnis könne man sich das so vorstellen:

Das war eine gute Erfahrung.“ „Das hat mich neugierig gemacht.“ „Das war eine schlechte Erfahrung. Die will ich meiden.“

Über die auf diese Weise angelegten limbofrontalen Bahnungen laufen unser Leben lang alle emotional-kognitiven Prozesse.

Spielräume der Kindheit

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Hier wirkt die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen als Vorbild für die sich langsam entwickelnde Fähigkeit, sich in die Absichten und das Verhalten anderer Personen einzufühlen. Langzeituntersuchungen von Bindungsforschern haben ergeben, dass sich die „Spiel-Einfühlfähigkeit“ gerade von Vätern positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen auswirkt.

Über die Bedeutung von Fantasieräumen

Ein fünfeinhalbjähriger Junge malte gerne Bilder von Burgen und Rittern. Eines Tages müssen seine Ritter in den Kampf ziehen und gegen böse Drachen kämpfen. Wenn der Vater nachmittags nach Hause kam, fragte er seinen Sohn, ob er wieder etwas gemalt habe. Der Sohn holte seine Bilder hervor, erzählte und bat eines Tages seinen Vater, doch einmal aufzuschreiben, was da so alles passiert sei. Der Vater schrieb auf, was ihm sein Sohn erzählte. Das liest sich dann so:

Hier sieht man eine Ritterburg. Und das hier sind die Ritter. Sie sind auf Drachenfahrt. Hier begegnen sie dem ersten Drachen, es ist ein gruseliger Langzahndrache. Er erschreckt den Ritter so sehr, dass dieser abhaut…..“

In einem kreativen Akt gibt der Junge seinen Fantasiefiguren eine Gestalt. Er zeichnet die Burg und die Landschaft, in der sich das Abenteuer abspielt. Es tauchen Furchterregende Drachen auf, die bis auf den letzten Ritter, mit dem sich der Junge identifiziert, in die Flucht treiben. Er besteht das Abenteuer und geht als Sieger aus dem Kampf hervor. Diese Geschichte spielt sich über den Zeitraum mehrerer Wochen ab.

Fantasieräume und Persönlichkeitsentwicklung

Vater und Sohn schaffen sich einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Der Vater fühlt sich in das Fantasiespiel seines Sohnes ein. Gemeinsam richten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Inhalt dieser Geschichte. Es kommt zu vielfältigen Interaktionen und Gesprächen. Durch das Interesse des Vaters erfährt der Sohn Wertschätzung. So entwickelt sich zwischen den beiden eine exklusive Beziehung.

Auf diese Weise, so lehren uns Neurobiologen, bilden sich im Gehirn Spiegelneurone aus. Es handelt sich um die neuronale Vernetzung von gemeinsamen Erfahrungen. In jüngster Zeit wurde dies von dem Freiburger Psychoneuroimmunologen Joachim Bauer sehr anschaulich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ (2005) beschrieben. Im Verlauf der frühen Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen oder Interaktionen des Alltags. Dieser Vernetzungsprozess ereignet sich nicht im luftleeren Raum, er ist auf konkrete Aktivitäten angewiesen und zu ihrer Realisierung benötigen Kinder und Jugendliche Erlebnisräume.

Erlebnisräume und das dopaminerge Systeme

Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrungen lernen. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen hoch komplizierten Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Und wir spielten und spielten und spielten, sodass es das reine Wunder ist, dass wir uns nicht tot gespielt haben,“

hält Astrid Lindgren in ihren Erinnerungen fest.

Zu den wichtigen Erkenntnissen der Hirnforschung, gehört die Entdeckung eines gehirneigenen Belohnungssystems. Kindliche Neugier, Entdeckerfreude und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des dopaminergen Systems. Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen ist zunächst die emotionale Erfahrung von Geborgenheit. Im Gehirn führt dies zur Ausschüttung des Botenstoffes Oxytozin. Auf dieser Grundlage sammeln Kinder bei entsprechender Anregung die unterschiedlichsten Erfahrungen. Sie wollen die Welt erleben und ihre Handlungsmöglichkeiten ausprobieren. Dazu braucht es den Botenstoff Dopamin. Er wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn das Experimentieren mit Freude verbunden ist. Auf diese Weise werden körpereigene Opioide ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl machen. Dieses System verleiht den Dingen und Ereignissen um uns herum eine Bedeutung. Bedeutsam ist, was auch von den Eltern und Erzieherinnen als wichtig angesehen wird. Wird dem Spiel eine hohe Bedeutung beigemessen, dann bahnen sich nicht nur die oben genannten Fähigkeiten, sondern es wird mit diesen neuronalen Vernetzungen gleichzeitig die im Spiel erfahrene Freude und Begeisterung mit eingespurt. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse im kindlichen Gehirn angelegt, die auch später mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendet und risikofreudig in die Welt blickt. Das Spiel schafft einen Rahmen, in dem Erwachsene und Kinder ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf einen Gegenstand ausrichten. Sie erleben Anspannung, Aufregung und Freude am Gelingen einer Spielhandlung gemeinsam und tauschen sich darüber aus. Im Spiel erschaffen sie sich eine gemeinsame Erfahrungswelt, die oft intensive Erlebnisse bereithält. Auf diese Weise – das muss ihnen beim Spiel nicht bewusst sein – regen sie die Strukturbildenden Elemente im kindlichen Gehirn an und schaffen die Voraussetzungen für spätere Lernfreude und Konzentrationsfähigkeit. Für eine gelingende Entwicklung kommt es auf der Ebene der Neurotransmitter auf eine gute Mischung von Oxytozin, Dopamin und Opioiden (Glückshormone) an. Spielsituationen ermöglichen grundlegende emotionale Erfahrungen. So sorgt z.B. Oxytozin für Vertrauen, Dopamin schafft eine grundlegende Lernmotivation und die körpereigenen Opioide tragen zu einem guten Gefühl bei. Diese Mischung entsteht besonders dann, wenn Kinder zugewandte Eltern haben; wenn sie einen anregungsreichen Kindergarten besuchen und wenn sie in der Schule ihre Eigenaktivitäten voll entfalten können. Auf diese Weise servieren wir ihnen einen „Cocktail,“ der als Quelle für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung angesehen werden kann.

Spiel-Unlust mancher Eltern

Die Münchner Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek beobachtet allerdings seit einigen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ schon sehr kleiner Kinder.

Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht,“ das seien typische Äußerungen von Müttern.

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

In den Erlebnissen liegt die Quelle einer gelingenden Entwicklung

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. So kann man den Zusammenhang sehen: Unser Gehirn enthält nicht Erinnerungen an einzelne Objekte, sondern an die emotionale Einbettung dieser Objekte in eine als bedeutsam erlebte Situation. Es sind die Szenen, die Erzählungen, die persönlichen Erlebnisse, die als erste Repräsentanten so etwa wie eine Grund-Matrix ausbilden, auf der sich später abstrakte Gedanken und Erinnerungen abbilden. Hier werden die Grundlagen für die im Leben so wichtige Lernmotivation gelegt.

Was 16-järige Schülerinnen und Schüler aus der Rückschau sagen

Schülerinnen und Schülern eines Gymnasiums antworteten auf die Frage, welche Situation in ihrem Leben ihrer Lernmotivation und Lernfreude entscheidend beeinflusst hätten, mit der Schilderung von Spielsituationen aus ihrer Kindheit.

Insa: Wenn es regnete, dann saß ich oft mit meinem Papa und meinem Onkel am Tisch und wir bauten gemeinsam mit Legostseinen. Ich sehe die Situation heute noch vor mir. Die beiden haben sich gefreut. Ich glaube, sie haben sich noch einmal als Kinder erlebt. Mit Barbis habe ich auch gespielt.

Katharina: Ein Ponyhof, ein Zirkus, ein Zoo – mit Playmobil war alles möglich. Mit meinen fünf Freundinnen haben wir uns stundenlang über Tage hinweg in unseren Fantasieräumen bewegt. Das war alles sehr kreativ. Wir haben nicht nur diese Dinge konstruiert, wir haben uns auch Geschichten dazu ausgedacht.

Jacob: Mit meinen Geschwistern und meinem Vater haben wir nach Weihnachten mit Lego gespielt. Das Eigenartige dabei ist, dass wir gebaut und gebaut haben. Manchmal hatten wir das ganze Zimmer zugebaut. Da gab es einen Bereich für Eskimos und dann war da eine große Eisenbahnanlage. Und wenn wir damit fertig waren, dann war das Projekt auch zu Ende. Gespielt haben wir dann nicht mehr damit. Das Entscheidende bestand in der Konstruktion.
Anne: Ich sehe eine Verkleidungskiste. Es gab nichts, was wir nicht gespielt haben.

(Gebauer 2007)

Wenn wir diese Aussagen von Jugendlichen mit Ergebnissen und Interpretationen der Säuglingsforschung in Beziehung setzen, dann findet sich in ihnen eine Bestätigung der dort geäußerten Annahmen. Das ausgiebige Spiel in der Kindheit bildet die Grundlage für Motivation, Konzentration und Lernlust.

Über den Zusammenhang von Spielen und Lernen

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Das Spiel ist heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit und Muße der Erwachsenen. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Motivationssysteme ankurbeln

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten.

Es braucht den roten Faden von Urheberschaft und Resonanz. Dieser führt zu Motivation, Konzentration und Erfolg. Er setzt das dopaminerge System in Gang.

Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen zur Aktivierung des Motivations-Systems. Die Freude, die ein Kind dabei erlebt, stärkt seine Aufmerksamkeit und sein Selbstwertgefühl. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. In diesen eigenständigen Aktivitäten liegen die Grundlagen für verantwortliches Handeln. Für die gesamte Schulzeit gilt: Freude am Lernen und eine hohe Lernmotivation stellen sich dann ein, wenn Kinder ihre Lernprozesse vorwiegend selbst gestalten können. Davon ist in vielen Schulen nichts zu spüren.

Kinder wollen lernen

Kinder wollen lernen und ihre Welt erkunden. Treibende Kräfte sind ihre Neugier und Eigenaktivität. Spielzeit ist daher Bildungszeit, das gilt besonders für die Arbeit in Kindergärten. Kinder bleiben nur dann Entdecker, wenn man ihnen die Möglichkeit zu einem selbst bestimmten Lernen eröffnet. Lernerfolge stellen sich dann ein, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung von Urheberschaft machen und wenn Erwachsene ihre Leistungen wohlwollend würdigen. Der Erfolg ergibt sich aus der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. Fehlt diese emotionale Komponente in Lernprozessen, dann kann sich die für spätere Lern-, Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse so wichtige neuronale Struktur nicht angemessen ausbilden. In der Schule sind es vor allem Lernformen, die den Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Lerngegenstand ermöglichen. Auf diese Weise wird das dopaminerge System angekurbelt. Damit ist die entscheidende Grundlage für erfolgreiches Lernen beschrieben. Leider finden diese Zusammenhänge in der Schul- und Bildungspolitik zu wenig Beachtung.

Erlebnisraum Kindergarten

Im Rahmen einer Untersuchung habe ich Erzieherinnen gebeten, die Kinder einmal zu fragen, wie sie über das Klugsein und das Klugwerden denken. Die Einleitungsfrage lautet:

Manchmal sagen die Leute, ein Kind sei klug, was meinen die wohl damit?“

Die spontanen Antworten von Kindergartenkindern klingen so:

Klug ist ein Kind, das den Tisch abputzt, aufräumt, fleißig, lieb und tapfer ist.“ „Klug ist man auch, wenn man anderen hilft.“ „Ein Kind, das ganz viel weiß und gute Sachen macht, ist klug.“ „Wenn man sich immer wäscht und auch seine Brille aufsetzt, ist man klug.“ „Wenn man spielt und Sachen baut, ist man auch klug.“

In der Zusammenschau wird deutlich, dass Kinder im Alter von fünf Jahren eine pragmatische Vorstellung vom Klugsein haben. Da geht es um praktische Tätigkeiten wie Aufräumen und Putzen. Es gibt bereits eine Vorstellung davon, dass Klugsein etwas mit Wissen zu tun hat. Ganz deutlich wird in den Ausführungen, dass Spielen und Bauen wichtige Aktivitäten sind. In den Begriffen „lieb“ und „tapfer“ werden emotional-soziale Aspekte von Klugheit sichtbar. Mit dem Hinweis, dass man auch anderen helfen müsse, kommt soziales Verhalten in den Blick. Die Gesamtheit aller Aussagen macht deutlich, dass bereits bei fünfjährigen Kindergartenkindern eine umfassende Vorstellung einer gelingenden Entwicklung vorhanden ist und dass zum Klugwerden konkrete Aktivitäten wie Spielen und Bauen wichtig sind. Jede der Äußerungen verweist auf die zentrale Quelle des Klugwerdens, nämlich auf das eigenständige Tun.

Muster des Verstehens

Die differenzierten Wachstumsprozesse im kindlichen Gehirn, vor allem die Verbindungen vom limbischen System zum frontalen Kortex sind auf konkrete Erfahrungen angewiesen. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, Gefühle wahrzunehmen, Wörter für Gefühle zu finden, sich zu vergewissern. In der Pubertät und Adoleszenz kommt es darauf an, die bisherigen Erfahrungen als Wertesystem zu konstituieren. Voraussetzungen dafür sind emotionale Erfahrungen und das Kommunizieren über diese. Hier liegt die wesentliche Begründung für eine intensive Arbeit an Konflikten, wie sie z.B. in Familien, Kindergärten, Schulen oder bei der Gestaltung von Ferienlagern auftreten. Zwischen Emotion und Kognition finden dabei unaufhörlich Wechselwirkungen statt. Grundlage ist die neuronale Plastizität, also der bevorzugten Bahnung von häufig aktivierten Assoziationswegen, über die im Gehirn Muster des Fühlens, Verstehens und Handelns ausgebildet werden.

Unser Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen (Neuronen) und den sie verbindenden Nervenfasern. Jedes Neuron besitzt weite baumartige Verzweigungen (Dendriten). Sowohl an den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die Nervenfasern anderer Neurone. Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen vielfältig miteinander verbunden. Hier findet die Übertragung von Nervenimpulsen statt. Sie bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken, Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt. Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig (Selbstwirksamkeitskonzept und Motivation, Impulskontrolle und Handlungsplanung, soziale und emotionale Kompetenz).Um die hierfür erforderlichen, hoch komplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende Angebote, die ihre emotionalen Zentren aktivieren. Sie brauchen Herausforderungen, die sie erfolgreich bewältigen können. Gerade hierbei können die unterschiedlichsten Aktivitäten, die zur Realisierung erlebnispädagogischer Projekte erforderlich sind, sehr hilfreich sein.

Erlebnis: Konfliktlösung

Wir wissen heute aus den für die Erziehung und Bildung relevanten Forschungsbereichen sehr genau, welche Verhaltensweisen für die Entwicklung von Kindern hilfreich sind. Eltern sollten ihren Kindern emotionale Sicherheit und Anregungen geben, ihr Selbstbewusstsein stärken, die Gefühle ihrer Kinder wahrnehmen und über Gefühle mit ihnen reden. Sie sollten Interesse an der Entwicklung haben. Auftretende Konflikte sollten sie für Klärungsgespräche nutzen. Selbst bei besten Absichten kann es aber in Erziehungs- und Bildungsprozessen aus unterschiedlichsten Gründen zu Irritationenkommen. Diese können hervorgerufen werden durch Beziehungsprobleme in den Familien. Trennungen, Neuanfänge, Abwesenheit der Väter, eine zu große Selbstlosigkeit der Mütter oder eine übermäßige Autorität der Väter können Anlass zu Verunsicherungen sein und den Entwicklungsprozess beeinträchtigen. Aber auch Erfahrungen von Gewalt, eine vernachlässigende oder verwöhnende Erziehung, können zu Verunsicherungen und Traumatisierungen führen. Wie auch immer die individuelle Familiensituation aussehen mag, es kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass bei den ganzen Umwälzungen und den unterschiedlichen familiären Modellen die gemeinsame Zeit in der Familie ein unverzichtbares Gut darstellt. Neben einer ausreichenden materiellen Sicherheit der Familien erweisen sich insbesondere ein gutes Familienklima und regelmäßige gemeinsame familiäre Aktivitäten als bedeutsam für das Wohlergehen und für die Zukunftschancen eines Kindes. Die ungünstigste Konstellation liegt dann vor, wenn materielle Defizite mit geringer Zuwendung einhergehen. Wenn Kinder allerdings konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann kann dieses Erlebnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es schafft die Voraussetzungen für Handlungsmuster, die als innere Bilder gespeichert werden und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen. Leider speichern Kinder bei familiären Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster.

Auf die Erlebnisqualität kommt es an

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Für viele Kinder stellt der Besuch des Kindergartens eine Bereicherung ihres Lebens dar. Dabei kommt es auf die Qualifikation der Erzieherinnen ebenso an wie auf die personalen und räumlichen Bedingungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erlebnisqualität nicht durch den Einsatz von Förderprogrammen der unterschiedlichsten Art gestört oder gar verdrängt wird. Hier lauert eine große Gefahr.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)

Im Grunde beschreibt Astrid Lindgren diesen roten Faden. Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

  • Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
  • Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
  • Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.
  • Eigene Spielideen entwickeln.
  • Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
  • Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Spielräume in der Schule

Die Resilienzforschung sagt uns, wie wichtig im späteren Leben zugewandte Menschen sind, wenn die Erfahrung von Sicherheit und Zuwendung nicht in genügendem Maß erfolgt ist. Erzieherinnen und Lehrkräfte, die über emotionale Kompetenz verfügen schaffen daher immer wieder Situationen, in denen die Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können. Am ehesten gelingt das in Projekten der unterschiedlichsten Art.

Erfolgreiche Reformschulen wie die Helene Lange-Schule in Wiesbaden, die beim Pisa-Test die besten Ergebnisse erzielte, stellen das Theaterspiel in die Mitte ihrer pädagogischen Konzeption (Riegel 2005).

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge am Deutschen Theater in Göttingen, schwärmt

„Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt.Er zählt gleich mehrere Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert: 

„Da geht es um gegenseitige Rücksichtnahme, Zunahme von Kooperationsbereitschaft Abbau von Vorurteilen,Verlegung der Toleranzgrenze,Verantwortung für sich und andere Stärkung des Selbstbewusstseins. Und: Denken, Sprechen, Planen, Handeln, Verwerfen, Krisen meistern – das findet natürlich auch statt.“

Zukunftsforscher (Göll 2001) betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft.

Negative Erlebnisse

Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es in der Hirnforschung keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. W. Hirn (2006) berichtet, dass im Zusammenhang mit den Aufnahmeprüfungen für die Hochschulen und Universitäten in China über 50 % der Abiturienten während der Prüfungsvorbereitungen mit Selbstmordgedanken gespielt hätten. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Dies hängt u.a. damit zusammen, dass Lehrerinnen und Erzieherinnen eine immer größer werdende Fülle von Aufgaben zu bewältigen haben. Viele von Ihnen werden vom Stress gelähmt. In der Folge können sie das, was für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes von Bedeutung ist, nicht mehr leisten.

Gerade hier können außerschulische Angebote wie Ferienlager und Abenteuerunternehmungen wichtige kompensatorische Hilfe leisten.

Chancen der Erlebnispädagogik

Erlebnispädagogik wird in theoretischen Überlegungen gerne als integrativer Bestandteil ganzheitlicher Erziehungs- und Bildungskonzepte gepriesen. Sie enthält Schlüsselqualifikationen wie emotional-soziale Kompetenz und Wagnisbereitschaft. In der Praxis nutzt sie Erfahrungen in der Natur (Wald, Gebirge, See), um soziale Kompetenzen zu entwickeln. Natursportarten (Segeln, Reiten, Radfahren, Outdoortraining, Sportklettern, Höhlenforschen, Kajakfahren, Floßfahren) bieten dabei ein breites Spektrum an Erlebnismöglichkeiten. Neben den Schulen gibt es Anbieter auf dem freien Markt. Hier können Kinder und Jugendliche wichtige Erfahrungen für ihre Persönlichkeitsentwicklung machen. Die dort geforderten Aktivitäten sind in der Regel mit Anforderungen an die gesamte Persönlichkeit verbunden. Hier setzen die meisten der zahlreichen erlebnispädagogischen Konzepte an.

Bedingungen für Erlebnisse schaffen

Planbar sind lediglich die Gelegenheiten und damit gewisse förderliche Bedingungen für das persönliche Erlebnis. Da Erlebnisse subjektiv und unwillkürlich entstehen, lassen sie sich nicht zielgenau herbeiführen und sind damit nicht pädagogisch vorausplanbar. Allerdings kann man Bedingungen schaffen, die immer wieder Erlebnisse ermöglichen. Die Wirkung von erlebnispädagogischen Lernangeboten ergibt sich daher nicht direkt aus den abenteuerlichen Erlebnisfeldern, sondern durch die spezifische Weise in der sie genutzt, präsentiert und kombiniert werden.

Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten. (Erlebnispädagogik / Wikipedia)

Quellen der Persönlichkeitsentwicklung

Es kommt darauf an, den Kindern Geborgenheit und damit emotionale Sicherheit zu geben. Über vielfältige Anregungen erhalten sie die Chance, grundlegende Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit zu machen. Zunächst verbindet sich diese Erfahrung mit allen Aktivitäten, die beim kindlichen Spiel vorkommen. Ich kann krabbeln, stehen, laufen, klettern, rennen, Dreirad fahren, mit Wasser und Feuer spielen, mit einem Messer schnitzen, klettern, balancieren, hüpfen und springen, kämpfen, gewinnen und verlieren, Theater spielen, Musik machen, lesen, schreiben, rechnen. Wenn Eltern oder nahe Bezugspersonen diese Lernerlebnisse der Kinder wohlwollend begleiten und durch zustimmende Äußerungen unterstützen, bilden sich im Gehirn der Kinder neuronale Netzwerke aus, in denen nicht nur das motorische Können gespeichert wird, sondern auch die Freude am Können. Sie erfahren auf diese Weise eine Bestätigung und Stärkung ihrer Selbstwirksamkeitserfahrung. Daraus entwickelt sich die für lebenslanges Lernen so notwendige innere Motivation. Hier liegt die Quelle des Lernens. In allen nachfolgenden Prozessen müssen wir darauf achten, dass diese Quelle nicht versiegt. Sie kann durch kein noch so ausgeklügeltes Förderprogramm ersetzt werden. Die Freude am Lernen steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Erlebnis, dass das eigene Tun auch in den Augen und Ohren anderer Menschen als etwas Wichtiges wahrgenommen wird. Die positive Resonanz, die Kinder erfahren gibt ihnen Sicherheit und bestärkt sie in ihrem Tun. So können sich Kinder zu stabilen Persönlichkeiten mit einem guten Selbstwertgefühl entwickeln.

Lernen findet in einem Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Aktivitäten statt. Leider wird das Lernen heute weitgehend mit den schulischen Fächern gleichgesetzt und nur selten in seinen emotionalen und sozialen Dimensionen gesehen. Für erfolgreiches Lernen ist die Erfahrung von vielen komplexen Situationen erforderlich. Klassenfahrten, Feriencamps, Reisen von längerer Dauer können hier ihre kompensatorische Wirkung entfalten.

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon frühe voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Applaus belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung dar.

Erzieherinnen und Lehrer müssen diese Prozesse pflegen und entsprechende Entwicklungs- und Gestaltungsanreize geben. Im Spiel sammeln Kinder z.B. vielfältige emotionale und kognitive Erfahrungen, die sich auf eine differenzierte Ausbildung ihres Gehirns auswirken.

Lernen ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem guten Zusammenspiel von emotionalen, sozialen und kognitiven Prozessen beruht. Erfahrene Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen gehen deshalb emotional achtsam mit sich selbst um. Das ist eine Voraussetzung für Empathie gegenüber Kindern. Kreativ und zielstrebig arbeiten emotional kompetente Erzieherinnen und Lehrkräfte mit ihren Kolleginnen und Kollegen an einer pädagogischen Konzeption, in deren Kern es um die Beachtung und Förderung der gesamten Persönlichkeit geht. Ohne sich im Gestrüpp der vielfältigen Alltagsbelastungen zu verfangen, schaffen sie für die ihnen anvertrauten Kinder und Schüler Lernräume, die Entdeckungen ermöglichen. Sie werden vor allem dafür sorgen, dass störende Einflüsse wie Demütigungen von Mitschülern nicht zugelassen und Konflikte geklärt werden. Unsicherheitssituationen, die durch Gewaltandrohung, Gewalt oder Mobbing geschaffen werden, beeinträchtigen das Lernvermögen der betroffenen Kinder nachhaltig. Sie müssen daher, wenn Lernen gelingen soll, bearbeitet werden und dürfen auf keinen Fall unbeachtet bleiben oder abgetan werden.

Wenn Kinder die Chance erhalten, Probleme selbstständig zu lösen, entwickeln sie über die Zunahme ihrer Handlungskompetenz eine Motivation, die sich wiederum auf ihr Selbstwertgefühl stabilisierend auswirkt. Kinder brauchen, um hinreichend offen für neue Wahrnehmungen, kreativ und neugierig zu bleiben, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Das individuelle Lernen ist immer eingebettet in strukturelle Rahmenbedingungen, die Lernforschritte eher begünstigen oder behindern können.

Ausblick

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Wissen umfasst vielfältige Inhalte aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Denken bezeichnet Strategien des Erkenntnisgewinns und der Reflexion, z.B. Sachverhalte beschreiben, Probleme erkennen und nach Lösungen suchen, Situationen interpretieren und Handlungen planen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sie sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Gesundheitsbewusstsein ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert.

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Spitzer, M. (2003): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum, Heidelberg

Streeck-Fischer, A. (2001): Gezeichnet fürs Leben – Auswirkungen von Misshandlungen und Missbrauch in der Entwicklung. In: Gebauer / Hüther (Hg.): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf, S. 79 – 89

Streeck-Fischer, A. (2002): Lebensphase Adoleszenz. In: Psychotherapie im Dialog. Thieme, Stuttgart

Streeck-Fischer, A. (Hrsg.) (2004): Adoleszenz – Bindung – Destruktivität. Klett-Cotta, Stuttgart

Stierlin, H. (1994): Ich und die anderen. Psychotherapie in einer sich wandelnden Gesellschaft. Klett-Cotta, Stuttgart

Von Salisch, M. (Hrsg.) (2002): Emotionale Kompetenz entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Kohlhammer, Stuttgart

Wikipedia: Erlebnispädagogik

Dr. phil. Karl Gebauer ist Verfasser und Herausgeber zahlreiche Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Er war 25 Jahre Rektor der Leineberg-Grundschule in Göttingen. Zuletzt sind von ihm erschienen: Klug wird niemand von allein. Kindern fördern durch Liebe. Patmos / Düsseldorf. Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz / Weinheim. Zusammen mit Prof. Dr. Gerald Hüther hat er die Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung ins Leben gerufen. Weitere Informationen unter:

www.gebauer-karl.de

DIE BEDEUTUNG DES VATERS FÜR DIE FRÜHKINDLICHE ENTWICKLUNG

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Wenn ich unsere Freundschaften an uns vorüberziehen lasse, dann stelle ich fest, dass sie ihren Ursprung in der Kindergartenzeit unserer Söhne, die heute 28 und 22 Jahre alt sind, haben. Unsere Kinder besuchten einen Kindergarten, der aus einer Elterninitiative entstanden war. Es gehörte nicht nur zu den Aufgaben der Eltern, sich mit dem pädagogischen Konzept vertraut zu machen, sondern es waren im Verlauf eines Jahres viele konkrete Aufgaben zu erfüllen wie Kochen, Putzen, Reparaturen am Gebäude, Gestaltung des Außenbereichs, Verwaltungstätigkeiten und anderes mehr. Wir haben auch viele schöne Feste gefeiert. Aus den vielfältigen Begegnungen sind in einigen Fällen Freundschaften entstanden.

Assoziationen über Väter und KITAS

In der Einladung zur Tagung „Väter gefragt – Neue Wege in der Arbeit mit Eltern“ wird festgestellt, dass Elternarbeit faktisch Mütterarbeit sei und dass die Väter meist nur eine Nebenrolle spielten. Es sollen neue Wege beschritten werden, die Interessen der Väter sollen geweckt und ihre Beziehung zu ihren Kindern gestärkt werden. In meinem Beitrag geht es um die Bedeutung des Vaters für die frühkindliche Entwicklung. Mit den folgenden Anregungen an die Leiterinnen von Kindertagesstätten möchte ich die Väter gleich in den Blick rücken.

Von welchem Vater haben sie ein äußeres Bild, eine Vorstellung?

Können sie den Vater seinem Kind zuordnen?

Wenn sie diesen Vater sehen, wie er sein Kind bringt oder abholt, welche Gefühle löst er in mir aus?

Welcher Vater interessiert sich für sein Kind?

Welcher Vater interessiert sich für die Arbeit in der Kita?

Welcher Vater unterstützt die Kita bei konkreten Anlässen?

Welcher Vater löst durch seine Art bei den Erzieherinnen Ärger aus?

Über welchen Vater freuen sie sich richtig?

(Es folgt eine Reflexionsphase mit kurzer Aussprache.)

Vaterschaftskonzepte der Gegenwart

Statistische Erhebungen zeigen, dass sich das Vaterschaftskonzept geändert hat. In einer für Deutschland repräsentativen Studie wird das Vaterschaftskonzept der Gegenwart auf zwei Typen zugespitzt. Danach rechnen sich 66% der Befragten dem Typ „Vater als Erzieher“ und 34 % dem Typ „Vater als Ernährer“ zu. Mit der letzten Bezeichnung ist gemeint, dass sich der Vater eher um die äußern Belange kümmert, während sich der Vater als „Erzieher“ um die gesamte Entwicklung seines Kindes und die Beziehungen innerhalb der familiären Konstellation sorgt. „Es handelt sich also um eine neue soziale Norm, die Vaterschaft neu definieren lässt.“ (Fthenakis/Minsel 2002, S.23)

Eine Studie der evangelischen und katholischen Kirche aus dem Jahr 2009 kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen:

Dem Typ „traditioneller Mann“ werden in der Studie 27 Prozent der Befragten zugeordnet. Beim modernen Männertyp sind es 19 Prozent. Zwischen traditionell und modern siedelt die Studie den „balancierenden Typ“ mit 24 Prozent und als größte Gruppe den nach seiner Rolle „suchenden Mann“ (30 Prozent) an. Sie sind auf dem Weg zu einem inneren Bild, das den Anforderungen der Gegenwart gewachsen ist.

http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2009_03_18_3_maennerstudie.html

19 Prozent der Männer setzen sich mit den Anforderungen in der Familie und in ihrem gesellschaftlichen Umfeld auseinander. Sie werden als modern angesehen.

Wie entsteht eine zugewandte väterliche Haltung?

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Seit einigen Jahren beschäftigt mich die Frage, wie es kommt, dass sich manche Väter emotional ihren Kindern zuwenden und sie in ihrer Entwicklung unterstützen, während sich andere eher desinteressiert zeigen und auf Distanz gehen. Ich wollte erfahren, ob, wie und wodurch es Vätern gelungen ist, ein inneres Vaterbild zu erwerben und zu einem inneren Arbeitsmodell weiter zu entwickeln, das ihnen eine zugewandte väterliche Haltung ermöglichte. Dabei interessierte ich mich besonders für die Ressourcen, die für eine zugewandte Haltung erforderlich sind, und wie diese Ressourcen trotz oft problematisch verlaufender Biographien erworben werden konnten. In Gesprächen mit Vätern im Alter zwischen 37 und 64 Jahren habe ich versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden. Ich stellte jedem Gesprächspartner zwei Grundfragen:

„Wenn sie an ihren Vater denken, welche Situationen, Ereignisse oder Bilder springen dann unmittelbar in ihr Bewusstsein?“ Diese Frage weckte in allen Fällen deutliche Erinnerungen.

„Wenn sie nun an sich selbst als Vater ihres Kindes / ihrer Kinder denken“, so fragte ich meine Interviewpartner, „was fällt ihnen dann spontan ein?“

Auf diese Weise habe ich viele Geschichten von Vätern mit ihren Vätern und mit ihren Kindern gehört, aufgeschrieben und analysiert. Der Blick in die Vergangenheit gibt Aufschluss über das internalisierte Bild vom Vater, der Blick auf die eigenen Kinder lässt das innere Arbeitsmodell sichtbar werden, das das Verhalten eines Vaters im Umgang mit seinen Kindern beeinflusst. (Gebauer 2003)

Die Bedeutung innerer Vaterbilder

Ob und wie sich ein Vater um seine Kinder kümmert, hängt u.a. davon ab, welches innere Bild er selbst von sich als Mann und Vater entwickelt hat. Für eine gelingende Vaterschaft sind Erlebnisse mit einem emotional zugewandten und anregenden Vater wichtig. Beim Fehlen dieser positiven Erfahrungen, kann eine Kompensation über vaterähnliche Personen erfolgen. Diese Aufgabe kann z. B. ein Großvater, ein älterer Bruder oder ein Freund erfüllen (Gebauer 2003, S.100 ff. und S. 178 ff). Das besondere Ereignis der Geburt eines Kindes kann ein entscheidender Schritt zu einer reflektierenden Vaterschaft sein. (Schorn 2003) Damit ein Vater seine vielfältigen Aufgaben erfüllen kann, ist aber auch eine Akzeptanz seiner Rolle durch seine Frau von Bedeutung. Er wird seine Aufgaben als Vater dann besonders gut ausfüllen können, wenn er von seiner Frau nicht nur als Partner sondern auch als Vater des gemeinsamen Kindes gewünscht und akzeptiert wird. In der Umkehrung wird die Mutter ihr Kind eher freigeben können, wenn sie von ihrem Mann als Partnerin akzeptiert und als Mutter des Kindes geschätzt wird.

Wenn Vater, Mutter und Kind positiv aufeinander bezogen sind, kann man von einem gelungenen Triangulierungsprozess sprechen. Auch wenn dieser Prozess in der heutigen Zeit in vielen Familien nicht oder nur begrenzt gelingt, ist dies kein Grund, ihn als unbedeutend anzusehen. Es ist das Prinzip des bedeutsamen Dritten, das unabhängig von der tatsächlichen väterlichen Präsenz von Anfang an seinen Platz in der Mutter-Kind-Beziehung bekommen muss. (Grieser 2002, S.21ff.)

Hilfreich ist es, wenn die Mutter diesen „psychischen Raum“ schon während der Schwangerschaft bereithält, so dass er für das neugeborene Kind innerpsychisch schon vorhanden ist (von Klitzing, 2002, S.13). Der reale Vater muss natürlich bereit und in der Lage sein, diesen von der Mutter eingeräumten Platz auf seine ganz eigene Weise einzunehmen und zu gestalten. Das gelingt nicht immer und nicht zu jeder Zeit.

Einige prägnante Aussagen aus Interviews mit Vätern machen deutlich, wie sehr sie sich, lange bevor sie selbst Vater wurden, nach einem Vater gesehnt haben, der ihnen Anerkennung zuteil werden ließ und Zeit für sie hatte.

„Ich konnte mich anstrengen wie ich wollte, ich habe die Zuneigung meines Vaters nicht erhalten.“ „Ich habe ihn bewundert und mich nach ihm gesehnt.“ „Eigentlich habe ich nie einen Vater gehabt.“ „Was Männer in Beziehungen erleben, das hat als Erfahrung gefehlt.“ „Er hat mich wie verrückt geliebt, konnte es aber nicht zeigen.“ „Mein Vater war da, aber er war nicht erreichbar.“ (Gebauer 2003, S.69ff.)

Im inneren Bild dieser Väter wird eine starke Erwartungshaltung nach Zuwendung und Anerkennung sichtbar. Die Enttäuschung, die in den Aussagen mitschwingt, ist unübersehbar.

Ein Vater von drei Kindern erzählt, er habe immer wieder vergeblich versucht, die Lebendigkeit in seinem Vater zu entdecken. „Das Erste was mir einfällt, wenn ich an meinen Vater denke, das ist der Pfarrer auf der Kanzel. Das ist ein prägendes Bild. Mein Vater war mir mit Badehose am Meer suspekt. In der Kirche war er sehr beeindruckend, sehr klar. In der Familie war er nicht anwesend. Er war auch für Ängste und Sorgen bei mir nicht zuständig. Er war eher so einer, der die familiären Dinge der Frau überließ. Ich habe Orgel gelernt. Das war mein Versuch, an seiner Lebendigkeit teilzuhaben. Ich habe immer wieder versucht, die Lebendigkeit in meinem Vater zu suchen. Was ich auch immer sagte, es gab nur stereotype Anweisungen, es fehlte die emotionale Nähe. Als ich älter wurde und versuchte, mit ihm zu diskutieren, standen sich zwei Menschen mit ihren Meinungen gegenüber. Später habe ich mich von ihm losgesagt. In der Phase der Trennung ist mein Vater gestorben. Ich bin nicht bei der Beerdigung gewesen. Zu dem Zeitpunkt habe ich mir ein einsames Kirchlein gesucht und dort meinem Vater alles entgegengebrüllt, was mir einfiel. Ich habe gebrüllt, gesungen und geweint. Jetzt sind wir quitt, das war anschließend mein Gefühl. Du hast mich allein gelassen, jetzt habe ich dich allein gelassen. Ich habe sehr viel Trauer, aber auch sehr viel Wut gespürt. In mir wuchs der Wunsch, nicht den Weg meines Vaters zu gehen, sondern für mich einen neuen Weg zu suchen.“ (Gebauer 2003, S. 71ff.)

Entwicklung eines Vaterschaftskonzeptes

Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Interviews die Erkenntnis, dass eine unzureichende oder schädliche Vatererfahrung auf unterschiedliche Weise kompensiert werden kann. Dabei scheint für das Gelingen einer zugewandten Väterlichkeit die Orientierung an anderen Männern eine unabdingbare Voraussetzung zu sein. Auf dem Holzweg befinden sich Väter, die sich beim Aufbau und bei der Stabilisierung eines inneren Vaterkonzeptes an Müttern orientieren wollen. Männliche Identität und ein inneres Vaterkonzept brauchen männliche und väterliche Vorbilder.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Bedeutung der Mutter/Ehefrau für eine gelingende Vaterschaft unterschätzt werden darf. Eine der neueren Untersuchungen hebt hervor, dass die Ehe-Zufriedenheit der Frau eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. (Herlt 2002, S.602)

Das Konzept einer zugewandten Väterlichkeit hat vor allem dann Chancen, wenn es von der Ehefrau oder Lebenspartnerin unterstützt wird. Die Frau stellt gleichsam für den Vater ihres Kindes einen „psychischen Raum“ (Grieser 2002, S. 21 ff.) bereit. Wenn in ihrer inneren Einstellung eine Wertschätzung des Vaters mitschwingt, dann wirkt sich diese positiv auf die Vater-Kind-Beziehung aus. Natürlich muss der Vater auch bereit sein, diesen Platz einzunehmen und aktiv zu gestalten. Nicht unwesentlich für ein Gelingen der Vaterschaft ist die Qualität der Paarbeziehung. Ein Vater sagt: „Es gibt Mütter und Väter, die sehr auf ihre Kinder achten und auf deren Bedürfnisse eingehen, dabei aber die Paarbeziehungen aufs Spiel setzen. Wenn man auf der Beziehungsebene verunsichert ist, wirkt sich das auf die Beziehungen zu den Kindern aus.“ (Gebauer 2003, S. 75)

Der Vater im familiären und gesellschaftlichen Kontext

In neueren Studien wird der Vater in seinen vielfältigen Beziehungen innerhalb der Familie und im gesellschaftlichen Kontext beschrieben. (Walter 2002)

Als Merkmale für das erfolgreiche Agieren im familiären Kontext werden hervorgehoben:

Kommunikationsfähigkeit in den Situationen des Alltags; Haushaltsbeteiligung; Sensitivität gegenüber den Bedürfnissen der Familienmitglieder; Aktive Freizeitgestaltung mit der Familie; Zufriedenheit der Partnerin; Sorge für den Lebensunterhalt; Achtsamkeit gegenüber der eigenen Persönlichkeit; Interesse an der Entwicklung der Kinder und Aufrechterhaltung von Freundschaften.

Das Vaterbild wird selbstverständlich auch beeinflusst von gesellschaftlichen Erwartungen und familienpolitischen Vorgaben. Es ist z.B. ein großer Unterschied, ob ein Vater die Chance hat, Erziehungszeiten zu nehmen oder nicht. Hier gibt es im Ländervergleich große Unterschiede. Die Situation im Jahr 2003 sah so aus: In Schweden machen 40 % der Väter von der Erziehungszeit Gebrauch, in Österreich 2%, in Deutschland 1,6 %. Während eines Zeitraums von 420 Tagen kann in Schweden einer der Elternteile die Betreuung der Kinder übernehmen und erhält dafür 80 % seines Monatslohnes (Quelle: Der Standard, 20.9.03).

Heute sieht die Situation in Deutschland ganz anders aus: Seit Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 ist die Väterbeteiligung an der Kindererziehung gestärkt worden. 97 Prozent der Familien nutzen das Elterngeld. 25.7 Prozent der Väter beziehen Elterngeld; in Bayern, Sachsen, Berlin und Thüringen liegt die Väterbeteiligung bereits über 30 Prozent. (Studie DIW Berlin 2012)

Konkret geht es bei der Frage nach dem gesellschaftlichen Kontext auch um die Kontakte des Vaters zu Freunden, zur Nachbarschaft, zu Erziehrinnen in den KITAS und zu Lehrkräften in den Schulen. Der Vater muss es ebenso wie die Mutter leisten, die individuellen, familiären und die gesellschaftlichen und beruflichen Ansprüche und Anforderungen unter einen Hut zu bringen.

Zum Stand der Vaterforschung

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Erst seit den 70ern Jahren kann man von einer kontinuierlichen und differenzierten Vaterforschung sprechen. Seiffge-Krenke(2002) unterscheidet drei Phasen: In der ersten Phase habe man versucht nachzuweisen, dass die Väter „distante, periphere Figuren in der Kindererziehung“seien. In der zweiten Phase der Vaterforschung habe die Ähnlichkeit zwischen Vater und Mutter im Vordergrund gestanden. Ihre Aktivitäten in Bezug auf das Kind wurden miteinander verglichen. Kennzeichnend für beide Phasen sei, dass der Vater „quantitativ und qualitativ als defizitär im Vergleich zur Mutter eingestuft“ wurde. Allerdings entdeckte man während dieser Phase einige Besonderheiten und Unterschiede im Kontakt zu den Kindern. Väter verhielten sich demnach im Körperkontakt aufregender und risikoreicher mit ihren Kindern. Im Hinblick auf fünfjährige Kinder etwa beobachtete man nach diesen Studien bei den Vätern stärkere körperliche Aktivitäten und ein umfangreicheres Spielverhalten, während bei den Müttern wiederum das umsorgende Element vorherrschte.

Die Frage, worin sich Vater und Mutter in ihren Handlungsweisen und in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes unterscheiden, wurde erst in jüngerer Zeit gestellt. Bei Vätern war man bisher eher daran interessiert, ob in Bezug auf ihre Töchter eine sexuelle Problematik vorliegen könnte. Das Interesse richtete sich vor allem auf das Thema Missbrauch gegenüber Mädchen und auf aggressive Handlungsweisen von Vätern gegenüber ihren Söhnen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse, wie sie die Säuglings und Bindungsforschung vorlegen, wird die Frage interessant, ob der Vater nicht ebenso wie die Mutter schon in der frühen Kindheit eine herausragende Bedeutung hat, wenn es zum Beispiel um den Aufbau sicherer Bindungen geht. (Steinhardt, K. / Datler, W. / Gstach 2002)

Viele Väter beteiligen sich an Geburtsvorbereitenden Kursen, sind während der Geburt ihres Kindes anwesend und nehmen unmittelbar körperlichen Kontakt zu ihm auf. In der Folge wickeln und pflegen diese Väter ihre Kinder, nehmen sie auf den Arm und sind auf diese Weise wie die Mutter eine nahe Bezugsperson. In einer vertrauensvollen Beziehung erlebt das Kind, dass es neben der Mutter noch eine weitere Person gibt, die sich anders anfühlt, deren Stimme anders klingt, die aber dennoch Geborgenheit vermittelt. Eine so beginnende emotionale Bindung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit positive Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. (Scheer/Wilken 2002, S.182 ff) Aus der Säuglingsforschung ist bekannt, dass ein Kind schon in den ersten Wochen eine Beziehung zu mehren Personen aufbauen kann. Eine große Bedeutung des Vaters für die Identitätsentwicklung und die Bindungssicherheit seines Kindes wird daher bereits für diese Phase angenommen.

Der Spannungsbogen der Vaterforschung reicht von einer weitgehenden Ignoranz des Vaters bis hin zu einem positiven, unterstützenden Vater. Auch seine wesentliche Rolle als Dritter im Beziehungsgefüge (Mutter – Kind – Vater) wird zunehmend gewürdigt (von Klitzing 2002 b, S.94 ff.). Die Aufgabe des Vaters liegt über weite Strecken vor allem darin, der Verschmelzung zwischen Mutter und Kind etwas entgegen zusetzen. So kann er am ehesten zur Autonomieentwicklung seines Kindes in den ersten Lebensjahren beitragen (Petri 2002, S.5 ff.). Der Psychoanalytiker Peter Blos (1990) hat die Vater-Sohn-Beziehung bis ins Erwachsenenalter beschrieben und spezifische Verhaltensweisen des Vaters hervorgehoben: zum einen geht es darum, zu seinen Kindern eine angemessene Beziehung herzustellen, und zum anderen gilt es auch eine entsprechende Paarbeziehung zu leben. So kann ein Kind erfahren, dass es in einem Beziehungssystem aufwächst, dem mindestens drei Personen angehören. Es erkennt im Verlauf seiner Entwicklung, dass es zu Vater und Mutter eine Beziehung hat und dass es darüber hinaus eine Dreierbeziehung gibt. Im ersten Fall spricht man von einer dyadischen und im zweiten Fall von einer triadischen Beziehung. Bei aller Fürsorglichkeit vor allem des frühen Vaters für den Sohn und der Wahrnehmung von Ähnlichkeit ist es dennoch wichtig, sich um Differenz zu kümmern und die Bedeutung des Dritten, in diesem Fall die Mutter, zu beachten.

Zusammenfassend hebt Inge Seiffge-Krenke hervor, dass der Vater in der Erziehung einen besonderen Beitrag hinsichtlich der Individuation leiste, der den Beitrag der Mutter ergänze und komplettiere. „Er muss seine Rolle als Vater übernehmen und nicht zur zweiten Mutter werden. Für alle diejenigen Kinder und Jugendlichen jedoch, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mit ihren Vätern zusammenleben, ist, auch wenn diese nur einen kleinen Teil ihrer Zeit zur Verfügung stellen können, die Regelmäßigkeit dieses Arrangements und die Einbeziehung in den Alltag notwendig, um die gefährliche Idealisierung von Vätern zu vermeiden.“ (Seiffge-Krenke 2002, S.31) Für eine gute Entwicklung sind unterschiedliche Akzentsetzung durch Mutter und Vater wichtig. Die Ablösung in der Adoleszenz kann dann gut gelingen, wenn eine Beziehung zu beiden Eltern besteht. Je mehr ein Kind mit der Realität auch außerhalb der Familie konfrontiert wird, desto stärker gewinnt der Vater als Sicherheit bietende Instanz an Bedeutung.

Der Spannungsbogen der Vaterforschung reicht also von einer weitgehenden Ignoranz des Vaters bis hin zu einem positiven, unterstützenden Vater.

Was Kinder und Jugendliche so über ihre Väter sagen

Lange erschienen die Väter als Randfiguren in der Kindererziehung. Das drückt sich immer noch in Äußerungen von Kindern und Jugendlichen aus:

Mein Vater? Ich weiß nicht. Er ist eigentlich gar nicht. Er ist nichts. Er möchte es immer allen recht machen. Hat keine Autorität.“

Ich bin 16, lebe mit meiner Mutter, vermisse meinen Vater nicht.“

Mein Vater ist mein Erzeuger. Wir kennen uns nicht besonders gut. In der Erziehung spielt er keine Rolle. Wir verbringen die Wochenenden miteinander.“

Mein Vater hat uns verlassen. Vielleicht lag es daran, dass sein Vater auch gegangen ist, als er ein Jahr alt war.“

(Ausschnitte aus einer Fernsehsendung vom, in der Jugendliche über ihr Verhältnis zu ihren Eltern befragt wurden.10.2.03, ARTE)

In diesen Äußerungen erscheint der Vater als merkwürdiger – vielleicht sogar als ein verantwortungsloser Geselle. Aber bei den Vätern ist etwas in Bewegung geraten. Neuere Forschungsergebnisse zum Selbstverständnis von Vätern (Fthenakis/Minsel 2002, Walter 2002) geben Anlass zu einer optimistischen Sichtweise.

 

Vor diesem Hintergrund hören sich Äußerungen von Schülerinnen und Schülen zum Beispiel so an:
Insa, eine 16-jährige Schülerin erzählt: „Wenn es regnete, dann saß ich oft mit meinem Papa und meinem Onkel am Tisch und wir bauten gemeinsam mit Legostseinen. Ich sehe die Situation heute noch vor mir. Die beiden haben sich gefreut. Ich glaube, sie haben sich noch einmal als Kinder erlebt. Mit Barbis habe ich auch gespielt.“

Mit meinen Geschwistern und meinem Vater haben wir nach Weihnachten mit Lego gespielt. Das Eigenartige dabei ist, dass wir gebaut und gebaut haben. Manchmal hatten wir das ganze Zimmer zugebaut. Da gab es einen Bereich für Eskimos und dann war da eine große Eisenbahnanlage. Und wenn wir damit fertig waren, dann war das Projekt auch zu Ende. Gespielt haben wir dann nicht mehr damit. Das Entscheidende bestand in der Konstruktion.“ (Jakob 16 Jahre)

Leo (15 Jahre) erzählt: „Ich habe viel von meinem Vater gelernt. Eigentlich hat er mir alles beigebracht. Die ersten sechs Schuljahre haben mich eher negativ geprägt. Ich hatte merkwürdige Lehrerinnen und Lehrer. Es galt nur ihre Meinung. Sie haben mit vermittelt, dass nur sie es sind, die über Wissen verfügen. Vor allem aber haben sie sehr deutlich gemacht, wer das Sagen hatte. Ich habe sie nicht gemocht. (…)

Meine Eltern haben mich sehr unterstützt. Auch dann, wenn ich keine Lust hatte, zum Beispiel Klavier zu spielen, hat mich mein Vater angehalten, dennoch zu üben. Meine Mutter spielte eher eine Rolle, wenn es Probleme gab. Und dann war da noch mein Großvater. Mit ihm war ich oft im Wald unterwegs. Er hat mir viel über Pflanzen und Tiere erzählt. Mit ihm zusammen habe ich auch Gedichte gelernt. Auch aus seiner Kindheit hat er viel erzählt. Auch mein Vater hat mir viel aus seiner Kindheit erzählt.“ (Gebauer 2004)

Das väterliche Beziehungsangebot ist wichtig

Aus wissenschaftlicher Sicht wird der Beziehungsgestaltung eine herausragende Bedeutung zugeschrieben. Hirnforscher sehen in der Qualität der Beziehung die Grundlage für eine gelingende Entwicklung. Die sich herausbildenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen.

Kinder brauchen daher Eltern, Erzieherinnen und Lehrpersonen, die Geborgenheit vermitteln, Interesse zeigen, Anregungen geben, Regeln erklären, bei Konflikten helfen, Eigenaktivitäten zulassen und sich an der individuellen Entwicklung eines Kindes freuen. Gelingendes Lernen findet in erster Linie in einer anregenden, wertschätzenden Atmosphäre statt – sei es in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule.

Zuwendung, Anerkennung, emotionale Achtsamkeit, Anregungen, Geborgenheit, Beziehungsvorbild sind grundlegende Merkmale eines zugewandten Vaters im gesamten Entwicklungsprozess. In den ersten Lebensjahren besteht seine Aufgabe vor allem darin, körperliche Nähe und ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Er ergänzt und erweitert die wichtige Muter-Kind-Beziehung und ist für sein Kind der „bedeutsame Dritte.“ Seine Aufgabe in der frühen Kindheit liegt über weite Strecken vor allem darin, der Verschmelzung zwischen Mutter und Kind etwas entgegen zu setzen. Neben der dyadischen Beziehung zur Mutter kann das Kind auch eine Zweierbeziehung zum Vater erleben. So kann er zur Autonomieentwicklung seines Kindes beitragen. In den folgenden Lebensjahren kommt es vor allem auf gemeinsame Aktivitäten und Unternehmungen an. Wenn ein Vater mit seinem Kind in der Natur auf Entdeckungsreise geht, es bei seinen vielfältigen Lernschritten wie Dreirad-, Roller-, Fahrradfahren und beim Schwimmen unterstützt, dann wird er als Vorbild erlebt Auf diese Weise wird eine tragfähige Beziehung aufgebaut, die eine wichtige Voraussetzung für den später einsetzenden Ablösungsprozess bildet.

Spiel und Gehirnentwicklung

Das Haupterfahrungsfeld für Babys und Kinder ist das Spiel. Im Spiel setzt sich ein Kind durch permanente Gestaltung mit sich und der Welt auseinander. Seine Selbstentwicklung basiert auf unendlich vielen Interaktionserfahrungen mit anderen Menschen in der jeweiligen Umwelt. Ein spieleinfühlfähiger Vater trägt nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, er gibt seinem Kind über vielfältige Anregungen die Möglichkeit, die damit verbunden Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen, zu speichern. Somit trägt er entscheidend zur kognitiven Entwicklung bei, denn unser Gehirn enthält nicht Erinnerungen an einzelne Objekte, sondern an die emotionale Einbettung dieser Objekte in eine als bedeutsam erlebte Situation. Es sind die Szenen, die Erzählungen, die persönlichen Erlebnisse, die als erste Repräsentanten so etwa wie eine Grund-Matrix ausbilden, auf der sich später abstrakte Gedanken und Erinnerungen abbilden. Hier werden die Grundlagen für die später so wichtige intrinsische Motivation gelegt. (Gebauer/Hüther 2002, S. 14 ff. ).

Idealisierung und Entidealisierung des Vaters

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter, die Phase der Adoleszenz, ist eine Zeitspanne, in der das innere Bild vom Vater besonders intensiv überprüft und gegebenenfalls verändert wird. Gelingt der Prozess der Revision des inneren Vaterbildes während und auch nach dieser Phase, man spricht auch von einer Entidealisierung, dann führt dies zu größerer Selbständigkeit, verbunden mit mehr Verantwortungsbereitschaft für die eigene Identitätsentwicklung.

Eine Idealisierung des Vaters entwickelt sich aus konkreten Erfahrungen mit dem Vater und den Wunschfantasien, wie der Vater sein sollte. Die so idealisierten Seiten des Vaters werden im Verlauf der Adoleszenz zunehmend durch die Erfahrung mit dem realen Vater infrage gestellt. Es sind jene positiven Erfahrungen, die dem Heranwachsenden bisher eine innere Orientierung boten. Auch das eigene Selbst wird zunehmend realistisch wahrgenommen. Es werden sowohl beim Vater als auch beim Jugendlichen die Stärken und Schwächen sichtbar und wahrnehmbar. Der zuvor als stark und mächtig erlebte Vater „schrumpft“ immer mehr zusammen.

Innerhalb dieser oft sehr heftig verlaufenden Veränderungsprozesse kommt der Mutter eine vermittelnde Funktion zu. Das gilt nicht weniger für die Auseinandersetzung der Mutter mit den Kindern. Kommt es hier zu unlösbar scheinenden Verstrickungen, dann ist die vermittelnde Funktion des Vaters gefragt. Die Konflikte, die gerade währen der Phase der Pubertät sehr heftig sein können, sollten immer wieder Gegenstand gemeinsamer Reflexionen sein. Gelingen solche Gespräche, dann müssen weder Vater noch Mutter in der Folge von ihren Kinder erniedrigt oder erhöht werden, sie können realistisch wahrgenommen werden. Diese Reflexionsprozesse stellen für die Heranwachsenden einen wichtigen Orientierungsrahmen dar.

Sensitivität des Vaters

Neuere Studien zeigen, dass es vor allem die emotionalen Fähigkeiten eines Vaters sind, die eine gelingende Vaterschaft ermöglichen. Eine zugewandte väterliche Haltung zeigt sich vor allem darin, dass sich ein Vater in die Wünsche und Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder einfühlen und diese auch in seinem Handeln berücksichtigen kann. In diesem Zusammenhang ist seine Kommunikationsfähigkeit hinsichtlich der vielen Entscheidungen, die das alltägliche Leben verlangt, gefragt.

Die Zufriedenheit der Partnerin lässt Väterlichkeit besonders wirksam werden

Das Konzept einer zugewandten Väterlichkeit hat vor allem dann Chancen, wenn es von der Ehefrau oder Lebenspartnerin unterstützt wird. Für die unterschiedlichen Arrangements einer gelingenden Lebensführung, bei der die Kinder in ihrer Entwicklung gestärkt werden, ist also ein hohes Maß an Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit erforderlich. Viele Väter sind nach neueren Untersuchungen dazu bereit und fähig. (Herlt 2002, Kudera 2002)

Ein Vater sagt: „Es gibt Mütter und Väter, die sehr auf ihre Kinder achten und auf deren Bedürfnisse eingehen, dabei aber die Paarbeziehungen aufs Spiel setzen. … Wenn man auf der Beziehungsebene verunsichert ist, wirkt sich das auf die Beziehungen zu den Kindern aus. Und umgekehrt darf man sich nicht von den Aufgaben, die man den Kindern gegenüber hat, auffressen lassen. Das ist natürlich nicht einfach. Manchmal reicht die Kraft nicht, oder man hat den Eindruck, dass man total überfordert ist. Wenn man zum Beispiel die ganze Nacht nicht schlafen konnte, weil ein Kind krank ist. Später bekommt man die Energie von den Kindern zurück. So erlebe ich das jedenfalls.“ Gebauer 2003, S. 75)

Desinteresse und Gewalt

Über weite Strecken der Entwicklung geht es bei den Kindern um Entdeckungen, um das Wahrnehmen und Genießen der eigenen Stärke, des eigenen Könnens. Kinder lernen gern von ihrem Vater und schätzen ihn als Vorbild, wenn er ihnen Interesse entgegenbringt und auch Zeit für sie hat. Steht der Vater nicht zur Verfügung, so kommt es bei manchen Kindern zu Enttäuschungsaggression. Es besteht die Gefahr, dass er selbst durch sein Desinteresse zum Auslöser von Aggressionen wird. Der Vater fehlt als Anreger und als Identifikationsmodell. Er fehlt vor allem als naher und zugewandter Vater, der durch sein Verhalten in Konflikten ein Vorbild dafür sein könnte, wie man in Konflikten mit aggressiven Gefühlen umgehen kann. In der Triade von Mutter, Vater und Kind kann am ehesten erlebt und gelernt werden, dass es für viele Alltagsprobleme nicht nur Lösungen gibt, sondern dass auch Alternativen zu den jeweiligen Ergebnissen denkbar wären. Das setzt Umgangsformen voraus, die sich durch Sensitivität, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit auszeichnen. Hier liegt für ein Kind die große Chance innerhalb seines Entwicklungsprozesses nicht nur oberflächlich erwünschte Verhaltensweisen auszubilden, sondern einen inneren Lebens- und Erlebensraum zu entwickeln.

Der Ablösungsprozess gelingt, wenn es eine tragfähige Bindung gab

Der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter, die Phase der Adoleszenz, ist eine Zeitspanne, in der das innere Bild vom Vater besonders intensiv überprüft und gegebenenfalls verändert wird. Es ist eine Zeitphase, in der heftige Auseinandersetzungen stattfinden. Gelingt der Prozess der Revision des inneren Bildes vom Vater während und auch nach dieser Phase, dann führt dies zu größerer Selbständigkeit, verbunden mit mehr Verantwortungsbereitschaft für die eigene Identitätsentwicklung. Innerhalb dieses Prozesses wird der Vater „entidealisiert“ und das heranwachsende Kind lernt es innerhalb dieses Prozesses mehr und mehr den Vater und schließlich sich selbst realistisch wahrzunehmen.

Für Väter und Mütter ist diese Phase nicht einfach. Einerseits sollen sie ihren Kindern Sicherheit geben, ihnen beim Übergang zum Beruf helfen und mit ihnen Perspektiven eröffnen, andererseits ist die eigene Situation oft durch große Unsicherheiten geprägt.

Sexuelle Identitätsentwicklung

In dieser Phase werden auch die bisherigen Erfahrungen mit der sexuellen Identitätsbildung aktuell. Die neuen Herausforderungen, die nun an Jungen und Mädchen gestellt werden, können u.a. dann besser angenommen und bewältigt werden, wenn es positive verinnerlichte Erfahrungen über das Mann- und Frausein gibt.

Bereits in der frühen Beziehungen zu Vater und Mutter liegen die Anfänge der sexuellen Identitätsbildung. Vater und Mutter können von dem Kind in ihrem Anderssein, in ihrer Männlichkeit und Weiblichkeit erfahren werden. Die Erfahrung beider Modi scheint unabdingbar für die psychische Entwicklung zu sein. So wichtig eine sichere Bindung zwischen Mutter und Sohn ist, so muss dieser sich im Verlauf seiner Entwicklung vom realen Geschlecht der Mutter ent-identifizieren. Der kleine Junge hat bei einem zugewandten Vater, schon früh ein leibhaftiges männliches Vorbild hinsichtlich seiner Geschlechtsidentität. Der Erkenntnisprozess, nicht so zu sein wie die Mutter und der damit verbundene Schmerz kann gemildert werden, wenn der Junge von Anfang an körperliche und emotionale Erlebnisse mit seinem Vater hat.

Es ist nicht Aufgabe des Vaters, zweite Mutter zu sein.

Im Kindergarten und in der Grundschule wären Männer als Erzieher und Lehrer für die Identitätsentwickelung gerade der Jungen besonders wichtig. Über eine emotional tragende Beziehungserfahrung ist eine positive Identifizierung mit dem Vater möglich. In der Phase der Adoleszenz ist es wichtig, dass z.B. ein Vater seinem Sohn und auch seiner Tochter signalisiert: „Es ist schön zu sehen, wie ihr euch entwickelt.“ Viele anerkennende Komplimente sind denkbar. Dabei sollte jetzt klar sein, dass die Gleichaltrigen-Gruppe in dieser Phase eine große Bedeutung einnimmt. Aber Vater und Mutter haben nach wie vor wichtige Funktionen in den anstehenden Klärungsprozessen.

Während der gesamten Entwicklung geht es um das Ausloten der Freiräume und Grenzen. Die Bedeutung des Vaters, liegt u.a. darin Nähe und Sicherheit zu ermöglichen, aber auch Grenzen zu setzen. Gelingen solche Prozesse, dann entstehen im inneren Erlebnisraum des Kindes Bilder eines zugewandten Vaters.

Ambivalenz und Kohärenzerfahrungen

Im Verlauf seiner Entwicklung wird ein Kind bei seinen Strebungen nach Wohlbefinden und Unabhängigkeit Vater und Mutter als „böse“ und „gut“ erleben. Für die Eltern ist damit die Aufgabe verbunden, die Gefühle ihres Kindes nicht abzuwehren, sondern sie als elementare Erlebnisweisen in ihre Kommunikation einzubeziehen. Dabei ist die Erfahrung von „sprachlicher Kohärenz“ entscheidend. Das Gesagte muss mit dem Erlebten übereinstimmen. Wird so über Gefühle kommuniziert dann kommt es zu einer Integration von „guten“ und „bösen“ Beziehungsanteilen. Es entsteht ein Netz von inneren Repräsentanten bzw. inneren Bildern. Hier wird die wichtige Erfahrung gemacht, dass kein Mensch „nur gut“ oder „nur böse“ ist. Erleben Kinder, dass im Verlauf von Konflikten Gefühle ausgedrückt und benannt werden, dann haben sie die Chance, eine eigene Gefühlssicherheit zu erwerben. Sie erleben auch, dass sich Gefühle verändern. Es entstehen Modelle davon, wie Konflikte unter Einbeziehung der Emotionen geklärt werden und so auch anders als nur mit Gewalt gelöst werden können. Diese Modelle stehen dann im Kindergarten und später in der Schule als innere Orientierungen zur Verfügung.

Identitätsentwicklung „ohne Vater“

Für alle Kinder und Jugendlichen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit ihren Vätern zusammenleben, ist die Regelmäßigkeit des Kontaktes mit ihm und die Einbeziehung in den Alltag wichtig.

Steht kein Vater als nahe Person zur Verfügung, mit dem sich ein Kind identifizieren kann, dann kann dies den unbedingt erforderlichen Ablösungsprozess von der Mutter erschweren, eng verbunden damit ist die sexuelle Identitätsentwicklung. Grundlage für das spätere Vatersein ist die Entwicklung einer männlichen Identität. Diese ist nur möglich über Erfahrungen mit männlichen Vorbildern. Scheitert dieser Versuch, dann kann der Sohn ein Leben lang auf die enge Beziehung zur Mutter fixiert bleiben und sich auf eine unendliche Reise der Sehnsucht nach dem Vater begeben. Bleibt es bei einer Orientierung an der Weiblichkeit, dann ist eine Abgrenzung nur schwer möglich. Die Ausbildung einer männlichen und später auch einer väterlichen Identität wird erschwert oder verhindert. Es besteht auch die Gefahr, dass ein Sohn von der Mutter als Ersatzpartner missbraucht wird. Lässt sich die Mutter von ihrem Sohn verführen, dann wird das Inzestverbot verletzt. Damit gehen entscheidende Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung verloren. Lehnt die Mutter ihren Partner/Ehemann als Vater für ihr Kind ab, dann erschwert sie ebenfalls den Aufbau der männlichen Identität ihres Sohnes. Der Vater erscheint seinem Kind als blasser Repräsentant des Männlichen und wird oft auch so verinnerlicht. Eine Identifikation mit einem Vater, der über bestimmte Zeiträume abwesend ist, ist dann möglich, wenn sein Bild in der Vorstellung der Mutter positiv besetzt ist.

Nicht selten kommt es vor, dass der Vater anwesend, aber emotional abwesend ist. Ein solcher Vater kann den Entwicklungsprozess seiner Kinder enorm dadurch erschweren, dass er die Entwicklung eines inneren Raumes, in dem ein lebendiger Vater als inneres Bild aufgebaut werden muss, blockiert (vgl. Gebauer 2003, S.150 ff. und S. 238 ff.). Damit sind alle Prozesse beeinträchtigt, die zur Entfaltung der Identität erforderlich sind:

  • Es mangelt an der Erfahrung von Nähe und Geborgenheit; sichere emotionale Bindungen können nur schwer entwickelt werden.
  • Eine Identifizierung mit dem Vater erscheint nicht erstrebenswert, somit entfällt die Chance einer Idealisierung des Vaters.
  • Eine innere Orientierung in schwierigen Situationen an einem verlässlichen Vaterbild ist nicht möglich.
  • In einer solchen Situation können auch keine Erfahrungen für eine positive sexuelle Identitätsentwicklung gemacht werden.
  • Eine Modulation der Gefühle, vor allem der Umgang mit aggressiven Impulsen, wird erschwert. Der Vater entfällt als Helfer beim Umgang mit Gefühlen.
  • Oft richten sich die Aggressionen über Projektion und Inszenierung nach außen, weil der Aufbau eines inneren psychischen Raumes, in dem die unterschiedlichen Gefühle bearbeitet werden können, wegen Unfähigkeit oder Desinteresse auf Seiten des Vaters nicht ausgebildet werden konnte.

Zusammenfassung und Ausblick:

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Die Aufgabe des Vaters besteht in den ersten Lebensjahren vor allem darin, körperliche Nähe und ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Er ergänzt die wichtige Muter-Kind-Beziehung nicht nur in der Pflege, sondern vor allem auch im Spiel mit seinem Kind. In einer vertrauensvollen Beziehung erlebt das Kind, dass es neben der Mutter noch eine weitere Person gibt, die sich anders anfühlt, deren Stimme anders klingt, die aber dennoch Geborgenheit vermittelt. Der Vater ist für sein Kind der „bedeutsame Dritte.“ Er trägt so zur Autonomieentwicklung bei.

In den folgenden Lebensjahren kommt es vor allem auf gemeinsame Aktivitäten und Unternehmungen an. Wenn ein Vater mit seinem Kind in der Natur auf Entdeckungsreise geht, es bei seinen vielfältigen Lernschritten wie Dreirad-, Roller-, Fahrradfahren und beim Schwimmen unterstützt, dann wird er als Vorbild erlebt. So wird eine tragfähige Beziehung aufgebaut, die für den später einsetzenden Ablösungsprozess benötigt wird.

Der „moderne Vater“ zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass er sich in die Wünsche und Bedürfnisse der anderen familiären Mitglieder einfühlen kann. Viele Väter sind nach neueren Untersuchungen dazu bereit und fähig. Zuwendung, Anerkennung, emotionale Achtsamkeit, Anregungen, Geborgenheit, Beziehungsvorbild sind grundlegende Merkmale eines zugewandten Vaters im gesamten Entwicklungsprozess. Am ehesten werden sie bei ihrem Bemühen von den Gegebenheiten der Arbeitsverhältnisse eingeschränkt. Hier sind allerdings positive Veränderungen zu erkennen.

Das Konzept einer zugewandten Väterlichkeit hat vor allem dann Chancen, wenn es von der Ehefrau oder Lebenspartnerin unterstützt wird. Für alle Kinder und Jugendlichen, die nicht mit ihrem Vater zusammenleben, ist die Regelmäßigkeit des Kontaktes notwendig.

Hinsichtlich der Frage, wie Erzieherinnen bei Vätern Interesse für die Arbeit in der Kita wecken können, seien folgende Anregungen gegeben:

  • Väter ansprechen, die bereits Interesse zeigen und zur Mitarbeit bereit sind,
  • Väter hinsichtlich ihrer Wünsche und Möglichkeiten befragen,
  • Einen Elternabend gestalten, bei dem die Facetten des Freien Spiels konkret erfahren werden,
  • Im Rahmen von Elternabenden die Bedeutung der Beziehung thematisieren,
  • Mit Müttern und Vätern über ihre Erziehungskonzepte sprechen,
  • Gespräche über die individuelle Entwicklung eines Kindes führen.

Literatur:

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Dr. phil. Karl Gebauer ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Mitbegründer und Leiter der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung. Wichtige Bücher: Kinder brauchen Wurzeln; Kinder brauchen Spielräume; Kinder brauchen Vertrauen; Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Patmos Verlag; Gefühle erkennen- sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch.

 

WORTWECHSEL MIT KINDERN VIELE FACETTEN VON SPRACHE ERLEBEN

I. KINDER LERNEN DAS SPRECHEN IN INTERAKTIONEN

Dr. Karl Gebauer - Aufsätze - Wortwechsel

Foto: Jürgen Hast

Konzept einer modernen Sprachbildung

Erfreulicherweise sind in einigen Bundesländern die Weichen für ein modernes Sprachbildungskonzept bereits gestellt. So enthält der Hessische Bildungsplan die zentrale Aussage: „Sprachkompetenz erwerben Kinder am erfolgreichsten im Zusammenhang mit Handlungen, die für sie selbst Sinn ergeben.“ Die Niedersächsischen Handlungsempfehlungen zu Sprachbildung und – förderung konkretisieren diesen Ansatz. Ganz deutlich hebt der Orientierungsplan zur Sprachbildung und Sprachförderung hervor, dass es im Elementarbereich primär darum gehen müsse, das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken. (Sprachbildung und Sprachförderung – Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinsrichtungen für Kinder, S. 13).

Bedingungen für einen erfolgreichen Spracherwerb

  • ein wertschätzendes Erziehungsklima,

  • sichere und belastbare Beziehungen,

  • Zuwendungsformen, die Lernbegeisterung entfachen.

  • Feinfühliges und wertschätzendes Kommunikationsverhalten.

  • Kinder müssen oft zu Wort kommen, denn auch der Erwerb sprachlichen Wissens muss vom eigenen Handeln des Kindes ausgehen.

  • Das Gefühl von Erfolg und Selbstwirksamkeit ist wichtig.

Als Facetten eines neuen Sprachbildungskonzeptes können daher angesehen werden:

  • Reden über die Dinge des Alltags;

  • Vorlesen in den Familien und in der KITA;

  • über Bilderbücher und Geschichten sprechen;

  • Erzählen, Erfinden, und Aufschreiben von Geschichten;

  • Laut- und Sprachspiele, Gedichte, Reime und Lieder;

  • Spiele aller Art;

  • über Konflikte reden;

  • Gespräche beim gemeinsamen Essen.

  • Vor allem sollten die Erwachsenen für die Kinder ein sprachliches Vorbild sein.

II. EMPATHISCHE BEZIEHUNGEN SIND WICHTIG

Die neuen Orientierungspläne und Empfehlungen berücksichtigen Erkenntnisse aus relevanten Forschungsbereichen. Aus wissenschaftlicher Sicht hat die Beziehungsgestaltung eine revolutionäre Neubewertung erfahren. Die über Interaktionen entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen). Die Qualität der frühkindlichen Bindung und die in der weiteren Entwicklung darauf aufbauenden Beziehungen mit anderen Personen bestimmen den Aufbau neuronaler Strukturen. Erlebt ein Kind Empathie, so ist dies die beste Voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen empathischen Handlungsmusters. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie (sich einfühlen und mitfühlen können) eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende Entwicklung darstellt.

Beachtung, Anerkennung und Zuwendung aktivieren das Motivationssystem. (Bauer 2005) Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem eine empathische Beziehung zwischen Erzieherinnen und Kindern eine positive Auswirkung auf die Sprachentwicklung hat. Es gilt daher, allen interaktiven Prozessen eine große Aufmerksamkeit zu schenken. Die Interaktionen der Kinder sind eine Schatzkammer der sprachlichen Bildung.

Kinder werden als Entdecker geboren. Mit großen Augen blicken sie unmittelbar nach der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt. Wenn nun Mutter und Vater mit dem Baby sprechen, vermittelt ihr Gesicht Gefühle, die mit den Sprechlauten verbunden sind. Die Mimik der Eltern verbunden mit ihrem Sprechen führt beim Baby zu akustischen und emotionalen Wahrnehmungen. Auf diese Weise bereiten sie den Säugling auf das Sprechen vor. Innerhalb dieses Vorgangs ist es die emotionale Gestimmtheit, die den Säugling veranlasst, auf die sprechende Person zu achten und schließlich ebenfalls Bewegungen mit Mund und Zunge zu beginnen. Die Freude an den Sprechversuchen wird gestärkt, wenn ein Kind merkt, dass die Erwachsenen auf seine Aktivitäten reagieren.

Schon vom dritten Monat an sind lautliche Versuche zu beobachten, bald werden Laute rhythmisch gestaltet. Man kann auch schon beobachten, dass sie sich in der Lautstärke unterscheiden. Für sich alleine aber auch in Resonanz zu den Eltern versucht ein Kind nun alles, was es mit seiner Zunge, seinen Lippen und mit viel Spucke produzieren kann. Verbunden sind diese Versuche oft mit großer Begeisterung. Es sind erste Erfahrungen der Selbstwirksamkeit. Freude entsteht, wenn Eltern eine entsprechende Resonanz geben. In der folgenden Zeit nehmen Kinder (etwa zwischen vier und sechs Monaten) Einzellaute wahr. Es entstehen Lautfolgen wie Mama, Papa, dada. Für die sprachliche Entwicklung ist die empathische Zuwendung entscheidend. Ein Kind muss sich bei seinen Aktivitäten wahrgenommen fühlen. Die empathische Resonanz der Bezugsperson trägt dazu bei, dass ein Kind mit Interesse und Ausdauer sich seinen lautlichen Produktionen widmet. Schon jetzt beginnt es zu verstehen, dass es dabei auf Zuhören und Reagieren ankommt. Das setzt voraus, dass sich eine erwachsene Person ganz dem Kind zuwendet. Videospiel oder Fernsehsendungen können nichts bewirken. Sie bringen Kinder eher in ratlose Situationen. (Haug-Schnabel / Bensel 2012, S. 15)

Wörter und Sätze erhalten erst durch Emotionen, Gesten, Gesichtsausdruck und Stimmlage eine nachhaltige Bedeutung.“ (Haug-Schnabel /Bensel 2012, S. 17)

In der Regel entwickelt ein Kind in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. Es entsteht – wenn alles gut geht – ein Urvertrauen. Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so werden Kinder nun auf vielfältige Weise versuchen, ihre Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung.Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde, Sand, Gebüsch und Nischen aller Art, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten.

Auf die Erlebnisqualität kommt es an

Für viele Kinder stellt der Besuch des Kindergartens eine Bereicherung ihres Lebens dar. Dabei kommt es auf die Qualifikation der Erzieherinnen ebenso an wie auf die personalen und räumlichen Bedingungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erlebnisqualität nicht durch den Einsatz von Förderprogrammen der unterschiedlichsten Art gestört oder gar verdrängt wird.

Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird. (Astrid Lindgren 2002)

Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen. Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Viele Kindergärten und Schulen haben das erkannt und entsprechende Konzepte entwickelt.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.

Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.

Eigene Spielideen entwickeln.

Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.

Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

Die Bedeutung der Gleichaltrigen

Sprachbildung findet vor allem im Spiel mit Gleichaltrigen statt. Zunächst werden Kinder versuchen über Mimik und Gestik Zugang zum Spiel anderer Kinder zu finden. Dabei brauchen sie gelegentlich die Unterstützung durch ihre Erzieherin. Um das zweite Lebensjahr werden sie versuchen über Laute und Worte zu signalisieren, dass sie mitspielen wollen. Schließlich kommt es im weiteren Verlauf des Spiels darauf an, Bedürfnisse und Ziele mit den anderen abzustimmen. Voraussetzung für diese Leistung ist die Ausbildung von Empathie.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti (2008) entdeckten Spiegelneurone.

Kinder nehmen schon früh emotional wahr. Etwa im Alter von 18 Monaten entdecken sie ihr eigenes Selbst. Äußerlich ist dies daran abzulesen, dass sich ein Kind im Spiegel erkennt. Es ist von nun an zur Selbst-Objektivierung fähig und damit in der Lage, einen Spielpartner nicht nur als „Objekt, sondern als eigenständiges Subjekt zu erkennen. Es kann nun unabhängig von der eignen Ich-Perspektive die Gedanken und Gefühle des anderen wahrnehmen und einschätzen. Damit ist eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Interaktionen geschaffen. Diese Fähigkeit wird als „theory of mind“ bezeichnet.

Beispiel: „Mama kommt wieder.“

In einer Gruppe von Kindern im Alter zwischen 12 und 24 Monaten konnte ich die folgende Szene beobachten:

Frühstückszeit in der Krippe. Die Kinder sitzen mit ihrer Erzieherin am Tisch. Es ist still. Plötzlich weint Lisa leise. Anna erhebt sich von ihrem Platz, geht zu Lisa, legt ihren Arm um deren Schulter und sagt: „Mama kommt wieder.“

Anna, so darf man annehmen, ist in der Lage, sich in die Situation von Lisa zu versetzen. Sie realisiert, dass Trost die richtige Geste ist. Ein innerer Verarbeitungsprozess hat es ihr ermöglicht, sich in Lisas Erleben einzufühlen. Dabei lässt sie es aber nicht bewenden. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie handeln muss. Und dann handelt sie. In ihrem Gehirn durchläuft sie einen Prozess, bei dem Fühlen, Denken und Handeln miteinander verknüpft werden. Sie aktualisiert ihre Fühl-Denk-Handlungsbahnen. In der Hirnforschung werden diese Verbindungen als Limbofrontale Bahnungen beschrieben. Sie entwickeln sich aufgrund von Erfahrungen mit anderen Personen. Ganz entscheidend dabei ist die Vorbildfunktion der Erzieherin. Das lässt sich gut an dem folgenden Beispiel ablesen:

Beispiel: „Beruhige dich mal!“

Die Erzieherin hatte vor Ostern mit den Kindern ausgepustete Eier angemalt. Sie wollte an einem Ei einen Faden zum Aufhängen anbringen. Dabei zerbrach das Ei. Erzieherin: „Oh, das wollte ich nicht, das tut mir leid.“ Linus (fünf Jahre alt), der das Ei bemalt hatte, sagt: „Das weiß ich doch, beruhige dich mal.“

Darin zeigt sich empathisches Verhalten. Wir können annehmen, dass Linus während seiner Zeit im Kindergarten schon oft von seiner Erzieherin den beruhigenden Hinweis erhalten hat, dass es gut sein kann, sich nach einem aufregenden Ereignis zunächst einmal zu beruhigen.

Im ersten Beispiel wird ein empathisches Verhalten einem anderen Kind gegenüber sichtbar, im zweiten Beispiel zeigt ein Kind Empathie seiner Erzieherin gegenüber.

III. SPIEL, EMPATHIE UND KOMMUNIKATION


In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen, das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ (Albers 2011, S.53)

Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2012, S.53)

Aspekte einer Kultur der Gleichaltrigen:

  • Die Art, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden;

  • Wie sie Konflikte klären und Lösungen finden;

  • Wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten;

  • Wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren;

  • Wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.

Timm Albers (2012, S. 57) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen: „Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.“

IV. SPRACHENTWICKLUNGSPHASEN

Viele Bedingungen spielen bei der Entwicklung der kindlichen Sprache eine Rolle. Da diese Bedingungen für die Kinder sehr unterschiedlich sind, ist es normal, dass auch ihre Sprachentwicklung große Unterschiede aufweist. Daher werden Entwicklungsschritte lediglich angedeutet. Sie sollen einer groben Orientierung dienen. Entscheidend für eine gelingende Sprachentwicklung ist die Haltung der Erwachsenen. Sie müssen sich die Frage stellen, ob sie im Umgang mit den Kindern die oft sehr großen Unterschiede emotional akzeptieren und angemessen auf die jeweiligen sprachlichen Äußerungen reagieren können.

Laute und Silben

Schon vom dritten Monat an gelingen lautähnliche Gebilde. Ein Kind probiert, was es mit Zunge, Lippen und Spucke alles machen kann. Kurze Zeit später bildet es Laute und Lautfolgen, wie a, aaaa, aa; mmmm, ma, mama. In den nächsten Monaten übt sich ein Kind im Lallen. Es ist nun schon in der Lage, Silben aneinander zu reihen. In der gesamten Phase sollten die Bezugspersonen sowohl die beruhigende Babysprache imitieren als auch in gewohnter Sprechweise die Vorgänge beim Wickeln, Füttern, Waschen und Anziehen benennen. Sie sollten ihre Handlungen sprachlich begleiten.

Zwischen dem 10. und 14. Monat können Kinder Wortklänge wie Nane, Dede, Hühang, Somzia, Dazus und Wuffin aus Wörtern heraushören und diese produzieren. Für den Erwachsenen ist leicht zu erkennen, dass mit Nane Banane gemeint ist. Schwieriger ist es, hinter Hühang einen Kühlschrank zu erkennen.

Wenn man Somzia langsam spricht und im Anschluss Wohnzimmer, dann kann man erahnen, welche Klangbilder ähnlich klingen. So ist es auch bei Dazus / Schlafanzug. Schwieriger ist es Wuffin mit Telefon in Verbindung zu bringen. Allerdings erschließen sich solche Bedeutungen leicht im konkreten Umgang mit dem Kind.

Wörter und erste Sätze

Im Alter von zwei Jahren sprechen viele Kinder Wörter wie: Mama, Papa, Ball, Puppe, Hund oder Wauwau. Dodil, Tator, Schleifwurst und viele andere Produktionen entstehen und geben der Bezugsperson oft nur für Sekunden ein Rätsel auf. Dann lässt dich die Bedeutung aus dem Kontext erahnen. Nun ist die empathische Modellierkunst der Erwachsenen gefragt. Und es gibt viele Nuancen, Klangmelodien und Zusammenhänge in denen nun über das Krokodil, den Traktor oder die leckere Fleischwurst geredet werden kann. Wenn wir die vielen Wortklangschöpfungen der Kinder mit Staunen und Freude aufnehmen und wohlwollend korrigierend ihre Klangwörter in der Umgangssprache wieder verwenden, dann finden nach und nach Klang und Bedeutung auf gute Weise zueinander. So wird irgendwann aus Wuffin ein Telefon, aus Somzia ein Wohnzimmer und aus Dazus ein Schlafanzug.

Einjährige Kinder verstehen etwa 50 Wörter aus ihrer Erfahrungswelt. Mit etwa 18 Monaten verfügt ein Kind über 200 Wörter im passiven Wortschatz. So kann ein Kind, wenn es mit Vater oder Mutter im Garten ist, die Frage: „Wollen wir die Blumen gießen?“ in der Regel verstehen und es wird zur Gießkanne greifen oder „ja“ sagen. Aktiv verwendet ein Kind in diesem Alter etwas 50 Wörter. Im Alter von zwei Jahren sind es oft schon 200 Wörter, die zum aktiven Wortschatz eines Kindes gehören. Dieser Anstieg ist vor allem dann zu verzeichnen, wenn Eltern und Erzieherinnen die vielen Dinge und Ereignisse des Alltags sprachlich korrekt beschreiben.

Förderliche Dialoge

Jan: „Wasser!“

Erzieherin: „Du möchtest mit Wasser spielen?“

Jan.: „Kanne – Wasser.“

Erzieherin: „Möchtest du Wasser in die Gießkanne tun?“

Jan.: „Wasser – Blumen.“

Erzieherin: „Ah, du möchtest die Blumen gießen.“

So erleben Kinder, dass sie verstanden werden und mit Sprache etwas bewirken können. Und das motiviert sie, immer wieder mit Hilfe ihrer Sprache etwas erreichen zu wollen. Sind sie erfolgreich und zeigen die Erwachsenen eine angemessene Resonanz, dann wird dieses Verhalten von den Kindern als Belohnung empfunden. Diese Erfahrung führt zur Ausschüttung von „Glückshormonen“ und stärkt das Bedürfnis, immer wieder durch sprachliches Handeln etwas bewirken zu können.

Zwei- und Dreiwortsätze, Einzahl und Mehrzahl, Verwendung der Artikel

Im Alter von drei Jahren kommt es zu komplexeren Sätzen. Das Verb wird an die richtige Stelle im Satz gestellt. Fragen können formuliert, Einzahl und Mehrzahl unterschieden werden. Der richtige Gebrauch der Artikel nimmt zu. Kinder verwenden in diesem Alter die richtige Zeitform und wollen beim Betrachten von Bilderbüchern nicht nur zuhören, sondern möglichst oft auch mitreden.

Unterschiede im sprachlichen Können und die Haltung der Erzieherin

Es gibt große Unterschiede im sprachlichen Handeln der Kinder. Da möchte ein dreijähriges Mädchen gerne wissen, ob es zur Köchin gehen darf, um zu fragen, was es heute zu essen gibt. Zu seiner Erzieher sagt es mit fragendem Blick: „Ute (so heißt die Köchin) kocht hat?“ Die Erzieherin nimmt die Frage auf und moduliert etwa folgende Antwort: „Du möchtest wissen, was Ute gekocht hat. Du darfst zu ihr gehen und sie fragen, was es heute zu essen gibt.“

Es ist denkbar, dass ein anderes dreijähriges Mädchen einen Fragesatz exakt formulieren: „Christina, kann ich mal in die Küche gehen? Ich möchte Ute fragen, was es heute zu essen gibt.“ Und es ist vorstellbar, dass dieses Mädchen kurze Zeit später seiner Erzieherin mit leuchtenden Augen mitteilt: „Ich habe Ute gefragt, was sie gekocht hat. Es gibt Nudeln mit Tomatensoße.“

Daran wird deutlich, dass Kinder in diesem Alter bereits über ein ausgeprägtes grammatikalisches Verständnis verfügen.

Beispiel: Toter Käfer

Ein Junge kommt aufgeregt angerannt, fass die Erzieherin an der Hand und führt sie an einen Tisch. Dort betrachten Kinder den Inhalt einer Schachtel. Ein Kind hatte tote Käfer mitgebracht. „Guck da din hat,“ sagt der dreijährige Junge, der bis vor wenigen Wochen noch nicht gesprochen hat.

Er meint: „Guck doch mal, was der da in seiner Schachtel gesammelt hat.“

Die Erzieherin sagt, als sie mir diese Geschichten erzählt, wahrscheinlich könne ich mir gar nicht vorstellen, wie glücklich sie über diese Leistung sei.

Der Junge fühlt sich wohl in der Gruppe, ist integriert, wird mit seiner Schwäche akzeptiert. Das ist dann möglich, wenn nicht ein verengter Begriff von Bildung und Lernen im Vordergrund steht, sondern das Leben selbst – mit seinen oft schwierigen – aber auch seinen sehr schönen Seiten. Der Junge erhält eine logopädische Betreuung. Wenn die Kinder im Morgenkreis erzählen, meldet er sich oft zu Wort. Manchmal könne man nur erahnen, was er meine, aber alle Kinder hörten geduldig und mit Interesse zu. Sie wollen verstehen, was er meint. In diesem Verhalten zeigt sich Empathie.

Ich erwähne diese Beispiele vor allem aus zwei Gründen:

Kinder sind verschieden, und sie sind in der Lage sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Die Erzieherin freut sich über die sprachlichen Äußerungen der Kinder und gibt ihnen eine entsprechende Resonanz. So findet Bildung statt. In diesen Fällen ist die Grundlage für eine anhaltende Motivation gelegt und darauf kommt es an. „Ich hoffe,“ sagt die Erzieherin, „dass sie einmal eine Lehrerin kriegen, die sie versteht. Und ich hoffe, dass wir ihnen was mitgegeben haben, was ein positives Grundgefühl in ihnen auslöst – ich hoffe, dass sie, wenn sie sich später einmal erinnern, das Gefühl haben, dass sie eine glückliche Kindergartenzeit hatten.“

Dialogrunden

Im Alter von vier bis fünf Jahren sind Kinder zu länger anhaltenden Gesprächen fähig, die sich unabhängig vom Handlungskontext auch auf fiktive Zusammenhänge beziehen können. Mit vier Jahren verstehen Kinder auch komplexe Satzkonstruktionen. Wenn Kinder erzählen, dann weben sie auch Wünsche und Fantasien in ihre Erzählungen. Sie brauchen interessierte / neugierige Zuhörer. Sie profitieren in der Interaktion von der Sprache der Erwachsenen. Diese sollten modulierend das Sprechen der Kinder begleiten: Fragen stellen, Äußerungen wiederholen und auch erweitern und auf empathische Weise Korrekturen anbringen.

Kinder brauchen Zeit, eine anregende Umgebung und zugewandte Erzieherinnen. So kann sich eine Sprachkultur entwickeln, die für die beteiligten Personen mit Freude verbunden ist.

Erlebnisse der Kinder

Die folgende Geschichte soll als Beispiel dafür gelten, wie differenziert sich fünfjährige Kinder ausdrücken können, wenn sie die Möglichkeit erhalten, an einem für sie interessanten Thema gemeinsam zu arbeiten. Die Erzieherin hatte im Rahmen einer Dialogrunde nach wichtigen Ereignissen aus dem Leben der Kinder gefragt. Ein Junge erzählte von einem Einbruch, der in der Nachbarschaft geschehen war. Andere Kinder erzählten davon, dass in der Zeitung „Räubergeschichten“ gestanden hätten. Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das die Erzieherin mitschrieb. Dabei musste sie immer wieder die Kinder bitten, langsam zu sprechen, damit sie auch alles mitschreiben könne. So ist eine fiktive Geschichte entstanden, an der fünf Kinder beteiligt waren. Jedes Kind hat daran seinen je eigenen Anteil. Zum Schluss las die Erzieherin das Ergebnis vor. In den folgenden Tagen gestalten die Kinder diese Geschichte immer wieder als Rollenspiel. Sprachbildung ereignet sich im Erzählgeschehen und im Prozess der Rollenspielgestaltung auf vielfältige Art.

Wenn Menschen erzählen, finden sie eine sprachliche Form für das, was sie erlebt haben. Sie sind das Subjekt der Erzählung. Das Ereignis findet an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten statt. Vergangenes wird erinnert, findet in der Sprache eine neue Form, ist nicht nur Abbild sondern Neuschöpfung des Erlebten. Stimmungen, Assoziationen, Emotionen verbinden sich mit dem Erzählten.

Beispiel: Eine Räubergeschichte

In der Zeitung und im Internet stand, dass eine unheimliche Räuberbande mit Männern und Frauen durch die Gegend schleicht. Die Diebe haben schwarze Sachen an – ein schwarzes Kostüm. Es waren zwei Männer und zwei Frauen. Die Männer haben schwarze Hüte auf und die Frauen schwarze Mützen.

Jonathan wusste, dass sie sich in der Nähe herumtreiben, aber nicht dass sie es gerade auf sein Haus abgesehen hatten. Jonathan wohnt in einem Bauernhaus mit Reetdach.

Als sie die Tür aufgemacht haben, sie haben die Türklinke abgebrochen und das Türschloss aufgebrochen, war es schon 12 Uhr nachts.

Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatten, schlichen sie die Treppe hoch und machten die Tür auf – mit einem Gerät. Das Gerät sieht ungefähr so aus wie ein Maschinengewehr, aber es hat unten ganz lange spitze Zacken.

Sie kamen ganz leise herein und wollten nach dem Computer greifen, aber Jonathan hat in letzter Sekunde noch das Telefon aus dem Ständer gerissen und hat die Polizei angerufen: ‚Polizei, bei mir sind Diebe – die unheimlichste Bande Deutschlands.’

Die Diebesbande ist weggelaufen und hat Jonathans Lieblingsbuch geschnappt, in dem er abends immer liest.

Die Polizei hat sie auf dem Weg in die Räuberhöhle ertappt und hat ihnen das Buch abgenommen. Sie hat ihnen Handschellen angelegt und sie ins Gefängnis geführt.

Die Polizei hat Jonathan, nachdem sie die Diebe eingesperrt hatte – ins Gefängnis – sein Lieblingsbuch zurückgebracht, in dem er abends immer liest, wenn er im Bett liegt.

Jonathans Eltern waren noch in der Stadt. Er hat sie angerufen und ihnen erzählt, dass die gefährlichste Räuberbande Deutschlands bei ihm eingebrochen hat und jetzt im Kerker sitzt und jammert, dass sie Jonathans Computer klauen wollte und jetzt eingesperrt ist.

Die Diebe bereuen, dass sie den Computer klauen wollten und das Buch geklaut haben.“

(Beteiligt waren fünf Kinder im Alter von fünf Jahren)

Interpretation:

Ausgangspunkt für dieses Beispiel ist die Anregung der Erzieherin. Sie hatte darum gebeten, ein wichtiges Erlebnis zu erzählen. Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt oder von dem sie gehört. Sie erzählen, dann, wenn das Thema für sie bedeutsam ist. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Realität und Fiktion werden oft miteinander verknüpft. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das freie Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. In diesen gemeinsam gestalteten Raum fließen die unterschiedlichsten Erfahrungen und Assoziationen ein. So wird aus dem Beginn einer individuellen Erfahrung ein gemeinsam gestaltetes Rollenspiel.

Beispiel: Empathie auf dem Motorrad

Die Erzieherin bringt ihre Schatzkiste mit in eine Dialogrunde. Beteiligt sind sechs Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren. Die Erzieherin nimmt einen Drachen und einen kleinen Koffer heraus und sagt: „Ihr könnt euch dazu eine Geschichte ausdenken. ihr könnt sie malen, ihr könne sie für euch behalten oder mir erzählen, ich schreibe sie dann für euch auf.“

Ein Junge greift in seine Hosentasche und stellt noch einen Spielzeugmotorradfahrer dazu. Drei Kinder fangen an, eine Fantasiegeschichte zu malen. Vier Kinder sind unentschlossen, sie warten zunächst ab, beteiligen sich aber nach und nach.

Luzia (4 J.) wollte erst nichts malen, fängt dann aber an und zeigt ihr Bild der Erzieherin.

Es entspinnt sich der folgende Dialog:

Erzieherin: „Wer ist das?“

Luzia: „Ich.“

E.: „Wo willst du hinfahren?“

Luzia: „ Zu Susanne.“ (So heißt die Erzieherin)

E.: „Das ist ja schon eine Geschichte.“

Luzia: „Unterwegs könnte sie den Drachen treffen.“

E.: „Das könntest du auch noch malen.“

Luzia: „Ja.“

Am nächsten Tag bringt Luzia mehrere Zeichnungen mit, auf denen sie als Motorradfahrerin zu sehen ist – zunächst alleine und dann zusammen mit Susanne. Auch zwei Drachen sind auf den Bildern, auf einem Bild ist eine Katze.

Luzia erzählt:

Es war einmal ein wunderschöner Tag. Da kam eine Motorradfahrerin vorbei. Die wollte Susanne besuchen. Da begegnete sie zwei Drachen. Die hatten Stacheln auf dem Rücken. Die Drachen sind weggelaufen, weil sie Angst hatten vor der Motorradfahrerin und vor dem Motorrad. Die sind in das Gebüsch gelaufen. Dann begegnete die Motorradfahrerin noch einem kleinen Drachen. Der lief auch schnell ins Gebüsch. Dann fuhr sie weiter.

Ein paar Minuten später war sie angekommen. Susanne war zu Hause und aß Kuchen. Susanne hat sich gefreut. ‚Guten Tag,’ hat sie gesagt, ‚komm rein und iss mit mir Kuchen.’ Es war Marmorkuchen. Der Marmorkuchen hat lecker geschmeckt.

Dann fuhr sie weiter. Susanne wollte mitkommen. Dann waren sie zuhause bei der Motorradfahrerin und aßen Marmorkuchen. Dann war es dunkel. Susanne ging nach Hause zum Schlafen.

Als es Morgen war, …“

So geht die Geschichte noch ein ganzes Stück weiter.

Interpretation:

Ausgangspunkt sind Utensilien aus dem Erzählkoffer. Die Aufgabenstellung scheint zunächst für Luzia nicht von großem Interesse zu sein. Es sieht so aus, als wisse sie mit dem Drachen und dem Motorradfahrer nichts anzufangen. Dann aber beginnt die Anregung in ihr zu wirken. Die Erzieherin hat – so dürfen wir annehmen – in ihr etwas zum Klingen gebracht. Auf der Beziehungsebene ist über die Wirksamkeit von Spiegelzellen eine Verbindung entstanden, die nun von Luzia ausführlich gestaltet wird. Im Akt des Erzählens werden Beziehungen thematisiert und gleichzeitig erlebt.

Luzia versetzt sich in die Situation einer Motorradfahrerin, berücksichtig auch die Drachen, weil das von der Erzieherin gewünscht war. Im weiteren Verlauf gestaltet sie aber ihre Erzählung als Beziehungsgeschichte. So fährt sie mit dem Motorrad zu Susanne und lässt sich von ihr einladen. „Komm rein und iss mit mir Kuchen!“ In den folgenden Tagen benutzt sie immer wieder das Motorrad, um Susanne zu besuchen und mir ihr gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie verbringen schöne Tage miteinander, spielen Fangen und Verstecken, pflanzen Blumen. Luzia lässt ihre Erzieherin von einem Bad im See träumen. Später nutzen sie die Mobilität, die ihnen das Motorrad bietet, sie fahren zu einem See und baden. Mehrmals heißt es in der Erzählung: „Es war sehr schön!“

Dieses Beispiel zeigt, dass das Kind zunächst mit einer Anregung seiner Erzieherin gewisse Schwierigkeiten hat. Der Einstieg will zunächst nicht gelingen. Aber dann springt ein Gefühl hinüber zur Erzieherin. Wir können davon ausgehen, dass das Mädchen intuitiv spürt, dass jetzt eine Chance besteht, ihren Wunsch nach Nähe zu der erwachsenen Person in eine Erzählform zu bringen.

Die Ausgangssituation, die zu Luzias Erzählung geführt hat, war für die Gruppe von sechs Kindern identisch. Es sind allerdings ganz unterschiedliche Geschichten entstanden. Das zeigen die beiden nachfolgenden Beispiele.

Beispiel: Motorradfahrer und Medaillen

Der Motorradfahrer hat beim Rennen 300 Medaillen in Gold und Silber und tausendzwanzig Pokale – auch in Gold und Silber – gewonnen.“

(Junge, 6. J.)

Beispiel: Motorradfahrer und Regenbogen

Das ist ein Mensch. Da sitzt ein Mensch drauf auf dem Motorrad. Die kommen aus England und die haben einen schönen Regenbogen mitgebracht. Es regnet gerade. Es scheint auch gerade die Sonne. Dann blitzt es auf einmal und donnert auf die Menschen. Und dann hört es wieder auf. Dann kommt ein kleiner Drache und sagt: ‚Kommt auf meinen Rücken, ich rette euch vor dem Regen.’ Dann fliegt der Drache davon mit den beiden Motorradfahrern. Der fliegt mit denen zu seinem Haus und da scheint gerade die Sonne. Und dann spielen sie mit Cars 2.“

Für Mama.

Junge, 5 J.

Jeder Junge malt ein Bild und erzählt auch der Erzieherin bereitwillig, was er sich vorgestellt hat. Beide Erzählungen fallen dadurch auf, dass sie wesentlich kürzer sind als Luzias Geschichte. Da sind ganz unterschiedliche Assoziationen im Spiel. Im Text des sechsjährigen Jungen geht es inhaltlich um ein Motorradrennen an dessen Ende Sieg, Medaillen, Gold und Silber gewonnen werden. Im Beispiel des fünfjährigen Jungen ist mehr Fantasie im Spiel. Da ist auch eine echte Dramatik zu spüren. Möglicherweise speist sich die Erzählung aus einem realen Erleben. Es regnet und es scheint die Sonne. Und dann erscheint der Regenbogen. In dem kleinen Text zeigt sich ein Anflug von Poesie. Der Junge berücksichtigt sogar die Anregung der Erzieherin und lässt einen Drachen als Retter erscheinen. Am Schluss widmet der Junge die Geschichte seiner Mama.

V. THEMEN DER KINDER

Die Themen der Kinder sind aufgrund ihres familiären Umfeldes sehr unterschiedlich. Sie finden vor allem dann eine sprachliche Form, wenn eine Erzieherin Interesse an der Lebenssituation eines Kindes signalisiert und auch den Zeitrahmen dafür schafft, um sich in Ruhe mit dem Thema eines Kindes zu beschäftigen

Heute leben wir“

Maya zu Luka: „Setzt du dich neben mich?“

Luka: „Ich sitze neben dir, so lange du willst.“

Maya: „Wir haben noch länger Zeit. Wir leben noch lange.“

Luka: „Irgendwann sterben wir. Alle Menschen müssen sterben.“

Maya: „Aber heute nicht. Heute leben wir.“

(Beide 5 J.)

Alt werden“

Ich möchte sterben bevor ich eine alte Frau werde. Ich möchte nicht so eine Frisur mit kurzen Haaren haben.

(Mädchen, 5 J.)

Keiner da bei meiner Bürste“

Faruk, vier Jahre, Familie mit 6 Kindern, Heimat Kosovo, besucht seit drei Monaten einen integrativen Kindergarten. Noch ist seine Beeinträchtigung, die sich u.a. in seiner noch gering ausgeprägten Sprachfähigkeit zeigt, nicht hinreichend diagnostiziert. Er kommt gerne, sogar die Mutter ist schon einmal mitgekommen.

Zur Situation: Am Wochenende werden die Zahnbecher gereinigt. Am Montag werden die Becher an ihren Platz gestellt und die Zahnbürsten werden von den Kindern wieder zugeordnet. Faruk fehlt an diesem Tag. Als er am Dienstag Zähne putzen will, ist seine Bürste nicht im Becher. Er kommt er ganz aufgeregt zu seiner Erzieherin und sagt:

Keiner da bei meiner Bürste.“

Die Erzieherin sagt, es sei der schönste Satz des ganzen Jahres. Dieser Satz habe ihr den ganzen Vormittag über gute Laune gemacht. Und das geschehe auch immer dann, wen sie an diese Situation denken würde. Er könne seine Zahnbürste nicht finden, das wollte Faruk seiner Erzieherin mitteilen. Wir sehen, dass er noch Probleme in der Satzkonstruktion hat. Aber er konnte ausdrücken, dass es um seine Zahnbürste geht. Seine Erzieherin hat ihn verstanden. Das ist entscheidend.

Das sprachliche Handeln seiner Erzieherin können wir uns so vorstellen:

E: „Faruk, du wolltest Zähne putzen. Deine Zahnbürste war nicht an ihrem Platz. Ich weiß, wo sie ist. Komm, wir holen sie. Dann kannst du deine Zähne putzen.“ Seine Sprache hat im geholfen, an seine Zahnbürste zu kommen. Er kann sich freuen, dass er sein Ziel erreicht hat.

Faruk bekommt eine Logopädie-Therapie, er fühlt sich in der Gruppe wohl und macht insgesamt gute Fortschritte.

VI. BEISPIELE AUS DER KOOPERATION MIT DEM TEAM DER KITA PFALZ-GRONA-BREITE, GÖTTINGEN

Die Situationen in Krippen sind sehr vielfältig und komplex. Um eine gute Grundlage für das Verstehen von Kinderäußerungen und ihre sprachlichen Fähigkeiten zu bekommen, ist es hilfreich, immer wieder einmal einzelne Situationen aufzuzeichnen und das Ergebnis im Team anzuschauen und zu analysieren. Dabei können die folgenden Aspekte eine Hilfe bieten:

Kriterien für die Analyse von Kommunikationssituationen

Werden die Sprechversuche der Kinder wahrgenommen?

Art der Zuwendung durch die Erzieherin. Ist erkennbar, dass sie sich für das Sprechen des Kindes interessiert?

Welche Atmosphäre herrscht in der Gesprächssituation?

Hat die Erzieherin eventuell das Sprechen eines Kindes besonders im Blick?

Werden die anderen Kinder von der Erzieherin auch wahrgenommen und einbezogen?

Wird hörbar, ob und wie die Erzieherin um Verstehen bemüht ist?

Moduliert sie das Sprechen der Kinder?

Wie wird der sprachliche Anteil der Erzieherin im Verhältnis zum Sprechen der Kinder wahrgenommen?

Wann und wie gehen Kinder sprachlich aufeinander ein?

Sind Themen der Kinder erkennbar?

Wird auf diese Themen eingegangen?

Werden die sprachlichen Möglichkeiten in den unterschiedlichsten Situationen des Alltags wahrgenommen? (Bilderbücher, Spiele aller Art, Wickeln, An- und Ausziehen usw.)

Wie wird die sprachliche Entwicklung eines Kindes dokumentiert und gefördert?

Was könnte man besser / anders machen?

Was zeichnet die Beziehung zwischen Erzieherin und Kind aus?

Zeigt sich in der Beziehung ein empathisches Verhalten?

Damit ist der Hintergrund für die Analyse der nachfolgenden Beispiele skizziert. Das Betrachten der Beispiele erfolgt in der Regel in vier Schritten. Gelegentlich heben wir einen Aspekt hervor oder beschäftigen uns auch nur mit einem Aspekt.

Charakterisierung der Situation

Es wird die Situation skizziert, in der die Dialoge stattfinden. Im Vordergrund steht der äußere Rahmen, in den eine Kommunikationssituation eingebettet ist. Es geht aber auch um die Atmosphäre und das Beziehungsangebot der Erzieherin.

Die Dialogsituation

Im nächsten Schritt wird die eigentliche Dialogsituation beschrieben. Damit sind die sprachlichen Anteile des Kindes und der Erzieherin gemeint. Wir erleben, wie sich ein Kind um einzelne Wörter bemüht, wie es versucht, Wörter für Gegenstände oder Personen zu finden und zu formulieren. Wir können wahrnehmen, wie ein Kind zunächst nur einzelne Laute oder Lautfolgen erkennt und diese artikuliert. Der Blick sollte aber nicht nur auf die Wortproduktion des Kindes gereichtet sein, sondern auch auf die Art und Weise, wie die Erzieherin versucht, das Gesprochene zu verstehen und durch eine entsprechende Modulation zum richtigen Klang bringt. Schließlich ist zu erkennen, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Kind nach kurzer Zeit einzelne Wörter richtig ausspricht und im Kontext richtig verwendet. Die Dialogsituationen sind das Material, an dem wir erkennen können, wie sich ein Kind nach und nach in die Struktur der gesprochenen Sprache einlebt. Wir werden Zeugen der vielen Versuche, einen Satz so zu konstruieren, dass das Gemeinte für den Gesprächspartner verständlich wird.

Was ist zu beobachten?

In einem nächsten Schritt werden die verwendeten Wörter und Sätze einer genaueren Betrachtung unterzogen. Welche Wörter und Sätze verwendet ein Kind? Dabei kommt es auf das Gesagte und das Gemeinte an. Es wird auch gelegentlich darauf geachtet, wie viele Wörter ein Kind bereits beherrscht. Bei der Betrachtung der Sätze geht es zum Beispiel darum, ob ein Kind die Verbform richtig verwendet und einen Vorgang in seinem zeitlichen Ablauf darstellen kann.

Reflexion und Perspektiven

In einer abschließenden Betrachtung wird erörtert, was die Erzieherin in der Situation hätte anders machen können bzw. welche Schlüsse sie aus der Reflexion für die künftige Arbeit zieht. Es wird noch einmal die Beziehungsqualität in den Blick genommen.

Beispiel: Dialoge auf dem Wickeltisch

Charakterisierung der Situation:

Erzieherin und Kind (Noura, 2;1) betreten gemeinsam den Wickelraum. Noura läuft in Richtung des Lichtschalters und möchte das Licht einschalten. Diese Absicht wird sofort von der Erzieherin erfasst und Noura wird sprachlich in das Geschehen einbezogen. Es folgt das Wickeln auf der Kommode.

Dialogsituation:

E.: „Willst du das Licht anmachen?“

Noura reckt ihre Hand zum Schalter und fragt: „Da?“

E.: „Ja. – Kommst du da dran?“

Es gelingt und die Erzieherin sagt: „Prima.“

Im Gesicht von Noura ist Freude zu erkennen.

E.: „Holst du dir eine Windel aus dem Fach?“ Noura zieht das entsprechende Fach auf. E. merkt, dass die Windel sehr weit hinten liegt und sagt: „Oh, kommst du gar nicht dran.“ Noura versucht es. Erzieherin holt die Windel nach vorne: „Kommst du da dran?“ Es gelingt. E.: „Prima.“

N. lässt die Schublade zu fallen. E.: „Jawoll.“

N. steigt mit Windel in der Hand die Treppe zum Wickeltisch hoch. E.: „Soll ich die Windel festhalten?“ N. reicht sie der Erzieherin. E.: „Danke.“

N. steigt nun auf den Wickeltisch, schaut sich im Spiegel an. Blickt mit Spannung in den Spiegel. N: „Guck mal ich Haare Bange.“

E.: „Du hast eine Spange in den Haaren. Wer hat die denn da rein gemacht?“

N.: „ Mama.“

E.: „Die sind ja echt schick. Ein Herz ist das, ne? Und eine Glitzerhaarspange hast du hier – mit Blümchen. So was Schickes.“

N.: „Dan se Mama.“

E.: „Hat Mama rein gemacht.“

E. (Nimmt eine Zeigegeste des Kindes auf.)

N.:„Da!“

E.: „Ein Tuch.

N.: „Haben?“

E.: „Kannst du mit spielen, kannst du dich verstecken. – Ha, wo is denn die Noura? Ich seh die Noura gar nicht mehr.“

N.: „Piep!“

E.: „Hast du Piep gemacht?“

N.: „ Jaaa!“

E.: „Wo bist du denn, ich seh dich gar nicht? –Noura, wo bist du?

N.: „Piep!“

E.: „Mäuschen, piep einmal.“

N.: „… piep einmal.“

E.: „Mäuschen piep einmal – piep.“

E.: „Ach, da bist du ja….ganz rosa im Gesicht. – Dein Tuch is ganz rosa. – M…“

N.: „He, he.“

E.: „He, he.“

N.: „Ich tata?“

E.: „Was sagst du?“

N.: Ich tata.“

E.: „Nee, du hast kein kaka, nur pipi. – Nur pipi in der Windel.“

N.: „kommt.“

E.: „Hast noch nicht kaka gemacht, vielleicht kommts später?“

N.: „Später.“

E.: „Wenn wir uns ein bisschen bewegen. – Wollen wir dann in Bewegungsraum gehen?“

N.: „Ja. – Ich hole a met.“

E.: „Wer kommt mit? – Ich komme mit. Ja.“

N.: „Nein, Kata met.“

E.: „Katja kommt auch mit. Und wer kommt noch mit?“ – Wer ist denn noch da?

N.: ( murmelt ungenau)

E.: „Wer ist noch da? – Nina? (Noura nickt)

N.: „Ja.“

E.: „Und wer noch?“

N.: „Katja.“

E.: „Und noch einer? –Einer fehlt noch.“

N.: „Ja.“

E.: „Sas…“

N.: „Sas…“

E.: „Saskia, ne. Die fehlt noch, die kommt auch mit rüber und die andern Kinder.“

N.: „Ja.“

E.: „Ja.“

N.: „Noura au met.“

E: „Wolln wir die Hose ausziehn? Du hast ja noch eine drunter.“

N.: „Wo ich eine …“

E.: „ Wollen wir die ausziehen?“

N.: „Ja.“

E.: „Ja.“

N.: „Dann basste i noch hüpen dann.“

E.: „Das packst du dann in dein Körbchen rein. – Genau.“

N.: „Weita hüpen dann.“

E.: „Na, huch. Wir ziehen erstmal Hausschuhe an, sonst rutscht du aus.“

N: Da ich besser hüpen kann

E.: „Das Trampolin ist kaputt.“ … Da müssen wir was anderes aufbauen. OK?“

N.: „Ja.“

E.: Oh, sage mal, deine Füße sind gewachsen.

N.: „Halsand.“

E.: „Du hast auch eine Kette. Ich auch.“ – Ich hab ein Herz und du hast kleine Kugeln. Eine Bernsteinkette. Und Entenknöppe an deinem Pullover. Da – Entenknöpfe. – Wie machen die denn.

N.: „Quak, quak.“

E.: „So Mausi, krabbelst du runter.“

Was ist zu beobachten?

Die Erzieherin ist Noura zugewandt und bezieht sie in die Aktionen mit ein: Licht einschalten, Windel holen, auf den Wickeltisch krabbeln, sich umdrehen, später wieder runterkrabbeln. Diese Aktivitäten werden durch Frage- oder Aussagesätze begleitet. Die Erzieherin geht auf die sprachlichen Äußerungen ein und moduliert diese. Es folgt jeweils eine positive Resonanz. So sagt die Erzieherin, nachdem Noura das Licht eingeschaltet hat: „Prima!“ Noura strahlt über das ganze Gesicht.

Insgesamt ist es ein ausgewogener sprachlicher Dialog. Die Erzieherin ist sehr darum bemüht, das Kind zu verstehen. Sie moduliert immer wieder auf angenehme Weise die Aussagen des Kindes. Eine Alltagssituation wird sprachbegleitend gestaltet. Die Erzieherin geht auf die sprachlichen Möglichkeiten des Kindes ein und verhält sich der Situation angemessen.

Die ausgesprochen schöne Kommunikationssituation ermöglicht umfassende sprachliche Aktivitäten. Noura kann erleben, dass ihre sprachlichen Äußerungen verstanden werden. Sie wird von sich aus aktiv, als sie auf die Haarspangen verweist. Sie kann über eine Zeigegeste mitteilen, dass sie ein Tuch haben möchte. Daraus entwickelt sich das Spiel „Mäuschen piep einmal.“ Noura möchte wissen, was in der Windel war: „Ich tata?“ Sie stellt eine altersgemäße Frage und erhält von der Erzieherin eine angemessene Antwort. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt „Kaka“ in der Windel sein könnte und dass es sinnvoll sein könnte, den Vorgang durch Bewegung zu unterstützen. Die Erzieherin verweist auf das Trampolin, stellt unmittelbar danach fest, dass dieses ja defekt sei. Es ergeben sich noch Überlegungen, wer alles am Bewegungsspiel beteiligt werden könnte. Dabei wird deutlich, dass es Noura vor allem auf die Teilnahme von Katja ankommt. Die Frage „Wollen wir in den Bewegungsraum?“, wird von Noura begrüßt und sie äußert undeutlich den Wunsch, dass noch jemand mitkommen solle. Die Erzieherin bezieht diese Äußerung auf sich, wird aber von Noura mit einem deutlichen „Nein!“ korrigiert. Nouras Äußerung: „Ich hole a met“ könnte der Versuch einer Satzkonstruktion sein, die noch nicht ganz gelungen ist. Sie könnte gemeint haben: „Ich hole Katja, sie kommt auch mit.“ Es handelt sich möglicherweise um eine „verpuppte“ Wortfolge, die aber von der Erzieherin verstanden wird. Es wird in der Kommunikation zwischen ihr und Noura deutlich, worum es geht. Die Erzieherin will den Kreis der teilnehmenden Kinder noch erweitern, indem sie Fragen nach den anderen Kindern stellt. Aber dies liegt nicht so sehr im Interesse von Noura. Für Noura ist es wichtig, dass Katja mitkommt und die Äußerung „Noura au met“ macht deutlich, dass sie natürlich nicht vergessen werden darf. Das „NEIN“ bezogen auf die Teilnahme der Erzieherin ist deutlich. Und das „ICH“ ist in dieser Sequenz noch nicht zu erkennen. Noura spricht von sich noch als Noura.

Zum Schluss fragt die Erzieherin noch, ob die Hose ausgezogen werden solle. Dem stimmt Noura zu und sie formuliert auch einen Satz, dass sie die Hose in den entsprechenden Korb packen wolle. Dieser Satz ist allerdings von einem Außenstehenden kaum zu verstehen. Er klingt etwas so: „Dann basste i noch hüpen dann.“ Wahrscheinlich handelt es sich auch um die Vorform eines Satzes, der gegenwärtig noch aus „verpuppten“ Elementen besteht. Die Erzieherin versteht / interpretiert ihn in der Situation so, als wolle Noura die Hose in ihr Körbchen legen. Sie moduliert einen entsprechenden Satz.

Erst in der kritischen Reflexion nach Ansicht des Video wird deutlich, dass sie sich geirrt hat. Noura meint, dass sie dann besser hüpfen könne. Etwas weiter vorne geht es im Gespräch darum, dass Mama die Spangen in das Haar gemacht hat. Noura beteiligt sich mit Interesse am Gespräch. Auf die Bemerkung der Erzieherin: „So was Schickes,“ antwortet sie: „Dan se Mama.“ Wir sehen und hören, dass sich Noura am Gespräch beteiligt. Sie will mitreden. Was „Dan se Mama“ in dem Zusammenhang bedeutet, ist nicht klar zu erkennen. Die Erzieherin greift die Bemerkung auf und moduliert sie zu der Feststellung: „Hat Mama rein gemacht.“ Ob sie damit Nouras Intention getroffen hat, können wir auch nach mehrmaligem Ansehen des Videos nicht entscheiden. Jedenfalls wird die Kommunikationssituation nicht gestört. Noura teile sich gerne mit, die Erzieherin greift die Mitteilungen auf und beide haben offensichtlich Freude an ihrem Dialog.

Reflexion:

Vermutlich meint Noura, wenn sie die eine Hose auszieht, dass sie dann besser hüpfen könne. Wie auch immer, es ist der Versuch einen Satz zu konstruieren. Und darauf käme es an, diesen Konstruktionsversuch zu bemerken, vielleicht noch einmal nachzufragen. Die Erzieherin interpretiert die Äußerung so, dass die Hose dann in ein Körbchen gelegt werden soll. Sie moduliert die ungenaue Äußerung von Noura. Noura hat aber wahrscheinlich gemeint, dass sie ohne die zweite Hose besser hüpfen könne. Das betont sie in ihrem Nachsatz noch einmal: „Weita hüpen dann.“

Aus diesen Überlegungen ist zu folgern, dass es manchmal sinnvoll ist, etwas abzuwarten, vielleicht nachzufragen, was gemeint ist. So hätte ein Kind die Chance, sich in der Satzkonstruktion weiter zu entwickeln.

Dieser Hinweis enthält keine Kritik am Verhalten der Erzieherin. Die Situation auf dem Wickeltisch ist in vielerlei Hinsicht optimal. Es ist normal, wenn man in den vielen Situationen des Alltags, in denen schnell reagiert werden muss, eine Äußerung nicht richtig versteht. Erst nach mehrmaligem Ansehen und Hören des Videoausschnittes war es möglich, das Gesagte im Ansatz zu verstehen. Solche Satzfragmente sind so wichtig, weil sich hier Kinder aktiv bemühen, etwas für sie wichtiges mitzuteilen. In solchen Artikulationsversuchen der Kinder liegen entscheidende Fortschritte für ihre sprachliche Entwicklung. Für Noura ist es der mutige Versuch, mit ihrer Erzieherin im Dialog zu bleiben. Für die praktische Arbeit bedeutet es, in solchen Situationen – wenn es möglich ist – in Ruhe noch einmal nachzufragen. Dadurch erhöht sich die Chance für das Kind, sich in der Konstruktion eines Satzes zu üben.

Für unsere gemeinsame Arbeit bedeutet es, bei den Videoaufnahmen besonders auf das Vorkommen solcher Versuche zu achten.

Voraussetzung für eine gute Entwicklung sind die gelingenden Interaktionen zwischen Erzieherin und Kind. Das ist bei diesem Beispiel besonders gut gelungen. Die Erzieherin hält Blickkontakt mit dem Kind, geht auf seine Fragen ein und gibt Antworten. Sprachliche Aktivitäten gehen auch von Noura aus. So macht sie ihre Erzieherin auf die Spangen in ihrem Haar aufmerksam. Noura hat Interesse an der Kommunikation mit ihrer Erzieherin. Sie darf sich ernst genommen fühlen.

Zehn Monate später.

Beispiel: „Eingesperrt“ auf dem Riesenrad

Charakterisierung der Situation:

Noura (2;11) betrachtet ein Fotobuch, andere Kinder sind in der Nähe. Ein Kind wird gerade von der Mutter abgeholt. Man hört Geräusche und Gesprächsteile im Hintergrund. Erzieherin, Mutter und Kind begrüßen sich, ohne dass man sie auf der Videoaufnahme sehen kann. Noura lässt sich einen Moment von der Betrachtung ablenken, schaut hinüber, konzentriert sich dann aber wieder auf das Buch. Noura blättert in ihrem Fotoband, schaut sehr interessiert eine Seite an. Schließlich kommt eine Erzieherin dazu, setzt sich neben Noura und schaut gemeinsam mit ihr in das Buch.

Dialogsituation:

E.: „Ja, das bist du, Noura. – Oh, mit einem leckeren Würstchen in der Hand.“

Noura: „Guck mal. Ist das mein Rucksack?

E.: „Ich glaube schon, der hing neulich hier auch bei uns am Haken.“

Noura blättert weiter. E.: „Das war bei dem Laternenfest letztes Jahr.“

N.: Das, da sin mer…“

E.: „Da sitzt ihr draußen im Garten.“

Noura blättert weiter und sagt: „Guck mal.“

E.: „Das ist Sina mit ihrer Mama.“ Nora blättert weiter. E.: „Und einmal ohne Mama.“ Noura blättert weiter. E. zeigt auf ein Kind und sagt: „Das ist Felix.“

N.: „Guck mal der hat bunte Hasen.“

E.: „Wo sind bunte H…“

N. zeigt auf die Stelle und sagt: „Da.“ E.: „Da?“

E.: „Oder die Augen?“

N.: „Die Auden“

E.: „Das sind rote Augen. Das kommt durch den Blitz von dem Fotoapparat.“

N. zeigt auf ein anderes Foto und sagt: „Guck mal.“

E.: „Ich glaub, das ist die Johanna.“

N.: „Ja, Guck mal da ist der Weihnachtsmarkt kommt – E.: „Das ist…“ N.: „Da ich auch.“

E.: „Ich glaub eher, das ist der Ostermarkt – in der Stadt.“ N. blättert weiter.

E.: „Guck, da bist du.“

N.: „Ich wir warn schomal, ich war schmal mit Mama, mit Mama auf dem Weihnachtsmarkt und da haben wir Riesenrad gefahren.“

E.: “Guck das ist… Ihr seid mit dem Riesenrad gefahrn auf dem Weihnachtsmarkt?“

N.: „Ja! – Danz weit hoch.“

E.: „Ganz weit nach oben?“

N.: „Ja.“ Und die Mama hat mich an die Hand festehalten.“

E.: „Ja, damit du nicht rausfällst. – Bestimmt.“

N.: „Ja.“ Und wi sin da eindesperrt.

E.: „Ihr wart eingesperrt?“ N.: “Ja.“ E.: Aber das war zur Sicherheit bestimmt, damit ihr nicht rausplumst.“

N. blättert die Seiten locker um.

E.: „Guckst du dir die Fotos noch mal an?“

Was ist zu beobachten?

Noura stellt Fragen: „Ist das mein Rucksack?“

Sie trifft Feststellungen: „Da ist der Weihnachtsmarkt.“

Sie bezeichnet sich mit „ICH“: „Da bin ich auch.“

Es wird sichtbar, dass Bedeutsames für das Sprechen eine Rolle spielt. Noura spricht vom Weihnachtsmarkt, die Erzieherin hält ihn aber für den Ostermarkt. Sie sagt dies auch. Aber Noura ist mit ihren Erlebnissen beim Weihnachtsmarkt. Die Erzieherin nimmt an der Stimme des Kindes wahr, dass auf dem Weihnachtsmarkt etwas Besonderes geschehen ist und geht darauf ein. Für Noura ist ist in ihrer Erinnerung die Fahrt mit dem Riesenrad wichtig. In ihre Sprachmelodie kommt eine deutliche Dynamik, als sie davon erzählt: „Ich war schon einmal…haben wir Riesenrad gefahren.

Noura spricht von sich in der Ich-Form. Sie formuliert erste Sätze. Einige davon grammatikalisch richtig. Insgesamt eine schöne Kommunikationsform zwischen Erzieherin und Kind.

Verglichen mit der Situation vor 10 Monaten ist der Zuwachs an sprachlicher Kompetenz deutlich zu erkennen. Noura verwendet für sich ganz selbstverständlich das „ICH“. Sie formuliert Sätze bei denen Das Subjekt klar benannt ist und das Verb in der Klammer steht. In der Eile spricht sie von „Ich“ und fast gleichzeitig von „WIR“. Sie kann aussprechen, mit wem sie auf dem Markt war und was sie dort gemacht haben. Sie kann sogar beschreiben, dass sie mit dem Riesenrad „danz weit hoch“ gefahren sind. Hier liegen die Anfänge des Erzählens. Noura erinnert sich an eine wichtige Begebenheit. Sie hat in der Erzieherin eine Gesprächspartnerin, die Interesse an ihrem Erlebnis zeigt. Und schon entsteht in der Kommunikationssituation eine ganze Geschichte. Wir beobachten eine sprachliche und kognitive Weiterentwicklung. Über das Anschauen der Fotos erinnert Noura eine für sie bedeutsame Situation. Sie vergegenwärtigt sich das in der Vergangenheit liegende Ereignis und bringt es in eine sprachliche Form.

Exkurs über das Erzählen:

Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt haben und das bedeutsam für sie war. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Wird den Kindern Interesse entgegengebracht, dann wird die beim Erzählen erfahrene Freude und Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne an Vergangenes erinnert und Freude daran findet, diese Erinnerung in Worte zu fassen. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Im Akt des Erzählens werden Beziehungen thematisiert und gleichzeitig erlebt.

Das vorherige Beispiel bezieht sich auf die Anfangsphase des Erzählens eines Kindes und es ist ein Hinweis darauf, dass mit der Entwicklung einer Erzählkultur bereits in der Krippe begonnen werden sollte.

VII: UNGÜNSTIGE ENTWICKLUNGEN

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Maanche Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen

  • Fehlende Wertschätzung

  • Beschämungen

  • Gewalt

  • Überbetonung der Leistung

  • Unzureichendes Beziehungsangebot.

Das gilt für die Familie, die Kindertagesstätte und für die Schule.

VIII. NACHDENKEN ÜBER DAS EIGENE SPRACHLICHE HANDELN

In regelmäßigen Abständen sollten sich Erzieherinnen und Lehrkräfte im Rahmen einer Selbstreflexion ihres sprachlichen Handelns die folgenden Fragen stellen:

  • Zeige ich Interesse an dem, was Kinder machen und wie sie es machen?
  • Begleite ich ihre Aktivitäten sprachlich?
  • Achte ich darauf, dass neue Wörter in ihrem Zusammenhang erlebt und verstanden werden?
  • Unterstütze ich die Kinder bei ihren Interaktionen?
  • Korrigiere ich das Sprechen der Kinder, indem ich Modelliertechniken einsetze?
  • Stelle ich Fragen zu unvollständigen Äußerungen und bringe ich sie – falls erforderlich – in die grammatikalisch richtige Form?
  • Ermuntere ich die Kinder zu Rollenspielen und beteilige ich mich an Spielsituationen
  • Bringe ich genügend Ideen mit in den Alltag?
  • Setze ich anregende methodische Möglichkeiten ein (Erzählkoffer)?
  • Achte ich bewusst darauf, was Kinder mir mitteilen wollen?
  • Schreibe ich möglichst oft ihre Erzählungen und Berichte für sie auf?
  • Bin ich in meinem sprachlichen Handeln authentisch?
  • Rege ich die Kinder an, angemessen über ihre Konflikte zu sprechen?

AUSBLICK

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene (Eltern, Großeltern, Freunde, Geschwister, Erzieherinnen, Lehrer), die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümelin 2012)

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. Der einzelne Mensch sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Damit wir empathisch miteinander umgehen, braucht es die Überzeugung, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem. Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen.

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Kommunikative Kompetenz ist mehr als das Verwenden von Wörtern und das richtige Aussprechen von Sätzen.

Literatur

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Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Hoffmann und Campe, Hamburg

Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg

Bensel, J./ Haug-Schnabel, G. (2012) Wie kommt das Kind zum Wort? Sprachentwicklung und –förderung: In: kindergarten heute, wissen kompakt, Herder, Freiburg im Breisgau

Bischof-Köhler, D. (2011): Soziale Entwicklung in Kindheit und Jugend. Bindung, Empathie, Theory of Mind. Kohlhammer, Stuttgart

Bischof-Köhler, D. (2012): Empathie, Mitgefühl und Grausamkeit und wie sie zusammenhängen. (siehe Kongressdokumentation): www.ibe-goettingen.de

Der Paritätische Gesamtverband; Diakonie; GEW; Alice Salomon Hochschule Berlin (2013) (Hg): Forschungsbericht: Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Autorinnen: Viernickel, S., Nentwig-Gesemann, I., Nicolai, K., Schwarz, S., Zenker, L.:

http://www.gew.de/Binaries/Binary96129/Expertise_Gute_Bildung_2013.pdf

 

Gebauer, K. (1996): Ich hab sie ja nur leicht gewürgt. Mit Schulkindern über Gewalt reden. Klett-Cotta, Stuttgart

Gebauer, K. (2007): Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Patmos, Düsseldorf

Gebauer, K. (2011): Gefühle erkennen –sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz, Weinheim und Basel

Gebauer K. / Hüther, G. (Hg.) (2001): Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. Walter, Düsseldorf

Gelberg, H-J. (Hg.) (2011) Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder und Erwachsene. Beltz & Gelberg, Weinheim

Haug-Schnabel, G. (2003): Erziehen – durch zugewandte und kompetente Begleitung zum selbsttätigen Erkennen und Handeln anleiten. In: Gebauer/Hüther (Hg.): S 40–54

Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit; Hessisches Kultusministerium: (2007) Bildung von Anfang an. Bildungsplan von 0 bis 10 Jahren in Hessen http://www.bep.hessen.de/irj/BEP_Internet

Hessisches Sozialministerium (2011): Kinder in den ersten drei Lebensjahren: Was können sie, was brauchen sie? Handreichung zum Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0-10 Jahren

Jampert, K. u.a. (Hrsg.) (2011): Die Sprache der Jüngsten entdecken und begleiten. Schritt für Schritt in die Sprache hinein. Berlin, verlag das netz

Jüttner, A-K, Koch, K. (2012): Sprachförderprogramme in der Kita. Ergebnisse einer Evaluation. In: Kindergarten heute 10/12, S.26 – 31. Verlag Herder, Freiburg

Kindertagesstätte Pfalz-Grona-Breite 79, 37081 Göttingen kita-pfalz-grona-breite@goettingen.de

Kohl, E M. (2006): Spielzeug Sprache. Ein Werkstattbuch, 2. Auflage, Beltz, Weinheim und Basel

Largo, R. H. (2001): Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Piper, München

Lindgren, A. (2002): Steine auf dem Küchenbord. Gedanken, Erinnerungen, Einfälle. Oettinger, Hamburg

Nentwig-Gesemann, I. (2011): Erzählkultur. Voraussetzungen und Formen des Erzählens. In: Kindergarten heute, Heft 1, S. 8 – 16

Nentwig-Gesemann, I. (2011): Erzählkultur im Kindergarten: www.ibbw.de

Kongress für Erziehung und Bildung (Kongressdokumentation)

Nida-Rümelin, J. (2011): Die Optimierungsfalle. Philosophie einer humanen

Ökonomie. Irisiana, München

Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.) (2011), Sprachbildung und Sprachförderung. Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Papoušek, M. (2003): Spiel und Kreativität in der frühen Kindheit. In: Gebauer/Hüther (Hg), Kinder brauchen Spielräume. Patmos, Düsseldorf, S. 23–39

Rizzolatti, G. (2008): Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. edition unseld. Suhrcamp. Frankfurt a/M

Tietze, W. u.a. (2012) (Hrsg.) NUBBEK. Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit Fragestellungen und Ergebnisse im Überblick( http://www.nubbek.de/)

Vortrag beim XIV. Kongress für Erziehung und Bildung am 15.11.2013 in Göttingen*

Dr. phil. Karl Gebauer in Kooperation mit: Veronika Niewa und Iris Wittorf, Kita Pfalz-Grona-Breite, Göttingen

*Der Vortrag wurde in freier Form gehalten

Dr. phil. Karl Gebauer, Rektor i.R., ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Bücher zu Erziehungs- und Bildungsfragen. Er ist Mitinitiator der Göttinger Kongresse für Erziehung und Bildung. http://www.ibe-goettingen.de/kongresse.html Karl Gebauer bereitet gegenwärtig einen Kongress mit dem Thema: INKLUSION UND SPRACHE vor: http://www.beltzforum.de/kita/ , der am 23./24.Mai 2014 in Wolfsburg stattfindet. Aktuelle Bücher: Klug wird niemand von allein. Patmos Verlag; Gefühle erkennen- sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie. Ein Bilderbuch. Beltz Verlag. Weitere Informationen unter: www.gebauer-karl.de

Iris Wittorf, Erzieherin, Jg. 1968. Seit 1989- im Kindergarten Ernst Fahlbusch-Haus (Stadt Göttin- gen), seit 2005 in der Krippe Pfalz-Grona-Breite (Stadt Göttingen) und seit Herbst 2011 Beteiligung an der Qualifizierungsoffensive des Deutschen Jugendinstituts München: „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei.“

Veronika Niewa, Erzieherin, Jg. 1975. Seit 1998 Nachmittagskraft in der Kita Gartenstraße (Stadt Göttingen), seit 2011 Erzieherin in der Krippe Pfalz-Grona-Breite (Stadt Göttingen) und seit Herbst 2011 Beteiligung an der Qualifizierungsoffensive des Deutschen Jugendinstituts München: „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei.“

 

 

KINDHEITSMUSTER EMPATHIE – WIE KINDER PRO-SOZIALES VERHALTEN LERNEN

Vorwort: Wenn das Essen schmeckt

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

„Schmeckt es dir?“ – „Möchtest du mehr davon?“ „Ich sehe, es schmeckt dir, hier kommt der nächste Löffel.“

Da füttert jemand ein Baby. Das sind die Assoziationen, die wir bei diesen Sätzen haben. Vielleicht ist es die Mutter, vielleicht der Vater, vielleicht auch eine Erzieherin. Wenn alles gut geht, ist das Baby nach einer Weile satt und zufrieden. Bis dahin passiert aber noch vielmehr als das, was die kargen Sätze aussagen. Blicke und Gesten kommen hinzu, sie bilden die nicht unwichtige Rahmenhandlung, schmücken das Geschehen des Fütterns und Essens aus. In den unterschiedlichsten Situationen des Alltags mischen sich in Familien und Kindertagesstätten emotionale und soziale Erlebnisse miteinander.

So konnte ich beobachten, wie ein Vater sein Kind mit Brei füttert. Zu sehen war die freudige Erwartungshaltung des Babys, sein Blick signalisierte: „Mehr davon bitte.“ In der Mimik und Gestik des Vaters wurde Freude sichtbar. Gleichzeitig stellte er die Frage, wohl wissend, dass das Baby das Gemeinte höchstens erahnen konnte: „Schmeckt es dir? Möchtest du mehr davon?“ Die Blicke des Babys deutete er und fuhr fort: „Du bekommst mehr davon. Da ist schon der nächste Löffel.“ Mimik, Gestik und das melodische Sprechen des Vaters schufen für das Baby einen Raum des Wohlgefühls. Die gesamte Situation strahlte Wärme, Freude und Zufriedenheit aus. In den Interaktionen wurde für das Baby, davon dürfen wir ausgehen, Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit erlebbar.

I. So entsteht Urvertrauen

Kinder nehmen von Geburt an emotional wahr. Die meisten von ihnen entwickeln in den ersten Tagen und Wochen durch die körperliche und emotionale Zuwendung von Mutter und Vater eine sichere Bindung. So entsteht – wenn auch weiterhin alles gut geht – ein Urvertrauen. Eltern sind in den meisten Fällen intuitive Resonanzspender.Es ist der Charme eines Kindes, der in der Regel eine empathische Reaktion hervorruft und unterstützt. Ein Kind verfolgt schon als Säugling mit höchster Aufmerksamkeit die Interaktionen naher Personen. Es spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu erkunden, ob es in dieser Welt willkommen ist. Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel schreibt, aus dem Blickwinkel eines Babys könne man sich das innere Erleben so vorstellen: „Nehmen sie mich wahr?“ „Achten sie auf meine Signale?“ „Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?“ (2003)

Durch diese frühen Spiegelungsprozesse wird die Entwicklung des kindlichen Gehirns angeregt.

Ist das Grundbedürfnis nach Geborgenheit gestillt, so wird ein Kind nun auf vielfältige Weise versuchen, seine Welt zu entdecken. Zunächst ist es das Gesicht der Mutter, später sind es die Spielsachen und Gegenstände in der unmittelbaren Umgebung. Wieder einige Zeit später sind es Wasser, Erde und Sand, die Möglichkeiten für Entdeckungen bereithalten. Kinder brauchen Schutz und Freiheit, um sich mit ihrer Umwelt vertraut machen zu können.

Wenn die Bezugspersonen aufmerksam die Signale der Kinder wahrnehmen und wenn sie empathisch reagieren, dann lernen Kinder bereits in den ersten Lebensjahren den achtsamen Umgang miteinander. Eine entscheidende Voraussetzung für die empathische Entwicklung eines Kindes ist eine anregende, freundliche und wertschätzende Atmosphäre in der Familie, im Kindergarten und in der Schule.

II. Empathie – Grundlage für pro-soziales Verhalten

Neuere Forschungen legen die Vermutung nahe, dass die Qualität der Beziehung den Aufbau der neuronalen Schaltkreise prägt. Die so entstehenden Muster der neuronalen Verbindungen sind ein Spiegelbild der Gefühlsreaktionen der Bindungspersonen (Eltern, Erzieherinnen, Tagespflegepersonen). Hier werden die Grundlagen für einen wohlwollenden Umgang miteinander gelegt. „Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.“ (Bauer 2005) Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti entdeckten Spiegelneurone. (Rizzolatti 2008) Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Wenn zum Beispiel Mutter oder Vater ihr Baby füttern, so erlebt das kleine Kind nicht nur, dass sein Hunger gestillt wird, sondern es nimmt über Mimik, Gestik und die Laute der handelnden Person, die emotionale Gestimmtheit der Situation wahr. Diese Erfahrung führt zur Ausbildung von Spiegelnervenzellen. Der äußere Vorgang ist anschaulich in dem Buch „Gefühle erkennen – sich in andere einfühlen. Kindheitsmuster Empathie“ dokumentiert. (Gebauer 2011)

Empathisches Verhalten anderen Menschen gegenüber ist ein Potenzial, das sich bei allen Kindern ausbildet, sobald sie ein Ich-Bewusstsein erlangt haben. Untersuchungen belegen, dass dieser Prozess im Alter von etwa 18 Monaten beginnt. Er lässt sich mit der Fähigkeit eines Kindes in Verbindung bringen, das sich in diesem Alter als eigenständige Person im Spiegel erkennt. Diese Fähigkeit zeigt, dass Kinder zur Selbstobjektivierung fähig sind. Bahnbrechende Untersuchungen, wurden von Doris Bischof-Köhler vorgenommen und dokumentiert. (Bischof-Köhler 2011 / 2012)

Empathie besteht danach aus drei Komponenten. Zunächst ist damit die emotionale Fähigkeit gemeint, sich in einen anderen Menschen einfühlen zu können. Damit verbunden ist ein kognitiver Prozess, die Erkenntnis nämlich, dass es sich bei den wahrgenommenen Gefühlen um die Gefühle einer anderen Person handelt.

Es ist aber auch denkbar, dass die Fähigkeit zur Einfühlung für Destruktion und Grausamkeiten genutzt wird. Es fehlt dann die ethische Komponente, die zu einer selbstreflexiven Wahrnehmung und Einordnung des eigenen Verhaltens führt. Es fehlt die „innere Instanz“ der Handlungskontrolle.

Empathie im Sinne eines wohlwollenden Umgangs miteinander braucht moralische Qualitäten. Diese muss in den vielen Situationen des Alltags erlebt werden. So brauchen Kinder in Konfliktsituationen einen Helfer, der sich in ihre Situation einfühlen kann und ihnen einen Weg zeigt, der zu einem guten Ergebnis führt. In Streitsituationen werden Gefühle wie Wut, Ärger, Ohnmacht erlebbar. Diese gilt es zu benennen. Geben Eltern und Erzieherinnen Hilfestellungen, dann findet eine emotionale und kognitive Bearbeitung der Situation statt. Betroffene Kinder erleben, dass sie nicht nur Urheber von Streit sind, sondern dass sie auch zur Lösung beigetragen haben. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und so bilden sich Grundsstrukturen für pro-soziales Verhalten heraus. Es handelt sich um Lernprozesse, die immer wieder beachtet werden müssen. Eine wichtige Rolle spielt die Vorbildfunktion von Eltern und Erzieherinnen. Die Art und Weise wie sie in den unterschiedlichsten Situationen mit Kindern umgehen, wird von diesen nicht nur wahrgenommen sondern auch übernommen.

Einige Beispiele sollen diese Prozesse, die im Äußeren zu beobachten sind, deutliche machen.

Beispiele:

1. „Auto haben!“

Ein typischer Konflikt bei unter zweijährigen Kindern lässt sich thematisch mit „Etwas haben wollen“ umschreiben. Das kann ein Spielzeugauto, ein Bilderbuch, ein Dreirad oder eine Puppe sein.

Situation: Bogdan spielte ruhig auf dem Teppich mit einem Auto. Luka näherte sich und griff nach dem Spielzeug. Bogdan verteidigte seinen Besitz. Es folgte ein Kräftemessen verbunden mit Lauten und Wörtern wie „haben, haben, nein, ich.“

Bogdan wendet seinen Hilfe suchenden Blick zur Erzieherin.

Kinder in diesem Alter müssen noch vielfältige Erfahrungen machen, vor allem müssen sie lernen, dass es andere Kinder gibt, die ebenfalls einen Anspruch auf die Benutzung der Spielsachen haben. Da sie erst um den 18. Lebensmonat herum zu der Erkenntnisleistung fähig sind, dass ein anderes Kind ein eigenständiges Wesen mit eigenen Interessen und Gefühlen ist, brauchen sie einfühlsame Erzieherinnen, die in solchen Situationen helfend eingreifen.

Die Situation entwickelte sich so: Die Erzieherin nimmt den Konflikt wahr, löst sich aus einer Gruppe, mit der sie gerade den Tisch deckte, ging zu den beiden Jungen und sprach sie mit ruhiger Stimme an: „Bogdan, du hast mit dem Auto gespielt. – Luka, dann bist du gekommen und wolltest auch mit dem Auto spielen.“ Während sie die Situation ruhig beschreibt, ziehen die beiden Jungen kräftig an dem Auto. Es ist an ihrem Gesichtsausdruck zu sehen, dass sie beide emotional stark tangiert sind.

E.: „Luka, lass das Auto bitte einmal los. Bogdan hatte sich das Auto geholt und hat damit gespielt.“

Während sie das sagt, lässt Luka das Auto los, beide Jungen beruhigen sich, blicken zu ihrer Erzieherin.

E.: „Ich helfe euch mal. Bogdan, du darfst weiter mit dem Auto spielen. Und wenn du damit fertig bist, sagst du es Luka. Luka, dann kannst du das Auto haben. – Zuerst spielt Bogdan noch mit dem Auto, danach darfst du damit spielen. Seid ihr beide damit einverstanden?“

Reflexion:

In der beobachteten Situation konnte die Situation gelöst werden. Wir können davon ausgehen, dass die Quelle für die Lösung in dem zwischen Erzieherin und Kindern bestehenden Vertrauen liegt. Begriffe wie „zuerst“ und „danach“ können in ihrer zeitlichen Dimension noch nicht erfasst werden. Aber sie werden sich bei der Klärung weiterer Konflikte als Orientierungsperspektive einprägen. Mimik, Gestik, Sprachmelodie und Zuwendung der Erzieherin führten dazu, dass Bogdan noch eine Weile mit dem Auto spielte und es dann zur Seite stellte. Luka hatte seinen Spielwunsch, so schien es, längst vergessen. Aber nun erinnert ihn die Erzieherin und sagt: „Luka, jetzt kannst du mit dem Auto spielen.“ Langsam nahm nun Luka das Auto und spielte.

Vergegenwärtigen wir uns den Prozess noch einmal. Zwei Kinder richten ihr Augenmerk auf dasselbe Spielzeug. Jedes Kind hat, das ist die Hypothese, für sich den selbstverständlichen Anspruch, mit dem Gegenstand spielen zu dürfen und zwar sofort. Die Erfahrung, dass dies nicht so ohne weiteres möglich ist, dürfte für beide neu sein. Sie erleben möglicherweise einen ersten Konflikt und suchen diesen mittels ihrer Körperkräfte und lautstarker Ausrufe zu lösen. Sie kommen an ihre Grenzen. Bogdan blickt in der Situation zur Erzieherin.

In der Art ihres Klärungsversuchs erkennen sich Kinder als eigenständige Personen mit eigenen Wünschen und Gefühlen. Die Erzieherin spricht beide Jungen mit ihrem Namen an. Sie schlägt eine Lösung vor. Für die Kinder eröffnet sich ein Weg aus der Sackgasse. Damit – so dürfen wir annehmen – wird in ihrem Gehirn ein Arbeitsmodell angelegt, das zwar durch ähnliche Erfahrungen noch verstärkt werden muss, das aber schon die emotional-kognitive Erkenntnis in sich trägt, dass es Alternativen im Verhalten gibt. Das heißt: Kindheitsmuster für pro-soziales Verhalten entwickeln sich auch in Konfliktsituationen. Entscheidend ist, dass die erwachsene Person eine Haltung verkörpert, durch die Kinder nicht beschämt werden, sondern Zuwendung, Verständnis und Hilfe erfahren. Die Erleichterung, die Kinder nach einer solchen Situation verspüren, trägt mit dazu bei, dass sich diese Erfahrungen als Muster für das Lösen zukünftiger Situationen etablieren.

2. „Mein Teller!“

Foto: Jürgen Hast

Foto: Jürgen Hast

Das gemeinsame Essen und Trinken gehört zum Kindergartenalltag. Während die sehr jungen Kinder noch gefüttert werden müssen, lernen sie es mit zunehmendem Älterwerden, für sich selbst zu sorgen. Sie können den Tisch decken, sich beim Essen die Schüsseln reichen, sich selbst das Essen auf den Teller tun und schließlich können sie beim Abräumen helfen. Sie machen „Ich kann das – Erfahrungen.“

Gleichzeitig sammeln sie Erfahrungen darüber, was geht und was nicht geht. Folgende Situation konnte ich beobachten.

Situation: Simon und Laura sitzen nebeneinander. Beide Kinder haben einen Teller mit Brot und Obststücken vor sich. Plötzlich ist Lauras Hand auf Simons Teller. Der glaubt seinen Augen nicht trauen zu können. Laura zieht ihre Hand zurück, ist aber bald schon wieder auf dem Teller von Simon. Simon revanchiert sich, sucht Lauras Teller auf seinen Platz zu ziehen. Lauras kleine Faust fährt daraufhin unvermittelt vor Simons Nase. Der ist verdutzt, hatte offensichtlich damit nicht gerechnet. Zwei Erzieherinnen schauen zu, nehmen den Vorgang wahr, interpretieren ihn offensichtlich als eine Chance für emotional-soziale Erfahrungen. Dass beide Kinder hier ihre Grenze überschreiten ist für den Betrachter sichtbar. Welche Erfahrungen werden sie daraus ziehen. Natürlich könnten die Erzieherinnen hier schon eingreifen, was sie aber nicht tun. Und so geht es zwischen beiden Kindern noch eine Weile hin und her. Simon versucht, Laura in die Wange zu kneifen, diese versucht Simons Ohr zu erwischen. Simon hält beide Hände vor sein Gesicht, aber das hilft nicht, Laura ist schon wieder am Ohr.

Plötzlich lassen beide voneinander ab, wenden sich ihrem Essen zu, trinken einen Schluck aus der Tasse und lächeln sich an.

Was war das nun?

Interpretation: Die Erzieherinnen kennen die beiden Kinder, sehen in der Situation offenbar keine besondere Gefährdung. Beide Kinder testen aus, was sie dem anderen zumuten können, scheuen auch nicht vor leichten körperlichen Attacken zurück. Sie gehen bis an die Grenze und leicht darüber hinaus und machen dabei die Erfahrung, dass der jeweils andere sich nicht „die Butter vom Brot“ nehmen lässt. Es gibt keinen Verlierer – aber eine Erfahrung. Vertragen und ein weiteres Nebeneinander war möglich. Eine wertvolle Selbsterfahrung.

3. Vertauschte Zahnbürsten

Situation: Die Erzieherin stellt fest, dass die Zahnbürsten in den Bechern vertauscht worden sind. Sie überlegt, welche Kinder kurz vorher im Toilettenbereich waren. Der Verdacht fällt auf Luka und Aleksander (5 J.) Als kurze Zeit später Aleksander erneut den Nassbereich aufsuchen möchte, geht die Erzieherin mit. Es entspinnt sich der folgende Dialog:

Aleksander: „Warum gehst du mit?“

E.: „Ich will mal in deiner Nähe sein.“

A.: „Weil ich die Zahnbürsten vertauscht habe?“

E.: „Ja, genau. Zahnbürsten vertauschen ist nicht gut. Viele Kinder sind erkältet. Ihr könnt euch gegenseitig anstecken, wenn ihr die Zahnbürste von einem anderen Kind benutzt.“

Die Erzieherin ordnet Becher und Bürsten einander zu. Aleksander bleibt so lange dabei.

E.: „Hast du verstanden, warum das nicht gut ist, wenn du die Zahnbürsten vertauscht?“

A.: „Hab ich.“

Reflexion: Die Erzieherin wundert sich über diesen Streich. Bisher hatte sie das in ihrer Gruppe nicht beobachtet. Das Verhalten ist auch nicht typisch für diese Altersgruppe. Allerdings war ihr aufgefallen, dass einige Jungen in der letzen Zeit damit prahlten, was ihre Väter als Kinder so alles gemacht hätten. Ein Junge (5 J.) erzählt: „Ich durfte schon einmal Alkohol trinken.“ Ein anderer Junge ergänzt: „Und ich durfte schon einmal Kaffee aus der Tasse von Mama trinken.“

Kinder lernen von Vorbildern, übernehmen oft ungeprüft deren Verhalten, geben damit an, weil sie glauben, dass das ganz toll sei. So könnte man möglicherweise auch den Streich mit dem Vertauschen der Zahnbürsten einordnen.

Am Verhalten der Erzieherin könnte Aleksander erkennen, dass sie das Geschehen in der Gruppe und auch außerhalb des Gruppenraumes im Blick hat. Dass ihr am Wohlergehen der Kinder gelegen ist und dass sie möglichen Schaden abwenden möchte. Es war nur eine Vermutung der Erzieherin, dass Aleksander die Bürsten vertauscht haben könnte. Sie hatte die Situation richtig eingeschätzt und hat einen Weg gewählt, bei dem Alexander intuitiv erfassen konnte, dass sein Verhalten nicht verborgen geblieben war. Die Erzieherin erklärt, warum sie das Verhalten nicht gut heißen kann. Wir können davon ausgehen, dass diese und ähnliche Erfahrungen bei den Kindern zu Wahrnehmungen führen, die ihr Verhalten in Zukunft mitbestimmen werden. Bei Aleksander war ja schon ein kognitives Bewusstsein vorhanden, dass sein Handeln nicht Regelkonform sein würde. Nun hat er eine zugewandte Erzieherin erlebt, die ihn nicht beschämt ihm aber mit einer klaren Feststellung erklärt hat, warum dieses Verhalten nicht akzeptiert werden kann.
III. Die Haltung der Erzieherin zeigt sich in der Beziehungsgestaltung

Leider speichern Kinder bei Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Deswegen ist es so wichtig, dass im Kindergarten das Klären von Konflikten einen hohen Stellenwert erhält. Konflikte wühlen die Gefühle der beteiligten Personen auf und lösen das Stresssystem aus. Erwachsene verfügen über eine größere Erfahrung als Kinder beim Lösen von Konflikten. Deswegen ist es so wichtig, dass sie sich möglichst professionell verhalten. Eine Erzieherin sollte ihre Gefühle kontrollieren können. Auf diese Weise aktiviert sie in ihrem Gehirn das System für Impulskontrolle. Allein dadurch wird sie zum Vorbild für die betroffenen Kinder. Sie nehmen emotional wahr, ob ihre Erzieherin gelassen die Klärung des Konflikts angeht oder in den Aufwallungen eigener Gefühle wie Wut, Ärger oder Enttäuschung untergeht. Natürlich darf sie diese Gefühle haben, sie muss sie allerdings unter Kontrolle bringen, denn sonst kann sie zur Klärung des Konflikts weder auf der äußeren Ebene etwas beitragen noch dazu anregen, dass die Kinder in ihrem neuronalen Netz nun ein Muster für gelingende Konfliktklärung ausbilden können. Denn darauf kommt es an. Geht eine Erzieherin mit Widerwillen an die Klärungsarbeit, dann wäre es vielleicht besser, sie würde eine Kollegin bitten, diese Aufgabe zu übernehmen. Man muss sich klar machen, dass die Gefühle einer Erzieherin in einer Konfliktsituation über die Spiegelneuronen bei den Kindern ankommen. Desinteresse, Ärger oder gar Wut signalisieren in einer Klärungssituation keine empathischen Verhaltensweisen. Auf die käme es aber an. Denn nur dann, wenn sich die betroffenen Kinder, deren Stresssystem voll aktiv ist, verstanden fühlen, können sie Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Erzieherin legen. Gleichzeitig damit schaltet sich ihr Beruhigungssystem ein und die Grundlage für eine Konfliktklärung ist gegeben.

Von einer empathischen Haltung sprechen wir, wenn eine Erzieherin versucht, die Kinder und deren Handlungsweisen zu verstehen. So ist es wichtig, dass sie die Wünsche und Sorgen der Kinder wahrnimmt und verständliche Antworten gibt. Im Einzelfall kann das bedeuten, dass sie Kinder ermuntert oder tröstet, dass sie Regeln des Zusammenlebens mit ihnen bespricht und beim Lösen von Konflikten hilft. Ermutigungen führen zu Motivation. Ein gleichgültiges oder beschämendes Verhalten blockiert Kinder in ihrer Entwicklung.

Wenn Kinder konkret erleben können, dass Eltern und Erzieherinnen konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen helfen, dann sammeln sie Erfahrungen, die sie als innere Muster speichern und in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen abrufen können. Außerdem befreit es die Kinder von Stress und stärkt ihr Motivationssystem. Es gibt immer wieder Situationen, in denen Kinder kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Bewältigung einer gestellten Aufgabe haben. Dann ist es wichtig sie zu ermutigen, wie das am nachfolgenden Beispiel sehr schön zu erkennen ist.

Beispiel: Wenn ein Selbstportrait nicht gelingen will

Nicht immer geht es im Alltag um Konflikte unter Kindern. Manchmal bahnt sich ein Konflikt oder eine Unstimmigkeit auch zwischen einem Kind und seiner Erzieherin an.

Situation: Kurz vor dem Übergang in die Schule hatte die Erzieherin die Kinder angeregt, noch einmal ein Selbstportrait anzufertigen. Damit wollte sie für alle gut sichtbar eine Ausstellung machen, bei der alle Kinder, die demnächst den Kindergarten verlassen würden, noch einmal im Rahmen einer Ausstellung im Foyer zu sehen sein würden. Die meisten Kinder beteiligten sich sofort und waren auch mit Freude und Eifer dabei. Lorenzo zeigte sich unwillig, nahm dann aber doch Papier, Pinsel und Farbe und fertigte minutenschnell ein Selbstportrait an. Ob er zu den anderen Kinder raus gehen dürfe, er möchte Fußball spielen, fragte er seine Erzieherin. Diese schaute sein Bild an und war enttäuscht. Denn das, was sie sah, hatte mit den kreativen und differenzierten Fähigkeiten von Lorenzo nichts zu tun. Sie erfüllte den Wunsch des Jungen, er durfte Fußball spielen. Sie nahm sich vor, ihre Enttäuschung demnächst in eine positive Anregung zu verwandeln. Eine Woche später, die meisten Portraits hingen an der Wand, wandte sie sich Lorenzo zu und sagte: „Lorenzo, das ist dein Bild, das du von dir gemalt hast. Ich habe es noch nicht zu den anderen Bildern gehängt, denn ich weiß, dass du, wenn du dir Mühe gibst, sehr schön malen kannst. Als du dieses Bild gemalt hast, wolltest du lieber Fußball spielen. Du warst mit deinen Gedanken ganz wo anders. Ich fände es schön, wenn du noch einmal ein Bild von dir malen würdest.“ Lorenzo schaute seine Erzieherin freundlich an, griff zu Papier, Pinsel und Farbe und malte ein wundeschönes und sehr differenziertes Bild von sich selber. Mit leuchtenden Augen zeigte er es seiner Erzieherin und beide hängten Lorenzos Selbstportrait zu den anderen Bildern.

Im Verhalten der Erzieherin wird eine zugewandte emotionale Haltung sichtbar. Wir dürfen sicher sein, dass sich Lorenze von seiner Erzieherin verstanden und gewürdigt fühlte. Diese von Wohlwollen getragene emotionale Haltung hat er erlebt. Sie hat Eingang in seine inneren Arbeitsmodelle gefunden.

IV. Emotional-soziale Erfahrungen im Spiel

Lernprozesse sind dann besonders erfolgreich und anhaltend, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung machen, dass sie es sind, die etwas bewirken. So bilden sie grundlegende Kompetenzen für die Bewältigung der unterschiedlichsten Lebenssituationen aus. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können. Am besten gelingt das im Spiel.

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen. Die Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen ist dabei von zentraler Bedeutung. (Gebauer 2011)

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Vor allem fördert das lang anhaltende Spiel, das sich aus den Interessen eines Kindes speist, dessen Konzentrationsfähigkeit. Konzentriert sich ein Kind, weil es von seinem Spiel fasziniert ist, dann wird im Gehirn der Botenstoff Noradrenalin ausgeschüttet, der als Grundlage für diese Fähigkeit angesehen wird.

Leider ist das Spiel heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit, Muße und dem Einfühlungsvermögen mancher Eltern. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Erwachsene oft kein Interesse am Spiel der Kinder haben. Es fehlt das Einfühlungsvermögen und damit die geteilte Aufmerksamkeit, die einem Kind signalisiert, dass das, was gerade geschieht, bedeutsam ist.

Die Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek stellte schon vor vielen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“ sehr kleiner Kinder fest. Typische Äußerungen von Müttern:

„Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht.“

(Papoušek 2003)

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. (Gebauer 2007)

„Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird.“

(Astrid Lindgren 2002)

Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen, das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2011)

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge, schwärmt: „Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt.“ Er zählt gleich mehrere Spiel-Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert:

„Da geht es um

gegenseitige Rücksichtnahme,

Zunahme von Kooperationsbereitschaft,

Abbau von Vorurteilen,

Verlegung der Toleranzgrenze,

Verantwortung für sich und andere,

Stärkung des Selbstbewusstseins.

Und:

Denken, Sprechen, Planen, Handeln,

Verwerfen, Krisen meistern –

das findet natürlich auch statt.“

Zukunftsforscher betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft. (Göll 2001)

Timm Albers (2012) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen:

„Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.“

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen.

Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Eltern und Erzieherinnen sollten sich über die Fülle von emotionalen, sozialen und kognitiven Erfahrungen freuen, die in den Spielen der Kinder liegen. Dabei geht es darum, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden; wie sie Konflikte klären und Lösungen finden; wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten; wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren; wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.

Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das:

  • Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
  • Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
  • Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.
  • Eigene Spielideen entwickeln.
  • Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
  • Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.

V. Kindheitsmuster Empathie sichtbar machen

Im Zusammenhang mit den neuen Bildungs- und Orientierungsplänen wir immer wieder darauf hingewiesen, dass Erzieherinnen die Kinder beobachten und ihre Erkenntnisse notieren sollten. Oft reicht dafür die Zeit nicht und in vielen Fällen werden lediglich besondere Fähigkeiten eines Kindes auf der Handlungsebene beschrieben. Viel schwieriger ist es, Aussagen über das emotional-soziale Verhalten eines Kindes zu machen. Aber es gibt Ausnahmen und darüber soll berichtet werden. Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung wurden Aufzeichnungen über das pro-soziales Verhalten einzelner Kinder gesammelt. Es handelt sich um Lerngeschichten, die von den Erzieherinnen angefertigt worden wsaren.

Beispiele:

1. Verzeihen

Liebe Valentina, gestern habe ich für Selina einen Webrahmen bespannt. Du bist dazu gekommen und hast mir gesagt, dass du auch gern weben würdest. Ich habe dir gesagt, dass ich gern bereit bin, auch für dich einen Webrahmen zu bespannen, wenn ich mit Selinas Bespannung fertig bin. Du hast geduldig gewartet und mir bei der Arbeit zugeschaut. Nachdem Selinas Webrahmen fertig war, sagte sie zu dir: „Meiner ist schon fertig und deiner nicht!“ An deinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass dich Selinas Aussage gestört hat. Du hast dann auch gleich zu Selina gesagt: „Selina, warum sagst du das jetzt? Das macht mich ganz traurig.“ Selina hat gleich reagiert und sich bei dir entschuldigt. Du konntest Selina verzeihen.

Ich habe gestaunt, wie gut du in diesem Moment sagen konntest, wie es dir geht und was dich gestört hat. Auch Selina hat in diesem Moment verstanden, dass ihr Verhalten dir gegenüber nicht in Ordnung war.

Ich kann mir vorstellen, dass es dir im Umgang mit anderen Menschen sehr hilft, wenn du ihnen so wie hier bei Selina, sagen kannst wie du dich fühlst.

2. Einen Fehler korrigieren

Lieber Simon,

obwohl du erst seit März in unserer Gruppe bist, hast du schon viele Freunde gefunden. Du spielst gerne mit Paolo, mit Elias, mit Fynn, mit Jolina und Sophie. Es ist schön zu erleben, wie wohl du dich bei uns fühlst.

Gestern war ich dabei, als du mit Elias gewebt hast. Du entdecktest in deinem Webstück einen Fehler und fragtest Elias, ob er dir helfen könne. Elias konnte dir erklären, wie dein Fehler entstanden war. Du hattest in einigen Reihen nicht bis zum Ende gewebt, sondern mit dem Webschiffchen zu früh gewendet. Sofort hast du verstanden, was Elias dir erklärt hat. In aller Ruhe hast du die letzten Webreihen wieder zurück gewebt. So konntest du mit viel Geduld dein Problem selbst lösen.

Es freut mich für dich, dass du den Mut hattest, ein anderes Kind um Hilfe zu bitten, als du nicht weiter wusstest und dass du nicht die Mühe gescheut hast, den Fehler selbst zu beheben.

Deine S.

3. Geduld und Hilfsbereitschaft

Lieber Julius,

vor einigen Tagen habe ich mit am Tisch gesessen als du die Idee hattest, mit Noah an euerem Webrahmen weiter zu arbeiten. Als Noah bemerkte, dass ein Fehler in seinem Webstück war, sagtest du ihm, dies sei nicht schlimm, da du diesen Fehler auch schon gemacht hättest. Du erklärtest Noah das Problem, so dass er alleine weiter weben konnte.

Als dein Faden zu kurz für das Webschiffchen wurde, hattest du den Einfall, es mit den Fingern zu versuchen, was dir sehr gut gelang. Später zeigtest du Noah noch, wie man eine neue Farbe beginnen muss. Dabei hast du dir Zeit genommen, Noah alles ganz genau zu erklären und zu zeigen. Auch als Noah langsam ungeduldig wurde, ließest du dich von deinem Vorhaben nicht abbringen. Du hast so lange gearbeitet, bist du mit deinem goldenen Faden fertig warst. Dann hast du mir einen Fehler gezeigt, der dir passiert ist, als du vier Jahre alt warst. Damals hast du mit deiner Webarbeit begonnen.

Als du geschafft hast, was du dir zum Ziel gesetzt hattest, bist du mit Noah in die Bauecke gegangen.

Mir hat es gut gefallen, dich beim Weben zu beobachten. Es war schön zu erleben, wie viel Mühe du dir gegeben hast, Noah immer wieder zu helfen. Ich freue mich jetzt schon auf deinen fertigen Teppich und wünsche mir, dass du weiterhin so hilfsbereit und so geduldig bist.

Deine K.

4. Das Beste aus einer Situation machen

Liebe Emilia,

an einem sonnigen Tag im Mai hast du mit Sophie im Sandkasten gespielt. Du hast dabei Sandeimer als Töpfe benutzt, Stöckchen als Rührlöffel und Blumen als Zutaten. Mit der Kelle hast du die Holzbank, die der „Tisch“ war, gesäubert. Mit einem Korb bist du dann zum Einkaufen gegangen und hast in einem Eimer noch mehr Sand zum Spielen geholt.

Es kamen ein paar Kinder vorbeigelaufen und nahmen blitzschnell die Kelle weg, die du vorher noch im Gebrauch gehabt hattest. Du hast dann nur „eh…“ gerufen und zu Sophie gesagt: „Warte mal, ich hol ne neue.“

Ich fand das prima von dir, dass du sofort gewusst hast, wie du das Beste aus dieser Situation machen kannst ohne dich groß zu ärgern. Du hättest keine Chance gehabt, von den Kindern die Kelle zurück zu holen, weil diese ganz schnell damit weggelaufen sind. Weil du keine neue Kelle gefunden hast, hast du einfach ohne Kelle weiter gespielt und in Ruhe weiter gekocht.

Simon und André hatten plötzlich Lust mit euch zu spielen und fragten nach, ob sie mitspielen dürften. Du hast spontan mit einem „Ja“ geantwortet.

Es ist schön zu erleben, wie phantasievoll du spielen kannst. Auch dass du dir nicht so leicht den Spaß verderben lässt, gefällt mir gut.

Deine K.

5. „Mal passieren!“

Dies ist eine Geschichte, wie sie immer einmal wieder im Kindergarten passieren kann. Ein Mädchen erreichte nicht rechtzeitig die Toilette und nässte ein. Es wurde ganz still, dann rutschte es unruhig auf dem Stuhl hin und her. Philip, der neben dem Mädchen saß, merkte was passiert war. Er legte seinen Arm um dessen Schulter und sagte mitfühlend: „Mal passieren!“ Die Erzieherin, die auch aufmerksam geworden war, begleitete nun das Mädchen zur Toilette.

Die Fähigkeit zu empathischen Verhalten beginnt nach den Untersuchungen von Doris Bischof-Köhler (2011) etwa ab dem 18. Lebensmonat und ist an die Fähigkeit zur Selbstobjektivierung gebunden. Allerdings werden unter Empathie die unterschiedlichsten emotionalen Verhaltensweisen verstanden. Eine Person kann sich in eine andere Person einfühlen, mit dieser mitfühlen und dazu beitragen, dass sich ein positives Miteinander ergibt. Sie kann sie aber auch lächerlich machen. Philip zeigt in der Situation ein zugewandte emotionales Verhalten, das von Mitgefühl geprägt ist

6. Der Engel mit den grünen Augen

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

In der Adventszeit hatten die Kinder aus unterschiedlichsten Materialien Engel gestaltet. Ein Mädchen zeigt auf seinen Engel und sagt zu seiner Erzieherin:

„Den Engel kriegt Papa.“ (Einen Tag später): „Den Engel kriegen Mama und Papa. Die teilen sich nämlich ein Schlafzimmer. Da kann er dann über dem Bett stehen.

Er soll ein türkises Kleid bekommen, das vorne Streifen hat, weil Mama Streifen mag und hinten Punkte, weil Papa Punkte mag. Er soll grüne Augen haben, weil ich grüne Augen habe.“ Das Mädchen zeigt empathisches Verhalten gegenüber seinen Eltern und sich selbst gegenüber. Mehr Empathie geht nicht!
VI. Abwesenheit von Empathie

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster. Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Gewalt
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.
Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Foto: Beatrix Schminke-Gebauer

Wenn Kinder aber konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann wird diese Erfahrung als Handlungsmuster gespeichert und kann in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen genutzt werden.

Von einem Fehlen an Empathie im gesellschaftlichen Maßstab kann man auch sprechen, wenn man die aktuelle Studie: „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ liest. Die Kernaussage lautet: Bei allem Bemühen könnten die Teams in den Kindertagesstätten eine vollständige Umsetzung der in Orientierungs- und Bildungsplänen formulierten Erwartungen nicht leisten. Es bestehe ein massives Umsetzungsdilemma. Die Forscherinnen geben den warnenden Hinweis: Wenn die Fachkräfte permanent mit der Kluft zwischen Anforderungen und begrenzten Umsetzungsmöglichkeiten konfrontiert würden, könne dies zu hohen körperlichen und psychischen Belastungen führen, eine Ablehnung der Bildungsprogramme könne die Folge sein. (Der Paritätische Gesamtverband 2013) gegenüber erschwert. Ein qualifiziertes Erzieherinnenverhalten, wie es sich in den aufgezeichneten Lerngeschichten zeigt, ist kaum möglich, wenn sich Erzieherinnen aufgrund der äußeren Bedingungen permanent in Stresssituationen befinden.

VII. Werte und Gesellschaft

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene, die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt ein Kind Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Empathie als eine

entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung anzusehen ist. Eine moralisch handelnde Person bezieht die Interessen der Anderen mit ein – der Egoist denkt nur an die Optimierung der eigenen Interessen. (Nida-Rümelin 2012)

Leitgedanken für die Gestaltung unseres Lebens sollten Tugenden sein, die bereits in der griechischen Philosophie mit den Begriffen Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit beschrieben wurden. Es ist die Aufgabe jeder Generation, diese Vorstellungen für ihre Zeit neu zu interpretieren. Dabei sollte Achtsamkeit – eine zentrale Haltung aus der Welt des Buddhismus – mehr und mehr Beachtung finden.

Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren. (Bauer 2006) Der einzelne Mensch sollte seine inneren Potenziale voll ausschöpfen können. Er sollte ein Leben führen können, in dem ein freundschaftliches und liebevolles Miteinander die bestimmenden Faktoren sind. Empathisch miteinander umgehen setzt die Überzeugung voraus, dass ein anderer die gleiche Daseinsberechtigung hat wie wir und genauso einzigartig ist wie wir selbst. Die Menscherrechte sind dafür ein einzigartiges Dokument.

Nicht anders kann man den amerikanischen Sozialwissenschaftler Jeremy Riffkin verstehen, wenn er sagt: „Empathie ist der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können. In einer Welt ohne Empathie fehlt nicht nur das, was das Menschsein überhaupt ausmacht, es fehlt auch die Grundlage für ein demokratisches Wertesystem.“ (Riffkin 2010) Auch ökonomischer Erfolg basiert auf einer verlässlichen Kommunikation. Und die beherzigt unverzichtbare Regeln wie Wahrhaftigkeit und Vertrauen. (Nida-Rümelin 2011)

Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung gelingender Dialoge deutlich, die auf einer empathischen Grundsituation beruhen. Eine kompetente Person verfügt über die Fähigkeit, im konkreten Einzelfall angemessen zu handeln. Damit diese Prozesse gelingen können, müssen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken, Ideen und Absichten anderen transparent machen können. Sie müssen sich also eine Kommunikationskompetenz aneignen. Und schließlich gehören emotionale und soziale Fähigkeiten wie Toleranz, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu. Man muss sich auch in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können (Empathie). Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen. In dieser Kompetenz sieht der Nobelpreisträger Amartya Sen (2007) die Voraussetzung für die Teilnahme an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme. Damit ist die Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit skizziert. Der Bogen ist gespannt von der individuellen Entwicklung, die sich in dialogischen Situationen mit nahen und zugewandten Personen vollzieht, über das vertrauensvolle, empathische und oft interkulturelle Kommunizieren bis hin zu der Entwicklung demokratischer Lebensformen im globalen Maßstab.

Zusammenfassung:

Lernen im Kindergarten und in der Schule vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft. Kinder können schon früh voneinander lernen, miteinander agieren, Probleme aufwerfen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Im Verlauf der Kindheit verbinden sich emotionale und kognitive Erlebnisse und führen über die sog. limbofrontalen Bahnungen zur Ausbildung eines differenzierten neuronalen Netzwerkes. Sie schaffen auf diese Weise die Grundlagen für eine kognitiv-psychosoziale Kompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und empathiefähig anderen gegenüber zu werden. Dies passiert im Umgang miteinander, in den Handlungen und Interaktionen des Alltags. Werden diese Aktionen mit Interesse verfolgt, von Freude begleitet und durch Anerkennung belohnt, so stellen sie die wichtigsten Voraussetzungen für die Ausbildung eines moralischen Verhaltens dar.

Kinder brauchen Menschen, die sich in ihre Situation einfühlen können und ihnen Orientierungen bieten. In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, die Gefühle der Kinder wahrzunehmen und ihnen Wörter für diese Gefühle anzubieten. Wenn Kinder konkret erleben können, dass Eltern, Erzieherinnen und Lehrpersonen konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen helfen, dann führt diese Erfahrung zu inneren Mustern, die in künftigen Situationen für den Umgang miteinander und für das Lösen von Problemen zur Verfügung stehen.

Bei der Bearbeitung von Konflikten finden permanent Wechselwirkungen zwischen Fühlen, Verstehen und Handeln statt. Diese Erfahrungen werden als innere Muster etabliert und bilden die Grundlage für verantwortliches Handeln. Kinder müssen zum Bespiel erleben, dass sie nicht nur Verursacher von Konflikten sind, sondern dass Sie auch an der Lösung beteiligt sind. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und so bilden sich Grundsstrukturen für pro-soziales Verhalten heraus.

Manchmal ist es wichtig zuzuhören. Ein andermal ist Trost die richtige Reaktion. Dann gibt es Situationen, in denen Grenzen gesetzt oder Konflikte gelöst werden müssen. In der Beziehungsgestaltung wird die innere Haltung von Eltern und Erzieherinnen sichtbar. Entscheidend ist, ob sie von Empathie getragen wird. In den Sozialwissenschaften wird Empathie als eine entscheidende Quelle für eine gut verlaufende individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung angesehen. Eine empathisch handelnde Person bezieht die emotionale Befindlichkeit der Anderen mit ein.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und pro-sozialem Verhalten beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Eine humane Gesellschaft beruht auf der menschlichen Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren.

Ein Kind braucht auf seinem Weg zu einer autonomen Persönlichkeit zugewandte Erwachsene, die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Auf diese Weise entwickelt es Interesse an sich und seiner Umwelt. Es sammelt durch konkretes Tun Erfahrungen, die als Wissen gespeichert werden. Dabei setzt es immer differenziertere Formen der Selbst- und Welterkenntnis ein. Wissen, Denken, Fühlen und Handeln stehen in diesem Prozess in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

In der Pubertät und Adoleszenz kommt es darauf an, die in der Kindheit gesammelten emotionalen, sozialen und kognitiven Erfahrungen als Wertesystem (Gewissen) zu konsolidieren. Sozialwissenschaftler gehen davon aus, dass eine humane Gesellschaft auf der menschlichen Fähigkeit beruht, Mitgefühl zu empfinden, Rücksicht zu nehmen und mit anderen zu kooperieren.

Wer einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst, den anderen Menschen und mit der Natur pflegt, kann als gereifte Persönlichkeit angesehen werden. Ein solcher Mensch hat die Fähigkeit zu einem selbstständigen und solidarischen Handeln entwickelt. Er ist in der Lage, Anteil am kulturellen und politischen Leben zu nehmen und sich auch an einem weltweiten Diskurs zur Lösung globaler Probleme zu beteiligen.

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hr2 Kultur: Am Tisch mit Karl Gebauer, „Kinder-Lobbyist“

Ausgestrahlt auf hr2 Kultur am 27.12.2011 .

In dem Maß, wie unsere Welt immer weiter aus den Fugen gerät, geraten wir es selbst auch: Trennungen, Existenzangst, Burnout … Kein Wunder, dass auch unsere Kinder heute vermehrt unruhig, unkonzentriert und ausschließlich auf sich selbst bezogen sind.

Der Pädagoge und ehemalige Göttinger Schulrektor Karl Gebauer publiziert seit Jahren zu aktuellen Erziehungsfragen. Sein Credo für eine erfolgreiche Erziehung ist schlicht: Liebe sei das Geheimnis, sagt er. Kinder brauchen stärkende Beziehungen und ausreichend Zuwendung, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, das auch die Voraussetzung ist für soziale Kompetenz. Es liegt auf der Hand. Und scheint im Alltag doch nicht so einfach zu leben zu sein, wie es klingt. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung: darum geht’s es unter anderem in diesem Doppelkopf, eine Wiederholung vom 27. Dezember 2011.

Gastgeberin: Ulrike Schneiberg

Radiointerview downloaden…

Quelle: http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=9902&key=standard_document_50676327

 

„GUCK MAL, DA BIN ICH!“ – DIALOGE MIT KINDERN UNTER DREI JAHREN

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Foto: Helene-Souza / pixelio.jpg

Viele Bedingungen spielen bei der Entwicklung der kindlichen Sprache eine Rolle. Da diese Bedingungen für die Kinder sehr unterschiedlich sind, ist es normal, dass auch ihre Sprachentwicklung große Unterschiede aufweist. Eltern und Erzieherinnen müssen sich die Frage stellen, ob sie die oft sehr großen Unterschiede emotional akzeptieren und angemessen auf die jeweiligen sprachlichen Äußerungen reagieren können.
Schon vom dritten Monat an probiert ein Kind, was es mit Zunge, Lippen und Spucke alles machen kann. Kurze Zeit später bildet es Laute und Lautfolgen, wie a aa a oder oo o ooo. In dieser Phase sollten die Bezugspersonen sowohl die beruhigende Babysprache imitieren als auch in gewohnter Sprechweise die Vorgänge beim Wickeln, Füttern, Waschen und Anziehen benennen. Sie sollten ihre Handlungen sprachlich begleiten. In den Anfängen nehmen wir bei Kinder Lautmalereien wie brrrrr oder brumm wahr. Meistens stehen sie für Fahrzeuge wie Autos, Trecker, Flugzeuge. Sie werden als Brückenwörter angesehen. Zwischen dem 10. und 14. Monat können Kinder Wortklänge wie Nane, Dede, Mimi, Hühang aus Wörtern heraushören und diese produzieren. Oft ist nur aus dem Kontext zu erkennen, welche Bedeutung einem Lautgebilde zukommt. In der Folgezeit entstehen Wörter für die wichtigsten Personen (Mama, Papa), für Dinge (Haus, Löffel, Bagger) und auch für Lieblingsspielsachen (Puppe, Auto, Teddy). Schließlich bilden sich durch Beobachtungen in Alltagssituationen „Relationswörter“ wie „da“ oder „weg.“ Im Alter von zwei Jahren sprechen viele Kinder Wörter wie: Mama, Papa, Ball, Puppe, Hund oder Wauwau. Dodil, Tator, Schleifwurst und viele andere Produktionen entstehen und geben der Bezugsperson oft nur für Sekunden ein Rätsel auf. Dann lässt dich die Bedeutung aus dem Kontext erahnen.

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MIT KINDERN VIELE FACETTEN VON SPRACHE ERLEBEN – ENTWICKLUNG EINER ERZÄHLKULUTR IM KINDERGARTEN

Erzählen, Vorlesen und das Betrachten von Bilderbüchern sind wichtige Bestandteile einer sprachlichen Bildung. Als Bedingungen für einen erfolgreichen Spracherwerb gelten:

  • ein wertschätzendes Erziehungsklima,
  • sichere Beziehungen,
  • ein feinfühliges Kommunikationsverhalten.

Kinder müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass sie mit ihrer Sprache etwas bewirken können. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit beflügelt das eigene sprachliche Handeln. Forschungsergebnisse über die Wirksamkeit von Sprachfördermaßnahmen deuten darauf hin, dass vor allem eine empathische Beziehung eine positive Auswirkung auf Sprachentwicklungsprozesse hat. Continue reading